Argentinien am Rande des Abgrunds

Macri verschießt sein letztes Pulver, während die Wirtschaft abstürzt. Die Volksbewegungen haben das Wort. Mehr denn je heißt es: Sie oder Wir

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Eine von zahlreichen Demonstrationen beim Generalstreik im September in der Provinz Buenos Aires, Argentinien. Die Proteste gegen die Politik der Regierung Macri und den IWF nehmen weiter zu
Eine von zahlreichen Demonstrationen beim Generalstreik im September in der Provinz Buenos Aires, Argentinien. Die Proteste gegen die Politik der Regierung Macri und den IWF nehmen weiter zu

Das Unvermögen der Regierung angesichts der Währungskrise beschleunigt ein tragisches Ende der Misere. Macri versuchte zunächst, der Abwertung des Pesos entgegenzuwirken, indem er zusätzliche, nicht vorhandene Hilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF) ankündigte und damit den Dollarkurs auf über 40 Pesos trieb. Dann zog er sich an einem stürmischen Wochenende zurück und erneuerte sein Kabinett, scheiterte jedoch darin, die Änderungen umzusetzen. Schließlich präsentierte er der Öffentlichkeit die Neuigkeit einer Anpassung der Anpassung. Mit dem drastischen Steuerziel des "Nullhaushaltsdefizits" bettelte er bei den Gläubigern um eine Atempause.

Die zwei Jahre voller Hirngespinste mit einer solch verrückten Schuldenlast sind nun definitiv begraben. Die abrupte Aufhebung des Übereinkommens, das vor nur 90 Tagen mit dem IWF getroffen wurde, veranschaulicht den Ernst der Lage. Die Hilfsaktion des Fonds konnte den Schiffbruch nicht verhindern.

Dieser Einbruch ist auf die Angst vor der Zahlungsunfähigkeit zurückzuführen. Die wichtigsten internationalen Finanzblätter warnen vor einem möglichen Zahlungsausfall. Das erzeugt eine endlose Folge schwarzer Tage der Abwertung des Pesos. Während der Kurs der argentinischen Anleihen weiter abstürzt, lässt die Rate des Länderrisikos auf allen Märkten Alarm schlagen.

Die Panik vor dem Zusammenbruch der Staatsfinanzen beruht darauf, dass die mit dem IWF vereinbarten Ziele nicht erreicht wurden. Die schlimmsten in diesem Abkommen vorgesehenen Szenarien hinsichtlich Inflation, Entwertung und Rezession wurden weit übertroffen. Deshalb spielt Macri mit seiner versprochenen Reduzierung des Haushaltsdefizits auf null für 2019 seine letzte Karte aus.

Diese Entscheidung beschleunigt allerdings den Untergang einer durch die harten Sparmaßnahmen im Haushalt erschöpften Wirtschaft. Der Stillstand im öffentlichen Bauwesen, die Kürzung der Familienzulagen, das Aussetzen von Impfungen sowie der Mangel an Krebsmedikamenten sind die jüngsten Zeichen des Absturzes. Es ist bereits bekannt, dass die Beseitigung von Ministerien die letzten wichtigen Posten im Gesundheits-und Bildungsbereich abschaffen wird.

Das vorrangige Ziel der Anpassung ist die Senkung der Gehälter. Die Regierung gesteht eine Inflationsrate von 42 Prozent ein, mit Gehältern, die um 18 bis 25 Prozent ansteigen. Sie hat den Status des Ministeriums für Arbeit eingeschränkt, um jegliche Behinderung dieser Zerstörung des Volkseinkommens zu blockieren.

Die Rentenkürzung ist eine weitere Priorität der Regierung. Mit der Verlagerung der Nationalen Verwaltung für Soziale Sicherheit (Administración Nacional de la Seguridad Social, Anses) in das Ministerium für Soziale Entwicklung wurde die Versorgung der Rentner gekürzt. Diese Umstrukturierung wird außerdem die dreiste Nutzung von Fonds der Sozialversicherung zur Finanzierung des Devisenschwundes stärken.

Das nächste Leiden ist bereits bei der Übertragung der letzten Abwertung auf die Preise abzusehen. Die Preiserhöhungen bei Medikamenten und Nahrungsmitteln sind furchtbar. Macri gab zwar bekannt, dass er diesen Anstieg mit der Wiedereinführung der "Precios Cuidados 1 mildern werde. Aber sein Kabinett aus CEOs hat dieses System begraben und denkt nicht daran, es wieder einzuführen. Außerdem versprach er, die Zulagen für Kinder zu erhöhen, (Asignación universal por Hijo), wobei es faktisch nur bereits beschlossene und irrelevante Erhöhungen gibt. Mit einem heuchlerischen Anschein des Leidens räumte er ein, dass diese Krümel die Ausbreitung der Armut nicht erhindern werden.

Die letzte Kugel

Die Fieberkurve der Krise ist nicht nur am Dollarkurses zu sehen. Das Ausmaß der Rezession ist ebenso bezeichnend für den Schaden. Die Wirtschaftstätigkeit ist niedriger als die von 2015 und der Rückgang läuft im Gleichschritt mit der Mega-Abwertung. Die einzige Funktion dieses Durcheinanders ist es, die Zahlung der Schulden abzusichern. Doch die Rezession schafft einen Teufelskreis aus einer Ausweitung der Belastung und einer erhöhten möglichen Nichteinhaltung der vereinbarten Zahlungen.

Die Einsparungen bei den Primärausgaben werden bei den Zinszahlungen verschwendet. Diese Zahlungen verschlingen Summen, die höher sind als alle Gehälter in der öffentlichen Verwaltung und sind zweieinhalb Mal so hoch wie die Investitionssumme in die Infrastruktur. Da die Rezession die Steuereinnahmen schmälert und die erforderlichen Einnahmen für die Tilgung bei den Gläubigern verringert, werden die Opfer vergebens sein. Sie werden lediglich zu neuen, ebenso unbrauchbaren Anpassungen führen.

Die Einführung der Ausfuhrabgaben stellt die einzige Neuheit dieses Aderlasses dar. Die Regierung präsentiert sie als eine gerechte Steuer, die die Opfer auf die Gewinner der Abwertung ausdehnen wird. Aber mit einem Dollar zu 40 Peso erhöhen die Exporteure ebenso ihre Gewinne. Erste Schätzungen für Soja zeigen Rentabilitätssteigerungen von 90 Prozent. Der Gewinn wird für gewiefte Unternehmer, die die Verkaufsdeklaration ins Ausland vorverlegt haben, noch größer sein.

Da die neue Steuer eine feste Gesamtsumme in Pesos festlegt, wird ihr Umfang durch die kommenden Abwertungen immer mehr abnehmen. Die Exporteure selbst kontrollieren die Devisenabrechnung und können den Wechselkurs beeinflussen, um ihre Abgaben auf ein Minimum zu reduzieren.

Macri verzichtete zunächst auf die Festsetzung dieser Abgabe auf einen nennenswerten Prozentsatz der gesamten Ausfuhr. Zu allem Überfluss hat er sich für die Wiedereinführung entschuldigt und ihre Unangemessenheit bekräftigt. Mit dieser Haltung reduziert er die Effektivität dieser Steuererhebung und lässt das Ziel des Nulldefizits noch zweifelhafter erscheinen. Die Schwäche der Steuereinnahmen wird bestehen bleiben – und das kommt noch hinzu –, da sie eine Steuer für die unmittelbaren Besitzer von Dollar ausschließt. Die Regierung hat noch nicht einmal in Erwägung gezogen, die Vermögenssteuer anzuheben oder eine Versteuerung des Vermögens einzuführen, das über fünf Millionen Dollar liegt.

Die Herren der Wirtschaft fragen sich täglich, ob ein solch improvisierter Plan aufgehen wird. Die Wiederherstellung des berühmten "Vertrauens" basiert einzig und allein darauf herauszufinden, ob die Staatsschulden bedient werden können.

Diese Fragen sorgen für Spannungen in der Leitung des IWF. Macri erwartet von seinen Auftraggebern Vorauszahlungen und Genehmigungen, um angesichts des steigenden Dollar weitere Reserven zu nutzen. Aber er stellt nicht mehr als vollendete Tatsachen dar, was in Washington verhandelt wird.

Der IWF hat ernsthafte interne Probleme, weiterhin Dollar im argentinischen Fass ohne Boden zu verlosen. Die gewährten Devisen wurden von lokalen Anleihebesitzern und Kapitalisten sofort erworben und außer Landes geschafft. Deshalb gibt es Kurzschlüsse zwischen Dujovne, der schon zweimal seinen Rücktritt angeboten hat, und seiner Chefin Lagarde. Es sei daran erinnert, dass der Fonds in der Vergangenheit die Finanzierung eingestellt hat, wenn das Länderrisiko die 1.000-Punkte-Obergrenze erreichte.

Macri stellt sich unterdessen eine Rettungsaktion der US-amerikanischen Regierung mittels einer Sonderhilfe aus der dortigen Staatskasse vor. Aber ist es einfacher, mit Trump am Telefon zu sprechen, als diese Hilfe zu bekommen. Das Imperium öffnet diesen Geldhahn nur ausnahmsweise, um seine Nachbarn oder militärischen Alliierten zu unterstützen.

Die Umsetzbarkeit des neuen Plans hängt außerdem von der Reaktion der herrschenden Klassen ab. Die anfängliche Begeisterung für diese Regierung von CEOs nimmt rapide ab. Die Mächtigen stimmen darin überein, die Anpassungen auf die Arbeiter abzuwälzen, fürchten jedoch die Wirkung des Bulldozers auf ihre eigenen Geschäfte.

Die Banken und die unterschiedlichen Lobbyisten im Agrar- Energie- und Bergbausektor fordern eine Mega-Anpassung ohne Abgabenerhöhungen. Doch dieser Kurs führt nicht nur zu einer vollständigen Auflösung des "Clubs des Öffentlichen Bauwesens". Er wirkt sich auch auf das Überleben anderer bedeutender Teile der Unternehmensgruppen aus.

Die Sektoren, die diese Gefahren erahnen, unterstützen höhere Steuern, Beschränkungen beim Currency Carry Trade sowie einen Brückenschlag zur Partida Justicialista (PJ), damit sie die Gesundung des Produktionsapparates begleitet. Sergio Massa hat ein Programm präsentiert, das von den Hohepriestern des Establishment sehr geschätzt wird. Die Vorschläge von Melconían stimmen mit diesem Kurs überein, aber ihre Umsetzung wurde von Investmentfonds, die die Zentralbank steuern, blockiert.

Aktuell ist das größte Problem, dass die Krise außer Kontrolle geraten ist. All den Erklärungen der Ursachen, die sie externen Stürmen zuschreiben (Türkei: Anstieg der Zinssätze, Wirtschaftskrieg zwischen China und den USA), hören immer weniger zu. Es ist offensichtlich, dass diese Widrigkeiten viele "Schwellenländer" schädigen, ohne Katastrophen herbeizuführen, die der von Argentinien erlittenen gleich kämen.

Sicherlich, die Türkei hat ihre Auslandsverbindlichkeiten verdoppelt – allerdings im Laufe eines Jahrzehnts und mit der Absicht, die gescheiterten Programme bei der Erhöhung des Konsums, der Reduzierung der Zinssätze und der Steigerung der Investitionsmenge abzufangen. Deshalb trifft die Verschuldung in der Türkei vor allem den privaten Sektor. Macri hingegen bürdete dem Land ganz einfach eine beispiellose Verschuldung in Rekordzeit auf, um die Kapitalflucht zu finanzieren.

Die Regierungssprecher verheimlichen diese Veruntreuung, indem sie alle Übel in der Wirtschaft der historischen steuerlichen Verantwortungslosigkeit der Argentinier zuschreiben. Mit dieser Schuldzuweisung verdecken sie, dass die Regierung die alte Unausgeglichenheit der öffentlichen Finanzen in ein monumentales Ungleichgewicht verwandelt hat. Der derzeitige Zusammenbruch ist nicht aus der fehlenden Disziplin der vergangenen 70 Jahre entstanden. Er ist direktes Resultat eines neoliberalen Modells, das Erspartes exportiert und Schulden importiert hat.

Macri wiederholt den immer gleichen Unsinn. Mit der Rhetorik der Aufrichtigkeit ("Wir sagen die Wahrheit", "Wir verstecken nichts") verschleiert er die Lügen, die er in den letzten zwei Jahren verbreitet hat. Er gaukelt Mut vor ("Wir nehmen keine Abkürzungen"), um die Mächtigen zu schützen und die Mehrheiten zu verarmen.

Mit seinem gewohnten Zynismus distanziert er sich von der Politik ("Wir spekulieren nicht auf die nächsten Wahlen"), um mit der "rationalen PJ" zu verhandeln und greift die übrige Opposition an. Mit dieser Strategie erhofft er sich, seine Regierung zu erhalten.

Doch das Lächerlichste seiner letzten Rede war die Darstellung der jetzigen Krise als ein vorübergehendes Opfer, das das Land aufrichten wird. Nicht einmal seine eigenen Getreuen teilen diesen Unfug. Jeder weiß, dass ein riesiger wirtschaftlicher Einsturz mit unvorhersehbaren Folgen bevorsteht.

Vergleiche mit 2001

Die Ähnlichkeiten mit dem, was vor 17 Jahren passiert ist, sind an der Tagesordnung und zu einer obligatorischen Referenz aller Analysen geworden. Die Regierung selbst verleitet dazu, nachdem sie den Versuch des "Nulldefizits", an dem sich Cavallo vor seinem Abgang versucht hatte, wieder zum Leben erweckt. Dujovne und Caputo nehmen diese destruktive Arbeit ihres Meisters wieder auf.

Zwischen 2001 und 2002 betrug die Geldabwertung im Durchschnitt 300 Prozent. Die Preise stiegen um 40 Prozent und das Bruttoinlandsprodukt brach um 11 Prozent ein. Mit 40 Pesos für einen Dollar hat der Wechselkurs bereits ein ähnliches Niveau wie damals erreicht. Die damit einhergehende Belebung des Exports bringt einige Funktionäre dazu sich vorzustellen, dass eine große Ernte – ergänzt durch die Umkehrung des Defizits im Tourismusbereich – die 2003 begonnene Reaktivierung wiederholen wird.

Aber das erneute Einschlagen dieses Weges würde bedeuten, die Kluft zwischen dem Wechselkurs und den Inlandspreisen beizubehalten, und diese Distanz neigt dazu, sich aufzulösen. Im Gegensatz zu den Vorkommnissen zu Beginn des neuen Jahrtausends sind nun mehr Preise indiziert. Außerdem ist der gesellschaftliche Widerstand größer und die Arbeitslosenzahl hat die schrecklichen Prozentsätze der Vergangenheit noch nicht erreicht. Wenn die monatliche Inflationsrate von drei Prozent beibehalten wird, werden die Gewinne der Exporteure in kurzer Zeit geschmolzen sein.

Auch die Rezession, die den Preisanstieg mäßigt, befindet sich nicht auf dem Niveau der vorherigen Krise. Sie würde im Durchschnitt die Hälfte der vorherigen betragen, wenn das BIP in diesem Jahr um zwei und 2019 um fünf Prozent fällt. Jener Einbruch betrugt 2001 4,4 und 2002 10,9 Prozent. Das Szenario der totalen Katastrophe kann dennoch erneut eintreffen, wenn Dujovne und Caputo mittels gigantischer monetärer Kürzungen und Zinssätzen von 60 Prozent weiterhin Pesos vom Markt saugen.

Es wird allgemein zurecht bestätigt, dass die Banken im Unterschied zu 2001 ihre Dollar-Einlagen nicht mit Krediten in Pesos verknüpft haben. Diese Anlagen konzentrieren sich auf Kredite in Fremdwährungen für die Exporteure. Doch dieser Umstand räumt nicht die mögliche Ausweitung der Währungskrise auf den Bankensektor aus der Welt. Alle Unternehmen halten eine große Anzahl an Regierungsanleihen, die an Wert verloren haben. Außerdem sind durch den Bruch in der Zahlungskette bereits Einzugsprobleme festzustellen.

Die Vergleiche mit dem politischen Szenario von 2001 haben sich auch angesichts der abrupten Abwertung der Figur des Präsidenten verallgemeinert. Die letzten Fernsehauftritte von Macri erinnern an die totale Loslösung von der Realität, die De la Rúa kennzeichnete. Der Chef von Cambiemos2 zeigt die selbe Unfähigkeit, die Fahrtrichtung der Titanic zu ändern, die sich dem Eisberg nähert.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten denken viele, dass Macri es schaffen wird, den Helikopter 3 zu umgehen. Noch hat er in den Wahlen nicht die Tracht Prügel erhalten, die sein Vorgänger einstecken musste und hält an einer aktiven politischen Strategie fest. Er arbeitet im Einklang mit der Justiz und den Medien, um alle Übel des Landes auf die Korruption und den Kirchnerismus zu schieben. Doch diese Angriffe sind ein zweischneidiges Schwert, da sie den Einbruch der Wirtschaft befördern. Die Verhaftung von Unternehmern und die Wertminderung der in den Tagebuch-Skandal4 verwickelten Firmen, haben zusätzlich Öl ins Feuer gegossen.

Bis jetzt hat Macri die Auflösung der Regierungskoalition umgangen. Einen Zerfall der Allianz, der den Abgang von Chacho Álvarez herbeiführte, hat er nicht erlitten. Aber in den letzten Tagen sind einige Symptome des Bruchs zu beobachten gewesen. Anstelle der großen angedeuteten Veränderungen hat der ratlose Staatschef einen irrelevanten Figurenaustausch vorgenommen. Außerdem hat er es nicht fertig gebracht, die Wunde zu schließen, die die Führungsrolle seines Vertrautensmannes (Peña) verursacht. Die neuen Gesichter (Melconían, Prat Gay, Lousteau, Sáenz) die angekündigt wurden, um die Ministerstab zu verjüngen, haben es vermieden, das kenternde Schiff zu betreten.

Im Gegensatz zu 2001 überwiegt derzeit große Vorsicht in der Peronistischen Partei. Niemand will erneut die traurige Rolle spielen, die einst Interims-Präsident Rodríguez Saa im Zuge der Zahlungsunfähigkeit oder Nachfolger Duhalde während des Endes der Konvertierbarkeit innehatten. Daher setzen sie darauf, dass Macri die Drecksarbeit macht und eine Regierung mit bereits abgeschlossener Anpassung übergibt. In Erwartung dieser Selbstzerstörung von Cambiemos verhandelt die PJ den Haushalt und vermeidet jedwede Möglichkeit, Wahlen vorzuziehen.

Doch der größte Unterschied zu der Zeit vor 2001 ist der Kampf des Volkes. Die großen Demonstrationen gehen in einem Klima wachsender Unzufriedenheit und mit großer Beteiligung der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter weiter. Allein die Lähmung der Gewerkschaftsbürokratie verhindert, dass sich dieser Widerstand in eine schlagkräftige und vereinte Aktion verwandelt. Die massive Demonstration der Universitäten fügte diesem Kessel die strategische Beteiligung der jungen Menschen hinzu, die bereits im Kampf um die Abtreibung die Straßen übernahmen.

Im Jahr 2001 gab es kein Sicherheitsnetz, das durch Sozialpläne bereitgestellt wurde, die von Millionen von Menschen wahrgenommen wurden. Diese Eroberung wird derzeit von organisierten Bewegungen getragen, die mit ihren Aufrufen große Menschenmengen zusammenbringen. Da die Mächtigen stets die Piqueteros im Hinterkopf haben, wagen sie es nicht, die Sozialhilfen zu kürzen. Diese Angst jedoch verleitet sie dazu, die Anpassung mit aller Kraft in anderen Bereichen durchzubringen, wodurch sich die Fronten vervielfachen.

Die Mittelschicht schwankt. Sie ist durch die Tariferhöhungen (bei den öffentlichen Dienstleistungen) betroffen, fürchtet jedoch die Auswirkungen einer verheerenden Krise. Zwischen den Zögernden tauchen nun einige Cacerolazos und öffentliche Beleidigungen der emblematischen Vertreter der Anpassung auf.

Da das Niveau der Militanz und des Volksbewusstseins viel höher sind als 2001, sind die Möglichkeiten, eine populare Lösung von unten zu finden, größer. Diese Alternative wird im Kampf, in der Koordination und im Widerstand aufgebaut, um zu verhindern, dass die Auswirkungen der Krise auf die Arbeiter zurückfallen.

Der Hauptweg zur Erreichung dieses Ziels ist die Ablehnung des Abkommens mit dem IWF. Der Fonds hat sich nicht verändert und jede weitere Verhandlung mit seinen Repräsentanten führt zu Demobilisierung, Frustration im Volk und zur Fortführung der Anpassung.

Das einzige Mittel zur Verhinderung von Massenentlassungen, massiven Gehaltskürzungen und dem Rückgang der Konjunktur ist das Einstellen der Schuldenrückzahlung. Eine solche Entscheidung würde das Spekulieren mit Staatsanleihen abstellen und eine Reduzierung der Zinssätze ermöglichen, die die Produktion ersticken. Mit derselben Dringlichkeit muss der reale Stand der Schuldenlast mittels eines detaillierten Auditoriums überprüft werden.

Macri verschießt seine letzte Kugel, während die Wirtschaft in den Abgrund rutscht. Die Volksbewegungen, die die Straßen erobern, haben das Wort. Mehr denn je heißt es: Sie oder Wir.

Claudio Katz aus Argentinien ist Ökonom, Mitarbeiter des Nationalen Rats für wissenschaftliche und technologische Forschung (Conicet), Dozent an der Universität von Buenos Aires, Mitglied der Linken Ökonomen

  • 1. "Precios Cuidados" (etwa: Geschützte Preise): Ein in der Regierungszeit von Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner eingeführtes und von Macri abgeschafftes Programm, das für über 300 ausgewählte Artikel des täglichen Bedarfs einen verbindlichen Referenzpreis festsetzt
  • 2. Cambiemos (Verändern wir) ist das konservative Regierungsbündnis von Präsident Macri
  • 3. Fernando de la Rúa wurde 1999 Präsident von Argentinien und trat am 21. Dezember 2001 zurück, nachdem mehr als 27 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei ums Leben gekommen waren. Er flüchtete per Helikopter
  • 4. Siehe Amerika 21: Argentinien: Richter fordert Untersuchungshaft für Ex-Präsidentin Kirchner