Managua. Die Ko-Präsidentin Nicaraguas, Rosario Murillo, hat den Rückzug des Landes aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen angekündigt. Die Regierung weise zudem alle im jüngsten Bericht einer Expertengruppe vorgebrachten "Unwahrheiten, Verleumdungen und Lügen" zurück, erklärte sie.
Man habe dem Präsidenten des Rats, Jürg Lauber, ein Schreiben übermittelt, in dem Nicaragua seine Entscheidung zum Rückzug aus diesem Gremium mitteilt, so Murillo weiter.
Darin führt Außenminister Valdrack Jaentschke aus, der Menschenrechtsrat habe "erneut gegen seine am 15. März 2006 mit der Resolution 62/51 verabschiedeten Regeln verstoßen". In diesem Dokument seien die Grundsätze der Objektivität, Unparteilichkeit und Nicht-Selektivität bei der Prüfung von Menschenrechtsfragen sowie die Verpflichtung zur Beseitigung von Doppelmoral und Politisierung festgelegt.
In dem am Mittwoch in Genf veröffentlichten Jahresbericht erklärt die 2022 eingesetzte Gruppe von Menschenrechtsexperten (GRHEN), dass "das Regime von [Daniel] Ortega und Murillo das Land mit der Verfassungsreform, die am 18. Februar in Kraft trat, bewusst in einen autoritären Staat verwandelt hat". Der Bericht beruht laut GRHEN auf 1.500 Interviews und der Prüfung von 7.500 Dokumenten.
"Es gibt keine unabhängigen Institutionen mehr, abweichende Stimmen werden zum Schweigen gebracht und die Bevölkerung – sowohl innerhalb als auch außerhalb Nicaraguas – ist Verfolgung, erzwungenem Exil und wirtschaftlichen Repressalien ausgesetzt".
Weiter heißt es darin, dass die Regierung auch ein ausgedehntes Geheimdienstnetz betreibe, "das die gesamte Bevölkerung überwacht". Diese Überwachung erstrecke sich auch auf Presse und Kirche und werde durch die Anwesenheit von Polizisten und Militärs spürbar, die die Menschen unterdrückten und abweichende Organisationen zensierten.
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"Diejenigen, die es wagen, Widerstand zu leisten oder einfach als Dissidenten wahrgenommen werden, müssen ein Leben als Staatenlose und im Exil führen", sagte Reed Brody, Mitglied der Expertengruppe. Seine Kollegin Ariela Peralta fügte hinzu: "Dies ist eine Regierung im Krieg gegen ihr eigenes Volk".
Der Konflikt in und um Nicaragua besteht schon seit vielen Jahren und eskalierte während den je nach Sichtweise als friedlicher Protest beziehungsweise Putschversuch bezeichneten Auseinandersetzungen im Frühjahr 2018. Die Gewalt zog sich über drei Monate und forderte je nach Darstellung 250 bis 450 Tote, darunter Regierungsgegner, Regierungsmitarbeiter und -sympathisanten sowie 22 Polizisten.
Das Thema der Menschenrechte spielte in der öffentlichen Wahrnehmung des Konflikts immer eine wichtige Rolle (amerika21 berichtete). Schon im September 2018 verwies die Regierung Nicaraguas die UN-Menschenrechtskommission des Landes, weil die Regierung sich in deren Bericht für Tote verantwortlich gemacht sah, zu deren Todesumständen es keine Untersuchung gegeben hätte (amerika21 berichtete).
Im Februar 2023 hatte die GRHEN ihren ersten Bericht zur Menschenrechtssituation in Nicaragua vorgelegt. Der frühere unabhängige UN-Experte für internationale Ordnung (2012-2018), Alfred de Zayas, kritisierte diesen bereits dafür, dass er sich nur auf Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte konzentrierte. De Zayas kommentierte des Weiteren, dass "der Ausschluss relevanter Informationen, die der Studiengruppe [GHREN] vorgelegt wurden, ein Verstoß gegen eine verantwortungsvolle Methodik ist, ein Verstoß gegen die Ethik jeder gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Untersuchung".
Schon seinerzeit lehnte die Regierung Nicaraguas die Expertengruppe ab. Die Beiträge zu deren Berichten stammten von Oppositionssektoren und Medien, die subjektive, verzerrte und falsche Situationen sowie falsche Tatsachen über die Realität des Landes verbreiteten, erklärte die nicaraguanische Delegation im Menschenrechtsrat.
Die regelmäßig wiederholten Meinungsumfragen des in Managua ansässigen Marktforschunginstituts M&R Consultores in Nicaragua widersprechen indes den Vorwürfen der GRHEN-Experten. Die Meinungs- und Handlungsfreiheit sehen demnach 93,9 Prozent der Menschen im Land bei der Befragung Ende 2024 als gegeben, nur 6,1 Prozent bemängelten diese. 91,1 Prozent der Befragten gaben, dass die bürgerlichen Rechte im Land respektiert würden. Und 93 Prozent erklärten, dass Dialog und Einheit die wichtigen Elemente zur Lösung von Konflikten im Land seien.