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Die lateinamerikanischen Wikileaks-Dateien

Die Depeschen zeigen, wie die USA die Welt sehen und darauf reagieren, was sie als Herausforderungen ihrer Interessen verstehen

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Im April 2009 amtierende linksgerichtete Regierungschefs: Evo Morales, Manuel Zelaya (zwei Monate nach diesem Foto aus dem Amt geputscht), Daniel Ortega, Hugo Chávez, Rafael Correa
Im April 2009 amtierende linksgerichtete Regierungschefs: Evo Morales, Manuel Zelaya (zwei Monate nach diesem Foto aus dem Amt geputscht), Daniel Ortega, Hugo Chávez, Rafael Correa

In diesem Frühsommer sah die Welt, wie Griechenland einen heroischen Kampf gegen ein verheerendes neoliberales Diktat führte. Dann erlebte man, wie das griechische Volk von den Finanzinstitutionen der Eurozone mit sadistischem Eifer auf schmerzhafte Weise öffentlich schlecht gemacht wurde.

Als die griechische Linksregierung beschloss, ein nationales Referendum über die Eurozone und das vom IWF auferlegte Sparprogramm abzuhalten, begrenzte die Europäische Zentralbank als Vergeltung die Liquidität der griechischen Banken. Dies löste eine lang anhaltende Bankenschließung aus und stürzte Griechenland tiefer in die Rezession. Obwohl die griechischen Wähler schließlich die Austeritätspolitik massiv ablehnten, waren Deutschland und das europäische Gläubigerkartell dazu in der Lage, die Demokratie zu unterlaufen und fürs Erste genau das zu bekommen, was sie wollten: die vollständige Unterwerfung unter ihre neoliberale Agenda.

In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten wurde außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit ein ähnlicher Kampf über einen ganzen Kontinent hinweg ausgetragen. Obwohl Washington anfänglich versuchte, jede Abweichung - häufig unter Anwendung von heftigeren Taktiken als sie gegen Griechenland angewendet wurden - zu vernichten, war der lateinamerikanische Widerstand gegen die neoliberale Agenda weitgehend erfolgreich. Dabei handelt es sich um eine epische Geschichte, die dank der fortgesetzten Untersuchung der massigen Enthüllungen von US-Mitteilungen durch Wikileaks öffentlich wurde.

Der Neoliberalismus wurde in Lateinamerika bereits fest verankert, lange bevor Deutschland und die Behörden der Eurozone strukturelle Zwangsernährungsmaßnahmen gegenüber Griechenland und anderen verschuldeten, peripheren Ländern zu ergreifen begannen. Durch Zwang (d.h. zum Beispiel durch an IWF-Konditionen gebundene Kredite) und Indoktrinierung (zum Beispiel durch das Training der von den USA geschulten "Chicago Boys" der Region), waren die USA bei der Verbreitung des Evangeliums der finanziellen Austerität, der Deregulierung, des so genannten "Freihandels", der Privatisierung und des drakonischen Personalabbaus in ganz Lateinamerika Mitte der 1980er Jahre erfolgreich. Das Ergebnis ähnelte in erstaunlicher Weise dem, was wir in Griechenland erlebten: ein stagnierendes Wachstum (in den 20 Jahren von 1980-2000 so gut wie keinen Einkommenszuwachs), steigende Armut, sinkende Lebensstandards für Millionen, sowie eine Menge neuer Möglichkeiten für internationale Investoren und Konzerne, um schnelles Geld zu machen.

Von den späten 1980er Jahren an geriet die Region in Erschütterungen und erhob sich gegen die neoliberalen Strategien. Zunächst war die Rebellion meist spontan und unorganisiert – wie im Fall des venezolanischen Caracazo-Aufstandes von Anfang 1989. Aber dann begannen anti-neoliberale politische Kandidaten Wahlen zu gewinnen und standen – ein Schock für das Establishment der US-Außenpolitik – zu ihren Kampagnenversprechen und begannen Maßnahmen gegen die Armut und abweichende Strategien anzuwenden, die die Rolle des Staates in der Wirtschaft neu geltend machten. Von 1999 bis 2008 opponierten linksgerichtete Kandidaten in verschiedenem Maße gegen Neoliberalismus und US-Hegemonie und gewannen Präsidentschaftswahlen in Venezuela, Brasilien, Argentinien, Uruguay, Bolivien, Honduras, Ecuador, Nicaragua und Paraguay.

Viel von der Geschichte der Bemühungen der US-Regierung, die antineoliberale Flut aufzuhalten und umzukehren, findet sich in den zehntausenden von durchgesickerten diplomatischen Depeschen aus den diplomatischen US-Vertretungen der Region, die von Anfang 2000 bis in die 2010er Jahre reichen. Die Depeschen – die wir in dem neuen Buch aus dem Verlag Verso Books, "The WikiLeaks Files: The World According to U.S. Empire"  analysieren – enthüllen die tagtäglichen Machenschaften der politischen Eingriffe der USA in Lateinamerika (und machen das Mantra des Außenministeriums, dass "die USA sich nicht in die inneren politischen Angelegenheiten anderer Länder einmischen" zur Farce). Rechtsgerichteten Oppositionsgruppen, von denen einige gewalttätig und antidemokratisch sind, wird materielle und strategische Hilfe geleistet. Die Depeschen zeichnen außerdem ein lebhaftes Bild der ideologischen, vom Kalten Krieg inspirierten Denkweise der führenden US-Emissäre und verweisen auf deren Versuche der Anwendung von Zwangsmaßnahmen, die an den jüngst auf die griechische Demokratie angewandten Würgegriff erinnern.

Wie nicht anders zu erwarten, überging die Berichterstattung der Hauptmedien die verstörenden Berichte über diese imperiale Aggression vollständig oder zog es vor, sich stattdessen über Berichte von US-Diplomaten über schändliche oder illegale Verhaltensweisen ausländischer Funktionäre auszulassen. Die wenigen Kritiker, die eine breitere Analyse dieser Meldungen darboten, behaupten, dass es zwischen der offiziellen US-Rhetorik und der in den Meldungen geschilderten Realität keinen wesentlichen Unterschied gebe. Mit den Worten eines Analysten der auswärtigen Beziehungen der USA gesagt, erhält "man kein Bild der Vereinigten Staaten im Sinne eines allmächtigen Puppenspielers, der versucht, die Fäden verschiedener Regierungen überall in der Welt zu ziehen, um den eigenen Interessen zu dienen."

Man erhält nicht dieses Bild? Werter Leser, urteilen Sie selbst!

"Dies ist keine Erpressung…"

Ende 2005 errang Evo Morales bei den bolivianischen Präsidentschaftswahlen mit einem Programm für eine konstitutionelle Reform, indigene Rechte und eines Versprechens der Bekämpfung von Armut und Neoliberalismus einen landesweiten Erfolg. Am 3. Januar, gerade einmal zwei Tage nach seiner Amtseinführung, erhielt Morales einen Besuch des US-Botschafters David L. Greenlee. Der Botschafter kam sofort zur Sache: die multilaterale, US-kontrollierte Hilfe an Bolivien sei abhängig vom Wohlverhalten der Morales-Regierung. Es hätte eine Szene aus [dem Mafiafilm] "Der Pate" sein können:

Der Botschafter zeigte die entscheidende Bedeutung der US-Beiträge zu den internationalen Finanzen auf [sic], von denen Bolivien im Sinne von Hilfen, wie seitens der Internationalen Entwicklungsbank (IDB), der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds abhängig war. "Wenn Sie an die IDB denken, dann sollten Sie an die Vereinigten Staaten denken", sagte der Botschafter. "Dies ist keine Erpressung, das ist die schlichte Wahrheit." (…) "Ich hoffe, dass Sie als der nächste Präsident von Bolivien dies verstehen werden", sagte er, "weil getrennte Wege weder für die Region noch für Bolivien oder für die Vereinigten Staaten gut wären." [06LAPAZ6]

Trotzdem blieb Morales bei seinem Programm. Über die nächsten Tage hinweg trieb er seine Pläne zur Neuregulierung der Arbeitsmärkte, zur Wiederverstaatlichung der Erdöl- und Erdgasindustrie und der Vertiefung der Kooperation mit dem US-Erzfeind Hugo Chávez voran. Darauf reagierend schlug Greenlee eine "Auswahl von Optionen" vor, um zu versuchen, Morales dazu zu zwingen, sich dem Willen seiner Regierung zu beugen. Dies umfasste ein Veto gegen multilaterale Kredite von mehreren Millionen Dollar, die Verschiebung geplanter multilateraler Schuldenerleichterungen, eine ablehnende Haltung zur Finanzierung des Vorhabens einer Milleniumsinitiative (die Bolivien, obwohl es eines der ärmsten Länder der Hemisphäre ist, bis heute niemals erhalten hat) und die Streichung "materieller Hilfe" für die bolivianischen Sicherheitskräfte [06LAPAZ93].

Zum Unglück für das US-Außenministerium wurde bald deutlich, dass diese Art von Drohungen gebührend ignoriert werden würden. Morales hatte bereits beschlossen, die Abhängigkeit Boliviens von multilateralen Kreditlinien, die einer Sicherheitsüberprüfung durch das US-Finanzministerium bedurften, drastisch zu reduzieren. Binnen Tagen nach seiner Amtsübernahmen verkündete Morales, dass Bolivien nicht länger dem IWF verpflichtet sei und das Kreditabkommen mit dem Fond auslaufen lassen werde. Jahre später würde Morales Griechenland und anderen verschuldeten europäischen Ländern raten, dem Beispiel Boliviens zu folgen und "sich ökonomisch vom Diktat des Internationalen Währungsfonds zu befreien."

Unfähig, Morales dazu zu zwingen, seinem Geheiß zu folgen, begann sich das US-Außenministerium stattdessen darauf zu konzentrieren, die bolivianische Opposition zu stärken. Die von der Opposition kontrollierte "Halbmondregion" begann in wachsendem Maße US-Hilfen zu erhalten. Eine Depesche vom April 2007 erörtert eine größere Anstrengung von USAID, als Gegengewicht zur Zentralregierung die Regionalregierungen zu stärken" [07LAPAZ1167]. Ein USAID-Bericht von 2007 stellte fest, dass deren Büro für Übergangsinitiativen (Office of Transition Initiatives - OTI) "101 Förderzuschüsse in Höhe von 4.066.131 Dollar bewilligte hatte, um den Departementsregierungen dabei zu helfen, strategischer zu operieren." Fonds gingen auch an indigene Gruppen, die "in Opposition zu Evo Morales' Vision von indigenen Gemeinschaften" standen. [08LAPAZ717]

Ein Jahr später sollten sich die Departements des "Halbmondes" in offener Rebellion gegen die Regierung Morales stellen, indem sie zunächst Autonomiereferenden abhielten, obwohl diese von der nationalen Rechtsprechung für illegal erklärt worden waren; dann sogar gewalttätige Pro-Autonomie Proteste unterstützten, bei denen mindestens 20 Regierungsanhänger den Tod fanden. Viele glaubten, dass ein Putschversuch im Gange war. Die Lage beruhigte sich nur unter dem Druck aller anderen Präsidenten Südamerikas, die eine gemeinsame Unterstützungserklärung für die verfassungsmäßige Regierung des Landes abgaben.

Während sich aber Südamerika geschlossen hinter Evo stellte, standen die USA in regelmäßiger Kommunikation mit den Führern der gewalttätigen, separatistischen und rassistischen Oppositionsbewegung, selbst als diese offen davon sprachen "Gasleitungen in die Luft zu sprengen" und "Gewalt als eine Möglichkeit, um die Regierung dazu zu zwingen … jede Art von Dialog ernst zu nehmen" bezeichneten. [08LAPAZ1931]

Entgegen seiner offiziellen Haltung während der Ereignisse vom August/September 2008, erwog das US-Außenministerium ernsthaft die Möglichkeit eines Staatsstreiches gegen den bolivianischen Präsidenten Evo Morales oder dessen Ermordung. Eine Depesche enthüllt Pläne der US-Botschaft in La Paz zur Vorbereitung einer solchen Maßnahme: "[Das Notfalleinsatzkomitee] wird mit [dem Team für Situationsbewertung des US-Südkommandos] einen Plan für eine sofortige Reaktion im Fall eines plötzlichen Notstandes, z.B. eines Putschversuches oder des Todes von Präsident Morales vorbereiten" hieß es dort. [08LAPAZ2083_a]

Die Ereignisse von 2008 bedeuteten bis dahin die größte Herausforderung für Morales’ Präsidentschaft und führten in größte Nähe zu einem möglichen Sturz. Die Vorbereitungen der US-Botschaft für ein mögliches Ausscheiden von Morales aus der Präsidentschaft machten deutlich, dass die USA die Bedrohung seiner Person zumindest für sehr real hielten. Dass sie dies nicht öffentlich äußerten, unterstreicht nur, auf welche Seite sich die Vereinigten Staaten während des Konfliktes stellten und welchen Ausgang sie wahrscheinlich bevorzugten.

"Demokratieförderung"

Einige der Interventionsmethoden, die in Bolivien zur Anwendung kamen, wiederholten sich in anderen Ländern mit linken Regierungen oder starken linksgerichteten Bewegungen. So wurde zum Beispiel im Jahre 2007 in Nicaragua die US-Botschaft in Managua nach der Rückkehr der linken Sandinisten an die Macht in hohem Maße aktiv, um die rechtsgerichtete Oppositionspartei der Alianza Liberal Nicaragüense (ALN) zu unterstützen.

Im Februar 2007 traf die Botschaft mit der Planungskoordinatorin der ALN zusammen und erklärte, dass die USA "politischen Parteien keine direkte Hilfe" leisteten, sprach jedoch die Empfehlung aus, dass die ALN sich - in Umgehung dieser Beschränkung - enger mit befreundeten NGOs abstimmen solle, die sehr wohl US-Finanzierung erhalten könnten. Die ALN-Führerin sagte zu, sie werde "eine umfangreiche Liste von Nichtregierungsorganisationen (NGO) vorlegen, die in der Tat die Bemühungen der ALN unterstützen" und die Botschaft arrangierte für sie, "in nächster Zeit mit den Länderdirektoren des IRI [International Republican Institute] und des NDI [National Democratic Institute for International Affairs] zusammen zu treffen." Die Depesche vermerkte auch, dass die Botschaft "weitere Schritte zum Aufbau von Kapazitäten für [ALN] Spendenbeschaffer" unternehmen werde. [07MANAGUA493]

Depeschen wie diese sollten zur Pflichtlektüre für Studenten der US-Diplomatie und für diejenigen werden, die daran interessiert sind zu verstehen, wie das US-amerikanische System der "Demokratieförderung" wirklich funktioniert. Durch USAID, die Nationalstiftung für Demokratie (National Endowment for Democracy - NED), NDI, IRI und andere para-regierungsamtliche Organisationen liefert die US-Regierung politischen Bewegungen umfangreiche Hilfe, die ökonomische und politische Zielsetzungen der Vereinigten Staaten unterstützen.

Im März 2007 verlangte der US-Botschafter in Nicaragua "für die nächsten vier Jahre bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen über unsere jüngsten Grundbeträge hinaus etwa 65 Millionen Dollar", wie auch Mittel zur "Stärkung der politischen Parteien, "demokratischer" NGOs und "kleinere flexible kurzfristige Beihilfen für Gruppen" zu Verfügung zu stellen, die "entscheidende Anstrengungen in Verteidigung unserer Interessen unternehmen und denen entgegen treten, die uns bekämpfen." [07MANAGUA583_a]

In Ecuador hatte sich der US-Botschafter schon lange vor den Wahlen von 2006 gegen den linksgerichteten Ökonomen Rafael Correa gestellt, die ihn in sein Amt hoben. Zwei Monate vor diesen Wahlen warnte der politische Berater der Botschaft Washington davor, dass zu erwarten sei, dass Correa "sich der Chávez-Morales-Kirchner-Gruppe nationalistischer populistischer südamerikanischer Führer" anschließen werde und bemerkte, dass die Botschaft "unsere politischen, wirtschaftlichen und medialen Kontakte vor der Bedrohung gewarnt hat, die Correa für die Zukunft Ecuadors darstellt und aktiv zur Entmutigung politischer Bündnisse beigetragen hat, die Correas merklichen Radikalismus einzuschätzen vermochten." [06QUITO2150_a] In unmittelbarer Folge der Wahl Correas, telegraphierte die Botschaft ihren Plan an das US-Außenministerium:

Wir bilden uns nicht ein, dass die Anstrengungen der US-Regierung allein die Ausrichtung der neuen Regierung oder des Kongresses werden gestalten können, aber wir hoffen, unseren Einfluss dahingehend maximieren zu können, in Übereinstimmung mit andern Ecuadorianern und Gruppen zusammenzuarbeiten, die unsere Ansichten teilen. Die Reformvorschläge Correas und seine Haltung gegenüber dem Kongress und den traditionellen Parteien könnten, wenn sie unkontrolliert bleiben, die gegenwärtige Periode politischer Konflikte und Instabilität ausweiten. [06QUITO2991]

Die schlimmsten Befürchtungen der Botschaft bestätigten sich. Correa kündigte an, dass er den US-Luftwaffenstützpunkt in Manta schließen, die Sozialausgaben erhöhen und auf eine Verfassungsgebende Versammlung drängen werde. Im April 2007 befürworteten 80 Prozent der Ecuadorianer den Vorschlag für eine solche Versammlung und im Jahre 2008 stimmten 62 Prozent für eine neue Verfassung, die eine ganze Menge fortschrittlicher Prinzipen, einschließlich Nahrungsmittelsouveränität, das Recht auf Wohnung, Gesundheitsversorgung und Arbeit, sowie die Kontrolle der Exekutive über die Zentralbank umfasste, was innerhalb des neoliberalen Drehbuches ein gewaltiges Tabu darstellte.

Anfang 2009 verkündete Correa, dass Ecuador einen Teil seiner Auslandsschulden nicht begleichen werde. Die Botschaft war darüber und über andere jüngste Aktionen, wie die Entscheidung des Präsidenten, Ecuador enger an die linksgerichtete Staatengemeinschaft Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerika = Alba (die im Jahre 2004 als Gegengewicht zur damals von der Bush-Administration vorangetriebenen Freihandelszone der Amerikas = Alca von Venezuela und Kuba initiiert worden war) anzulehnen, äußerst empört. Aber der Botschafter war sich auch darüber bewusst, dass die USA wenig Einfluss auf Correa hatten:

Um öffentliche Kommentare zu vermeiden, die kontraproduktiv sein würden, übermitteln wir ganz im Vertrauen die Nachricht, dass das Verhalten von Correa Konsequenzen für seine Beziehung zur neuen Obama-Administration haben wird. Wir geben nicht die Empfehlung, irgendwelche USG [United States Government]-Progamme zu beenden, die unseren Interessen dienen, da dies für Correa nur den Anreiz schwächen würde, in ein pragmatischeres Verhalten zurückzufinden. [09QUITO15]

Die teilweise Verweigerung der Anerkennung von Schulden war erfolgreich und ersparte der ecuadorianischen Regierung nahezu 2 Milliarden Dollar. Im Jahre 2011 empfahl Correa den verschuldeten europäischen Ländern und insbesondere Griechenland die gleiche Medizin, in dem er ihnen den Rat gab, ihre Schuldenzahlungen auszusetzen und die Ratschläge des IWF "zu ignorieren".

Die Antwort auf die Bolivarische "Bedrohung"

Während des Kalten Krieges diente die angebliche Bedrohung durch die sowjetische und kubanische kommunistische Expansion zur Rechtfertigung zahlreicher Interventionen zur Beseitigung linksgerichteter Regierungen und zur Errichtung rechter Militärregimes. Gleichermaßen zeigten die Wikileaks-Depeschen, auf welche Weise in den 2000er Jahren das venezolanische Gespenst des "Bolivarismus" dazu benutzt wurde, Interventionen gegen neue anti-neoliberale Linksregierungen, wie in Bolivien zu rechtfertigen, die als "offen in die Arme Venezuelas gefallen" oder wie Ecuador als "Strohmann für Chávez" dargestellt wurden.

Die US-Beziehungen zur Linksregierung von Hugo Chávez trübten sich früh ein. Chávez, der im Jahre 1998 zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, lehnte die neoliberale Politik rundheraus ab, entwickelte eine enge Beziehung zum Kuba Fidel Castros und kritisierte lauthals den Überfall der Bush-Administration auf Afghanistan infolge der Angriffe des 11. September (die USA zogen ihren Botschafter aus Caracas ab, nachdem Chávez verkündet hatte: "Sie können Terrorismus nicht mit Terrorismus bekämpfen"). Später verstärkte er die Regierungskontrolle über den Ölsektor, indem er die durch ausländische Konzerne zu zahlenden Fördergebühren erhöhte und die Erdölerträge zur Finanzierung des öffentlichen Gesundheitswesens, von Bildung und von Nahrungsmittelprogrammen für die Armen nutzte.

Im April 2002 unterstützte die US-Regierung öffentlich einen kurzlebigen Militärputsch, der Chávez für 48 Stunden von der Macht entfernte. Mittels des Freedom of Information Act erlangte NED-Dokumente zeigten auf, dass die USA durch Finanzierung und Training von Gruppen, die den Putsch unterstützten und später in Bestrebungen verwickelt waren, um Chávez durch einen "Unternehmerstreik" zu beseitigen, der die Ölindustrie gegen Ende 2002/ Anfang 2003 lahm legte und das Land in eine Rezession stürzte, "Demokratieförderung" betrieben.

Wikileaks-Depeschen zeigen, dass die Vereinigten Staaten in der Folge dieser fehlgeschlagenen Versuche, die gewählte Regierung Venezuelas zu stürzen, fortfuhren, die venezolanische Opposition durch die NED und durch USAID zu unterstützen. In einer Depesche vom November 2006 erklärte der damalige Botschafter William Brownfield die Strategie von USAID/ OTI zur Unterminierung der Administration von Chávez:

Im August 2004 erläuterte der Botschafter den 5-Punkte-Plan des Länderteams zur Anleitung der Botschaftsaktivitäten für jene Zeitperiode [2004–2006] (…) Der Kern der Strategie liegt: 1) in der Stärkung demokratischer Institutionen, 2) in der Durchdringung von Chávez’ politischer Basis, 3) in der Spaltung des Chavismus, 4) im Schutz vitaler US-Geschäftsinteressen, und 5) in der internationalen Isolierung von Chávez. [06CARACAS3356]

Die engen Verbindungen, die zwischen der US-Botschaft und verschiedenen Oppositionsgruppen existieren, werden in zahlreichen Depeschen offenkundig. Eine Mitteilung von Brownfield verbindet "Súmate" - eine oppositionelle NGO, die bei den Oppositionskampagnen ein zentrale Rolle spielte - mit "unseren Interessen in Venezuela" [06CARACAS339]. Andere Depeschen decken auf, dass das US-Außenministerium sich für eine internationale Unterstützung von Súmate eingesetzt hat [05MADRID2557; 06CARACAS340] und finanzielle [05CARACAS1805], politische, gesetzliche [06CARACAS3547] und weitere US-Unterstützung, unter Einschluss der NED ermuntert hat.

Im August 2009 wurde Venezuela durch gewalttätige Proteste der Opposition erschüttert (wie sowohl unter der Regierung von Chávez als auch seines Nachfolgers Nicolás Maduro mehrfach geschehen). Eine Geheimdepesche vom 27. August zitiert den USAID/ OTI-Auftragnehmer Development Alternatives Incorporated (DAI) mit einer Bezugnahme auf "all" die Leute, die zu jener Zeit gegen Chávez protestierten als "unsere Stipendiaten":

[Der DAI-Mirabeiter] Eduardo Fernández sagte in Bezug auf die wachsenden Proteste gegen Chávez´ Bemühngen, seine Macht zu konsolidieren, dass 'die Straßen heiß' und 'all diese Leute (die die Proteste organisieren) unsere Stipendiaten' seien. [09CARACAS1132_a]

Die Depeschen enthüllen auch, dass das US- Außenministerium einem Studentenführer Schulung und Unterstützung geboten hat, der zugegebenermaßen eine Menschenmenge mit der Absicht angeführt hatte, einen chavistischen Gouverneur "zu lynchen": "Während des Putsches von 2002, beteiligte sich [Nixon] Moreno an den Demonstrationen im Bundesstaat Mérida, indem er die Menschenmenge anführte, die auf die Landeshauptstadt zumarschierte, um den MVR1-Gouverneur Florencio Porras zu lynchen." [06CARACAS1627]. Dennoch erwähnt ein anderes Telegramm nur wenige Jahre später: "Moreno nahm 2004 an einem Internationalen Besuchsprogramm [des US-Außenministeriums] teil".

Moreno sollte später unter anderem wegen versuchten Mordes und der Bedrohung einer Polizeibeamtin gesucht werden.

Entsprechend der von Brownfield ausgeführten Fünfpunktestrategie priorisierte das US State Departement auch die Bemühungen, die venezolanische Regierung international zu isolieren und ihrem vermeintlichen Einfluss in der gesamten Region entgegen zu wirken. Depeschen zeigen, wie die Chefs US-amerikanischer diplomatischer Vertretungen in der Region koordinierte Strategien entwickelten, um der regionalen venezolanischen "Bedrohung" zu begegnen.

Wie Wikileaks im Dezember 2010 erstmals enthüllte, trafen die Missionschefs für sechs südamerikanische Länder im Mai 2007 in Brasilien zusammen, um eine gemeinsame Antwort auf Präsident Chávez' vorgebliche "aggressive Pläne … zur Schaffung einer vereinten bolivarischen Bewegung in ganz Lateinamerika" zu entwickeln. Im Rahmen der von den Missionschefs vereinbarten Aktionsfelder gab es einen Plan, "die Verbindung zu denjenigen militärischen Führern zu verstärken, die unsere Besorgnis über Chávez teilen" [07ASUNCION396]. Ein ähnliches Treffen US-amerikanischer Missionschefs – das sich auf die "Bedrohung" durch "populistische politische Aktivitäten in der Region" konzentrierte – fand im März 2006 in der US-Botschaft in El Salvador statt. [06SANSALVADOR963_a]

US-Diplomaten gingen in großem Ausmaß zu dem Versuch über, die karibischen und mittelamerikanischen Regierungen davon abzuhalten, sich Petrocaribe, einem regionalen venezolanischen Energieabkommen anzuschließen, das seinen Mitgliedern Erdöl und Erdölprodukte zu äußerst vorteilhaften Bedingungen liefert. Durchgesickerte Meldungen zeigen, dass während US-Funktionäre in privatem Rahmen die eindeutigen ökonomischen Vorteile dieses Abkommens anerkannten, zugleich die Besorgnis bestand, dass Petrocaribe den politischen Einfluss Venezuelas in der Region steigern könnte.

In Haiti arbeitete die Botschaft eng mit großen Ölkonzernen zusammen, um zu versuchen, die Regierung von René Préval davon abzuhalten, sich Petrocaribe anzuschließen, obwohl sie anerkannte, dass dies "100 Millionen Dollar im Jahr einsparen würde", was erstmals von Dan Coughlin und Kim Ives in The Nation berichtet wurde. Im April 2006 schrieb die Botschafterin Janet Sanderson: "Das Amt wird weiter Druck auf [den haitianischen Präsidenten René] Preval ausüben, Petrocaribe nicht beizutreten. Die Botschafterin trifft heute Prevals Chefberater Bob Manuel. Bei vorherigen Treffen hat er unsere Bedenken anerkannt und ist sich darüber im Klaren, dass ein Geschäft mit Chávez Probleme mit uns zur Folge hätte." [06PORTAUPRINCE692].

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Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Wikileaks-Depeschen keinen Einblick in die eher verdeckten Aktivitäten der US-Geheimdienste vermitteln und nur die Spitze des Eisberges bilden, wenn es um die politische Einmischung der USA in der Region geht. Dennoch vermitteln die Depeschen weit reichende Beweise für die anhaltenden, entschlossenen Bemühungen von US-Diplomaten unter finanzieller Einflussnahme und der Nutzung der vielfältigen, im Werkzeugkasten der "Demokratieförderung" verfügbaren Instrumente gegen unabhängige Regierungen in Lateinamerika vorzugehen, und dabei zuweilen gewalttätige und illegale Vorgehensweisen zu fördern.

Die Obama-Administration hat einige positive Schritte in der Region unternommen – unter denen nicht zuletzt die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu Kuba bemerkenswert war – aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich die Strategie in Bezug auf Venezuela und andere linke Regierungen in Lateinamerika grundsätzlich geändert hätte. Sicherlich ist die Feindseligkeit der Administration gegenüber der venezolanischen Regierung unerbittlich. Im Juni 2014 startete US-Vizepräsident Joe Biden die Karibische Energiesicherheitsinitiative, die als "Gegengift" zu Petrocaribe betrachtet wurde. Im März 2015, erklärte Obama Venezuela zu einer "außerordentlichen Sicherheitsbedrohung" und verkündete Sanktionen gegen venezolanische Funktionäre, eine Maßnahme, die von anderen Ländern in der Region einstimmig kritisiert wurde.

Trotz unablässig aggressiver US-Politik in Lateinamerika behielt die Linke dennoch weitgehend die Oberhand. Mit Ausnahme von Honduras und Paraguay, wo rechtsgerichtete Putsche gewählte Führer beseitigten, blieb nahezu jede linke Bewegung, die in den letzten 15 Jahren an die Macht gekommen war, bis heute im Amt. Aufgrund dieser Regierungen fiel die regionale Armutsrate von 2002-2013, nachdem sie sich über die vorhergehenden beiden Jahrzehnte verschlechtert hatte, von 44 auf 28 Prozent. Diese Erfolge und die Entschiedenheit linker Führer, die Risiken zur Durchbrechung des neoliberalen Diktats auf sich zu nehmen, sollten für die heutige, gegen die Sparpolitik eingestellte Linke eine Inspiration darstellen.

Gewiss unterliegen einige Regierungen heutzutage teilweise aufgrund eines regionalen Abschwungs wesentlichen Schwierigkeiten, die rechts- wie linksgerichtete Regierungen gleichermaßen betroffen haben. Durch die Brille der Depeschen gesehen gibt es gute Gründe dafür zu fragen, ob all diese Schwierigkeiten hausgemacht sind. In Ecuador beispielsweise – wo Präsident Correa seitens der Rechten und seitens einiger Sektoren der Linken unter Beschuss steht – involvieren die Proteste gegen die neuen Vorhaben der Regierung für progressive Steuern genau die oppositionell ausgerichteten Unternehmensführer, auf die es die US-Diplomaten in ihren Depeschen strategisch abgesehen haben. In Venezuela, wo ein dysfunktionales Währungskontrollsystem eine hohe Inflation erzeugt hat, haben rechtsgerichtete Studentenprozesse das Land ernsthaft destabilisiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass einige dieser Protestler USAID- oder NED-Stipendiaten waren, ist äußerst hoch.

Darüber hinaus gibt es noch viel mehr, was wir aus den Wikileaks-Depeschen lernen können. Für die Lateinamerika und die Karibik betreffenden Kapitel von "The WikiLeaks Files", haben wir hunderte von Wikileaks-Depeschen durchgesehen und waren so in der Lage, verschiedene Muster von US-Interventionen zu unterscheiden, die wir im weiteren Verlauf des Buches beschreiben (von denen einige zuvor schon von anderen geschildert wurden). Andere Buchautoren haben selbiges für andere Regionen der Welt getan. Es gibt jedoch über 250.000 Depeschen (davon nahezu 35.000 allein aus Lateinamerika) und es gibt zweifellos viele weitere bemerkenswerte Aspekte der aktiven US-Diplomatie, die darauf warten, aufgedeckt zu werden.

Trauriger Weise haben nach der anfänglichen Begeisterung bei der ersten Veröffentlichung der Depeschen nur wenige Berichterstatter und Wissenschaftler großes Interesse dafür gezeigt. (Siehe dazu im Vorwort von Julian Assange wie sehr dies den akademischen und medialen Bemühungen zum Verständnis der auswärtigen Beziehungen der USA schadet). Im Verlauf der vergangenen fünf Jahre fand nur eine winzige Zahl von Zitaten aus Wikileaks-Depeschen ihren Weg in akademische Zeitschriften. Die Depeschen bieten die weitestgehende und detaillierteste öffentlich zugängliche Darstellung darüber, wie der imperiale Staat USA die Welt sieht und wie er darauf reagiert, was er als Herausforderungen seiner Interessen versteht. Ohne sie ist keine Analyse der US-Außenpolitik des 21. Jahrhunderts vollständig.


Alexander Main ist zuständig für internationale Politik beim Zentrum für Wirtschafts- und Politikforschung (CEPR) in Washington, D.C.

Dan Beeton ist Direktor für internationale Kommunikation beim CEPR

  • 1. Bewegung für eine Fünfte Republik. Linksgerichtetes Bündnis in Venezuela, die 1997 aus dem Movimiento Revolucionario Bolivariano 200 entstand und die Unterstützung der Kandidatur von Hugo Chávez bei den (siegreichen) Präsidentschaftswahlen 1998 zum Ziel hatte