San Antonio. In Chile steht eine der größten Landbesetzungen des Landes kurz vor der Zwangsräumung.
Die sogenannte "Megatoma" auf dem Cerro Centinela in San Antonio im Großraum Valparaíso, die seit 2019 besteht und rund 10.000 Menschen beherbergt, soll ab dem 27. Februar 2025 um zehn Uhr geräumt werden. Das Berufungsgericht in Valparaíso setzte nach langen juristischen Auseinandersetzungen die Frist zur Räumung.
Die Bewohner versuchen weiterhin, die Räumung noch abzuwenden. Vertreter der Besetzer, wie Karina Ayala vom Komitee "Nuevos Aires de San Antonio", berichteten noch kurz vor der Ankündigung durch das Gericht von widersprüchlichen Aussagen seitens der Behörden. Vor allem die Eigentümer der etwa 260 Hektar großen Fläche hätten weiter auf die Durchsetzung des Urteils gepocht.
Einige Bewohner haben bereits weitere juristische Schritte eingeleitet. Nachdem das Urteil des Berufungsgerichts Valparaíso aus dem Jahr 2023 zur Räumung in einem Verfahren vor dem Obersten Gericht im März 2024 bestätigt wurde, wurde jetzt Antrag auf Verlängerung des Fälligkeitsdatum der Auflösung der Landnahme eingereicht.
Die Hoffnung besteht darin, mit mehr Zeit eine Kooperative als besetzende Bewohner zu gründen, um eine Einigung mit der Immobilienfirma zu erzielen, die das Grundstück besitzt, und es legal zu erwerben.
Die Landbesetzung in San Antonio ist nicht nur eine der größten informellen Siedlungen Chiles, sondern stellt auch ein politisches Problem dar: Sie blockiert die geplante Nordzufahrt zum wichtigen Hafen der Stadt. Dieses Schlüsselprojekt des Nationalen Hafenentwicklungsplans verschärft die Auseinandersetzung weiter.
Ohne Moos nix los
Ihnen gefällt die Berichterstattung von amerika21? Damit wir weitermachen können, brauchen wir Ihre Unterstützung.
Die Regierung betont, dass das Räumungsverfahren "stufenweise und koordiniert" erfolgen werde. Neben der Polizei seien auch die Stadt San Antonio und die regionale Regierung in die Durchführung eingebunden. Es werde versucht, für die Einwohner alternative Wohnlösungen zu finden.
Die bevorstehende Zwangsräumung lässt die prekäre soziale Lage vieler Bewohner deutlich werden. Laut einer Erhebung des Ministeriums für Wohnungsbau und Stadtentwicklung sind 33 Prozent der Bewohner Kinder und Jugendliche, 70 Prozent der Haushalte gelten als hochgradig sozialgefährdet. Zudem gehören auch viele Senioren zu den etwa 4.000 Familien.
Auch in der Stadt Viña del Mar steht eine Landbesetzung vor einer Räumung. Das besetzte Gebiet in Reñaca Alto, wo 86 meist ausländische Familien leben, sollte schon Mitte Februar geräumt werden. Dies ist nun für den 4. März angesetzt. Die Bewohner widersetzen sich auch hier weiter, weil alternative Lösungen fehlen.
Die Auseinandersetzungen um beide Besetzungen machen die landesweite Krise um Wohnraum besonders sichtbar und sind symptomatisch für die tiefe soziale Krise Chiles. Die Regierung spricht von 1.436 informellen Siedlungen landesweit, das ist ein Anstieg von 56 Prozent in nur sechs Jahren. Gerade seit dem sozialen Aufstand 2019 steigt die Zahl rasant.
Die Regierung von Präsident Gabriel Boric versucht indes, der Situation Herr zu werden. Zum einen ergriff sie mit dem "Plan de Emergencia Habitacional" die Initiative zur Schaffung von Wohnraum und gleichzeitig kriminalisiert sie mit dem Anti-Landnahme-Gesetz solche Besetzungen noch weiter (amerika21 berichtete).
Neben dem Druck durch die Eigentümer, oft große Immobilienfirmen, wird die Regierung auch durch Teile der Mittelschicht zum Handeln gezwungen. Diese sehen sich als Leidtragende der Entwicklung durch die noch stärker als sonst strapazierte lokale soziale Infrastruktur – überfüllte Schulen und Krankenhäuser etc. – und fühlen sich bedroht bzw. benachteiligt durch die Duldung solcher Landbesetzungen.