Nicaragua verlässt die Internationale Arbeitsorganisation

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Verhandlung über die Festlegung des Mindestlohns 2025 im Auditorium der Erziehungsgewerkschaft Anden in Managua
Verhandlung über die Festlegung des Mindestlohns 2025 im Auditorium der Erziehungsgewerkschaft Anden in Managua

Managua/Genf. Mit einem Schreiben von Valdrack Jaentschke, dem Außenminister Nicaraguas, informiert die Regierung den Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über ihren Rückzug aus der Organisation. Nicaragua weise "die Einmischung in die nationalen Angelegenheiten durch politisierte Handlungen und destabilisierende Manöver der ILO" zurück, so Jaentschke.

Auf Grund des in der ILO seit 2022 laufenden Beschwerde-Prozesses droht dem Land Nicaragua eine öffentlichkeitswirksame Verurteilung durch die ILO.

Mit der Beschwerde gegen Nicaragua hatte sich die ILO auf ihrer Tagung im Herbst 2023 beschäftigt. Damals hatte der Verwaltungsrat erklärt, dass ein Klima der Einschüchterung und Belästigung unabhängiger Arbeitnehmer herrsche, konkretisierte diese Vorwürfe in ihren Veröffentlichungen zur Tagung aber nicht weiter. Als konkrete Beschwerde wurde die Festnahme und Inhaftierung von Arbeitgebervertretern benannt. Zu diesem Vorgang erklärte die ILO ihre tiefe Besorgnis.

Die ILO benennt diesen Vorgang so: der Verwaltungsrat der ILO prüfte die Beschwerde über die Nichteinhaltung der Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes sowie das Recht auf Kollektivverhandlungen. Der Umgang mit dem früheren Unternehmerverband mit dem Namen Oberster Rat der Privaten Unternehmen (Cosep) scheint das konkreteste Element im Konflikt zwischen der ILO und der Regierung Nicaraguas zu sein.

Unter anderem sollte eine hochrangige Mission nach Nicaragua entsandt werden, um die Fragen aus der Beschwerde zu prüfen und einen Bericht dazu vorzulegen. Nicaragua lehnt einen solchen Besuch ab. Außerdem nahm das Leitungsgremium der ILO in seinem Arbeitspapier Bezug zu der Interamerikanische Menschenrechtskommission und zur Gruppe von Menschenrechtsexperten für Nicaragua, deren Aktivität vonseiten Nicaraguas abgelehnt wird (amerika21 berichtete). Gleichzeitig thematisierte die ILO eine gravierende Verschlechterung der Menschenrechtslage im Land. 

Nicaraguas Regierung hatte schon 2023 gegenüber der ILO erklärt, dass der Arbeitgeberverband Cosep von sich aus bereits fünf Jahre lang nicht mehr an den trilateralen Konsultationen teilgenommen hatte. Die Erklärung blieb im Beschwerdeverfahren folgenlos.

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Der Konflikt zwischen dem Unternehmerverband und der Regierung hat 2018 mit zum Entstehen der Protestaktionen bzw. des Aufstandsversuchs beigetragen (amerika21 berichtete). Dieser Konflikt hatte sich während der dreimonatigen Proteste fortgesetzt, bei denen zwischen 250 und 450 Personen ihr Leben verloren. Laut Aussagen von Anwohner:innen gegenüber amerika21 im Mai 2018 wurden die Menschen an den Straßensperren der Protestierenden von Großunternehmen versorgt. Von den Blockadepunkten aus soll es auch zu Übergriffen auf Sicherheitskräfte und Anhänger:innen und Symphatisant:innen der Regierung gekommen sein. 

Aus diesem Grund schreibt Nicaraguas Außenminister im Rückzugsschreiben, die ILO beschäftige sich mit Organisationen, die Urheber der zahlreichen Morde, Entführungen, Vergewaltigungen, Abscheulichkeiten und Gräueltaten gegen das nicaraguanische Volk seien.

Im Konflikt mit Cosep wurde 2022 von der Regierung gegen den Präsidenten und Vizepräsidenten von Cosep, Michael Healy und Alvaro Vargas wegen Geldwäsche, Eigentumsdelikten und anderen illegalen Handlungen ermittelt. Die US-Regierung habe über das International Institute on Race, Equality and Human Rights mit Sitz in Washington Gehälter von Cosep-Mitarbeitern bezahlt. Sie hatten laut Berichten des regierungsnahen Radio Primerisima 8.000 US-Dollar pro Person und Monat erhalten. Healy und Vargas wurden im Mai 2022 verurteilt. Die Cosep-Führung war dann Teil der Gruppe von 222 politischen Gefangenen, die Anfang 2023 in die USA abgeschoben wurden.

Wegen fehlender Tätigkeits- und Finanzberichte wurde dem Unternehmerverband und 18 Handelskammern im März 2023 die Rechtspersönlichkeit entzogen. Seither wurden keine weiteren Versuche der Großunternehmen bekannt, eine Selbstorganisation für die Teilnahme an Tarifgesprächen zu gründen.

Die landesweit wirksamen Lohnverhandlungen werden in Nicaragua in der Trilateralen Nationalen Kommission für den Mindestlohn geführt. An dieser Kommission sind Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Regierung beteiligt, sie bestand laut Arbeitsministerium 2023 aus 38 Personen. Die Seite der Arbeitgeber war bis 2018 im Wesentlichen von Cosep dominiert, seither kommen auch Vertreter:innen der Kleinst-, Klein- und Mittelbetriebe zum Zuge.

Die ILO hatte unter anderem für einen sozialen Dialog die Einrichtung eines dreigliedrigen Runden Tisches unter ihrer Schirmherrschaft gefordert. Diese Forderung wurde von den Vertreter:innen der EU in der ILO unterstützt, aber von Nicaragua ebenfalls als ein Eingriff in die Souveränität des Landes abgelehnt.