Manaus. Die brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft (MPF) hat die sofortige Aussetzung eines Projekts zur "Verringerung von Emissionen durch vermiedene Entwaldung und Waldschädigung" (REDD+-Waldschutzprojekt) in Schutzgebieten indigener und traditioneller Bevölkerungsgruppen im Bundesstaat Amazonas gefordert. Das Projekt sollte in 21 staatlichen Schutzgebieten – darunter der Reserva de Desenvolvimento Sustentável do Juma (RDS Juma) – umgesetzt werden.
Nach Ansicht des MPF wurden grundlegende Rechte auf freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) der betroffenen Gemeinschaften verletzt. Die Umweltbehörde (Sema) des Bundesstaates habe das Vorhaben initiiert, ohne die in dem Gebiet lebenden Gemeinschaften vorab zu konsultieren. Die Staatsanwaltschaft kritisiert zudem fehlende Informationen zu finanziellen Strukturen und möglichen Nutznießern.
Die Strategie REDD+ wurde von den Vereinten Nationen eingeführt, um Anreize für den Erhalt und die Wiederherstellung von Wäldern im globalen Süden zu schaffen.
In der aktuellen Klage fordert die MPF als dringende Vorsichtsmaßnahme die Aussetzung aller mit dem Projekt verbundenen Verwaltungsmaßnahmen, einschließlich der von der Sema geplanten öffentlichen Ausschreibung für Unternehmen zur Durchführung der Konsultation, um deren Zutritt zu den Gemeinden in staatlichen Schutzgebieten zu verhindern.
Bereits im November 2024 hatte die Staatsanwaltschaft eine Klage gegen die Landesregierung von Amazonas eingereicht. Die Staatsanwaltschaft warf der Umweltbehörde SEMA vor, ein umfangreiches REDD+-Projekt in staatlichen Schutzgebieten vorbereitet zu haben, ohne die betroffenen indigenen und traditionellen Gemeinschaften gemäß der ILO-Konvention 169 zu konsultieren. Ebenso wenig hatte die SEMA die Nationale Indigenenbehörde FUNAI und das Ministerium für Indigene Völker (MPI) einbezogen. Das MPF forderte daher als einstweilige Maßnahme die sofortige Aussetzung sämtlicher Verwaltungsakte im Zusammenhang mit dem Projekt – darunter eine Ausschreibung für Unternehmen, die mit der Durchführung von "Konsultationen" beauftragt werden sollten - um den Zugang dieser Firmen zu den Gemeinden vorläufig zu verhindern.
Aus den im Gerichtsarchiv veröffentlichten Klagedokumenten geht hervor, dass das Projekt rund 12,4 Millionen Hektar Waldfläche umfassen soll – etwa die Hälfte der Fläche des Bundesstaats São Paulo. Das Programm sollte privaten Firmen ermöglichen, im Namen des Bundesstaats Amazonas REDD+-CO₂-Zertifikate zu generieren und im freiwilligen Kohlenstoffmarkt zu verkaufen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft erhielten jedoch weder die betroffenen Gemeinden Informationen über diese Pläne noch Unterlagen zu den Verträgen, die in ihrem Namen verhandelt wurden.
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Die Regierung des Bundesstaats wies die Vorwürfe zurück. Wie der Sender Globo berichtet, erklärte die Sema, dass in keinem der Schutzgebiete bislang Maßnahmen begonnen oder Zertifikate ausgestellt worden seien. Zwischen November 2024 und Januar 2025 habe es lediglich "technische Treffen" mit den Verwaltungsverantwortlichen der Schutzgebiete gegeben. Die eigentlichen Konsultationen mit den Gemeinden seien ab November 2025 vorgesehen. Erst danach könnten REDD+-Projekte mit Zustimmung der Bevölkerung umgesetzt werden. Umweltorganisationen und Verbände wie die Koordination der Organisationen und indigenen Völker Amazoniens (Articulação dos Povos Indígenas do Amazonas - Apiam) kritisierten diese Darstellung als irreführend: In mehreren betroffenen Gebieten seien Gemeinschaften bereits von externen Firmen kontaktiert worden, ohne dass sie den Zweck dieser Besuche kannten oder beteiligt gewesen seien.
Das MPF fordert nun nicht nur den Stopp des aktuellen Projekts, sondern auch eine Überprüfung aller REDD+-Aktivitäten in Schutzgebieten des Bundesstaates Amazonas, solange keine verlässlichen wissenschaftlichen Nachweise und rechtskonformen Beteiligungsverfahren vorliegen.
Das Vorgehen der MPF reiht sich in eine Serie juristischer Schritte gegen umstrittene CO₂-Zertifikate aus REDD+-Projekten ein. Im Juli 2024 hatte die Behörde im Nachbarstaat Pará eine Klage gegen das in Brasilien bislang größte REDD+-Programm der Landesregierung eingereicht, das im Rahmen der internationalen LEAF-Koalition umgesetzt werden sollte. Der Bundesstaat hatte angekündigt, zwölf Millionen CO₂-Zertifikate aus Waldschutzprojekten an Konzerne wie Amazon, Nestlé und Bayer zu verkaufen (amerika21 berichtete). Auch dort kritisierte die Staatsanwaltschaft die mangelnde Rechtsgrundlage und die fehlende Beteiligung betroffener Gemeinschaften. Immer wieder werden Kompensationsprojekte zum Verkauf von CO₂-Zertifikaten ohne ausreichende Beteiligung derjenigen umgesetzt, die seit Generationen den Wald schützen.
Während Gerichte über die Rechtmäßigkeit von Kohlenstoffprojekten entscheiden, schafft die brasilianische Bundesregierung mit einem neuen Gesetz erstmals verbindliche Regeln für den gesamten Kohlenstoffmarkt. Mit dem nationalen Gesetz zur Regulierung des Emissionshandels, das 2024 in Kraft trat, hat die Regierung sowohl einen nationalen verpflichtenden Emissionshandel für große Unternehmen eingeführt als auch Regeln für Projekte im freiwilligen Kohlenstoffmarkt (VCM) festgelegt. Künftig müssen daher auch Waldschutz- oder Aufforstungsprojekte von Bundesstaaten und Privatakteuren nationale Standards erfüllen, was uneinheitliche Praktiken einschränken und rechtliche Klarheit schaffen soll.
Einst als wichtiges Instrument zur Emissionsreduzierung gefeiert, stehen Emissionsgutschriften zunehmend in der Kritik, ob sie echte Vorteile für das Klima bieten oder lediglich Emissionen kompensieren, ohne reale Minderungen zu bewirken. Die Forschung der letzten Jahre zeigt, dass es erhebliche Zweifel gibt, ob die Ziele tatsächlich erreicht werden. 90 Prozent der verkauften CO₂-Gutschriften aus REDD+-Projekten konnten keine reale Reduzierung von Emissionen nachweisen und verfehlten damit den Kompensationsgedanken. Das Problem: Viele Berechnungen basieren auf hypothetischen Szenarien, die die tatsächlich vermiedene Entwaldung stark überschätzen.
Die Entscheidung der brasilianischen Behörden ist ein Hinweis für die anstehende Weltklimakonferenz COP30 im Nachbarstaat Pará im November, bei der die internationale Waldfinanzierung und Kohlenstoffmärkte wieder im Rampenlicht stehen.

