Venezuela: Kritik an den Maßnahmen der "Wirtschaftskrieger"

Kontroverse um die Wirtschafts-und Währungspolitik in Venezuela ‒ Teil II

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Neue Geldscheine in Venezuela. Warum druckt die Zentralbank immer mehr Zahlungsmittel für eine Wirtschaft, die immer weniger produziert?
Neue Geldscheine in Venezuela. Warum druckt die Zentralbank immer mehr Zahlungsmittel für eine Wirtschaft, die immer weniger produziert?

In der venezolanischen Linken debattieren Ökonomen und Analysten über mögliche Maßnahmen, um die Wirtschaftskrise zu überwinden. Wir haben vergangene Woche einen Text von Luis Salas Rodríguez und Kollegen dokumentiert, die im Wesentlichen die Politik der Regierung verteidigen. In diesem zweiten Teil setzen sich marxistische Ökonomen des Zentrums für Forschung und Arbeiterbildung (CIFO) in einer Replik auf den Beitrag "Was tun?" kritisch mit diesen Forderungen auseinander.

In einer kürzlich erschienenen Erklärung einiger regierungsnaher Wirtschaftsanalysten wurden eine Reihe von ökonomischen Maßnahmen vorgeschlagen, die nach Meinung der Autoren zeitnah von der verfassunggebenden Versammlung (ANC) oder Präsident Niolás Maduro umgesetzt werden sollten. Die Vorschläge ähneln dem, was bisher von der Regierung unternommen wurde. Das "Neue" daran ist, dass sie vorschlagen, bereits getroffene Maßnahmen zu vertiefen. Diese Analysten verfügen über großen Einfluss innerhalb der Regierung und staatlicher Medien. Sie treten regelmäßig in Fernsehsendungen auf, rechtfertigen alle aktuellen Probleme und verteidigen jeglichen Vorschlag der Regierung in wirtschaftlichen Fragen. In einer kurzen Abhandlung möchten wir Kritik an ihren Vorschlägen üben, nicht an den Personen dahinter, oder ihrem persönlichen Werdegang. Wir wollen ausdrücklich jene Vorschläge kritisieren, die wir als (wirtschaftliche) Massenvernichtungswaffen betrachten.

Wir möchten diese Debatte in alle Räume tragen, die für den Sozialismus empfänglich sind, einem politischen Projekt, dem wir uns zugehörig fühlen, das wir aber nicht im täglichen Geschehen unseres Landes widergespiegelt sehen.

Kritik an einem ökonomischen Vorschlag, der das Kind mit dem Bade ausschüttet

Das Dokument, geschrieben von Luis Gavazut, José Piña, Luis Salas, Juan Valdez, Juan Romero und Tony Boza versucht eine ideologische Grundlage für den Teil des Chavismus zu schaffen, der auf die "Ultraregulation" setzt: die Verschärfung der Kontrollen, die Beibehaltung des festen Dollarwechselkurses bei 10 BsF (Bolívares Fuertes) und die Beibehaltung von Subventionen, die das Benzin, Strom, etc. quasi nichts kosten lassen. Diese Gruppe spricht sich in der ANC gegen die Anhänger einer "Öffnung" aus, die vorschlagen die Etappe der 99 prozentigen Subvention der öffentlichen Dienstleistungen zu überwinden sowie die Weiterreichung der Ölrente an Importeure, die Dollars bei der Regierung 2.900 mal billiger erwerben können, als auf dem Parallelmarkt. Der Kampf beider Sektoren mündete in der totalen Untätigkeit der ANC, die wie paralysiert erscheint. Allem Anschein nach wollen weder Maduro noch die ANC die sozialen Kosten der wirtschaftlichen Anpassung übernehmen. Alle Beteiligten wollen sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben für die zwangsweise anstehenden ökonomischen Maßnahmen, wie Preiserhöhungen der staatlich subventionierten Dienstleistungen, Währungsabwertung, Kürzung der absoluten Sozialausgaben sowie viele weitere Maßnahmen. All das würde getan werden, um die belastende Auslandsverschuldung der Wall-Street-Geier weiterhin diszipliniert zu bezahlen.

In diesem Zusammenhang wirkt das veröffentlichte Dokument der "Wirtschaftskrieger" wie ein Rezept für die Seite der Hyperregulationisten, welche den Kern der Bolivarischen Wirtschaftspolitik beibehalten möchten, die sie als "sehr erfolgreich" und als Vorbild für die gesamte Menschheit sehen wollen.

Im Folgenden werden wir das Herzstück ihrer Vorschläge herausarbeiten, um die Aspekte zu kommentieren, mit denen wir überhaupt nicht einverstanden sind. Wir denken, dass diese Maßnahmen die aktuelle wirtschaftliche Situation stark verschlechtern und fern davon progressiv zu sein, schädliche Auswirkungen auf den Prozess der Kapitalakkumulation darstellen werden, was am Ende nachteilig für das Wohlergehen der Arbeiterklasse ist.

Die anhaltende Leugnung der Wirtschaftskrise: die Wirtschaft existiert nicht, alles ist "politisch"

Fangen wir an mit der Analyse der Einleitung, der Proklamation des ökonomischen Krieges:

"(...) wir stehen einer Situation des Krieges gegenüber (…). Alle diejenigen, die die Existenz eines Wirtschaftskrieges geleugnet haben, sind nun gezwungen, ihre Analyse zu überprüfen (...) "Wir wiederholen: Wir stehen nicht vor einer Wirtschaftskrise".

Es wird darauf beharrt, wirtschaftliche Probleme als rein politische Probleme zu sehen. Für die "Wirtschaftskrieger" handelt es sich nur um Verschwörungen, bei denen versucht wird die Regierung zu sabotieren, so als sei Venezuela die einzige kapitalistische Wirtschaft der Welt, die niemals Schwierigkeiten durchleben muss. Für diese "Krieger" ist Venezuela das einzige Land der Welt, in dem sich das Kapital ohne Schwierigkeiten akkumulieren kann und die Wirtschaft durch quasi "natürliches" Verhalten immer weiter wachsen muss. Die wirtschaftlichen Zyklen der zu- und abnehmenden Kapitalakkumulation dürften Venezuela nicht berühren. Nach Ansicht dieser Herren hat die Regierung eine perfekte Wirtschaftspolitik durchgeführt, es gibt keine Kritik an derselben und Probleme werden bei ihnen nur durch eine Sabotage von außen verursacht, die die Wirtschaftslage verschlechtert, um so bei den Menschen einen entschiedenen Antichavismus hervorzurufen.

Die "Wirtschaftskrieger" gehen sogar so weit, die Existenz der Wirtschaftskrise kategorisch abzulehnen. Zum Leidwesen für alle, die wir hier leben, müssen wir sagen, dass Venezuela das vierte Jahr in Folge die weltweit höchste Inflation aufweisen wird (auch wenn die Zahl noch nicht veröffentlicht ist, wird sie bis Mitte 2017 auf etwa 400 Prozent geschätzt, nachdem sie 2015 offiziell 181 Prozent betrug und im Jahr 2016 auf 274 Prozent kalkuliert wurde). Das Haushaltsdefizit wird (das sechste Jahr in Folge) zweistellig sein. Venezuela ist das Land mit dem höchsten Risiko für internationale Investitionen (JP EMBI-Index liegt bei +3.094 Punkten1), hatte im Jahr 2016 die geringste Menge an internationalen Reserven und durchlebte eine enorme Verknappung aller Arten von lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen (Nahrungsmittel und Medizin). Gemäß den zurückhaltenderen Berechnungen ist von 2008 bis 2016 ein Rückgang des BIP um insgesamt 15,4 Prozent zu verzeichnen. Der Rückgang vom Jahr 2012 bis 2016 beträgt 20,2 Prozent. Die konservativsten Schätzungen führen uns zu der Ansicht, dass das BIP pro Kopf so niedrig sein wird, wie im Jahr 1961. Die negativen Zahlen sind so überwältigend, dass die Regierung seit dem dritten Quartal des Jahres 2015 ihre Veröffentlichung verweigert. Die Wirtschaft Venezuelas war in ihrer Geschichte noch nie länger als zwei Jahre in Folge rückläufig – am heutigen Tag haben wir mit aller Sicherheit vier Jahre Rückgang hinter uns. Als Rezession bezeichnet man einen Rückgang des BIP für mehr als drei aufeinanderfolgende Quartale. Venezuela sollte inzwischen mindestens zwölf Quartale anhaltenden Rückgang durchlebt haben. Was kann das anderes sein als eine Krise?

Die Währungssouveränität erreichen (mehr Scheine drucken und uns vor der Inflation "schützen")

Die Ultrakontrolltheoretiker sagen uns:

"Die gegenwärtige Situation kann sich zu einer günstigen Gelegenheit entwickeln, um die Souveränität über die Währung und den Außenhandel zu erreichen (...)".

Man soll die Währungssouveränität erreichen? Die Währungssouveränität liegt bereits in der Zentralbank von Venezuela (BCV). Nach unserem Wissen kann die BCV die Geldmenge erweitern, reduzieren oder beschränken, so wie der Präsident der BCV (persönlich von Maduro gewählt) es wünscht. Es gibt keine Hindernisse, um Zinssätze zu beseitigen, zu senken oder anzuheben, den Markt zu öffnen, oder Kredite aller Art zu vergeben. Die BCV wird vollständig von der Exekutive gesteuert und hat sich als äußerst zuvorkommend für Regierungsanfragen gezeigt. Ein Beispiel dafür ist die Politik der monetären Expansion, die sie durchgeführt hat. Der Anstieg der von der BCV ausgegebenen Geldmenge für den Zeitraum 1999-2017 (Juni) betrug 331.131,39 Prozent. Ja, mehr als 3311 Mal haben sie die Geldmenge erhöht. Wie viel Souveränität wollen sie noch? Nach welchem Ermessungsspielraum sehnen sie sich? In diesem Jahr (bis Juni) hat sich die Geldbasis um 202 Prozent erhöht. Warum druckt die BCV immer mehr Zahlungsmittel für eine Wirtschaft, die immer weniger produziert? Wollen sie behaupten, dass diese Erhöhung keinen Einfluss auf die Preise hat?

Dazu sagte Luís Salas, der ehemaliger Minister für produktive Wirtschaft und Mit-Autor des von uns kritisierten Textes:

"Die Inflation existiert nicht im wirklichen Leben, das heißt, wenn eine Person an einen Ort geht und gestiegene Preise vorfindet, ist keine Inflation gegenwärtig."2

Es ist klar, dass man kein Geld ohne Gegendeckung, ohne Grenzen, oder ohne Zusammenhang mit der Wirtschaftsleistung drucken und dann erwarten kann, dass die Preise nicht steigen. Manuel Sutherland hat zu den wirklichen Ursachen der Inflation einen sehr einleuchtenden Text geschrieben.3 Offensichtlich lässt sich die Inflation nicht auf das Monetäre reduzieren, sondern hat viele Faktoren. Es ist dennoch wirklich betrügerisch nun zu sagen, dass Inflation "nicht existiert", oder dass nicht-organisches Geld (also Geld ohne Gegendeckung in der Wirtschaftsleistung), welches in die Wirtschaft gegeben wird, die Preise nicht nach oben drücke.

Die BCV ist so souverän, dass sie ohne Rücksprache mit irgendeiner anderen Kraft einen Verkauf  von Auslandsschulden (mit einem großzügigen Rabatt von 70 Prozent) an die Investmentbank Goldman Sachs (GS) durchführte und zwar unter solch belastenden und schädlichen Bedingungen, dass es auch aus einem kolonialen Jahrbuch des 18. Jahrhunderts stammen könnte. Die Operation wird den GS-"Partnern" einen jährlichen Ertrag von 38 Prozent pro Jahr bieten, wir haben noch nie eine Vermögensoperation mit solch schwerem Schaden gesehen.4 Dieses Geschenk wurde ohne den Umweg über die Nationalversammlung und ohne die Zustimmung jeglicher Kontrollgremien gemacht. Sie wollen mehr Souveränität?

Brauchen wir mehr Souveränität im Außenhandel? Die Tatsache, dass der staatliche Erdölkonzern PDVSA mehr als 95 Prozent am gesamten nationalen Exportausmacht (vor allem durch Rohöl) und damit fast fast alleine den Devisenzustrom erzeugt, gibt ihnen eine fast vollständige Souveränität. Allein durch eine Verwaltungsentscheidung hätten sie damit aufhören können, Devisen an die parasitäre Bourgeoisie und die Importunternehmen zu verkaufen, deren Geschäftsmodell der Betrug ist. Mit einem einfachen Dekret hätten sie und können sie immer noch den Preis der Devisen erhöhen, die sie der parasitären Bourgeoisie geben - immer noch bezieht diese (wir wiederholen) einen Dollar zum Preis von 10 BsF., d.h. etwa 2.900 mal billiger als auf dem Parallelmarkt. Trotzdem weigert sich die Regierung, die Währung abzuwerten und die Kapitalflucht (wenigstens) einzugestehen, obwohl Venezuela die weltweit größte relative Kapitalflucht aufweist. Ganz zu schweigen von wirklich revolutionären Maßnahmen, um die Devisenausblutung zu stoppen (Verstaatlichung der Banken und des Außenhandels).

Die Kritik an der Wirtschaftspolitik ... glänzt durch ihre Abwesenheit

Mit großer Freude lesen wir das, was man zumindest als so etwas wie Kritik betrachten könnte:

"Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt komplex, konkrete Maßnahmen zu empfehlen, (...) vor allem, weil es keine aktuellen und genauen Informationen über die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Indikatoren gibt."

Das erfüllt uns mit Freude. Es ist ein großer Erkenntniszuwachs für sie. Das Problem ist, dass sie in den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht einmal wagen zu verlangen, dass die Regierung die Verfassung und die Regeln der BCV respektieren und alle Statistiken veröffentlichen soll, die sie unerbittlich versteckt, als seien sie streng geheim. Leider sind wesentliche Daten seit 2008 nicht veröffentlicht worden. Daten des BIP und die Inflationszahlen können seit 2015 nur geschätzt werden, Daten zur Produktion seit 2011. Die Ergebnisse der Stichprobenumfrage aus allen Haushalten wurden seit 2009 nicht veröffentlicht. Wenn sie von der protagonistischen und partizipativen Demokratie und einem ermächtigten Volk sprechen, dann wäre es das Geringste, was sie tun könnten, das Volk angemessen zu informieren, damit es auf verlässlicher Grundlage handeln könne. Friedrich Engels pflegte zu sagen, dass die Freiheit darin bestehe, in voller Kenntnis der Sache zu handeln. In Venezuela gab es in dieser Hinsicht ernste Rückschritte.

Der Wunsch nach Verstärkung bürokratischer Kontrollen zur Lösung aller Probleme

Die "Wirtschaftskrieger" fordern mit kräftiger Entschlossenheit:

"Stärkung der Devisenkontrolle, Aussetzung der Zuweisung von Devisen an private Unternehmen …"

Es ist völlig nutzlos, einen Mechanismus stärken zu wollen, der schlecht entworfen ist, wie dies beim Wechselkurssystem der Fall ist. Noch schlimmer ist es, die Devisen weiterhin zu einem Kurs zu verkaufen, der so unglaublich überbewertet ist, dass er auch nur die geringste Wettbewerbsfähigkeit in der Landwirtschaft und in der Industrie verhindert. Das Wechselkurssystem mit seiner enormen Überbewertung hat nur dazu gedient eine fabelhafte Menge der Devisen einer parasitären Bourgeoisie zu übertragen (Importeuren, Bänkern und Börsenmaklern), die seit 14 Jahren ihren exklusiven Sport betreibt: mit Ausstellung überhöhter Rechnungen und hohen Aufpreisen. Der Dollar zum Präferenzpreis von 10 BsF., fern davon den Ärmsten "Schutz" zu gewähren, wird zu einem Mechanismus für die Übertragung der Ölrente auf den unproduktivsten Teil der Bourgeoisie, die dadurch alle anderen industriellen und landwirtschaftlichen Betriebe im Land ruiniert. Ein so ungeheuer überbewerteter Wechselkurs macht den Import sehr billig und führt zwangsläufig zur Ersetzung der gesamten inländischen Produktion durch ausländische. Dies führt zu einem Prozess der Zerstörung der Produktivkräfte und zur Festigung einer erdölrentenbasierten Handelswirtschaft, die den Bedürfnissen einer industriellen und technologischen Entwicklung zuwiderläuft, die das Land braucht.

Die Aussetzung des Verkaufes von Devisen an Einzelpersonen führt diese auf den Parallelmarkt (wie aktuell passiert) und verhindert Überweisungen, die für Arbeitnehmer im Rest der Welt durchführbar sind, was zu großen Schwierigkeiten und Engpässen führt. Dies bevorzugt darüber hinaus auch einen Haufen von Währungsspekulanten, die Profite erreichen durch umfangreiche Netzwerke von Korruption und Devisenhandel. Es ist außergewöhnlich, dass ein Ölland Devisen nicht an seine eigenen Bürger verkaufen kann.

Obwohl die Aussetzung der verbilligten Devisenvergabe an die Bourgeoisie revolutionär klingen mag, führt sie bei gleichzeitiger Beibehaltung festgesetzter Preise (durch das sog. Gesetz zu gerechten Preisen) dazu, dass keine Warenpreise entstehen können, die dem parallelen Wechselkurs entsprechen und Waren somit nicht gewinnbringend verkauft werden können. Wenn zum Beispiel Papier zum Drucken eines Buches mit Devisen im Ausland gekauft wird, die zwangsweise auf dem Parallelmarkt erworben werden mussten, ist der festgesetzte Preis des Buches möglicherweise nicht kostendeckend. Es gibt große Geld- und Gefängnisstrafen bis zu sieben Jahren für die Missachtung der festgesetzten Preise. Wenn die Regierung also keine Devisen mehr verteilt und sie Unternehmen nicht gestattet mit eigenen Devisen zu importieren und Waren gewinnbringend zu verkaufen, führen die Vorschläge der "Wirtschaftskrieger" dazu, dass nur noch der Staat Importe tätigt. Dies würde die Knappheit erhöhen, weil der Staat nicht alles importieren kann und angesichts der gegenwärtigen Krise nicht einmal ein siebtel der nötigen internationalen Währungsreserven besitzt, die für einen Import auf einem Niveau des Jahres 2012 nötig wären. Wie der ehemalige venezolanische Präsident Carlos Andrés Perez es ausdrücken würde, wäre das Selbstmord, ein wahnsinniges Eigentor und nutzlos. Man muss kein brillianter Ökonom sein, um zu verstehen, dass es absolut notwendig ist die Bourgeoisie mit eigenen Devisen importieren zu lassen und sich so die Regale füllen. Darüber hinaus hat der Staat sehr geringe Währungsreserven. Die vollen Regale würden das Warenangebot erhöhen und den exponentiellen Anstieg der Preise stoppen.

Die "ökonomischen Krieger" fahren fort:

"Gründliche Überprüfung der Devisenvergabe und Verwendung derselben (…). Das Devisen-Management transparent machen, um Korruption zu verhindern und die Rechnungsprüfung zu erleichtern (…), Schaffung einer übergreifenden Behörde, die direkt von Miraflores kontrolliert wird."

Die Überprüfungen der Devisenvergabe und -verwendung haben auf ganzer Linie versagt. Obwohl sich die Regierung der ausufernden Korruption bewusst ist, die sich in den Jahren des festen Wechselkurses herausgebildet hat, hat es weder Veröffentlichungen dazu gegeben, noch wurden gewichtige Personen festgenommen, die daran beteiligt waren. Diese Maßnahme ist nicht neu, sondern eine Wiederholung von bereits gescheiterten Versuchen und verschleiert lediglich den Betrug und die Korruption, die sich im derzeitigen Außenhandel widerspiegeln. Auch in anderen Ländern gibt es Gesetze für den internationalen Handel und Kontrollen aller Art. Der Knackpunkt ist, dass es keine solch grotesken Anreize für Diebstahl und Betrug gibt, wie es in Venezuela der Fall ist. Das heißt, bei freiem Wechselkurs gäbe es keinen Anreiz dem Fiskus Geld zu stehlen, da jeder, der wollte, jederzeit Devisen kaufen und verkaufen könnte. Das heißt, es würden keine Anreize für eine betrügerische Einfuhr durch Aufpreise oder überhöhte Rechnungen bestehen. Es ist völlig unnötig, für eine derart ausführliche Überprüfung der Devisenvergabe tausende von kostspieligen und unproduktiven Arbeitsplätzen zu schaffen.

Die einfache Freigabe des Wechselkurses mit gleichzeitiger Unterbewertung würde alle Probleme und wiederkehrenden Geister des Ölrentismus verscheuchen und zur Zerstörung des Betrugsmechanismus führen sowie dem übermäßigen staatlichen und privaten Import ein Ende setzen. Es gäbe keine Möglichkeit mehr, sich Devisen zum Vorzugspreis anzueignen und würde die Mafiastrukturen beseitigen, die sich im Apparat zu einem riesen Korruptionsgeschwür ausgeweitet haben. Es ist die Tatsache hervorzuheben, wie teuer es ist, tausende von Bürokraten einzustellen, um Dinge zu kontrollieren, die sie am Ende niemals kontrollieren können. Das sind unnötige Kosten für unproduktive Arbeit, die Staatseinnahmen verbraucht und keinen Mehrwert erzeugt.

Sozialist zu sein, bedeutet nicht Hindernisse für die öffentliche und private Akkumulation von Kapital aufzustellen, oder diese zu sabotieren oder zunichte zu machen. Der sozialistische Kampf schafft Räume der Macht, in der die Arbeiterklasse Macht erhält mit umfangreichen technischen und Managementfähigkeiten Kapital zu akkumulieren. Dies führt zur Ersetzung der Obrigkeit, die im vorherigen sozialen Gefüge für die Ausbeutung sorgte. Kapital zu zerstören ist reaktionär und antirevolutionär.

Es ist notwendig zu klären, dass Marxist zu sein nicht darin besteht, einen abenteuerlichen Plan von der Super-Kontrolle des privaten Kapitals zu entwerfen. Eine solche Notwendigkeit wird in keiner Arbeit von Marx erwähnt. Die wildesten Maßnahmen zur Preisregulation gingen einher mit der höchsten Inflationsrate in der Geschichte des Landes. Sie haben ihre Unwirksamkeit tausendfach unter Beweis gestellt. Die beste antiinflationäre Politik besteht nicht darin, die Händler zu belästigen, sondern die Regale der Märkte zu füllen, d.h. das Warenangebot zu erhöhen. Die Öffnung der Regale für die in- und ausländische Produktion würde den Schmuggel im großen und kleinen Maßstab sofort beseitigen, den Handel normalisieren und Steuereinnahmen und tatsächliche Steuerkontrollen ermöglichen. Der Schwarzmarkthändler ist ein Resultat der Krise, nicht ihre Ursache, wie die Theoretiker des Wirtschaftskrieges behaupten.5

Die "Wirtschaftskrieger" applaudieren weiterhin für etwas, das tausendmal gescheitert ist

Die "Wirtschaftskrieger" fahren in gleicher Weise fort:

"Das Öl, das derzeit an die Vereinigten Staaten von Amerika verkauft wird, [ist] an unsere Verbündeten weiterzuleiten (…)."

Öl an die USA zu verkaufen ist vorteilhaft für Venezuela, weil das Land unser Öl mit Bargeld bezahlt (circa 700.000 Barrel pro Tag), im Gegensatz zu anderen Ländern, die unser Öl mit großem Preisnachlass kaufen, oder mittels langläufiger Kredite bis zu 30 Jahren. Ganz zu schweigen von den Bourgeoisien sogenannter "Bruderstaaten", die unser Öl mit "Gewürzen" (also Waren) bezahlen, deren Preise bei dieser "Kooperation" vielfach überhöht angesetzt werden. Noch dazu besitzt Venezuela mit Citgo in den USA ein Erdölunternehmen, welches uns 400.000 Barrel am Tag abkauft und die fünftgrößte Raffinerie im Imperium darstellt. Es ist völlig überflüssig mit dem Verkauf an diejenigen aufzuhören, die uns am besten bezahlen und am nächsten liegen. Wenn die USA (angetrieben vom Oppositionsbündnis Tisch der Demokratischen Einheit, MUD) weiterhin verrückte, groteske und einmischende Maßnahmen tätigen, wird es notwendig werden, sich auf anderen Märkten umzuschauen. Wir hoffen auf zunehmende internationale Proteste gegen die bösartige und kriegstreiberische Regierung von Trump, damit die Sanktionen zurückgenommen werden, die nicht Maduro treffen, sondern die Millionen ehrlicher Arbeiter, die in diesem Land leben.

Die "Krieger" erwähnen (endlich) auch eine interessante Idee:

"Einleitung eines Prozesses der Neuverhandlung und Umstrukturierung der Auslandsschulden mit alliierten Ländern und Investoren (…)."

Dies ist die einzige vielversprechende Maßnahme, die von ihnen empfohlen wird. Es ist eine dringende Notwendigkeit für die Rettung der Wirtschaft, die Auslandsverschuldung neu zu verhandeln, denn es wird immer unvertretbarer, weiterhin den Schuldendienst zu bedienen, der die Staatsfinanzen unterjocht und erwürgt. Die inoffizielle Ausrufung des Schuldenverzugs würde die Anleihepreise drastisch reduzieren, was automatisch den Rückkauf dieser Anleihen mit alliierten Fonds erleichtern würde und uns somit von einen großen Prozentsatz der Schulden befreien könnte. Es gibt geschickte Möglichkeiten, die Auslandsschulden stark zu reduzieren und die Geier sich nicht mehr bereichern zu lassen. Leider ist die Regierung überhaupt nicht aufgeschlossen, diese Alternativen auch nur zu diskutieren.

Die "Wirtschaftskrieger" geraten in einen unüberwindlichen Widerspruch:

"Anstatt die Devisen an die transnationalen Unternehmen zu verkaufen, sollten sie diese nur mit Zinsen geliehen bekommen, bei gleichzeitiger Absicherung mit realen Gegenwerten.“

Es scheint, dass dieser Vorschlag von Frau Pascualina Curcio stammt, die auch behauptete, dass die Bank der Republik Kolumbiens (BRC) zur Zeit der Geldknappheit die Hälfte aller gedruckten 100-Bolivar-Scheine entführt und dafür jeweils zehn Dollar gezahlt habe, um diese in ihren Tresoren anzuhäufen und sie in die Schweiz, die Ukraine, und nach Deutschland zu schicken, als die Tresore voll gewesen und übergelaufen seien.6 An anderer Stelle haben wir die Unmöglichkeit eines solch erhabenen und großherzigen Handelns der BRC kommentiert, da sie dafür mehr als 80 Prozent ihrer internationalen Reserven hätten ausgegeben müssen.7 Was wir dennoch verstehen, ist, dass der vorgeschlagene Devisenverleih an Firmen für den Import von Rohstoffen und den Verkauf von importierten Waren in der Landeswährung Bolívar, es den Firmen nicht ermöglichen würde, diese Devisen auch zurückzuzahlen. Denn die Regierung bietet ihnen für den Unternehmensgewinn, der in Bolívar gemacht wurde, keine Devisen zum Tausch und der Devisenhandel außerhalb der staatlich kontrollierten Wege ist verboten. Dies führt den Vorschlag ad absurdum. Intelligenter wäre es, Privatunternehmern zu erlauben, Devisen auf einem freien Markt zu kaufen und zu verkaufen. Außerdem könnte man ein System einrichten, das den Transfer von Auslandsüberweisungen der hunderttausenden emigrierter Venezolaner in ihr Heimatland erleichtern würde, was allgemein sehr vorteilhaft für die Wirtschaft wäre.

Die "Wirtschaftskrieger" drücken ihre Liebe zur "Bruderrepublik" Kolumbien aus

Die Regierung hat nicht nur keine Verantwortung für die "nicht existierende Wirtschaftskrise". Der Bösewicht in dieser Tragödie ist Kolumbien. Hier sehen wir die Sätze, welche die "Liebhaber" der lateinamerikanischen Integration und des Patria Grande auf das Nachbarland loslassen:

"Die Grenze mit Kolumbien ist auf unbestimmte Zeit zu schließen (...) Klage gegen Kolumbien vor der WTO (...) Bericht an die Unasur wegen Verstoßes gegen die Territorialität eines Mitgliedslandes(...)."

Bis heute hat es keinen einzigen offiziellen Bericht über die Ergebnisse der verschiedenen Grenzschließungen zu Kolumbien gegeben (in der Tat ist sie immer noch offiziell geschlossen, und es gibt nur einen begrenzten und umständlich Fußgängerübergang). Wir glauben darüber hinaus auch, dass die Schließung total schädlich für die Volkswirtschaft ist. Was (wieder) getan werden sollte, ist einen formellen Zoll und zollfreie Zonen zur Erleichterung des Handels einzurichten. Der lächerlich niedrige Benzinpreis fördert den Schmuggel, das Benzin sollte in diesen Zonen zu einem Preis nahe dem internationalen verkauft werden, ebenso wie andere Produkte, die für die kolumbianische Bevölkerung sehr billig wären, da der Mindestlohn in Venezuela (inklusive Nahrungsmittelboni) umgerechnet zum parallelen Wechselkurs weniger als 15 Dollar pro Monat beträgt.

Die Theorie der Zerstörung der Volkswirtschaft und des Wertes ihrer Währung, angeblich erzeugt durch a) eine Website (Dolar Today), die den parallelen Wechselkurs veröffentlicht und b) durch einige Wechselstuben an der Grenze, ist völlig lächerlich. Wenn dem so wäre, müssten wir lediglich eine andere Website eröffnen: Bolívar Today, auf der wir verlautbaren, dass ein Bolívar 100 US-Dollar wert sei, und so könnten wir die Yankee-Wirtschaft zerstören und die Welt erobern …

Leider werden diese Ideen von Menschen zum Besten gegeben, denen es an grundlegenden Wirtschaftskenntnissen fehlt und die voller guter Absichten versuchen Irrtümer zu rechtfertigen, die sofort korrigiert werden müssen.

Die eingebrachten Beschönigungen und die Vertuschung von grobem Unfug helfen dem Patienten nicht zu genesen, sondern bringen ihn um. Wenn jemand einen Herzinfarkt hat und zum Arzt geht und der ihm sagt, es ginge ihm prächtig und alles sei bloß ein "Vodoo-Zauber", dann gefährdet dieser Arzt das Leben des Patienten, er lässt ihn sterben, obwohl er ihn hätte retten können. Er könnte nach einer Autopsie ohne weiteres für schlechte Behandlung angeklagt werden. Wenn die Diagnose absurd ist, dann wird das Rezept mit guten aber tödlichen Absichten aufgeblasen. Es ist lebensnotwendig zusammenzuarbeiten, um die Situation zu verändern, die jeden Tag dramatischer wird.

Caracas, 2. Oktober 2017

Zentrum für Forschung und Arbeiterbildung (Centro de Investigación y Formación Obrera (CIFO)