Schattenbericht: Glencore in Kolumbien

Nichtregierungsorganisationen über die Nachhaltigkeit der Operationen der weltgrößten Unternehmensgruppe im Rohstoffhandel in Kolumbien

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Die Bewohner von El Hatillo müssen dem Kohlebergbau weichen
Die Bewohner von El Hatillo müssen dem Kohlebergbau weichen

Dieser Bericht versteht sich als ein Beitrag zu den Aufgaben der Zivilgesellschaft, die Geschäfte von großen Unternehmen und transnationalen Konzernen zu beobachten und deren Verantwortlichkeit einzufordern. Es geht dabei insbesondere um die vielfältigen Auswirkungen, die große Konzerne weltweit in den Bereichen Umwelt, Arbeitsbelange, in sozialen und wirtschaftlichen Belangen sowie im Bereich Menschenrechte verursachen. Im Fall von Glencore PLC in Kolumbien haben Organisationen aus Lateinamerika und Europa dieses Monitoring durchgeführt.

Glencore veröffentlicht seit 2010 Nachhaltigkeitsberichte über ihre Operationen, die sich auf die Standards und Kriterien der Global Reporting Initiative abstützen. Bis zum heutigen Datum veröffentlichte Glencore am Hauptsitz in Zug vier Nachhaltigkeitsberichte über ihre globale Geschäftstätigkeit sowie zwei Berichte ihrer kolumbianischen Unternehmensgruppe C.I. Prodeco. Ebenso begannen im Jahre 2010 die beiden Nichtregierungsorganisationen Pensamiento y Acción Social (PAS) und Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien (ask), Glencores Geschäftstätigkeit in Kolumbien zu beobachten, und trugen dazu Dokumente im Umfang von mehreren Tausend Seiten zusammen, um diese Informationen zu analysieren. Bei vielen dieser Dokumente handelt es sich um Informationen staatlicher Behörden Kolumbiens, so zum Beispiel über die Umwelt- und Bergbaulizenzen, Verwaltungsverfahren und Bußen verschiedener Behörden, Untersuchungen der staatlichen Kontrollbehörden wie des Rechnungsprüfungshofes sowie Audit-Berichte und Geschäftsberichte im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Schweizer Konzerns Glencore in Kolumbien.

Gleichzeitig begleiteten wir Gemeinschaften und Organisationen, die im Einflussbereich der Bergbauprojekte von Glencore leben oder tätig sind. In besonders engem Kontakt standen wir mit der Gemeinschaft El Hatillo, die sich wegen ihrer Nähe zur Calenturitas-Mine inmitten eines unfreiwilligen Umsiedlungsprozesses befindet, sowie den Reservaten der indigenen Bevölkerungsgruppe Embera Katio in der Gemeinde Frontino im Departement Antioquia, wo Glencore Explorationsarbeiten zum späteren Abbau von Gold, Molybdän und Kupfer durchführt.

Die Untersuchung der umfangreichen (staatlichen) Dokumente über Glencores Geschäftstätigkeit verbunden mit der gleichzeitigen Begleitung betroffener Gemeinschaften und der permanenten Präsenz in den Regionen, wo Glencore aktiv ist, ermöglichte es uns, diesen Schattenbericht zu schreiben, der verschiedene Aspekte, Fakten und Angaben aus den Nachhaltigkeitsberichten des Unternehmens kritisch durchleuchtet und hinterfragt. Die Absicht dieses Berichtes ist es, die Informationen, die das Unternehmen über seine Corporate Governance, über Steuerfragen, über die Auswirkungen auf die Umwelt, über seine Rolle als Arbeitgeber und über Gewerkschaftsrechte, über seine Beziehung zu den staatlichen Sicherheitskräften und über die Umsiedlung von durch die Abbautätigkeiten betroffenen Gemeinschaften gibt, zu dokumentieren, zu analysieren und zu evaluieren.

In was für einem Umfeld arbeitet Glencore in Kolumbien?

Glencore ist in Kolumbien seit bald 20 Jahren tätig. Der kolumbianische Kontext charakterisiert sich durch einen 50-jährigen Bürgerkrieg mit rund sechs Millionen Opfern und über fünf Millionen Hektar verlassenem Land. Gemäß den Studien des Centro Nacional de Memoria Histórica liegen die Gründe für diesen Konflikt wesentlich in der Schwäche der staatlichen Institutionen und der weitgehenden wirtschaftlichen und politischen Marginalisierung eines bedeutenden Teils der Bevölkerung, vor allem in ländlichen Gebieten.

Die staatlichen Kapazitäten, um einige der Schlüsselprobleme des Landes – wie zum Beispiel die hohen Armutsraten – zu lösen, waren sehr begrenzt. Die sozialen Konflikte Kolumbiens sind zudem ein Resultat des Kampfes verschiedener ökonomischer Eliten um die natürlichen Ressourcen des Landes. Kolumbien ist das Land mit der zweitgrößten Biodiversität der Welt und verfügt über unermessliche natürliche Reichtümer. Über 60 ethnische Gruppen haben wertvolle natürliche Ökosysteme erhalten, die heute extrem verwundbar sind, einerseits wegen der Folgen, die der bewaffnete Konflikt provoziert, andererseits wegen des herrschenden Entwicklungsmodells, das nicht so ausgestaltet ist, dass es alle Sektoren der Gesellschaft begünstigen würde.

Die wichtigsten Befunde des Berichtes

Zu den wichtigsten Befunden dieses Berichtes zählen schwerwiegende und wiederholte Verletzungen der nationalen Umweltgesetzgebung und noch genau zu quantifizierende Umweltschäden. Diese Schäden wurden durch den Kohleabbau in Waldschutzzonen, durch nicht bewilligte Umleitungen von Wasserläufen und durch die Luftverschmutzung, der die AnwohnerInnen der Mine ausgesetzt sind und die den Grenzwert der kolumbianischen Gesetzgebung überschreitet, verursacht.

Allein die Umweltschäden des Steinkohleabbaus führten dazu, dass die Umweltbehörden zwischen 2007 und 2010 zehn Sanktionen gegen Glencore aussprachen, die Geldstrafen von insgesamt mehr als 1,4 Millionen US-Dollar auslösten. Im März 2013 wies die Nationale Behörde für Umweltlizenzen ANLA CI Prodeco, die größte von Glencore kontrollierte Tochtergesellschaft der Gruppe in Kolumbien, an, sofort den Abbau und den Betrieb in einigen Bereichen der Mine Calenturitas einzustellen. Die Anordnung wurde erlassen, weil Prodeco Ökosysteme ohne Bewilligung beeinträchtigte und Kohleabbau außerhalb der in ihrer Lizenz festgelegten Grenzen betrieb. Deshalb veranlasste die Umweltbehörde im Januar 2014 eine Anklage gegen das Unternehmen. Ferner wirkt sich der Bergbau gravierend auf die menschliche Gesundheit der 600 Familien aus, die in drei angrenzenden ländlichen Gemeinden rund um die Minen wohnen und von Glencore und den beiden weiteren Kohleabbauunternehmen (Drummond LTD und Colombian Natural Resources) umgesiedelt werden müssen. Diese schweren Schäden sind von Glencore in ihren Nachhaltigkeitsberichten nicht als "schwere Umweltzwischenfälle" klassifiziert worden. Das heißt, Glencore benutzt eigene Umweltstandards und schafft damit ein Selbstbild, welches nicht mit den von den kolumbianischen Umweltbehörden auferlegten Sanktionen übereinstimmt.

Trotz des Antrages von Glencore zum Beitritt der Initiative der Freiwilligen Grundsätze für Sicherheit und Menschenrechte (VPSHR) wurden bisher seitens des Unternehmens keine überzeugenden Beweise zur Umsetzung der Mechanismen zur Risikobewertung noch zur Nachverfolgung und Überwachung der Geheimabkommen mit dem kolumbianischen Verteidigungsministerium publik gemacht. So ist die Militäreinheit, welche die Bergbauanlagen von Glencore im Cesar schützt, in vier Morde an Personen, die durch das Völkerrecht geschützt sind, verwickelt. Dennoch kam es bisher zu keiner öffentlichen Verurteilung dieser Vorfälle seitens des Unternehmens noch zu einer Überarbeitung der Abkommen oder einer Aufforderung an die kolumbianische Regierung, Maßnahmen zu ergreifen, um derart gravierende Menschenrechtsverletzungen in Zukunft zu vermeiden. Die Überwachung dieser Abkommen ist insofern kompliziert, da das Unternehmen weiterhin auf geheime Verträge setzt, was im Widerspruch zu den Freiwilligen Grundsätzen steht, welche einen öffentlichen Charakter und freie Einsicht für die Zivilgesellschaft empfehlen. Deshalb haben sich im November 2014 über acht lateinamerikanische und europäische NGOs an die Initiative der Freiwilligen Grundsätze gewandt und zur Aussetzung des Aufnahmeverfahrens von Glencore aufgerufen, bis eine klare Politik und konkrete Maßnahmen zur Vorbeugung solcher Gegebenheiten ergriffen und die Ereignisse öffentlich verurteilt wurden.

Auch fanden sich mehrere ordnungswidrige Schachzüge des Unternehmens, die derzeit von verschiedenen kolumbianischen Kontrollbehörden untersucht werden, wie etwa dem Rechnungsprüfungshof. Im Zuge dieser Untersuchungen wurden in den letzten vier Jahren vom kolumbianischen Staat Sanktionen und rechtliche Klagen gegen Glencore im Umfang von über 130 Millionen angestrebt. Dabei geht es um schwerwiegende finanzielle Verluste für die Nation. Die wichtigsten Befunde des Rechnungsprüfungshofes und die Unternehmensaufsichtsbehörde zeigen Schachzüge wie die Verheimlichung der Unternehmenskontrolle, die Glencore über ihre Tochtergesellschaften in Kolumbien während mehr als 16 Jahren ausübte. Während die Unternehmensgruppe nicht deklariert worden war, verzeichnete der Schweizer Konzern enorm hohe operationelle Erträge, für das Jahr 2011 beispielsweise 1,8 Milliarden Euro. Von diesen Einnahmen fließen im besten Falle im Durchschnitt lediglich eine Vermögensteuer von 0,9 Prozent und 5 Prozent Royalties in die kolumbianische Staatskasse. Gleichzeitig gehören die Armutszahlen in den Regionen rund um die Minen weiterhin zu den höchsten des Landes. Der Boom der hohen Kohlepreise der letzten Jahre hat sich weder direkt in den Bergbaueinnahmen der Nation noch in der Verbesserung der regionalen und lokalen Entwicklung niedergeschlagen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der Rechnungsprüfungshof nachdrücklich auf die schweren finanziellen Einbußen, die Glencore der Nation zufügt, hingewiesen hat. Fasst man Steuern, sonstige Abgaben und Royalties zusammen, bleiben dem Land einzig 8,30 US-Dollar pro Tonne Kohle, verglichen mit dem Durchschnittspreis von mehr als 85 Dollar pro Tonne auf dem internationalen Markt.

Auch arbeitsrechtlich sind die Befunde kritisch. Die Unternehmen der Prodeco-Gruppe haben während mehrerer Jahre ihre Eigenschaft als alleiniger Arbeitgeber der Angestellten ihrer Tochtergesellschaften nicht anerkannt, obwohl dies arbeitsrechtlich vorgeschrieben ist. Schlussendlich hat das Ministerium für Arbeit im Jahr 2013 die Unternehmenseinheit deklariert, ein Beschluss, der sich seither in Berufung befindet. Derweilen schließt Glencore weiterhin unterschiedliche Arbeitsverträge durch die verschiedenen Tochtergesellschaften ab, die sich in Lohnzahlungen, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen unterscheiden. Die Arbeiter haben unterschiedliche Löhne und Arbeitsplatzgarantien, auch wenn sie für die gleiche Arbeit eingestellt werden, was ein klarer Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichheit und der Nichtdiskriminierung im Arbeitsrecht darstellt.

Die Umsiedlungen der Gemeinschaften rund um die Kohleförderung werden zwar im Nachhaltigkeitsbericht von Glencore als erfolgreiche Prozesse dargestellt, haben aber wegen Verzögerungen und Nichteinhaltung der Anordnungen des Umweltministeriums zu Sanktionen seitens des Umweltministeriums gegen das Unternehmen geführt. Derzeit gibt es starke Hinweise auf einen wiederholten Verstoß gegen die vorgegebenen Fristen zur Durchführung der Umsiedlungen.

Fazit

Alle diese Ergebnisse zeigen eine große Diskrepanz zwischen den Nachhaltigkeitsberichten des Konzerns und den wirklichen Auswirkungen der Tätigkeit von Glencore in Kolumbien auf. Die Nachweise und die Argumente dafür werden in der Folge in jedem der Kapitel dieses Schattenberichtes aufgezeigt.

Dieser Bericht stellt einen ersten Versuch dar, die Nachhaltigkeitsberichte von Glencore kritisch zu durchleuchten. Bezweckt werden sollen eine Anpassung der Geschäftspraktiken sowie die Aufmerksamkeit der beteiligten Länder bezüglich der Notwendigkeit einer erhöhten Überwachung der Auswirkungen der Aktivitäten des Unternehmens. Bei zukünftigen Berichten besteht die Notwenigkeit, ein verstärktes Augenmerk auf Themen wie soziale Unternehmensverantwortung, Menschenrechte und auf die Auswirkungen der Tätigkeit von Glencore im Kohlebergwerk El Cerrejón sowie auch auf den Goldabbau in indigenen Gebieten im westlichen Antioquia zu legen.

Empfehlungen an Glencore PLC

  1. Umfassende Respektierung aller gesetzlichen Auflagen in Kolumbien und in der Schweiz im Bereich Menschenrechte, Nichtdiskriminierung in Arbeitsbelangen, Umweltauflagen, Royalties und Steuern sowie Corporate Governance.
  2. Veröffentlichung von Berichten über die effektive Anwendung von Menschenrechtstandards, Umweltpolitiken und Beziehungen zu den Gemeinschaften, welche wesentlich sind für die Art und Weise, wie Konflikte evaluiert, beobachtet und gelöst werden.

  3. Durchführung von Sorgfaltspflichtprozessen unter Einschluss von menschenrechtlichen Risikoabschätzungen und partizipativer Erarbeitung mit den Interessengruppen von Präventions- und Schadensminderungsinstrumenten, vor allem in Bezug auf die Zusammenarbeitsvereinbarungen mit den staatlichen Sicherheitskräften, die um Instrumente zur Reduktion und Verhinderung der wiederholten Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitsagenten ergänzt werden müssen.

  4. Anpassung der Abkommen, die mit staatlichen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsdienstleistern abgeschlossen werden, indem Maßnahmen des Unternehmens für Risikoevaluationen und Sorgfaltspflicht getroffen werden.

  5. Garantien für eine größere Offenheit für Dialoge mit betroffenen Gemeinschaften und für eine bessere Koordination der sozialen Investitionen mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung und mit den Entwicklungs- und Investitionsplänen der jeweiligen politischen Gemeinden. Dies kann beispielsweise durch Monitoring und Follow-up der Politiken, Pläne und Sozialprogramme in tripartiten Foren gewährleistet werden.

Die gesamte Studie kann auf der Webseite der Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien heruntergeladen werden. Die Studie liegt in spanischer und englischer Sprache vor.