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Televisa Leaks: Skandal um größten Medienkonzern in Mexiko

Whistleblower enthüllt "Schmutzkampagnen" des Unternehmens. Angriffe gegen konkurrierende Unternehmen und investigativen Nachrichtenkanal

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Aristegui Noticias veröffentlichte den Skandal
Aristegui Noticias veröffentlichte den Skandal

Mexiko-Stadt. Der mexikanische Medienkonzern Televisa soll über Jahre hinweg in einer klandestinen Abteilung Attacken gegen politische Gegner gesteuert haben. Darauf weisen die Daten eines Whistleblowers hin, die dem renommierten Nachrichtenmagazin Aristegui Noticias zugespielt wurden. Auch der Oberste Gerichtshof des Landes, SCJN, soll in den Skandal verwickelt sein.

Televisa ist eines der größten lateinamerikanischen Medienunternehmen und dominiert neben TV Azteca den mexikanischen Markt. Hauptexportprodukt der Fernsehsparte sind die Telenovelas. Doch der Konzern mit rund 4,5 Milliarden Euro Jahresumsatz ist auch in zahlreichen anderen Geschäftsfeldern aktiv. Dazu gehören Radiosender, Verlage, Sportrechte und auch eine Fluggesellschaft.

Die Daten des Whistleblowers erstrecken sich über einen Zeitraum von 2018 bis 2024 und haben ein Volumen von mehr als fünf Terabyte. Darunter befinden sich Dokumente und Chatverläufe unter anderem in WhatsApp und Telegram. Diese sollen laut Aristegui Noticias beweisen, wie Televisa Schmutzkampagnen gegen Konkurrenten und politische Gegner orchestriert hat, während Verbündete gefördert wurden.

Die bei Televisa angesiedelte Gruppe von Redakteur:innen, Designer:innen und Videograf:innen nannte sich Palomar. In der Abteilung arbeiteten auch zwei Personen mit, die offiziell in der Öffentlichkeitsarbeit des mexikanischen Obersten Gerichtshofs SCJN beschäftigt waren. Ein anderer Teil der Gruppe war offiziell bei dem Medienunternehmen Metrics to Index angestellt.

Palomar operierte unter der Leitung von Javier Tejado Dondé, der auch an seine beiden Chefs berichtet haben soll: Alfonso de Angoitia und Bernardo Gómez, die beiden CEOs von Televisa. In Sitzungen, die den Namen "War room" (Kriegsraum) trugen, wurden die Ziele der klandestinen Einheit festgelegt. So soll die Gruppe in sozialen Netzwerken Stimmung gemacht haben, damit beispielsweise der Richter Arturo Zaldívar 2019 zum Präsidenten des Obersten Gerichtshofs ernannt wurde. Dafür sollen über Zaldívars Rivalen in sozialen Netzwerken falsche Informationen gestreut worden sein.

Zaldívar ist heute Berater der mexikanischen Regierung und einer der Architekten der Justizreform. Kurz nach seinem Amtsantritt soll die Gruppe Metrics to Index vom SCJN einen Auftrag in Höhe von umgerechnet rund zwei Millionen Euro erhalten haben. Für weitere rund 650.000 Euro wurde eine dokumentarische Serie in Auftrag gegeben, die letztendlich nie im Canal de Justicia (dem Kanal des SCJN) ausgestrahlt wurde, weil die Rechte weiterhin Televisa gehören.

Durch das Material sollen auch zahlreiche Angriffe auf den Nachrichtenkanal Aristegui Noticias selbst belegt sein, der die Vorfälle jetzt öffentlich machte. Mehr als 300-mal findet sich der Name in den Telegram Chats von Televisa Leaks. Die Palomar Gruppe soll die Berichterstattung des unabhängigen Nachrichtenkanals durchgehend beobachtet haben, um auf für Televisa ungewünschte Inhalte zu reagieren.

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So berichtete Aristegui Noticias im Jahr 2024 über Vorwürfe der Korruption und Geldwäsche gegen die CEOs von Televisa, Gómez und Angoitia. Die Anklage gegen die CEOs war bei der US-amerikanischen Börsenaufsicht eingereicht worden, der Hinweisgeber allerdings, Eduardo Fernández, ehemaliger Vizepräsident der mexikanischen Bankenkommission, wurde selbst der schweren Erpressung bezichtigt und 2024 in Spanien festgenommen. Palomar wurde laut der veröffentlichten Unterlagen damit beauftragt, den Belastungszeugen in der Öffentlichkeit unglaubwürdig zu machen.

Außerdem wurde laut Presseberichten ein Video mit gefälschten Informationen in Auftrag gegeben, in dem die Journalistin und Leiterin von Aristegui Noticias, Carmen Aristegui, beschuldigt wird, den Ex-Beamten "gewarnt" zu haben, dass er auf einer Liste von gesuchten Personen bei Interpol stehe und in 189 Ländern verhaftet werden könne. Für das Material soll ein WhatsApp Chat gefälscht und das Bild von Carmen Aristegui manipuliert worden sein. Ziel der Fälschungen soll gewesen sein, zu erreichen, dass die spanischen Behörden wegen der Warnung gegen Aristegui ermittelten.

Das Team von Tejado Dondé soll immer wieder auf gefälschte Chats zurückgegriffen haben, indem es Bildbearbeitungssoftware verwendete oder einfach Mitarbeitende bat, die Details und Profilbilder auf ihrem WhatsApp zu ändern, um die Unterhaltungen zu fälschen und dann Screenshots davon zu machen. Die Chats wurden für Videos verwendet, aber auch in journalistischen Veröffentlichungen, die von Tejado Dondé in den Medien und auf Websites in Umlauf gebracht, zitiert oder beworben wurden. Das Video - mit falschen Informationen und den gefälschten Chats von Carmen Aristegui - wurde über Facebook- und X-Konten (früher Twitter) verbreitet, die vom Televisa-Metrics-"War room" verwaltet worden sein sollen.

In einem anderen Fall fabrizierte die Televisa Whatsapp-Chats der Gouverneurin von Campeche, Layda Sansores von der Regierungspartei Morena. Diese hatte zuvor Chats über angebliche Absprachen zwischen Televisa-Manager Tejado Dondé und dem Vorsitzenden der PRI-Partei (Partei der institutionalisierten Revolution) Alejandro Moreno öffentlich gemacht. In dem Gespräch sollen sich die beiden auf Interviews geeinigt haben, Geschäfte gemacht und über den juristischen Einfluss von "Z" gesprochen haben. "Z" könnte eine Anspielung auf den Richter Arturo Zaldívar sein. Tejado Donde soll erbost über die Berichterstattung gewesen sein. Palomar produzierte daraufhin WhatsApp-Chats von Sansores mit ihrem Neffen, die ihre Glaubwürdigkeit untergruben.

Die von Televisa attackierten Gegner kamen aus unterschiedlichen Lagern. Dazu gehörte der Konkurrent TV Azteca und sein Chef Ricardo Salinas, wenn es um Streit um Einschaltquoten ging, aber auch das Unternehmen Telmex und Carlos Slim aufgrund des Wettbewerbs in der Telekommunikationsbranche oder Unternehmen wie Fox und Disney, mit denen Televisa um Übertragungsrechte für Fußball konkurrierte.

Politisch war Palomar nicht auf bestimmte Gegner festgelegt. So lässt sich nicht sagen, dass die politische Linke oder Akteur:innen der Morena-Partei die Hauptziele waren. Während ein Netz von Bots Expräsident Andrés Manuel López Obrador und den ehemaligen Generalstaatsanwalt Alejandro Gertz Manero attackierte, wurde die heutige Präsidentin Claudia Sheinbaum während ihrer Kampagne von den Bot-Netzen unterstützt, ebenso wie die Morena-Politiker Ricardo Monreal und Omar García Harfuch. Ebenso unterstützt wurde die konservative Politikerin und Ex-Präsidentschaftskandidaten Xochitl Gálvez.