Ein langjähriger Berater von Hugo Chávez legt seine Gedanken über die Krise des Landes dar. Angesichts dessen, wie polarisiert Mainstream- und linke Medien in Bezug auf die venezolanische Politik sind, ist es für internationale Beobachter praktisch unmöglich geworden, faire aber kritische Einschätzungen zu Venezuela seitens der Linken zu bekommen. Temir Porras ist seit Beginn von Hugo Chávez` Präsidentschaft im Jahr 1999 chavistischer Aktivist gewesen und hat in verschiedenen wichtigen Positionen in der Regierung von Chávez und kurz auch in der Regierung von Nicolás Maduro gearbeitet. Insbesondere hat er von 2004 an Aufgaben als Stabschef und Stellvertreter verschiedener Außenminister (einschließlich Maduro) zwischen 2007 und Maduros Wahl zum Präsidenten im Jahre 2013 erfüllt. Ende 2013 fungierte er kurzzeitig als Leiter von Fonden und Bandes, Venezuelas nationalem Entwicklungsfonds bzw. der Entwicklungsbank. Porras ist langjähriger chavistischer Insider mit ausgedehnten Erfahrungen auf höchsten Ebenen der Bolivarischen Regierung Venezuelas, aber auch ein konstruktiver Kritiker der jüngsten wirtschaftlichen und politischen Strategien der Regierung Maduro. Dies versetzt ihn in die Lage, den Lesern eine nuancierte, umfassende Bewertung der gegenwärtigen ökonomischen und politischen Krisen Venezuelas sowie einen Rahmen für das Nachdenken über praktikable, progressive Lösungen dieser Krisen zu bieten. Das Interview erschien Anfang Januar und wurde also noch vor der jüngsten Eskalation geführt.
Beginnen wir mit Venezuelas ökonomischen Angelegenheiten. Das Land durchlebt gegenwärtig eine schwere Wirtschaftskrise: anhaltende Hyperinflation, über Jahre andauernder starker Wirtschaftswabschwung, großer Mangel an Gütern und Dienstleistungen des Grundbedarfs. Was weniger geklärt ist, vor allem innerhalb der Linken, sind die Ursachen der Krise. Regierungskritiker bringen eine ganze Reihe von Faktoren vor: kurzsichtige makroökonomische Politiken, irrationale Währungspolitik, Korruption in der Regierung, unzureichende Investitionen in die venezolanische Erdölindustrie. Bei den Regierungsanhängern sind dagegen die meist genannten Gründe für die Krise der von den USA gegen das Land geführte Wirtschaftskrieg (insbesondere durch das Abschneiden Venezuelas vom Zugang zu US-Krediten) und die massiven Schwarzmarktspekulationen im Bereich von Grundbedarfsartikeln. Wie beurteilen Sie diese unterschiedlichen Darstellungen der Wirtschaftskrise in Venezuela?
Nun, was man zuallererst bedenken muss, ist, dass im heutigen Lateinamerika Venezuela von denen beenutzt wird, die behaupten, dass jede alternative Denkweise, die nicht dem neoliberalen Diktat und den traditionellen Rezepten der Wirtschaftsfabel vom freien Markt folgt, scheitern muss. Natürlich müssen wir vorsichtig sein, wenn wir historischen Vergleiche anstellen wie diesen, aber die Situation ist ein bisschen wie die nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kommunismus in Europa, als es einen massiven Schub seitens neoliberaler Denker und Organisationen dahingehend gab, das Beispiel eines Versagens als absoluten Beweis dafür zu benutzen, dass alles was von der Linken kommt, zum Scheitern verurteilt sei.
Im Fall von Venezuela gibt es eine Art von Venezuela-bashing-Industrie. Vieles davon geht von Leuten aus, die gleich von Anfang an Kritiker des Chavismus gewesen sind, besonders von - wie ich sie nenne - "soziologischen" Anti-Chavisten (oder der traditionellen Elite), die sich mit nicht immer sehr legalen oder demokratischen Mitteln dem Chavismus entgegengestellt haben. Sie behaupten, dass das, was wir heute in Venezuela sehen, bereits 1999 festgeschrieben wurde [zu Beginn der regierung Chávez] und dies sei der Grund, warum sie den Chavismus schon von Anfang an kritisiert hätten. Dies ist eine Art, die Geschichte neu zu schreiben.
Andererseits gibt es selbstverständlich auch interne Gründe für die gegenwärtige Krise. Man kann sie aufzählen. Keiner davon ist der einzige, hauptsächliche, aber alle spielen teilweise eine Rolle. Ich würde sagen, dass eine Ursache insbesondere in Venezuela ‒ aber dies trifft auf die meisten progressiven/linksgerichteten Regierungen zu, die in den frühen und mittleren 2000er Jahren in Lateinamerika aufkamen ‒ darin liegt, dass der Chavismus einen Weg gefunden hat, den nationalen Reichtum des Landes, der vor allem der Erdölindustrie entstammt, zu mobilisieren, und, unter anderem, zu einem Projekt der Umverteilung wurde. In diesem Sinne hatte das eine revolutionäre Dimension, weil niemals zuvor eine venezolanische Regierung beschlossen hatte, den Umverteilungsansatz als Werkzeug zu nutzen, um nicht nur Venezuelas Probleme wie Ungleichheit, mangelnden Zugang zu Bildung und Gesundheit, usw. in Angriff zu nehmen, sondern auch zur Steigerung des Konsums und zur Schaffung eines Binnenmarktes, was zu einem dynamischen ökonomischen Wachstum führte.
Das Problem liegt darin, dass obwohl diese Umverteilungsbemühungen weitreichende Auswirkungen hatten, die wir an raschen Verbesserungen der sozialen Indikatoren während der Regierungszeit von Chávez erkennen können, die venezolanische und allgemein die lateinamerikanische Linke nie eine ökonomische Strategie entwickelt hat. Wie gehen sich entwickelnde Länder, die sich, wie einige sagen, in der "mittleren Einkommensfalle" befinden, die Herausforderung der Entwicklung, der Anhebung der materiellen Basis an, die sozialen Fortschritt erst möglich macht? Und wie gehen sich entwickelnde Ökonomien, die einen binnenorientierten Entwicklungsprozess zu organisieren versuchen, mit dem Druck der Globalisierung um, das heißt mit der Tatsache, dass das Weltfinanzsystem globalisiert ist und dass Länder wie Venezuela Zugang zu internationalem Kapital brauchen, etc.?
All diese Fragen wurden unter Chávez nicht wirklich angegangen, hauptsächlich weil die wirtschaftliche Lage Venezuelas in den 2000er Jahren und sogar bis vor Kurzem günstig war. Die meisten lateinamerikanischen Länder bauten in dieser Zeit auf den Rohstoff-Superzyklus zur Erhaltung ihres Wachstums und konnten auf ausreichend Kapital zugreifen, um ihre expansiven Sozialstrategien aufrechtzuerhalten. Die meisten dieser Länder, und dies war im Fall von Venezuela eindeutig, mussten auf diese schwierigen Fragen nicht wirklich Antwort finden, weil ihnen ihre vorteilhafte Wirtschaftslage eine beträchtliche Autonomie verlieh, um ehrgeizige Sozialausgabeprogramme zu verfolgen. Als sich diese Situation [mit dem Sinken der globalen Rohstoffpreise im Jahre 2014] änderte, war der Chavismus natürlich nicht vorbereitet, um diesem negativen ökonomischen Umfeld zu begegnen.
Und natürlich, auch wenn dies in der internationalen Presse aufgebauscht wird, leidet die venezolanische Regierung auch unter fehlender Transparenz, unter Korruption, und es gibt ein allgemeines Problem von Missmanagement, fehlenden technischen Fähigkeiten und qualifizierten Leuten an den richtigen Stellen. Es gibt [unter venezolanischen Regierungsfunktionären] die Überzeugung, dass persönliches Vertrauen und politische Nähe wichtiger sind als technische Kompetenz. Das ist in vielen lateinamerikanischen Ländern eine verbreitete Erscheinung. Lateinamerikanische Staaten waren schlecht gerüstet, um diese herausragende Rolle zu spielen, die ihnen von der Linken im nationalen Entwicklungsprozess zugewiesen wurde.
Außerdem: Nur weil linksgerichtete Koalitionen und Anführer in den 2000er Jahren durch Wahlen politische Macht erlangt haben (etwas sehr neues zu jener Zeit in Lateinamerika), bedeutet dies zum Beispiel im Fall des Chavismus, überhaupt nicht, dass Venezuela heute ‒ trotz aller Ansprüche, von sozialistischen Idealen inspiriert zu sein und einen Prozess in Gang gesetzt zu haben, der zu einer sozialistischen Gesellschaft führen werde ‒ eine sozialistische Gesellschaft ist. Wie jeder, der Lateinamerika kennt weiß, sind dies Gesellschaften, in denen man große Wirtschaftssektoren findet, die als frühkapitalistisch charakterisiert werden können, wo man ein sehr wilde Form des Kapitalismus antrifft, in der die Kräfte des Geldes sehr stark und die Rechte der Menschen, sich gegen die Kräfte des Marktes zu verteidigen, schwach sind. Die Entwicklung geregelter Gesellschaften mit Institutionen, die stark genug sind, um die Rechte der Menschen und die Integrität des öffentlichen Dienstes zu stärken etc., ist bei weitem nicht perfekt. Selbst wenn man mächtige Kräfte an der Spitze und manchmal auch an der Basis hat, bedeutet das nicht, dass die Gesellschaft Tag für Tag auf ideale Weise funktioniert. Es ist ein sehr schmerzhafter und schwieriger Prozess.
Schließlich ist es auch wichtig zu berücksichtigen, dass selbst wenn die Regierung Maduro den Wirtschaftskrieg und die Kräfte der nationalen und internationalen Bourgeoisie als Hauptfaktoren für die Wirtschaftskrise in Venezuela anführt, dies meiner Meinung nach angesichts der von mir zuvor beschriebenen Faktoren ein wenig übertrieben ist. Das bedeutet nicht, dass es keinen negativen Einfluss gibt, der von diesen Gruppen ausgeht. Das ist wahr. Aber dies ist für Maduros Regierung nichts Neues.
In Venezuela hat die nationale Bourgeoisie historisch sehr wenig zur Entwicklung des Landes beigetragen. Was hier als die Privatwirtschaft des Landes bezeichnet wird, ist lediglich ein privater Sektor, der, anders als in den weiter entwickelten Ländern de globalen Nordens, nicht nach den Regeln von Investitionsrisiko und Gewinnaussicht funktioniert. In Venezuela gibt es privatwirtschaftliche Gruppen, die sich mit staatlichen Verbündeten zusammentun, um die Ölrente so effektiv wie möglich einzustreichen.
Es gibt verschiedene Mechanismen, durch die nationale und internationale Bourgeoisien ihre Interessen gegen progressive Reformversuche schützen können, aber dies ist ein permanentes Charakteristikum, das nicht nur für die gegenwärtige Regierung gilt. Chávez hatte sich in der Vergangenheit damit auseinanderzusetzen und konnte dennoch Erfolge erzielen. Die gegenwärtige Krise in erster Linie auf eine internationale Verschwörung zurückzuführen ist also eine sehr unvollständige und unbefriedigende Erklärung.
Das klingt so, als ob Sie grundlegende strukturelle Beschränkungen sehen, die die Fähigkeit linksgerichteter Regierungen zur Umsetzung radikalerer ökonomischer Programme in Lateinamerika behindern, im Wesentlichen im Bereich staatlicher Kapazität. Es scheint jedoch, dass es zwei mehr oder weniger breite ökonomische Pfade gibt, die eine Regierung in der heutigen Situation Venezuelas einschlagen könnte, um die Wirtschaftskrise zu lösen, um die extrem heiklen politischen Fragen, die die Umsetzung dieser Wege erschweren, in Angriff zu nehmen. Einer davon kommt von weit links und argumentiert, dass die venezolanische Regierung nicht weit genug gegangen ist bei der Nationalisierung von Schlüsselindustrien, bei der Schaffung von Unternehmen, die Arbeiter/Gemeindehand sind und betriebenen werden, bei der Schaffung einer wirklich autarken sozialistischen Wirtschaft in Venezuela. Dann gibt es andererseits ökonomische Pragmatiker, die argumentieren, dass der einzige Ausweg in einer Art sehr schwierigem Anpassungsprogramm zur Stabilisierung der venezolanischen Wirtschaft liegen würde, das vermutlich Maßnahmen enthielte, die für gewöhnliche Venezolaner katastrophal wären und an den Linien traditioneller neoliberaler Anpassungsprogramme ausgerichtet sind. Was sehen Sie als das bestmögliche Szenarium an, um Venezuela wirtschaftlich in eine positivere Richtung zu bringen?
Sie sprachen von der Möglichkeit einer Anpassung. Eine der seltsamen Charakteristika Venezuelas ist heute, dass diese bereits geschehen ist. Auch wenn die Regierung kein traditionelles neoliberales Anpassungsprogramm aufgelegt hat, hat ihre fehlende Strategie gegen die gegenwärtige Krise dazu geführt, dass es von selbst zu einer chaotischen Anpassung gekommen ist. Was ist es anderes als Anpassung, wenn der monatliche Mindestlohn von 300 US-Dollar im Jahre 2014 auf einen Dollar vor einigen Monaten gefallen ist? Also muss man dies bei der Analyse der Situation in Venezuela im Kopf haben. Es hat eine Anpassung gegeben und dies ist der Grund dafür, dass man massive negative Konsequenzen feststellen kann, was die Migration, den Mangel an öffentlichen Dienstleistungen, etc. angeht.
Dies ist nicht das Ergebnis eines bewussten, rationalen Programms der Regierung, denn sie hat nicht beschlossen, die Finanzierung dieses oder jenes Projektes einzustellen, sondern es ist das Fehlen einer Strategie gegen die Krise, was das Land in die Lage einer chaotischen oder anarchischen Anpassung gebracht hat. Die Wirtschaft hat, wenn Sie so wollen, "selbst reguliert", also denke ich nicht, dass es einen Bedarf an weiterer Anpassung gibt, zumindest nicht einer neoliberalen, denn die Leute haben bereits genug gelitten.
Andererseits würde ich aber auch nicht für einen radikaleren Ansatz plädieren. Seine Befürworter verweisen darauf, dass er erfolgreich sein könnte und vom Umsetzungswillen der Regierung abhinge. Ich denke, dass dies ein grob vereinfachendes Verständnis der venezolanischen politischen und ökonomischen Realitäten darstellt. Was nötig ist, um aus Krise rauszukommen, zumindest kurzfristig, ist die Bewältigung eines Hauptproblems.
Heute ist Venezuela ein Land, dass im Wesentlichen von einer Industrie abhängig ist: Erdöl. Wenn man in Venezuela keine funktionierende Erdölindustrie hat, ist es unmöglich, die gegenwärtige Krise zu überwinden. Das heißt natürlich die Frage beiseite zu lassen, wem die Ölindustrie gehört und wer sie kontrolliert. Das Problem heute ist, dass die Erdölindustrie nur die Hälfte dessen produziert, was sie vor nur vier oder fünf Jahren produziert hat. Nicht einmal in diesem Punkt hatte die venezolanische Regierung einen Weg gefunden, wie die stetig steigenden Anforderungen der venezolanischen Gesellschaft befriedigt werden können, und sie wurde eingeklemmt zwischen der Notwendigkeit, ihre Wirtschaft zu diversifizieren und dem Bedürfnis, mehr Öl zu produzieren, um den Konsum zu finanzieren. Dies bringt uns wieder zu dem ungelösten Problem der Unfähigkeit der Linken zurück, ein nachhaltiges alternatives Wirtschaftsmodell anzubieten.
Die Hauptsache ist aber heute, die Erdölindustrie wieder auf die Beine und zum Produzieren zu bringen. Eines der Probleme dabei ist, dass eine Erdölindustrie wie die Venezuelas, die im Vergleich zum Umfang der Wirtschaft geradezu gigantisch ist, eine sehr international geprägte Industrie ist. Ich würde gern den Gedanken an eine Alternative für Venezuela in Betracht ziehen, die nicht so sehr von internationalen Akteuren abhängig ist, aber das Problem ist, dass der Großteil der venezolanischen Produktion für den Export bestimmt ist. Die Industrie ist also eng mit der internationalen Wirtschaft verbunden. Zusätzlich handelt es sich um eine Industrie, die ein hohes Niveau an Investitionen erfordert. Eines der heutigen Probleme ist, dass Venezuela nicht das für diese Investitionen benötigte Kapital besitzt.
Daher braucht Venezuela in dem Versuch, zwischen den von Ihnen beschriebenen beiden Polen (pragmatisch vs radikal) zu navigieren, zumindest auf kurze Sicht eine Lösung, die eher in der Mitte liegt, weil die Erdölindustrie sich ohne Zugang zu Kapital nicht erholen kann. Und dies beinhaltet internationale Akteure, multilaterale Institutionen, etc., und das ist ein gewaltiges Problem. In dem Maße, in dem Venezuela auf Distanz zu traditionellen Kapitalquellen bleiben kann, die der IWF bereitstellt, wäre dies [angesichts der begleitenden Kreditkonditionen] ideal, aber damit das geschieht, muss man Länder wie China und die Kapitalmärkte davon überzeugen (die hauptsächlich in den USA und Großbritannien organisiert sind) zu investieren. Dies sind Herausforderungen, die jeglicher Regierung in Venezuela sehr klare strategische Zielsetzungen abverlangen, und kurzfristig muss Zugang zu Kapital gewonnen werden, was umgekehrt wiederum die Notwendigkeit irgendeiner Art von ausgehandelter Vereinbarung oder Verpflichtung mit internationalen Akteuren nahelegt. Ich bedaure das, aber ich sehe nicht, wie Venezuela sich aus eigener Kraft aus der aktuellen Krise heraus manövrieren kann, zumindest aus wirtschaftlicher Sicht gesehen.
Die Natur der Krise
Die Wirtschaftskrise in Venezuela wird begleitet von einer tiefen politischen Krise mit sich bekämpfenden gesetzgebenden Körperschaften, die beide Legitimität für sich einfordern, Berichten über eine zunehmende Konzentration von hochrangigen Beschlussfassungen rund um Präsident Maduros inneren Kreis, Betrugsvorwürfen bezüglich der Präsidentschaftswahlen von 2018, die Maduros internationale Legitimität geschwächt haben und einem wachsenden Gefühl der Verzweiflung unter vielen Venezolanern. Wie würden Sie die gegenwärtige politische Krise charakterisieren und was sehen Sie als ihre Hauptursachen an?
Ich würde sagen, dass Chávez Haupterfolge in seiner Fähigkeit lagen, oftmals gegensätzliche Kräfte innerhalb seiner Bewegung in einer Weise zu handhaben, dass positive Ergebnisse erzielt wurden. Ein Beispiel dafür ist Chávez‘ Mobilisierung revolutionärer Rhetorik, indem er sagte: Wir werden die venezolanische Gesellschaft umgestalten und den Sozialismus aufbauen, während zugleich die meisten Erfolge nicht durch einen revolutionären Staat, sondern eher durch eine mehr oder weniger traditionelle liberale Demokratie erzielt wurden.
Venezuela hatte eine funktionierende Verfassung, welche die Rechte und Mechanismen garantierte, die jede liberale Demokratie garantiert, es gab politischen Pluralismus, es gab Redefreiheit, und es standen alle Garantien bereit, um es verschiedenen Gruppen zu ermöglichen, in der öffentlichen Arena miteinander zu konkurrieren. Für diesen Widerspruch ‒ nämlich einerseits zu sagen, wir sind dabei eine Revolution durchzuführen und andererseits respektieren wir die Rechtsstaatlichkeit jeder normalen liberalen Demokratie ‒ wurde niemals eine theoretische Lösung entwickelt. Die praktische Antwort darauf war eher, dass es Chávez gelang, eine politische Hegemonie zu etablieren, und dies erlaubte dem Chavismus, in dem System des Wettbewerbs, das wir von 1999 bis 2015 hatten, an der Macht zu bleiben. Die Bewahrung dieses politischen Gleichgewichts und der Versuch, wo möglich einen Konsens zu erzeugen, war auch ein Weg, dem Land die erforderliche politische Stabilität zu geben, um die Umsetzung jeglicher Art von Entwicklungsstrategie zu ermöglichen.
Heute ist das Problem, dass die Grundlage dieses von Chávez errichteten fragilen Konsenses zerbrochen ist. Die Realität ist, dass man bei Abwesenheit einer jeglichen Art von Kompromiss, zumindest im Hinblick auf das institutionelle Funktionieren des Landes, keine erfolgreiche ökonomische Strategie in Gang setzen kann, wenn man nicht, wie schon von Ihnen erwähnt, über eine gesetzgebende Gewalt verfügt, die als solche von jedermann anerkannt wird. Denn dann bekommt man solche Probleme, wie wir sie heute haben: Probleme, die die Rechtmäßigkeit des Staatsetats, die Rechtmäßigkeit von Verträgen etc. betreffen. Wie soll man eine Erdölstrategie umsetzen, wenn die Ansprechpartner in der übrigen Welt keine Gewissheit haben, dass die Schritte, die die Regierung zur Organisierung ihrer eigenen Industrie unternimmt, überhaupt legal sind?
Das heutige Problem ist, dass die Leute nur ganz kurzfristig denken. Die Opposition glaubt, dass die Regierung extrem schwach und der Moment für deren Zusammenbruch und für die Übernahme durch die Opposition gekommen ist. Unterdessen wird die Regierung Maduro von der sogenannten internationalen Gemeinschaft von allen Seiten attackiert und mit verheerenden Sanktionen abgestraft, die sie in eine sehr defensive Lage versetzt haben. Jeder ist nur ganz kurzfristig ausgerichtet. Die Realität ist jedoch, dass keine der kurzfristigen Maßnahmen zur Machterhaltung ausreichend sein wird, um unser Land zu stabilisieren und ein normaleres Funktionieren des Landes in Zukunft zu sichern.
Dies ist der Grund warum ich, zuweilen gegen meine eigenen natürlichen Reflexe sage, dass es, ganz gleich wie sehr sich unsere politischen Gegner irren, eine politische Notwendigkeit im Land gibt, einen Weg zu Verhandlungen zu finden, um eine politische Koexistenz zu garantieren. Deshalb bin ich - auch wenn ich mir genau darüber bewusst bin, wie weit entfernt beide Seiten voneinander sind - ein überzeugter Anhänger der Idee, dass es keinen Ausweg aus der Situation gibt ohne zu einer politischen Vereinbarung zu kommen, die von den verschiedenen politischen Akteure eine große Reife erfordert, und die zumindest ermöglicht, dass die Institutionen von 1999 wieder funktionieren. Auch wenn es jetzt extrem unwahrscheinlich erscheint, so ist dies doch der Weg, wie das Land noch vor wenigen Jahren funktioniert hat. Ich habe keinen Plan, wie man dort hinkommt, bin aber davon überzeugt, dass es zu einer internen nationalen politischen Verhandlung kommen muss.
Ich möchte mich ein wenig auf den Chavismus selbst und auf die venezolanische Linke konzentrieren. Von außen gesehen gibt es eine starke Tendenz zur groben Vereinfachung dessen, was in Wahrheit ein sehr breites Spektrum von politischen Perspektiven innerhalb des Chavismus ist. Könnten Sie uns in groben Zügen einen Überblick über die aktuellen Haupttendenzen innerhalb der Bewegung geben und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Linke im Chavismus richten?
Zunächst einmal muss gesagt werden, dass der Chavismus nicht "die Linke" ist. Der Chavismus hat mindestens zwei Bestandteile, wie Chávez selbst es beschrieben hat. Erstens beruhte die Bolivarische Revolution auf einem zivil-militärischen Bündnis. Der Chavismus ist folglich eine sehr besondere Bewegung, weil er eine massive zivile, aber auch eine sehr tief verwurzelte militärische Komponente aufweist. Progressive Kräfte auf der ganzen Welt neigen dazu, damit ein Problem zu haben.
Meine Antwort darauf ist, dass der Chavismus sich selbst in gewisser Weise als eine nationale Befreiungsbewegung präsentiert hat, und nationale Befreiungsbewegungen haben eine patriotische Komponente, die von der Nation verangt, ihre Souveränität zu bewahren. Der Chavismus war nicht nur eine sozial progressive politische Bewegung, sondern auch eine nationale Befreiungsbewegung, die eine neue Regierung in die Lage versetzte, die volle Souveränität über ihr Territorium auszuüben, und dafür war die Frage des Militärs von wesentlicher Bedeutung. Dies erklärt, warum nicht jede im Chavismus maßgebliche Person einen linksgerichteten Hintergrund hat. Chávez selbst war eine ganz eigentümliche Art von Militär, weil der zivile Chávez den militärischen Chávez weit mehr beeinflusst hat als umgekehrt. Als er zum politischen Führer des venezolanischen Militärs wurde, schaffte er es, die Energie des Militärs zugunsten einer fortschrittlichen Regierung zu kanalisieren.
Das Problem ist, dass mit dem Verschwinden von Chávez auch diese Führerschaft und die Fähigkeit dem Militär Orientierung zu geben verschwand. Und dennoch bleibt das Militär. Dies ist einer der Gründe, warum man innerhalb des Chavismus sehr widersprüchliche Tendenzen sieht. Als Chávez Mitte der 1990er Jahre als politisches Phänomen auftauchte, nahm seine Bewegung schnell einen Großteil der venezolanischen revolutionären Linken in sich auf. Der Chavismus ist in diesem Sinne mit der revolutionären Linken sehr tief verbunden. Er nahm auch die Mehrheit der Wählerbasis der venezolanischen Sozialdemokratie in sich auf, obwohl ein großer Teil der sozialdemokratischen Führerschaft außerhalb der Bewegung blieb. Aners gesagt, es gelang dem Chavismus einen revolutionären Kader zu entwickeln, der in der Bewegung Führungsrollen übernehmen konnte, während er zugleich eine Massenbasis von Unterstützern unter den Wählern aufbaute, die ehemals die sozialdemokratische Partei (Acción Democrática) unterstützten.
Da war also diese Komponente der revolutionären Linken, da war die Wählerschaft der sozialdemokratischen Bewegung und da war schließlich die militärische Komponente, die, außer man lässt einige wenige wichtige Ausnahmen zu, keine wirkliche historische Verbindung zur Linken hat. Sie ist eher mit der venezolanischen Nationalgeschichte verbunden, insbesondere mit Simón Bolívar und Venezuelas nationaler Unabhängigkeitsbewegung. Diese Tradition war zwar auch in der venezolanischen Linken bedeutsam, aber tatsächlich wurde die Verbindung zwischen der Linken und dem Militär von der Persönlichkeit von Chávez getragen.
Heutzutage findet man immer noch die gleichen Komponenten vor, die jedoch sehr viel fragmentierter sind als zuvor. Chávez gelang eine Art von Alchemie, die Vorteile aus jedem dieser Elemente zog und sie dazu brachte, zusammenzuarbeiten. Er schaffte es irgendwie, das Beste aus den verschiedenen Bestandteilen des Chavismus herauszuholen. Das Problem mit dem Mangel an Führerschaft nach Chávez Ableben ist, dass die meisten dieser Gruppen nun in zersplitterter Weise operieren, Teile der Macht beanspruchen und ihr Verhalten im Sinne ihrer eigenen beschränkten Interessen eher nach traditioneller Art ausrichten. Ein gutes Beispiel dafür ist die revolutionäre Linke. Während Chávez‘ Präsidentschaft legte sie weitgehend beiseite, was wie ich glaube die traditionelle Politikform der revolutionären Linken ausmacht, das heißt, sie ist sehr polarisierend und sektiererisch, denkt nicht über das große Ganze nach oder kommt mit durchführbaren politischen Strategien raus. Heute kommen all diese natürlichen Reflexe der revolutionären Linken, die unter Chávez mehr oder weniger ruhten, wieder zum Vorschein.
Das Selbe kann man beim Militär beobachten. Man beginnt die verschiedenen Segmente des Militärs wahrzunehmen, wie sie versuchen, die Kontrolle über verschiedene Industrien oder Sektoren der Gesellschaft zu übernehmen, und man sieht schurkische Einzelpersonen, die sich wie Mafias organisieren. Die Handlungen einiger Sektoren des Militärs geraten außer Kontrolle, und zivile Institutionen haben nicht wirklich die Macht, ihnen Einhalt zu gebieten. Die ganze venezolanische Gesellschaft, der gesamte Chavismus leidet heute unter diesem Problem der Fragmentierung. Und letzten Endes führt dies zu einem Mangel an Kohärenz im Handeln der Regierung. Man kann Maduro im Zentrum all dieser Fraktionen sehen, was aber nicht heißt, dass er den Aktionen des Chavismus als Ganzem eine Orientierung zu geben vermag. Er ist eher ein Verwalter, der Macht verteilt, um seine eigene zu bewahren. Zugleich verliert er aber alle Arten strategischer Fähigkeiten und er verliert sehr viel an politischer und wirtschaftlicher Kohärenz.
Wie Sie sehen können, wechselte die venezolanische Regierung im Jahr 2018 von einem äußerst heterodoxen ökonomischen Ansatz zur Forderung nach einer Politik des Nulldefizits beim Haushalt. Sie hat diesen sehr viel orthodoxeren ökonomischen Ansatz zumindest in ihrer Rhetorik übernommen, ohne jegliche breite Diskussion der Wirtschaftspolitik innerhalb der Partei (PSUV), ohne irgendeinen der Prozesse einzubeziehen, von denen man denken würde, dass sie bei der Entscheidungsfindung mit einer kohärenteren Bewegung beteiligt sind. Deshalb ist der Chavismus heute unglücklicherweise sehr zersplittert und es mangelt ihm an der Ausgeglichenheit und Stabilität, die Chávez während seiner Präsidentschaft sicherzustellen vermochte.
Wege nach vorn
Innerhalb der Linken des Chavismus und innerhalb der internationalen Linken gibt es viele Diskussionen über die Möglichkeiten der Errichtung eines Estado Comunal oder Kommunalen Staates. Kurz bevor er im Jahr 2013 verstarb, beklagte Präsident Chávez das Scheitern des Bolivarischen Prozesses im Hinblick auf ein Fortschreiten in Richtung auf den Kommunalen Staat, der in einer völligen Umgestaltung der politischen Macht in Venezuela besteht, weg vom traditionellen repräsentativen System, das auf Gemeinden und Bundesstaaten beruht, hin zu einem radikalen demokratisch-partizipativen sozialistischen System aus Kommunalen Räten (consejos comunales) auf lokaler Ebene, die zu größeren Kommunen (comunas) zusammengefügt würden und so weiter bis auf die nationale Ebene. Seit 2012 wurden überall im Land tausende Kommunen gebildet, aber das Ausmaß, in dem das System in Richtung einer eventuellen Ersetzung des gegenwärtigen venezolanischen politischen Systems vorankommt, ist Gegenstand von Debatten. Wie sehen Sie den gegenwärtigen Stand des Kommunalen Staates und welche Rolle messen Sie ihm für die Zukunft des venezolanischen Sozialismus bei?
Im Fall der kommunalen Organisationen sehe ich es nicht als eine Frage, ob man mehr oder weniger radikal ist, sondern vielmehr als eine Frage des Aufbaus wahrer Demokratie. In diesem Sinne favorisiere ich wie die meisten Chavistas und auch Chávez selbst den Gedanken der Selbstverwaltung und der Selbstorganisation. Einer der Gründe, warum die venezolanische Gesellschaft in der Vergangenheit undemokratisch gewesen ist, liegt im fehlenden Zugang der Armen zu grundlegenden Rechten. Selbst aus der Perspektive einer eher traditionellen liberalen Politik von Leuten, die eher Marktlösungen für Venezuela bevorzugen würden, ist die Organisation von Menschen für produktive Zwecke und damit sie ökonomisch eigenständig werden, etwas was in Venezuela gebraucht wird.
Daher denke ich, dass die Organisierung der Kommunen, die von der Rechten dämonisiert wird, es den Menschen im Wesentlichen ganz einfach ermöglicht, sich kollektiv zu organisieren und ihnen die Mittel zu verschaffen, sich in ihren eigenen wirtschaftlichen Projekten zu engagieren. Das Ziel des Aufbaus der kommunalen Struktur war wichtig, um einen legalen Rahmen zu schaffen, der es dem Zentralstaat rechtlich ermöglicht, Ressourcen an diese sehr kleinen ökonomischen Strukturen zu transferieren. Meiner Meinung nach steht dies in perfekter Übereinstimmung mit der Verfassung von 1999 und ebenso perfekt im Einklang mit der Existenz einer starken liberalen Demokratie. Es ist nur ein Werkzeug, um wirtschaftliche Initiativen zu ermöglichen, die von unten aus der Gesellschaft kommen, um Zugang zu Finanzierung, Schulung und technischer Unterstützung zu haben, die notwendig sind, um Erfolg zu haben.
Das System ist jedoch mit einem Mangel an Fähigkeiten konfrontiert. Wenn ich erklären müsste, warum ich dachte, dass die Bolivarische Revolution in Bezug auf die Errichtung eines Kommunalen Staates nicht mehr erreicht hat, oder wenigstens die kommunale Organisation von unten her zu fördern, dann würde ich sagen, dass Chávez und der Chavismus im Allgemeinen dazu tendierten großartige Ideen zu haben und großartige Initiativen zu starten, das Problem jedoch in der Organisation und in der Ausführung lag. Wahrscheinlich waren die Verfahrensweisen der Organisation nicht gerade die effizientesten. Wahrscheinlich waren die Organisationsformen nicht die effizientesten. Aber es ist definitiv eine offene Frage, und ich kann mich nur für die Weiterentwicklung aussprechen.
Wir haben viel über einige der möglichen Hindernisse für das weitere Vorankommen gesprochen, und Sie haben darauf hingedeutet, wie eine Lösung für die politische Krise aussehen könnte. Aber könnten Sie vielleicht ein bisschen näher ausführen, was Sie für die nächsten paar Jahre für die schlechtesten, die wahrscheinlichsten und die günstigsten Szenarien für eine politische Lösung halten?
Ich denke, dass Venezuela in einer sehr gefährlichen Situation ist, aus Gründen, die wir beschrieben haben, und die Lage wird nur schlimmer. Da ist zudem die internationale Situation mit einem Lateinamerika, das sich nach rechts bewegt, und viele lateinamerikanische Regierungen befinden sich nun in den Händen von Konservativen. Diese Regierungen denken darüber nach, wie sie beenden können, was sie in Lateinamerika als kritisches Problem ansehen, nämlich den Chavismus in Venezuela. Die Legitimitätsprobleme, denen sich die Regierung Maduro ausgesetzt sieht, haben diesen Weg wahrscheinlich leichter gemacht. Und da ist natürlich die US-Administration, die die Situation in Venezuela eskaliert hat, und Trumps Erwähnung einer US-Intervention ist extrem ernst zu nehmen.
Das einzige Gegenmittel gegen eine weitere internationale Eskalation ‒ die nur zu weiteren Sanktionen, die wiederum zusätzliche Belastungen für die venezolanische Gesellschaft erzeugen oder zur absolut katastrophalen Alternative einer US-Militärintervention führen kann ‒ ist eine interne Lösung. Alle involvierten Parteien müssen sich darüber im Klaren sein, dass eine interne Lösung die einzige Möglichkeit ist der Welt zu zeigen, dass die Venezolaner ihre eigenen Problem lösen können.
Das Problem ist, dass die internationale Gemeinschaft sowohl den venezolanischen Erdölsektor als auch Einzelne innerhalb der Regierung sanktioniert hat. Um jedoch eine politische Lösung zu erreichen, müssen die involvierten politischen Sektoren eine Alternative haben. Wenn heute für einen Chavista aus der Regierung die einzige Möglichkeit darin besteht, an der Macht zu bleiben oder vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt zu werden, wie von einigen lateinamerikanische Regierungen (mit Unterstützung der US-Regierung) nahegelegt, dann gibt es keinen Anreiz für irgendjemanden, eine gemeinsame Basis zu finden oder eine interne Konfliktlösung zu erreichen. Die Haltungen der internationalen Gemeinschaft müssen sich unbedingt ändern. Und angesichts dessen, dass dies nicht von der gegenwärtigen US-Administration ausgehen wird, müssen sich einige andere Regierungen, vielleicht aus Europa, darüber im Klaren sein, dass es unverantwortlich ist, gegen Venezuela Stellung zu beziehen, nur weil dies auf einer Linie mit der öffentlichen Meinung in ihren eigenen Ländern liegt. Es besteht die Gefahr, dass eine Eskalation zu einem katastrophalen Ergebnis führen könnte.
Es gibt mehrere verschiedene potentielle Ausgänge aus der gegenwärtigen Krise. Einer davon, vielleicht der positivste wäre, wenn einige Leute in der venezolanischen Regierung den äußerst mutigen und vorausschauenden Schritt zur Schaffung eines internen Dialogprozesses unternähmen. Das hieße, Ansprechpartner in der Opposition zu finden und zu versuchen eine Abmachung zu erreichen, die zumindest eine Lösung für die Dualität der Legislativgewalten mit sich brächte, um dann zu beginnen an weiteren Problemen zu arbeiten. Das kann erreicht werden, aber nochmal, es erfordert eine große Menge an Mut und ein Beiseitelegen der Spannungen, die durch die laufende Tagespolitik erzeugt werden.
Ein anderes, weniger positives Szenarium wäre, dass inländischer Druck auf die Regierung Maduro, der aufgrund der Wahrnehmung erzeugt wird, dass diese unfähig sei, Lösungen für die Krise anzubieten, zu wachsenden Spannungen führen und die Führerschaft Maduros innerhalb des Chavismus schwächen könnte. Das würde eine Situation politischer Instabilität hervorrufen, deren Ausgang sehr schwer vorherzusagen wäre.
Und das schlechteste mögliche Szenarium wäre natürlich, abseits jeder Art von Verhandlung oder interner Krisen, dass die US-Administration eines Tages aus welchem Grunde auch immer die Entscheidung träfe, eine katastrophale militärische Intervention in Venezuela einzuleiten, von der man, wie wir in vielen anderen Zusammenhängen gesehen haben, weiß wann sie beginnt aber nicht, wie oder wann sie enden wird.
Ich habe das Gefühl, dass die aktuelle Lage so schlecht ist, dass die folgenden Monate so voller Spannung sein werden, dass sich eines dieser Szenarien entfalten muss. Nach meiner Wahrnehmung ist dies eine Sache von Monaten. Zugleich jedoch muss man Maduros Widerstandsfähigkeit und die Widerstandsfähigkeit des Chavismus ganz allgemein berücksichtigen. Schon viele Male haben Beobachter einen raschen Zerfall der Regierung innerhalb weniger Monate vorhergesehen, und doch ist es ihr gelungen den Status Quo aufrecht zu erhalten und politische Initiativen zu ergreifen, die ihre Macht erhalten haben.
Ich habe den Eindruck, dass wir uns nun in einer anderen Lage befinden, seit Maduro sich gegenüber seiner Basis dazu verpflichtet hat, dass seine jüngste Wiederwahl [im Mai 2018] als neue Grundeinstellung oder als Neubeginn dienen würde, und dass er und sein Team mit dieser erneuerten politischen Legitimität in der Lage sein würden, die Probleme der Bevölkerung anzugehen. Dies ist nicht geschehen, zumindest bis jetzt noch nicht, und deshalb denke ich, dass wir über die kommenden Monate alles ganz genau im Auge behalten müssen.