Kuba / Politik / Kultur

Kuba, Kommunismus und die Kirche

Ein kurzer Abriss über das Verhältnis zwischen dem sozialistischen Staat und Religionen seit der Revolution 1959

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Entspannteres Verhältnis: Werbung für den Papst-Besuch in Kuba 2015
Entspannteres Verhältnis: Werbung für den Papst-Besuch in Kuba 2015

Der dritte Besuch eines Papstes in Kuba binnen relativ weniger Jahre wirft ein Schlaglicht auf die Rolle des Vatikans in dem sozialistischen Karibikstaat und auf das Verhältnis zwischen dem kubanischen Sozialismus und der Religion im Allgemeinen. Hervorzuheben ist: Das Verhältnis zwischen Staat und Religion im revolutionären Kuba hat seit dem Regimewechsel 1959 mehrere von außen- und innenpolitischen Einflüssen geprägte Phasen durchlaufen und ist in Bezug auf die politische Bedeutung der jeweiligen religiösen Gemeinschaft unterschiedlich ausgeprägt. Historisch betrachtet war die kubanische Gesellschaft stets ähnlich religiös geprägt wie die der übrigen lateinamerikanischen und karibischen Staaten, indes sind auch Unterschiede festzustellen. Durch die geografische Lage des Landes zwischen drei Regionen – Nordamerika, Südamerika und Karibik – war die kubanische Gesellschaft von vornherein religiös heterogener als die anderer Staaten. Zum Zeitpunkt der Kubanischen Revolution bestanden neben der historisch starken römisch-katholischen Kirche rund 50 evangelische Kirchen. Hinzu kamen die starken Einflüsse der afroamerikanischen Santería, die statistisch und quantitativ wegen fehlender Erhebungen schwer zu erfassen sind.

Im Verlauf des Kampfes gegen die Diktatur von Fulgencio Batista spielten die drei religiösen Gruppen zunächst kaum eine Rolle. Nur wenige Vertreter der katholischen Kirche hatten gegen die Diktatur Position bezogen. Nach dem Sturz Batistas hingegen bezog der katholische Klerus rasch zwei Positionen, die für die Dynamik in bilateralen Verhältnis Staat-Kirche und für alle Akteure von weitreichenden und bis heute wirkenden Konsequenzen waren: Zum einen prangerte die kubanische katholische Kirche den kommunistischen Einfluss (also den des damaligen Ostblocks) auf die neue Führung an, zum anderen sprachen sich katholische Amtsträger gegen Reformen im Bildungswesen aus. Neben dem allgemein auf Kuba wirkenden geopolitischen Konflikt trug vor allem der zweite Punkt zur Eskalation bei, weil die katholische Kirche – ebenso wie protestantische und jüdische Gemeinden – über Bildungseinrichtungen verfügten, die nun stärker staatlich kontrolliert werden sollten. Besonders die katholische Kirche dominierte das Schulwesen in den Städten des Landes. Es ging also gleichsam um den ideologischen Einfluss in der Bildung. Damit war ein Konflikt begründet, der sich im Dialog Staat-Kirche in Kuba bis heute widerspiegelt.

Der Bruch mit der katholischen Kirche kam 1961. Nach der blutigen Eskalation einer Demonstration im Zuge einer kirchlichen Prozession wurden 132 katholische Priester – ein Fünftel des Apparates – ausgewiesen, 2.000 Nonnen und 500 Priester verließen das Land freiwillig. Diese Entwicklung ist als Grundlage für das weitere Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche aus zwei Gründen von Bedeutung: Zum einen brachen die organisatorischen Strukturen der bis dahin landesweit vernetzten katholischen Kirche zusammen, zum anderen verlor die katholische Kirche mit der Verstaatlichung der Bildung 1961 und des damit einhergehenden Verbots privater und damit auch klerikaler Bildungseinrichtungen ihre wichtigste Finanzquelle.

Auch zu den übrigen Religionsgemeinschaften nahm der kubanische Staat deutlich Abstand und kappte institutionelle Verbindungen. Diese Entwicklung war generell außenpolitisch zu begründen. Mit der Annäherung an die Sowjetunion verstärkte sich eine antiklerikale Tendenz, die unter anderem in der Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in einer Kirche und der regierenden Kommunistischen Partei Niederschlag fand. Im Fall der evangelischen (nordamerikanischen) Kirchen kamen die massiv zunehmenden Spannungen zwischen Havanna und Washington erschwerend hinzu, die jüdischen Gemeinden erlebten eine ähnliche Entwicklung nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973. Die afrokubanische Santería indes erlebte einen Prozess der Re-Definition als musealisierte Volkskultur. Anders als bei den Konflikten mit den etablierten (Welt-)Kirchen lief dies weitaus konfliktfreier ab: zum einen stellte die Santería keine institutionelle Konkurrenz zu der revolutionären Regierung dar, zum anderen war diese afrokubanische Strömung von ihren Ursprüngen her darauf ausgerichtet, unabhängig von staatlichen Strukturen zu existieren.

Nach einer weitgehend konfliktfreien Parallelexistenz von Staat und Kirche zur Zeit der engen kubanisch-sowjetischen Kooperation setzte eine erneute Annäherung Mitte der achtziger Jahre ein. Grundlage dieser Entwicklung war eine Neuorientierung der kubanischen Führung, die parallel zu der als "Rectificación" bezeichneten Loslösung von der UdSSR einsetzte. Staats- und Regierungschef Fidel Castro versuchte mit dem 1985 vom brasilianischen Dominikaner und Befreiungstheologen Frei Betto herausgegebenen Gesprächsband "Fidel y la religión" eine Verbindung zwischen Christentum und Marxismus herzuleiten 1. Parallel hierzu besuchte 1984 der US-amerikanische Baptistenpriester und Bürgerrechtsaktivist Jesse Jackson Kuba. Die vorrangig in Havanna aktive jüdische Gemeinde – vor allem die Gemeinde Bet Shalom unter dem damaligen Vorsitzenden José Miller – eröffnete ihre Bibliothek und nahm eine aktive religiöse Bildungsarbeit auf. Von staatsparteilicher Seite wurde diese Entwicklung mit der Eröffnung eines Büros der regierenden PCC für religiöse Angelegenheiten begleitet. Die mehrdimensionale Entwicklung in den Jahren 1985 und 1986 führte zu einer Revitalisierung der Religion in Kuba und leitete damit einen Trend ein, der durch den Beginn einer schweren wirtschaftlichen Krise wenige Jahre später noch erheblich verstärkt wurde. 

Die Krisensituation nach 1991 führte zu einer Aufwertung der religiösen Netzwerke, auf deren Kompensationsleistungen der überlastete Staat hoffen konnte. Katholische und jüdische Organisationen sowie die baptistische Vereinigung Pastors für Peace organisierten Hilfslieferungen nach Kuba. Damit trugen diese Gruppierungen nicht nur zur objektiven Entspannung der Versorgungslage bei, sie bildeten zugleich – vom kubanischen Staat in Stellung gebracht – ein Gegengewicht zur US-amerikanischen Blockade, die in Hoffnung auf einen Systemwechsel in Kuba Mitte der neunziger Jahre mit mehreren Zusatzbestimmungen weiter verschärft wurde.

Neben den beiden genannten Aspekten (Versorgung, politische Wirkung gegen die US-Blockade) entwickelten die transnationalen religiösen Netzwerke seit den frühen neunziger Jahren eine bis dahin nicht gekannte Dynamik. Vor allem die afrokubanische Santería entfaltete mit der zeitgleichen Öffnung des Landes zum Tourismus große Wirkung, indem sie "dauerhafte reziproke Verbindungen" zwischen solventen Ausländern und ihren kubanischen "Paten" schafften, wie die Lateinamerikanistin Claudia Rauhut schrieb. Die so vor allem in die US-kubanische Gemeinschaft aufgebauten Verbindungen eigneten sich gleichsam als konkurrierende Netzwerke zu den bis dahin starken antikommunistischen Strukturen des Exils. Diese Tendenz wird ausführlich auch von den US-amerikanischen Forscherinnen Sarah J. Mahler und Katrin Hansing beschrieben.

Religion spielte in der sozialistischen Gesellschaft Kubas in der Krise der 1990er Jahre eine stärkere Rolle. Zugleich hat es die kubanische Führung vermocht, die institutionell organisierten religiösen Gruppen in das nationale Projekt einzubinden und indirekt sogar außenpolitisch gegen die US-Blockade in Stellung zu bringen. Die staatliche Reintegration der Kirche in nationalen Diskurs und Geschichtswahrnehmung ist jedoch nicht monokausal auf die Notlage seit 1991 zurückzuführen, sondern muss im Rahmen einer gesamtpolitischen Neuorientierung des kubanisch-sozialistischen Projektes seit Mitte der 1980er Jahre betrachtet werden, was mit der Neubewertung von Figuren wie Félix Varela2 oder José Martí einherging. Religiöse Akteure und Netzwerke haben seither innerhalb Kubas an Bedeutung gewonnen und sind ein wesentlicher Faktor bei den zunehmenden Verbindungen zu den auslandskubanischen Gemeinden, vor allem in den USA.

Zum Weiterlesen:

  • Büntig, Aldo (1970): La Iglesia en Cuba, hacia una nueva frontera, in: Revista del CIAS, 1970, XIX, Nr. 193, Seiten 21 ff., Buenos Aires.
  • Frei Betto (1986): Fidel y la religión. Entrevista concedida a Frei Betto. Oficina de Publicaciones del Consejo de Estado, La Habana.
  • Jerozolimsi, Ana (2008): Si llega a haber relaciones entre Israel y Cuba, va a haber mucha gente feliz en los dos lados, in: http://www.cuba-l.com/?p=176642 (20.09.2015).
  • Mahler, Sarah J./Hansing, Katrin (2005): Toward a Transnationalism of the Middle. How Transnational Religious Practices Help Bridge the Divides between Cuba and Miami, in: Latin American Perspectives, Issue 140, Vol. 32, Riverside, CA, USA.
  • Muder, Winfried (1992): Zur Herausbildung und zum Stand des Verhältnisses von Staat und Kirche in Cuba, Frankfurt am Main.
  • Neuber, Harald (2013): Kubas unentdeckte Wende. Wie die innere Reformdebatte Fidel Castros Revolution seit 1990 verändert hat, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien.
  • Rauhut, Claudia (2009): Die Santería-Religion und die kommunistische Partei- und Regierungspolitik in Kuba, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, Berlin.
  • 1. Anfang 1996 dann fand das erste Nationale Kubanische Kirchentreffen (Encuentro Nacional Eclesial Cubano, ENEC) statt, auf dem nach Angaben von Monsignore Carlos Manuel Céspedes, Generalsekretär der kubanischen Bischofskonferenz, zahlreichen zentralen Fragen des Verhältnisses Staat-Kirche nachgegangen wurde
  • 2. Kubanischer Priester, Wissenschaftler und Unabhängigkeitskämpfer (1788-1853). Der höchste Orden Kubas ist seit 1981 nach ihm benannt