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Zensur und Accountsperrungen in Chile: Piñeras Krieg in den sozialen Medien

Die chilenische Rechte setzt Armeen von Bots ein, um oppositionelle Webseiten zu attackieren und Hasskampagnen zu verbreiten

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Chiles Rechte greifen oppositionelle Webseiten an und verbreiten Hasskampagnen im Internet
Chiles Rechte greifen oppositionelle Webseiten an und verbreiten Hasskampagnen im Internet

Einer der Faktoren, der teilweise den überraschenden Volksaufstand erklärt, der der Regierung und der neoliberalen Arroganz das Lächeln im Gesicht gefrieren ließ, ist zweifelsohne die Breitenwirkung der sozialen Medien mit ihrer wichtigsten, markantesten und tödlichsten Waffe: dem Mobiltelefon.

Es ermöglichte unter anderem, dass Individuen sich horizontal organisierten und sich der Aufruf zur Mobilisierung entsprechend vervielfachte; so konnte zudem der strategische Vorteil der Rechten durch deren Monopolstellung in den Kommunikationsmedien neutralisiert werden, und es spielte außerdem eine entscheidende Rolle bei der Anklage und Dokumentation der systematischen Menschenrechtsverletzungen, die während des Ausnahmezustandes von der Regierung bestärkt oder zumindest gebilligt und direkt von der Militärpolizei sowie in geringerem Maße von anderen Teilen der Streitkräfte begangen wurden.

Dies bestätigt die historische Gesetzmäßigkeit, mit der die Rechte und die konservativen Kräfte definitionsgemäß niemals Pfründe, Privilegien, Vorteile und Posten übergeben, ohne dazu gezwungen zu werden. Und ohne vorher alle Arten des Kampfes auszuschöpfen, haben die kreolischen Faschos den Krieg Piñeras ins Digitale und vor allem in das virtuelle Schlachtfeld der sozialen Medien verlagert.

Mit ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit im Rücken haben sie auf die sozialen Medien regelrechte Armeen von Bots mit unterschiedlichen Missionen und Zielen losgelassen.

Die Armee der Bots

Unter einem "Bot", kurz für "Robot", versteht man ein automatisiertes System, das darauf programmiert ist, bestimmte Aktionen auszuführen und diese regelmäßig oder reaktiv durchzuführen, ohne dass ein Mensch sie kontrollieren muss.

Er kann seine Umgebung analysieren und autonom und situationsgerecht "entscheiden", welche Aktion am besten zu den vorgegebenen Zielen passt.

Bots sind sehr schwer zu entdecken oder wahrzunehmen, da sie ihre Aufgaben im Hintergrund ausführen und so programmiert sind, dass sie wie Menschen erscheinen und sogar in der Lage sind, dessen Verhaltensweisen zu imitieren.

Zu den spezifischen Aufgaben, für die Bots programmiert werden, gehören vor allem die folgenden:

  • Web-Crawler: Diese Kategorie von Bots arbeitet völlig unbemerkt. Sie werden von Suchmaschinen verwendet, um das Web automatisch zu durchsuchen, Webseiten zu analysieren und diese Information in Suchverzeichnissen zu indizieren. Generell sind das die „guten“ Bots, da durch sie die Informationsflut im Web organisiert werden kann. Sie sind Teil der Algorithmen, die Google, Bing und Yahoo verwenden, die drei wichtigsten Internetsuchmaschinen. Es gibt jedoch auch zahlreiche Web-Crawler, die jenseits der legalen Normen und guten Praktiken im Web operieren und etwa unautorisierte Daten sammeln; dies war ein typischer Fall bei Cambridge Analytica und anderen Verwendungen im Rahmen von Wahlen.

  • Chatbots: Anders als Web-Crawler agieren Chatbots reaktiv: Sie reagieren auf menschliche Aktivitäten und sind darauf spezialisiert, anderen Chatteilnehmern auf vernünftige Art und Weise zu antworten. Im Internet-Alltag fungieren Chatbots als digitale Assistenten. Ein Webseiten-Assistent kann zum Beispiel Besucher durch die Seite führen oder Fragen zum Thema und anderen Aspekten der Webseite beantworten. Auch Sprachassistenten, wie Siri oder OK Google, oder externe Sprachassistenten wie Amazon Echo oder Google Home basieren auf der Technologie solcher Chatbots.

  • Virtuelle Videospieler: Viele Videospiele erfordern virtuelle Spielteilnehmer, die variabel auf Menschen reagieren. Diese Operationen übernehmen Bots. Sie operieren reaktiv und mit Techniken künstlicher Intelligenz. Ein typisches Beispiel ist die künstliche Intelligenz von Google, „AlphaZero“, die ihr Talent beim Schach und ebenso beim Go gezeigt hat.

  • Social Bots: Hierbei handelt es sich um versteckte Bots, die in den sozialen Medien verwendet werden. Sie arbeiten sowohl wiederholend als auch reaktiv und können eine Reihe von Aktionen ausführen, etwa auf „Gefällt mir“ klicken, kommentieren, retweeten und sogar andere Nutzer provozieren, sich an Konversationen beteiligen und eine menschliche Identität simulieren.

Das sind die Bots, die die Rechte im digitalen Krieg verwendet.

Die Hasskampagnen der Rechten

Mit am häufigsten verwendet sie die Bots bei ihren hasserfüllten Attacken auf jeden, der die Flagge sozialen Wandels hisst – oder zur Verteidigung der wackelnden Piñera-Regierung, diskreditierter Institutionen wie die Carabineros oder allgemein der öffentlichen Ordnung, des Eigentums und der Marktwirtschaft.

Jüngste Beispiele sind Kampagnen wie:

#NoMásHertz

#YoApoyoACarabineros

#VotoRechazo

#MueraElMarxismo

#IzquierdaCulpable

#RechazarparaReformar

und andere in diesem Stil.

Es ist an sich nicht verwerflich, dass die Rechte politische Kampagnen in digitalen Formaten organisiert oder Inhalte in den sozialen Medien verbreitet, die ihren Interessen entsprechen, wie es im Endeffekt alle – oder fast alle – politischen Kräfte und sozialen Organisationen mehr oder weniger effektiv tun.

Das Problem ist, dass sie sie durch ihre wirtschaftliche Macht verstärken, aufblasen und mittels Bots multiplizieren und dadurch eine simulierte Realität erzeugen, was einer Manipulation gleichkommt.

Es ist bekannt, dass Piñera diese auf Bots basierenden Operationen ausgiebig für seine Wahlkampagne 2017 eingesetzt hat, und es wird vermutet, dass viele Hasskampagnen gegen Oppositionelle oder Kampagnen, die zur Gewöhnung an Menschenrechtsverletzungen führen sollen, von Regierungsbehörden ausgegangen sind, etwa vom umstrittenen Secom 1

Das zweitgrößte Problem sind die Inhalte, die mit diesen Kampagnen verbreitet werden und die nur so strotzen vor Botschaften, die Menschenrechtsverletzungen zur Normalität erklären, und vor Intoleranz, Hass, Halbwahrheiten und kompletten Lügen, die auf Schikanierung, Desinformation, die Verhinderung politischer Partizipation und Terror abzielen.

Einige Beispiele in zufälliger Reihenfolge:

- Bist du auch der Meinung, dass in #Chile, ebenso wie in anderen Ländern, die Beteiligung von @PCdeChile in der Politik verboten werden sollte?

-Kriminelle haben bereits begonnen, Feuerwehrmänner anzugreifen, als nächstes werden sie hinter dir her sein… währenddessen #sharp in Viña.

-Es formiert sich ein Bürgerkrieg, weil kein Chilene tolerieren kann, dass sie uns berauben und uns wegnehmen, wofür wir so große Opfer gebracht haben.

- Ohne Zerstörungen, ohne Vandalismus, ohne Angriffe auf Carabineros, mit Respekt für die Pächter. So geht der "Rechazo"2friedlich. Und der "Apruebo"3 Gewalt, Chaos, Vermummung, Zerstörung.

- Heute wie gestern diskutiert Chile zwei Möglichkeiten. Eine führt und erhält Chile als Teil der freien Welt. Die andere führt in eine ungewisse Zukunft, vor allem, weil die, die auf diesem Weg vorangehen, bereits mehr als 150 Millionen Tote auf ihrem Konto haben. Ich bin lieber frei. Ich bin für die Ablehnung (Rechazo).

- So ist Guatona Zurda, obszön und verlogen…. Wie lange werden wir uns noch wie Schwuchteln benehmen?

- Ich stimme für #Rechazo! Ich will kein Elend. Wir wollen kein Kuba und auch kein Venezuela.

- Setzt weiter Sachen in Brand… sie werden euch genauso umbringen wie das letzte Mal.

- Was erwarten sie denn? Wir werden es nicht bis April schaffen. Unsere Nachbarn werden vorher verbrannt werden und sterben! San Borja, Plaza Baquedano, das Museum de Violeta por la Cresta !! Welche Würde ?? Ich würde den #Rechazo wählen, aber wir werden es nicht lebend bis zur Volksabstimmung schaffen.

- Mehr als 4.000 verletzte Carabineros, viele davon schwer, einige angeschossen. Abertausende Pymes4 geplündert, zerstört oder niedergebrannt. Dutzende Kirchen angezündet. Hunderte Monumente demoliert. Kollaps der öffentlichen Ordnung. #RECHAZO

- Der #Rechazo erreicht alle Winkel Chiles. Jeden Tag sind wir mehr und wir hören nicht auf, bis wir gewonnen haben. #YoVotoRechazo

Bot-Attacken gegen oppositionelle Websites

Eine andere häufig angewandte Methode im digitalen Krieg der Rechten ist der gezielte Bot-Angriff gegen bestimmte Kommunikationsmedien und soziale Netzwerke mit dem Ziel, deren gesamte Bandbreite zu belegen, sie zum Kollabieren zu bringen und aus dem Verkehr zu ziehen.

Ein Beispiel dieser Praxis hat dieses Medium, "Red Digital", am eigenen Leib erfahren.

Gegen Ende Oktober, während der ersten Tage des Aufstands und ohne ersichtlichen Grund, ereigneten sich auf Red Digital plötzlich gehäuft Zusammenbrüche, die die Seite lahmlegten, zusammen mit solchen und ähnlichen Nachrichten an Nutzer, die versuchten, die Seite zu erreichen:

  • Internal Server Error. Der Server ist auf einen internen Fehler oder eine Fehlkonfiguration gestoßen und konnte ihre Anfrage nicht ausführen.

  • Resource Limit Is Reached. Die Webseite kann Ihre Anfrage vorübergehend nicht bearbeiten, da das Ressourcenlimit überschritten ist. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.

Der erste Hinweis darauf ging am 29. Oktober durch die Nachricht eines Nutzers ein:

"Hallo, guten Abend. Ich heiße Matias Gallardo und ich habe bemerkt, dass gegen Ihre Webseite eine Flood-Attacke ausgeführt wird, um Tausende von Verbindungen zu simulieren, und so tritt beim Öffnen jedes Artikels ein Fehler auf."

Auf Nachfrage antwortete der technische Supportdienst der Firma, bei der die Webseite gehostet war, am 30. Oktober:

"Sehr geehrter Redakteur: Die Seite wird von mehreren Ländern weltweit aus angegriffen. Hauptsächlich aus Asien. Mehr als 100 IP-Adressen wurde der Zugriff verwehrt."

Betrachtete man das Glas als halbvoll, so hielten wir das für eine Auszeichnung, denn jedes Mal, wenn sie die Seite durch die Konzentration von Bots attackierten, taten sie das, weil diese irgendeinen Einfluss hatte.

Das Problem bestand jedoch darin, dass die Information nicht gut aktualisiert wurde, was die Bots entdeckten und ihre Angriffe wiederaufnahmen. Die Hosting-Firma hat die IP-Adressen von dort, wo die Angriffe herkamen, blockiert, was die Seite jedoch erneut zum Kollabieren brachte.

Die Hosting-Firma bot uns einen Dienst mit höherer Sicherheit an, allerdings zu einem unerschwinglichen Preis, was von diesem Gesichtspunkt aus bedeutete, dass diejenigen, die den Angriff verursachten, nahe daran waren, ihr Ziel zu erreichen.

Doch aus dem Notfall entstand eine Chance: Derselbe Nutzer, der den Angriff gemeldet hatte, empfahl uns einen Host, der sicherer vor externen Angriffen und zugleich bezahlbar für einen Betrieb wie unseren ist und der von der alleinigen Motivation geleitet wird, kostenlosen und gemeinnützigen Service anzubieten.

So konnten wir den Notfall lösen und ihr, verehrte Leser, könnt gerade diese Zeilen lesen.

Zensur von Accounts in sozialen Netzwerken

Eine Variante dieses konzentrierten Bot-Angriffs zielt auf Konten in den sozialen Netzwerken ab, vor allem auf diejenigen, die als besonders einflussreich gelten.

Die Bots können programmiert sein, um Server zusammenbrechen zu lassen, aber genauso auch um Inhalte zu posten, die die Publikationsrichtlinien oder Unternehmensnormen der größten Netzwerkbetreiber wie Facebook und Twitter verletzen; oder sie melden ihnen vermeintliche Verstöße dieser Normen mit der Folge, dass die Betreiber Accounts ahnden oder schließen – sei es vorübergehend oder sogar endgültig.

Das passiert gerade mit den Facebook-Gruppen und -Seiten, die dieses Medium abonniert hat, oder auch mit Piensa Prensa, dessen Twitterkonto am vergangenen 7. Februar zum zweiten Mal gesperrt wurde (amerika21 berichtete).

Das Originalprofil mit fast 200.000 Followern war bereits gesperrt worden und verlor dadurch Hunderte von Videos, die eklatante Menschenrechtsverletzungen zeigten und die maßgeblich dazu beigetragen haben, die Missbräuche vonseiten staatlicher Akteure aufzuklären.

Mikel Espinoza, der Leiter von Piensa Prensa, wies darauf hin, dass sie bereits seit Wochen immer wieder Angriffe erleben und ihre Accounts gesperrt werden: "Wir denken, dass uns ultrarechte Gruppen angreifen. Sie sagen, wir würden Hass schüren. Sie gruppieren sich in diesen faschistischen Profilen und haben öffentlich damit gedroht, unsere Accounts kaputt zu machen."

Er führte aus, dass sie ein Twitterprofil mit mehr als 200.000 Followern verloren haben, über das sie eine breite Öffentlichkeit erreichen konnten. "Das macht uns sehr wütend und traurig“, sagte er. Espinoza beklagt, dass Twitter ihnen diesbezüglich keinerlei Erklärung abgegeben hat. Auch ihr Instagram-Profil, das 600.000 Follower hatte, wurde deaktiviert.

"Als Team tun wir diese Arbeit von Herzen, aus Engagement und Überzeugung. Wir haben alles gegeben. Wir waren auf der Straße, um über die Wahrheit zu informieren, und wir haben gesehen, dass die Rechte sehr gut organisiert ist und versucht, die Presse, die die Menschenrechtsverletzungen anprangert, zum Schweigen zu bringen", ergänzt er.

Er habe den begründeten Verdacht, dass die Regierung hinter den Aktionen steckt, die die Zensur ihrer Konten in den sozialen Netzwerken beinflusst haben.

Twitter hat indes am Nachmittag des 11. Februar nach vier Tagen Sperrung das Originalkonto von @PiensaPrensa wiederhergestellt.

Fälschung virtueller Identitäten

Eine andere Variante des digitalen Krieges der Rechten ist die Fälschung und Nachahmung von Identitäten relevanter sozialer Institutionen und Netzwerke.

So kündigte beispielsweise das Nationale Menschenrechtsinstitut (Instituto Nacional de Derechos Humanos, INDH) an, Klage wegen rechtswidriger Inanspruchnahme des Namens und wegen Informationsmissbrauch einzureichen, nachdem auf Twitter ein Konto eröffnet worden war, das sich als die Institution ausgab.

Die Klage richtet sich gegen das Profil @lnddhh, das diesen Monat eröffnet wurde und das nicht dem offiziellen Profil der Institution entspricht (@inddhh).

Der Unterschied zwischen beiden Profilen ist, dass das gefälschte Profil ein kleines "L" als Anfangsbuchstaben verwendet, das dem großen "I" des INDH ähnlich sieht.

"Die Veröffentlichungen dieses falschen Accounts stehen nicht im Einklang mit dem Rahmen der Menschenrechte und beschädigen zudem das öffentliche Bild der Institution sowie das Recht der Bürger auf Zugang zu Information."

Die Kollegen von Megáfono Popular und Contra la Corriente meldeten auch, dass das Profil von Piensa Prensa gefälscht und nachgeahmt wird.

Wie man sieht, scheut die Rechte keine Form des Kampfes in der digitalen Welt.

Aber so wenig, wie das Unternehmertum und die Regierung Piñera den Krieg allein durch den Rückgriff auf Repression gewinnen können, so können die Armeen von Bots im digitalen Raum zwar imstande sein, Muskeln zu simulieren, aber sie werden niemals auf der Straße demonstrieren können.

Und wenn die Rechte es doch versucht hat, war der Umfang ihrer Mobilisierung ziemlich lächerlich.

  • 1. Das Sekretariat für Kommunikation (Secretaría de Comunicaciones, Secom) fungiert als Kommunikationsorgan der Regierung
  • 2. "Rechazo": Ablehung, heißt die Kampagne der Kräfte, welche eine verfassunggebende Versammlung und generell die Proteste gegen die Regierung ablehnen
  • 3. "Aprubeo" wird hier die Bewegung für eine verfassungsgebende Versammlung mit Beteiligung von Bürgern und Basisorganisationen genannt
  • 4. Als "Pymes" werden in Chile kleine und mittlere Unternehmen bezeichnet