Kolumbien / Politik

Wird Gustavo Petro nächster Präsident von Kolumbien? Wird die zunehmende Gewalt dies verhindern?

Petro steht kurz davor, die Herrschaft einer blutigen und korrupten Oligarchie zu brechen, die den Staat an sich gerissen hat

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Sitz des Bündnisses "Pacto Histórico" in Cali
Sitz des Bündnisses "Pacto Histórico" in Cali

In Kolumbien hat die politische Kampagne für die Wahl des nächsten Präsidenten der Republik (2022–2026) bereits begonnen. Am 29. Mai 2022 soll der erste Wahlgang und am 19. Juni der zweite stattfinden, falls dies erforderlich ist, weil in der ersten Runde keiner der Kandidaten die Hälfte plus eine der abgegebenen Stimmen erhält.

Abgesehen von der Parteienform, die für das kolumbianische politische System während seiner gesamten Geschichte charakteristisch gewesen ist, haben sich heute mehrere politische Koalitionen gebildet, die verschiedene ähnlich ausgerichtete Tendenzen auf dem Gebiet der Ideen und der Wählerinteressen zusammenführen.

Im progressiven Lager gibt es den "Historischen Pakt" (Pacto Histórico), der von Senator Gustavo Petro, einem ehemaligen Mitglied der Stadtguerilla M-19, initiiert wurde. Dies ähnelt der Koalition, die 1991 gebildet wurde, um eine Mehrheit in der verfassungsgebenden Versammlung zu erhalten, als die kurz zuvor demobilisierte Guerilla an einem Wahlprozess teilnahm, an dem Sektoren unterschiedlicher Ausrichtung beteiligt waren.

In der Mitte des Wahlspektrums gibt es eine Allianz mehrerer bekannter Persönlichkeiten namens "Koalition der Hoffnung" (Coalición Centro Esperanza; amerika21 berichtete), wie Sergio Fajardo, Alejandro Gaviria, Ingrid Betancur und Jorge Robledo (rechter Maoist). Fajardo, ehemaliger Gouverneur von Antioquia, ist der bekannteste Name, jedoch ist er im popularen Lager umstritten, da seine Position gegen ein Einheitsbündnis bei den Wahlen 2018 den Sieg des ultrarechten Iván Duque, der Marionette von Álvaro Uribe Vélez, erleichterte.

Auf der rechten Seite, mit sehr regressiven Zügen und Ausdruck der schlimmsten Korruption, steht das "Team für Kolumbien" (Equipo por Colombia). Es vereint Federico Gutiérrez (Opus dei), Alejandro Char (karibische Mafia), David Barguil (Viehzüchter, Landbesitzer und Paramilitär), Dilian Toro (ehemaliger Gouverneur von Cali, verankert in der Cali-Mafia) und Juan Carlos Echeverry (ehemaliger Finanzminister, fanatischer Neoliberaler).

Es gibt noch Kandidaten, die keiner Koalition angehören, wie Óscar Iván Zuluaga, Kandidat von Uribe Vélez; Rodolfo Hernández, ein aufstrebender regionaler Außenseiter wegen seiner Trumpschen Gesten und seines populistischen, rüpelhaften Auftretens; und Luis Pérez, ein einflussreicher Führer aus der Region Antioquia, mit viel Gewicht im Mosaik der kolumbianischen Regionen.

Bislang ist Gustavo Petro in den Umfragen der beliebteste Kandidat (25–30 Prozent) mit großen Chancen, der nächste Präsident der Republik zu sein. Petro hat 2018 nicht gesiegt, aber er ist der erste Anführer in der Geschichte des Landes, der bei der popularen Linken so viele Stimmen auf sich vereinen konnte, nahezu neun Millionen Stimmen.

Auf dieser organisierten und antihegemonial ausgerichteten Masse beruhten die stärksten sozialen Mobilisierungen, die es hier in den letzten 36 Monaten gegeben hat. Die Mobilisierung von Millionen Kolumbianern bei den Protesten und Streiks hat das von Uribe Vélez und der Regierung Donald Trump in ihrer Amtszeit geförderte ultrarechte Regime an die Wand gedrückt.

Die kontinuierliche Präsenz von Petro bei diesen Mobilisierungen hat seine starke Führungsposition gefestigt, so dass er kurz davor steht, der nächste Chef des Casa de Nariño1 zu werden und damit die Herrschaft einer blutigen und korrupten Oligarchie zu brechen, die den Staat an sich gerissen hat.

Wir erleben eine Zeit, in der der "stabile und dauerhafte Frieden" aufgrund des Angriffs der uribistischen Regierung sich praktisch in Luft aufgelöst hat, was zu einer Verschärfung der Gewalt mit Bombenexplosionen wie in Cúcuta, bewaffneten Streiks in der Cauca-Region, in den Gemeindebezirken Argelia, López de Micay und El Tambo geführt hat; wir erleben eine Zeit der ständigen Morde an sozialen Anführern und der Massaker, darunter die von der Polizei in Bogotá und Cali begangenen (in Komplizenschaft mit Bürgermeisterin Claudia López, die sich nun mit Auftritten des Bedauerns reinwaschen will) bei den jüngsten popularen Protesten; mehrere Berichte der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen und der Kommission unter der Leitung des angesehenen ehemaligen Ombudsmannes Carlos Negret haben dies mit vielen Nachweisen und Belegen dokumentiert und den grotesken Angriff des Polizeidirektors Vargas und des ruchlosen Verteidigungsministers provoziert.

Es ist ein gefährliches Szenario, ein Vorgeschmack auf die Hölle der kommenden politischen Kampagnen, in denen die Gewalt bis zum Äußersten getrieben wird, um zu verhindern, dass Gustavo Petro und ein progressiver Block, der die Mafias der Neonazi-Ultrarechten verdrängt, die Präsidentschaft erlangt.

Wir sollten uns nichts vormachen, denn die Regierung Duque ist eine, die die neoparamilitärischen Auftragskiller, die Profis in der Verletzung der Menschenrechte und der Straflosigkeit rechtfertigt und fördert; was vermuten lässt, dass der Frieden keine Sache ist, um 40 oder 50 Jahre darauf zu warten, wie Archila 2 (jener des "Frieden mit Legalität"3) und sogar das Betrügersekretariat dieser Partei Comunes4 predigen.

  • 1. Name der offiziellen Residenz des Präsidenten Kolumbiens und seiner Regierung
  • 2. Emilio Archila, Berater für Stabilisierung und Konsolidierung des Präsidenten, zuständig für die Umsetzung des Friedensabkommens
  • 3. Die Regierung Duque gab das Motto "Paz con Legalidad" (Frieden mit Legalität) aus und griff damit wiederholt die Sonderjustiz für den Frieden an. Sie besteht darauf, die juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Guerilla in den Vordergrund zu stellen. Auch sollten etwa Entführung und Drogenhandel im Rahmen des Konflikts nicht als politische Delikte eingestuft werden
  • 4. Comunes heißt seit Januar 2021 die Nachfolgepartei der Guerilla Farc-EP, die 2017 zunächst unter dem Namen "Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común" (Farc) gegründet wurde