Die Macht des Agrobusiness in Lateinamerika

Die großflächige kommerzielle Landwirtschaft, besonders der Sojaanbau und die Viehzucht, ist die Hauptursache für die Entwaldung in Lateinamerika

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Die Bayer AG kaufte im Juni 2018 Monsanto.  Auch aus Reputationsgründen wurde der belastete Name Monsanto gestrichen
Die Bayer AG kaufte im Juni 2018 Monsanto. Auch aus Reputationsgründen wurde der belastete Name Monsanto gestrichen

Im Jahr 2020 wurde erwartet, dass die durch die Covid-19-Pandemie hervorgerufenen Störungen im Agrar- und Ernährungssystem zu Engpässen führen und die Ernährungssicherheit der Welt gefährden würden. Dies geschah nicht, und obwohl der Hunger in der Welt weiter anstieg, hatte er nicht die vorhergesagten katastrophalen Ausmaße.

Im Jahr 2021 schnitt der Agrarsektor erneut besser ab als andere Handelssektoren, diesmal unterstützt durch die hohen Preise für Nahrungsmittel. Das weltweite Agrarnahrungsmittelsystem ist durch die Pandemie nicht zusammengebrochen, auch wenn es in manchen Regionen, Ländern, Orten oder in einigen Kreisläufen des Systems zu erheblichen negativen Auswirkungen kam, während die historischen Produktionsrekorde fortbestehen.

Diese Produktion entstammt einer auf dem Agrobusiness basierenden und von fossilen Energiequellen abhängigen Agrarsystem, das seinen Kurs der Landnahme, Aneignung und Kontrolle von Land, Wasser und biologischer Vielfalt ungebremst fortsetzt.

Die industrielle Agrarproduktion erfolgt vor allem in Lateinamerika, der Region, in der die meisten Lebensmittel produziert werden und die weltweit ihr größter Nettoexporteur ist, vor allem Brasilien und Argentinien, die nach den USA die zweit- und drittgrößte Anbaufläche für gentechnisch veränderte Nutzpflanzen haben1.

Die größte Ausweitung der Anbauflächen bis 2050

Lateinamerika ist die Region mit der größten Verfügbarkeit von Wasser, Land, Biodiversität und reichlich natürlichen Energieressourcen für die Nahrungsmittelproduktion im Rahmen des derzeitigen und vorherrschenden Agrarmodells, für die – zusammen mit Subsahara-Afrika – die größte Ausdehnung der Anbauflächen bis 2050 prognostiziert wird2.

Inmitten der "beschleunigten Erschöpfung der Land- und Wasserressourcen und des damit einhergehenden Verlusts an biologischer Vielfalt" in der Welt wird auf diese Ressourcen ein noch nie dagewesener Druck ausgeübt, und der internationale Wettbewerb um sie ist eindeutig, was sich in Über- und Fehlnutzung, Degradation, Verschmutzung und zunehmender Knappheit äußert3.

Laut FAO bedroht die Landknappheit, die durch Bodendegradation und Wassermangel verursacht wird, die weltweite landwirtschaftliche Produktivität und damit die künftige Ernährungssicherheit.

Und obwohl wiederholt gesagt wird, dass "die derzeitigen Modelle der landwirtschaftlichen Intensivierung sich nicht als nachhaltig erweisen", sind es immer noch die großen globalen Agrarkonzerne, die 70 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzflächen beherrschen.

Der Amazonas: Gegenwart und Zukunft der Großbetriebe des Agrobusiness

Große, mit der Agrarindustrie verbundene Unternehmen kontrollieren die weltweite Produktion von Weizen, Mais und Reis, die 60 Prozent der von der Weltbevölkerung konsumierten Kalorien ausmachen. Soja ist die wichtigste Quelle für Tierfutter und die zweitgrößte für Pflanzenöl.

Die großflächige Landwirtschaft expandiert in der Region – vor allem auf Kosten des Amazonasgebiets – und nimmt in Brasilien von Jahr zu Jahr zu, gedeckt durch die Politik der Regierung von Jair Bolsonaro seit 2019, was sich 2021 im Vorantreiben des neuen Gesetzentwurfs zur Landregulierung (PL 510/2021) widerspiegelte. Dies führte zu Kritik und Warnungen vor zunehmender Abholzung, Waldbränden und illegalem Landerwerb und natürlich am derzeitigen Modell des globalen Agrobusiness, das gegen Kleinbauern und den Erhalt der Umwelt in der Nahrungserzeugung gerichtet ist.

Während die Diskussion das ganze Jahr 2021 lief und kein Konsens erzielt wurde, schätzte das Nationale Raumforschungsinstitut (INPE) die Abholzung im Amazonasgebiet (Amazônia Legal) von August 2020 bis Juli 2021 auf rund 13.235 Quadratkilometer, was der größten degradierten Fläche des Amazonas-Regenwaldes in einem Zwölfmonatszeitraum seit 15 Jahren entspricht4. Dies sind 22 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum 2019–20205.

Obwohl die verbrannten Flächen in Brasilien in diesem Jahr deutlich zurückgegangen sind, ebenso in Argentinien, das im letzten Zeitraum einen Rückgang der Brände von 1.136.534 Hektar im Jahr 2020 auf 331.000 Hektar im Jahr 2021 verzeichnete6, gab es nach Angaben des INPE zwischen Januar und September 2021 auf 13.015 Waldbrände, die von Satelliten aufgezeichnet wurden, was einem Anstieg von 23 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2020 entspricht. Folglich ist in den letzten drei Jahren ein stetiger Anstieg zu verzeichnen7. Das Gleiche gilt für die Abholzung im Amazonasgebiet.

Dementsprechend zeigt der jüngste WWF-Bericht8 für das Jahr 2021, dass zwischen 2004 und 2017 weltweit 43 Millionen Hektar Wald in vier Regionen (Lateinamerika, Subsahara-Afrika, Südostasien und Ozeanien) aus unterschiedlichen Gründen verloren gegangen sind.

Die großflächige kommerzielle Landwirtschaft, besonders der Sojaanbau und die Viehzucht, ist die Hauptursache für die Entwaldung in Lateinamerika, vor allem im Amazonasgebiet und im Cerrado, die sich von allen anderen Regionen unterscheiden. Auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft trägt dazu bei, wenngleich dies vor allem für die afrikanischen Länder südlich der Sahara gilt.

Wenn wir jedoch dieser Tatsache gegenüberstellen, dass 1 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe auf dem Planeten große kommerzielle Betriebe sind, die 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Welt kontrollieren, und im Gegensatz dazu 84 Prozent kleine Einheiten mit weniger als 2 Hektar sind, die über 12 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche verfügen, dann verweist dies auf eine Korrelation mit dem derzeitigen Modell des großflächigen Agrobusiness als Hauptursache der globalen Abholzung der Wälder, insbesondere in Südamerika.

Brasilien öffnet die Türen für den weltweit ersten gentechnisch veränderten Weizen

Andererseits schloss Brasilien erwartungsgemäß den von Argentinien im Jahr 2020 angestoßenen Prozess ab, als es den vom Nationalen Rat für wissenschaftliche und technische Forschung (Conicet) und dem argentinischen transnationalen Konzern Bioceres geförderten transgenen Weizen HB4 zuließ, der noch auf die Genehmigung der Nationalen Technischen Kommission für biologische Sicherheit Brasiliens (CNTBio) wartete, um seine Vermarktung einzuleiten, da dieser Gigant der Hauptabnehmer von argentinischem Weizen ist.

Diese Zulassung ermöglicht den Verkauf des gentechnisch veränderten Weizens des argentinischen Unternehmens Bioceres in einem Joint Venture mit Florimond Desprez. Letzteres ist einer der 20 weltweit umsatzstärksten Saatguthersteller, hat eine französische Muttergesellschaft und gehört somit der Europäischen Union (EU) an. Diese hat bisher nur die Aussaat von gentechnisch verändertem Mais in ihrem Gebiet zugelassen, obwohl sie über andere Zulassungen für Kulturen zur Verwendung als Lebens- und Futtermittel verfügt, nachdem sie umfassende Risikobewertungen von gentechnisch veränderten Organismen durchgeführt hat9.

Die Durchführung dieses Freisetzungs-Experiments wird weltweit als beispiellos eingestuft und von zahlreichen Warnungen und Ablehnung begleitet, weil dabei das in Europa seit 2013 verbotene Glufosinat-Ammonium genetisch eingeführt wird, das als noch giftigeres Herbizid als das von der Agrarindustrie häufig verwendete Glyphosat gilt.

Die Zulassung des transgenen Weizens wird jedoch als neues Ereignis propagiert, das es ermöglichen soll, der Klimakrise während der "grünen Transition" zu begegnen, um die Ernährungssicherheit der Welt zu gewährleisten, insbesondere wegen der Widerstandsfähigkeit des Gen-Weizens gegen Dürreperioden. Von dem genveränderten Weizen wurden im Jahr 2021 nach Angaben des Nationalen Saatgutinstituts (Inase) von Argentinien10 52.755 Hektar ausgesät, das sind kaum 0,8 Prozent der gesamten Hektarzahl an Weizen, die jährlich in dem Land ausgesät werden11.

Die Glyphosat-Diktatur

Eng verbunden mit dem Agrobusiness, der großflächigen oder agroindustriellen Aussaat, ist der abhängige Einsatz von Betriebsmitteln im Rahmen von Technologiepaketen, insbesondere im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Fremdgene werden in Saatgut eingebaut, um "Resistenzen" beispielsweise gegen das Herbizid Glyphosat zu erreichen, das weltweit, insbesondere in Argentinien und Brasilien, massiv eingesetzt wird.

Speziell für dieses Herbizid wurde in Deutschland im Jahr 2021 ein Gesetz verabschiedet, das die Verwendung von Pestiziden, insbesondere von Glyphosat, bis 2023 einschränkt; und die EU wird entscheiden, ob die Ende 2022 auslaufende Lizenz für Glyphosat erneuert wird. In Mexiko wurde nach Erlass des Dekrets, das die schrittweise und vollständige Abschaffung der Verwendung von Glyphosat bis 2024 vorsieht, ein juristischer Krieg gegen die Regierung von Andrés Manuel López Obrador ausgelöst.

In jedem Fall versuchten die großen Agrarkonzerne, allen voran Bayer-Monsanto, das Präsidialdekret von 2020 unwirksam zu machen, und erreichten die teilweise Aussetzung derjenigen Bestimmung, die die schrittweise und progressive Abschaffung von Glyphosat und gentechnisch verändertem Mais im Land vorsieht.

Dieser Unterlassungsanspruch wurde später von einem anderen Gericht gekippt, was nicht bedeutet, dass der Konzern untätig blieb. Im Gegenteil versucht Bayer, gegen den mexikanischen Staat vorzugehen und ihn für die entstandenen Verluste verantwortlich zu machen. Und trotzdem rechnet Mexiko für das Jahr 2022 mit einem Rückgang des Glyphosatimports um 50 Prozent.

Im Gegensatz dazu hat Brasilien, einer der Hauptakteure der globalen Agrarindustrie und damit einer der größten Pestizidverbraucher der Welt, einen Rekord bei der Zulassung von Pestiziden aufgestellt. Hierzu zählen 550 neuzugelassene kommerziellen Pestizide allein im Jahr 2021, das unterscheidet sich nicht von dem, was in den letzten drei Jahren in diesem Land geschehen ist.

Im Jahr 2022 wird sich herausstellen , ob Bayer-Monsanto ‒ Eigentümer des Herbizids Glyphosat (Round Up), des weltweit meistverkauften Herbizids ‒ in den verschiedenen Ländern, in denen es derzeit verwendet wird, eine teilweise oder vollständige Regulierung zulässt; auch wenn bekannt ist, dass es in anderen Ländern verboten ist und weiterhin verwendet wird. Daurch werden die nationalen Rechtsvorschriften, insbesondere in Lateinamerika und der Karibik, außer Kraft gesetzt.

Abschließende Überlegungen:

In Argentinien hat die Agrarindustrie beispielsweise dank ihrer Stärke einen Rekordbeitrag zur Wirtschaft geleistet, der 2021 16 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) entspricht – begleitet von einem Anstieg der internationalen Preise für Nahrungsmittel, die 67 Prozent aller argentinischen Exporte ausmachen12 und praktisch der einzige Sektor sind, der inmitten der Wirtschaftskrise, mit der sich das Land angesichts der Verschuldung gegenüber dem IWF konfrontiert sieht, und inmitten der Folgen der weltweiten Pandemie Devisen bringt.

Die brasilianische Agrarindustrie erzielte ihrerseits im Jahr 2021 Rekordergebnisse bei den Exporten, einen Anstieg von 19,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr in Höhe von 120,59 Millionen US-Dollar, was 43 Prozent des gesamten Exportwerts Brasiliens entspricht und die beste Leistung des Sektors darstellt, obwohl der Anteil der Exporte im Vergleich zum Vorjahr um 5,1 Prozentpunkte zurückging. Der Sojabohnen-Bereich ist mit einem Anteil von 39,8 Prozent an den Gesamtexporten die wichtigste Gruppe der agroindustriellen Ausfuhren13.

Aus diesen Gründen gilt die Agrarindustrie inmitten der weltweiten Pandemie und der Wirtschaftskrise des Landes als treibende Kraft der brasilianischen Wirtschaft, die im Jahr 2020 einen Anteil von 26,6 Prozent des BIP14 erreichte und 2021 schätzungsweise fast 30 Prozent erreichen wird.

Es erscheint unlogisch, wie die Macht der Agrarindustrie in Lateinamerika und der Karibik, insbesondere in Brasilien und Argentinien, zunimmt. Aber dieses Modell der großflächigen Landwirtschaft, das hauptsächlich auf gentechnisch veränderten Organismen basiert und zu Lasten von Land, Wasser und Biodiversität geht, mit tiefgreifenden Folgen für das Amazonasgebiet, hat eine noch nie dagewesene wirtschaftliche Bedeutung für diese Länder, und die Wirtschaftskrisen, mit denen sie in Zeiten der Pandemie konfrontiert sind, machen dies deutlich.

Und schließlich, wenn dieses groß angelegte Agrarmodell eine Überbeanspruchung, einen Missbrauch, eine Verschlechterung, eine Verschmutzung und eine Verknappung von Land und Wasser zur Folge hat, was die biologische Vielfalt beeinträchtigt, warum wird sie nicht verantwortlich gemacht für die Gefährdung der zukünftigen Ernährungssicherheit der Welt? Oder für die Gefährdung des Lebens auf dem Planeten? Zählt nur die Produktivität?

Clara Sánchez Guevara aus Venezuela ist Agraringenieurin, Masterstudium in Strategie und Geopolitik