Brasilien / Umwelt

Brasilien: Klage gegen CO2-Handel im Amazonas

CO2-Zertifikate für Großkonzerne wie Amazon, Walmart und andere. Staatsanwälte klagen gegen Abkommen. Indigene Gruppen kritisieren Vertrag mit der LEAF-Koalition

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Im Zeitraum 2023-2024 ging die Entwaldung in Pará zwar zurück, aber der Bundesstaat bleibt seit neun Jahren weiterhin der am stärksten entwaldete Bundesstaat Brasiliens.
Im Zeitraum 2023-2024 ging die Entwaldung in Pará zwar zurück, aber der Bundesstaat bleibt seit neun Jahren weiterhin der am stärksten entwaldete Bundesstaat Brasiliens.

Belém. Im brasilianischen Bundesstaat Pará wächst der Konflikt um ein Abkommen zum Verkauf von CO2-Zertifikaten aus dem Amazonasgebiet. Anfang Juni haben Bundesstaatsanwälte Klage gegen das Abkommen eingereicht, das Pará im September 2024 mit der internationalen LEAF-Koalition geschlossen hatte – einem Zusammenschluss von Unternehmen wie Amazon und Walmart sowie den Regierungen der USA, Großbritanniens und Norwegens. Laut Klage ist der Vertrag rechtswidrig, überhastet und ohne Konsultation der betroffenen Gemeinschaften abgeschlossen worden.

Das Abkommen sieht Zahlungen in Höhe von bis zu 180 Millionen US-Dollar für Emissionsminderungen aus reduzierter Entwaldung (REDD+) im Amazonas vor. Doch laut Staatsanwaltschaft fehlt es an einem gesetzlich verankerten Kohlenstoffmarkt und einem REDD+-System in Pará. Die kommerzielle Nutzung von CO2-Zertifikaten sei damit verfrüht – insbesondere, da betroffene Gemeinschaften nicht nach dem in der ILO-Konvention 169 verankerten Prinzip der freien, vorherigen und informierten Zustimmung einbezogen wurden.

Zahlreiche Vertreter:innen indigener Völker und Quilombola-Gemeinschaften kritisieren den Verkauf von CO2-Minderungsgutschriften aus ihren Territorien, über deren rechtliche Hoheit nicht der Bundesstaat, sondern die Landesregierung verfügt. Der Bundesstaat verkaufe "etwas, das ihm nicht gehört", so ein Forscher des Amazonas-Instituts.

Die Regierung von Pará argumentiert, es handle sich "nur" um ein Vorab-Abkommen, das erst ab 2026 wirksam werde, wenn nachweislich Emissionsminderungen vorliegen. Doch Kritiker:innen und die Staatsanwaltschaft sehen darin de facto eine illegale Vorausvermarktung. Nach dem brasilianischen Kohlenstoffmarktgesetz von 2024, mit dem das brasilianische System für den Handel mit Treibhausgasemissionen eingeführt wurde, ist der Vorverkauf von CO2-Minderungsgutschriften verboten.

Auch sei die Beteiligung der Gemeinschaften an den Einnahmen zu gering und die vorgesehene Mittelverteilung intransparent und sozial ungerecht. Aus den Entwürfen für REDD+-Projekte in Pará geht hervor, dass der Bundesstaat 15 Prozent der Erlöse aus dem Verkauf von Zertifikaten einbehält. Für die Quilombola-Gemeinschaften, auf deren Gebieten ein Teil der Wälder liegt, sind nur 14 Prozent vorgesehen. "Wir denken, dass der Anteil der Regierung hoch ist", sagte Aurélio Borges, Schatzmeister von Malungu, der Koordinierung der Quilombola-Vereinigungen von Pará.

Ohne Moos nix los

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Besonders wird an dem Vertrag kritisiert, dass bis zu sieben Prozent der Einnahmen an die Agrarindustrie gehen sollen, die allerdings Hauptverursacher der Entwaldung in Pará ist. Dies widerspreche dem eigentlichen Ziel von REDD+, nämlich dem Schutz des Waldes durch die Menschen. Ein Vorschlag der Quilombola-Vereinigungen, illegale Abholzer in einem Register zu erfassen und von Profiten auszuschließen, wurde bislang nicht umgesetzt.

Ebenso wenig reagierte Pará auf Empfehlungen der Staatsanwaltschaft aus dem Jahr 2023, Umwelt- und Sozialschutzmaßnahmen im Rahmen eines subnationalen REDD+-Systems umzusetzen, bevor Verträge zu CO2-Zertifikaten abgeschlossen werden.

Der Fall wirft damit ein Schlaglicht auf die systemischen Probleme des freiwilligen Kohlenstoffmarkts. Seit Jahren kritisieren Expert:innen und zivilgesellschaftliche Organisationen, dass CO2-Zertifikate aus Waldschutzprojekten wie REDD+ in der Praxis oft nicht zu realen Emissionsminderungen führen. Eine neue wissenschaftliche Meta-Studie im Fachjournal Nature Communications hat Waldschutzprojekte analysiert – darunter viele in Brasilien – und festgestellt, dass nur 25 Prozent der Projekte signifikante Emissionsminderungen zeigen würden.

Die Autor:innen der Studie sprechen von systematischer Übergutschriftung, da viele Projekte ihren positiven Klimaeffekt überschätzen. Unternehmen wie Amazon, Bayer, H&M oder Unilever würden also über den LEAF-Vertrag mit Pará Zertifikate kaufen, um ihre Klimabilanz aufzubessern, obwohl die tatsächlichen CO2-Einsparungen zweifelhaft sind.

Zwar verfolgt die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva einen ambitionierten Umweltkurs, doch der Fall Pará zeigt die Grenzen föderaler Koordinierung und wirft Fragen zur Kohärenz zwischen nationaler Gesetzgebung und subnationalen Initiativen auf. Auch mit Blick auf die in diesem Jahr in Belém (Pará) stattfindende Weltklimakonferenz COP30 gewinnt der Streit an Bedeutung.