Chile / Wirtschaft

Lachszucht in Chile: Milliardenumsätze, aber 83 Tote in zehn Jahren

Viele Taucher sind nur für geringe Tiefen ausgebildet. 40 Prozent der Beschäftigten sind bei Subfirmen angestellt

buzo.jpg

Verletzter Taucher von Lachsfarm gerettet
Rettung eines schwerverletzten Tauchers aus einem Lachszuchtzentrum im Süden Chiles

Santiago. Der letzte Unfall in der Lachsindustrie hat sich im September ereignet. Eine Schiffsschraube durchtrennte den Sauerstoffschlauch eines Tauchers, der daraufhin überstürzt auftauchte, um sich zu retten. Dies löste einen Dekompressionsunfall, auch Taucherkrankheit genannt, aus, der bei dem Arbeiter zu schweren neurologischen Schäden führte.

Chile produzierte 2024 mehr als 1.000.000 Tonnen Zuchtlachs und ist damit nach Norwegen der zweitgrößte Produzent weltweit. Ein Umsatz von 6,3 Milliarden US-Dollar steht jedoch unzureichenden Arbeitsbedingungen gegenüber. Rund 40 Prozent der Beschäftigten arbeiten als Subunternehmer, was ihre gewerkschaftliche Organisierung erschwert und ihre Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung ihrer Rechte verhindert. Fehlende Aufsicht und Kontrolle führen zu Arbeitsbedingungen, die weit unter dem Standard von Mitbewerbern wie Norwegen, Schottland oder Kanada liegen. Nach offiziellen Statistiken gab es in Norwegen in der Lachsindustrie zwischen 1982 und 2015 nur drei tödliche Taucherunfälle.

Anstatt professionell ausgebildete Taucher einzustellen, arbeitet die Lachsindustrie überwiegend mit Muscheltauchern, die von Subunternehmen angestellt werden. Geflickte Sauerstoffschläuche, fehlende Ausbildung für große Tauchtiefen, lange Arbeitszeiten sowie zu kurze Erholungspausen in Kajüten ohne Komfort führen zu den hohen Unfallzahlen. Muscheltaucher besitzen eine Lizenz zum Tauchen bis maximal 20 Meter, werden von der Industrie jedoch für Arbeiten in größeren Tiefen eingesetzt.

Für die meisten Berufe in Chile wird ein zwölfjähriger Schulabschluss verlangt. Dieser ist auch für die Erlangung des Führerscheins für Personenwagen zwingend erforderlich. Um die Lizenz als Muscheltaucher zu erlangen, reicht jedoch ein achtjähriger Schulbesuch. Viele Muscheltaucher lernen ihr Handwerk durch praktische Erfahrung bei Freunden und Familienangehörigen. Dekompressionstabellen kommen nicht zum Einsatz oder werden missachtet. Diese Tabellen regeln die Dauer des stufenweisen Auftauchens in Abhängigkeit von Tauchtiefe und Tauchdauer. Außerdem legen sie die notwendige Zeit an der Oberfläche fest, damit der Körper den Sauerstoff- und Stickstoffhaushalt wieder auf natürliche Weise ausgleichen kann.

Über den Tellerrand schauen?

Mit Ihrer Spende können wir Ihnen täglich das Geschehen in Lateinamerika näher bringen.

Jorge Cárdenas von der Nationalen Tauchergewerkschaft fordert strengere staatliche Kontrollen, um Verstöße gegen technische Vorgaben und das Arbeitsgesetz aufzudecken und zu ahnden. Er kritisiert außerdem, dass ein Gesetzentwurf zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Tauchern zwar das Parlament passiert hat, aber im Senat noch auf Bearbeitung wartet. Cárdenas betont, dass sie nicht gegen die Lachsindustrie sind, aber die hohe Zahl von Todesfällen ein Ende haben muss.

Viele Verstöße gegen das Arbeitsrecht, Sicherheitsbestimmungen und technische Vorgaben haben nur verwaltungstechnische Verwarnungen oder Geldstrafen zur Folge. Gerichtliche Aufarbeitung und Urteile gibt es kaum. Dieser Umstand hat es der Lachsindustrie seit 2004 ermöglicht, umgerechnet 50 Millionen Euro an staatlichen Lohnzuschüssen zu erhalten. Der Staat bezahlt den Lohnzuschuss, wenn es in den vergangenen sechs Monaten keine gerichtliche Verurteilung wegen Verstößen gegen das Arbeitsrecht gegeben hat. Die staatliche Arbeitsinspektion hat 1.367 Geldstrafen verhängt, die jedoch keine Einstellung der Lohnsubvention zur Folge hatten, da es sich um außergerichtliche Verwaltungsmaßnahmen handelt.

Erst seit kurzem wird eine Berufskrankheit, die Osteonekrose, zunehmend erkannt und erforscht. Sie ist eine schleichende Knochendegeneration mit untypischem Krankheitsbild. Bei Tauchern wird sie nach wiederholten langen Tauchgängen durch fehlende Sauerstoffversorgung verursacht, weil Dekompressionstabellen nicht angewendet oder missachtet werden. Die Taucher behandeln die Gelenkschmerzen anfänglich mit Schmerzmitteln und tauchen weiter. Im fortgeschrittenen Stadium führt die Erkrankung zu Frühinvalidität mit entsprechendem Einkommensverlust. Eine Heilung gibt es nicht. Eine Prothese könnte jedoch betroffene Gelenke wie Schultern oder Hüften ersetzen. Wegen fehlender und unzureichender medizinischer Vorsorgeuntersuchungen durch die Berufsgenossenschaften wurde das Problem jahrelang nicht erkannt. Es gibt daher auch keine Statistik über die Anzahl der Betroffenen.