Brasilien baut Atomenergie weiter aus

Trotz der Atomkatastrophe in Japan setzt die Regierung des südamerikanischen Staates unbeirrt weiter auf den Bau von Atomkraftwerken

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Brasilianisches AKW "Angra I"
Das Atomkraftwerk Angra I in Brasilien

Trotz der sich in Japan abzeichnenden Atomkatastrophe läßt die brasilianische Regierung das Kernkraftwerk Angra 3 weiterbauen. Zusätzlich sind weitere acht Atommeiler geplant. Bergbau- und Energieminister Edison Lobão hatte schon vor geraumer Zeit von "geplanten 50 weiteren Atomkraftwerken in Brasilien" geschwärmt.

Angesichts der Katastrophe in Fukushima stellen Tageszeitungen nun zögerlich erste kritische Fragen, die aber von Politikern und Vertreter der involvierten Firmen mit den üblichen Argumenten zurückgewiesen werden. Die Erdbeben- und Tsunamigefährdung in Brasilien sei geringer als in Japan, heißt es von dieser Seite. Die seismische Aktivität der Region um die Reaktoren hätte im April 2008 bei dem Erdbeben mit einer Stärke von 5,2 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Zudem seien die Reaktoren anderer Bauart und durch einen Stahlmantel geschützt und gegen Flugzeugabstürze gesichert. Die Sicherheitsbestimmungen wären viel schärfer als das größtannehmbare Vorkommnis. Für Brasiliens Politikerkaste wird an dem Ausbau der Atomenergie nicht gerüttelt.

Mehr als 20 Jahre nach Einstellung der Bauarbeiten für Brasiliens drittes Atomkraftwerk, Angra 3, war im September 2008 der Bau an Brasiliens drittem Atomkraftwerk wieder aufgenommen worden. Trotz Protesten von Umweltgruppen ist die Fertigstellung für 2014 geplant. Seit den großen Stromausfällen des Jahres 2001, dem so genannten "apagão", wird von den jeweils Regierenden und der Stromwirtschaft unisono die Notwendigkeit des Atomstroms zur Schließung der "wachsenden Energielücke" betont. Doch dahinter stehen weitere Interessen, mutmaßen KritikerInnen des brasilianischen Atomprogramms.

Proteste gegen Angra 3

Mit Großpuppen hatten schon im Juli 2008 UmweltaktivistInnen von Greenpeace vor dem Sitz der brasilianischen Umweltbehörde Ibama an ihrem Sitz in Brasília gegen die Erteilung der vorläufigen Baugenehmigung für Angra 3 demonstriert. Dabei hatte es noch einen Tag zuvor danach ausgesehen, als ob der Streit um die Wiederaufnahme des Baus des dritten Atomreaktors, Angra 3, im Atomkomplex Almirante Álvaro Alberto in Angra dos Reis im Bundestaat Rio de Janeiro, zunächst in eine neue Runde des Schlagabtauschs zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen gehen würde.

Der damalige Umweltminister Carlos Minc - seit vielen Jahren erklärter Atomkraftgegner, aber als Mitglied der Regierung Lula gebunden an deren Entscheidungen - hatte einen Tag vor Veröffentlichung der Auflagen der ihm unterstellten Umweltbehörde Ibama zum Bau von Angra 3 angekündigt, dass die vorläufige Baulizenz "mit brutalen Anforderungen" einhergehe. In dieser lang erwarteten vorläufigen Baulizenz für Angra 3 hat die Ibama 60 Bedingungen aufgestellt, die die staatliche Eletronuclear zum Erhalt der Baulizenz vorab zu erfüllen habe, darunter die Auflage, "eine definitive Lösung für die radioaktiven Abfälle zu finden". Diese Forderung nach einer Lösung für das Problem der Endlagerung hatte der Minister für Bergbau und Energie, Edison Lobão, umgehend als "unangemessen" zurückgewiesen, da nicht einmal 'entwickelte Länder' eine Lösung für dieses Problem gefunden haben. "Der Umweltminister, Carlos Minc, sagt uns, dass er brutale Anforderungen stellt, und wir leisten eine tierische Anstrengung, um diese Forderungen zu erfüllen", sagte Lobão. Aber Brasilien brauche die Energie - und der Bau werde beginnen, bekräftigte er. Dieser müsse wegen der Regenzeit bald begonnen werden.

Atommüll: Streit um "End"-Lagerung

Auch aufgrund des Drucks seitens der Atomkraftbefürworter aus der Regierung hatte der damalige Umweltminister Carlos Minc daraufhin die Auflagen abgeschwächt: "Mit der definitiven Lösung muss vor der Betriebsgenehmigung in vier Jahren begonnen werden", räumte er ein. Bislang wurde eine solche Lösung noch nicht gefunden, ergänzte Minc. Der jüngste Vorschlag der Regierung sieht die Verbringung des Atommülls in einer Stahlkapsel bei einer Lagerungszeit von bis zu 500 Jahren vor.

Der teils schwer radioaktive Müll der bereits laufenden Atomreaktoren Angra 1 und 2 lagert derzeit unter Wasser in den so genannten 'blauen Schwimmbecken'. "Der Abfall kann nicht 100 Meter entfernt vom einem Strand lagern, der Itaorna heißt, was 'fauler Stein' bedeutet, und obendrein über einer Erdspalte", sagte Minc. Dass diese küstennahe Lagerung von etwas mehr als zweitausend Kubikmetern hochradioaktiven Materials nicht einmal als Zwischenlager taugt, davon zeugen die 22.000 Liter radioaktiven Wassers, die am 28. Mai 2001 unkontrolliert ausliefen - die staatliche Betreiberfirma Electronuclear hielt es erst Monate später für notwendig, die lokalen Behörden über den Vorfall zu informieren. Transparenz sieht anders aus.

Es ist vor allem auch die küstennahe Lage, die die Atommeiler von Angra so gefährlich machen. Veranschaulicht man sich alleine die noch konservativen Berechnungen des Weltklimarates IPCC zum Meeresspiegelanstieg von einem Anstieg um 18 bis 59 cm bis zum Jahr 2100, ist die Bedrohung für den Zwischenlagerstandort und das AKW am Strand des 'faulen Steins' leicht einzusehen. Erdbebengefährung ist in der Region gegeben, gleichwohl ist die Tsunamigefahr dort weniger gegeben; anders jedoch besteht die Gefahr von schweren Überschwemmungen durch Stürme oder aber Schlammlawinen von den Hängen bei schweren Gewittern. Die Schlammkatastrophe der Bergregion von Rio de Janeiro vom Januar dieses Jahres gab davon beredtes Zeugnis.

Der grüne Abgeordnete Fernando Gabeira hatte die Regierungsentscheidung zu Angra 3 scharf kritisiert, da weder eine Lösung für den Strahlenabbfall noch ein genereller Notfallplan für einen Atomunfall existiere. Und ergänzt: "Da baut man etwas, das bis 2040 oder 2050 laufen soll, aber der drohende Meeresspiegelanstieg wird in der Umweltfolgenstudie nicht einmal erwähnt."

Umweltminister Minc räumte daraufhin ein, dass zwar eine Endlagerung für Nuklearmüll noch nicht gefunden sei, aber: "Zwischen dem Ideal und dem Prekären gibt es eine vermittelnde Lösung, die sicherer ist als ein Schwimmbecken wenige Meter vom Strand", sagte Minc, um darauf die Erfahrungen Frankreichs und Deutschlands zu zitieren, in denen der radioaktive Müll in Minen gelagert werde - die absaufende Asse II in Niedersachsen läßt grüßen.

Der Direktor von Greenpeace in Brasilien, Sérgio Leitão, kritisiert, dass Brasilien seit Jahren zwei laufende Atomkraftwerke hat und nie eine Lösung für die Lagerung gefunden hat. "Und Brasilien wird es auch bei Angra 3 nicht lösen können", urteilt er. Für den Atomkomplex Angra rechnet die Umweltfolgenstudie (EIA-RIMA) bei einer Betriebsdauer von 40 Jahren für Angra 1 mit hochradioaktivem Müll von 6.589 kg Uran235 und 3.957 kg Plutonium, und für Angra 2 und 3 mit 10.880 kg Uran235 und 12.640 kg Plutonium.

Und auch die weiteren bereits bestehenden Zwischenlager in Brasilien stehen im Sperrfeuer der Kritik. So hatte das brasilianische Institut für Geographie und Statistik IBGE in seinem Bericht zu Indikatoren Nachhaltiger Entwicklung im Juni 2008 darauf hingewiesen, dass Brasiliens Zwischenlager "nicht adäquat" sind – das einzige vom Bericht als "angemessen" eingestufte Lager sei das in Abadia de Goiás, in dem das radioaktive Cäsium-137 aus dem weltweite Schlagzeilen erregenden Nuklearunfall von Goiânia aus dem Jahre 1987 lagert. Den anderen Zwischenlagern in den Bundesstaaten Rio de Janeiro, São Paulo und Minas Gerais, in die 13,7 Tausend Kubikmeter leicht bis mittelstark strahlende Reste aus Arztpraxen, Universitäten und Krankenhäusern verbracht wurden, attestiert der Bericht eine unangemessene Lagerung.

Angra 2 und 3 und das deutsch-brasilianische Bombengeschäft

Ungeachtet all dessen wurde im September 2008 mit dem Fundament und der Zementierung des Sockels für Angra 3 begonnen. Den Auftrag dafür hat die Baufirma Andrade Gutierrez seit dem Jahr 1984, der im Jahre 2002 bereits einmal neu verhandelt und nun von der Regierung - unter dem Zeitdruck des Baustart im September - neu verhandelt werden musste. Des weiteren verhandelt die Eletronuclear dreißig weitere Verträge mit Zulieferern und Dienstleistern, die alle bereits Anfang der 1980er Jahre geschlossen worden waren. Darunter befindet sich auch der Vertrag über die Lieferung der Atomtechnik mit der französischen Atomfirma Areva, an der Siemens 34 Prozent der Anteile hält – jedoch gab Siemens vor Jahresfrist bekannt, den Anteil an Areva per Vertragsklausel abzustoßen. Areva hatte die Atomgeschäftssparte der KWU von Siemens übernommen, die den Reaktor Angra 2 gebaut hatte.

Brasiliens Atomkraft basiert zu einem Großteil auf dem 1975 zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Vertrag über die Lieferung von Atomkraftwerken des Konzerns Siemens/KWU an Brasilien. Während die brasilianische Seite den Reaktor Angra 1 von der us-amerikanischen Westinghouse bereits im Jahre 1971 gekauft und im Jahre 1982 in Betrieb genommen hatte, wurde Angra 2 aus der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1976 gekauft, mit Hilfe einer deutschen Hermes-Bürgschaft finanziert und im Jahr 2000 in Betrieb genommen. Das "deutsch-brasilianische Bombengeschäft" umfaßte des Weiteren die Lieferung der Technik für Angra 3, deren Bestandteile laut Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag aus dem Jahr 2000 zu "75 Prozent der Komponenten für Angra 3 nach Brasilien geliefert und dort aus Qualitätssicherungsgründen mit hohem Aufwand eingelagert" wurden. Die Schulden- und Zinszahlungen für dieses Geschäft haben den brasilianischen Staatshaushalt über Jahre extrem belastet. Gebaut wurden die Reaktoren Angra 1 und 2 ohne vorherige Standortprüfung am Strand von Itaorna bei Angra dos Reis auf zu sandigem Boden. Zudem wurden die von Kritikern stets geäußerten Befürchtungen, das brasilianische Militär hätte in den 1980er Jahren versucht, mittels Urananreicherung in den Besitz von Atombomben zu gelangen, dann nach dem Übergang zur Demokratie, Anfang der 1990er Jahre, von der brasilianischen Regierung durch die offizielle Einstellung sämtlicher diesbezüglicher Aktivitäten bestätigt.

Ende Januar 2010 erhielt Angra 3 die erste Hermes-Bürg­schaft für einen Atomexport nach vielen Jahren. Im Koalitionsvertrag hat­ten CDU und FDP die Umweltleitlinien für Hermes-Bürgschaften implizit abgeschafft, die seit 2001 Bürg­schaften für Atomexporte ausschlossen. Hermesbürgschaften sichern Unter­nehmen staatlicherseits gegen Einnahmeausfälle in Exportgeschäften ab. Und die Versicherungswirtschaft bleibt nicht bei Hermes-Bürgschaft stehen. Die Allianz spielt in Fragen der Direktversicherung des Atommeilers Angra 3 eine Rolle. Seit 1984 überprüft die Allianz regelmäßig die gelagerten Bestandteile für den Reaktor und erhält dafür von Brasilien 20 Millionen Dollar pro Jahr. Des weiteren - so berichtet die Gazeta Mercantil in ihrer Ausgabe vom 4. August 2008 - hat die Allianz den Vertrag über die Bausicherung in den Händen. Laut Auskunft des Assistenten des Präsidenten der Eletronuclear, Leonam dos Santos Guimarães, hat Angra 3 seit 1982 anderthalb Milliarden Reais gekostet. Davon beliefen sich 39 Prozent auf Produktausgaben und 61 Prozent auf Kreditlinien und Versicherungskosten, wie u.a. die der Allianz. VertreterInnen der Allianz standen der Reporterin der Gazata Mercantil diesbezüglich nicht zu einem Interview zur Verfügung.

Aktuell finanziert wird Angra 3 zu einem Großteil durch Kredite der staatlichen Entwicklungsbank BNDES sowie Konsortien aus französischen Banken. Die anstehenden Kosten von Angra 3 sind enorm: Die brasilianische Regierung schätzt die Baukosten für Angra 3 auf 7,3 Milliarden Reais, von denen 70 Prozent in Real, 30 Prozent in Fremdwährungen anfallen werden. Darin noch nicht enthalten sind die Kosten für die zukünftige Versicherung des Atomkraftwerks und seiner Risiken - ebenso wenig, wie keine Auflistung über die anstehenden Kosten für die "Endlagerung" für den hochradioaktiven Müll der Anlage in den nächsten paar Tausend Jahren vorliegt.

Greenpeace Brasilien hatte bereits im März 2008 einen Bericht vorgelegt, in dem Angra 3 als Milliardengrab gebrandmarkt wird. Darin wird vorgerechnet, dass zu den von der Regierung veranschlagten 7,3 Milliarden Reais weitere 2,3 Milliarden an Zinszahlungen hinzukämen. Rechne man die Einnahmen durch den zu erzielenden Strompreis dagegen, so stünden Brasiliens SteuerzahlerInnen vor einem Defizit von vier Milliarden Reais. Die Koordinatorin der Anti-Nuklear-Kampagne von Greenpeace in Brasilien, Beatriz Carvalho, spricht von einer regelrechten Plünderung öffentlicher Kassen für Angra 3. "Indem in diese Technologie investiert wird, macht die brasilianische Regierung aus öffentlichen Geldern radioaktiven Abfall", kritisiert Carvalho.

Angesichts all dieser Probleme und bekannten Risiken hat Greenpeace zwei Klagen vor Gericht gegen Angra 3 eingereicht. "Die Verfassung von 1988 verlangt, dass jedweder Bau von Nukleareinheiten in Brasilien ausschließlich nach Autorisierung durch den brasilianischen Kongress erfolgen kann. Und die Bundesregierung hat den Kongress schlicht überfahren, indem sie eine Genehmigung gegeben hat, die amoralisch, irregulär, illegal und nicht verfassungsgemäß ist. Das Land hat andere, viel bedeutendere Prioritäten als Geld in eine überholte Fabrik, in eine alte und unsichere Technik zu stecken", urteilt der Direktor von Greenpeace Brasilien, Sérgio Leitão, im Interview mit der Nachrichtenagentur Radioagência NP.

Leitão vermutet hinter den Ausbauplänen des brasilianischen Atomprogramms handfeste wirtschaftliche Interessen. "Damit wird Geld verdient. Wer davon profitiert, sind die großen Baufirmen, die Zulieferfirmen für das Kraftwerk." Und ergänzt: "Sektoren der brasilianischen Regierung, der Streitkräfte und unserer Diplomaten haben nie den Traum aufgegeben, dass Brasilien sein Programm zur Produktion von Nuklearwaffen reaktivieren würde". Zumindest die Option auf ein solches, stellt Leitão klar: "Was zur Debatte steht ist zweifelsohne, ob Brasilien wieder die Option haben wird, die Atombombe zu bauen."

Uran in Brasilien: Prospektion, Abbau, Anreicherung

Doch in Brasilien gibt es noch einen weiteren Aspekt. Angesichts steigender Weltmarktpreise weitet Brasilien seine Uranproduktion massiv aus. Die möglicherweise immensen Uranvorkommen sowie die von der Marine entwickelte Zentrifugentechnik stehen dabei im Zentrum des Interesses. Dabei betont Brasilien stets, Uran nur bis zur Grenze von vier Prozent anzureichern. Doch vielleicht darf es sogar ein bisschen mehr sein?

Im Juli 2008 hatte die brasilianische Regierung den Startschuss für den Uranabbau in der gemischten Uran- und Phosphatmine bei Santa Quitéria im Bundesstaat Ceará gegeben. Angesichts gleichzeitig explodierender Weltmarktpreise für Uran und Düngemittel lohnt sich die Ausbeutung dort doppelt: Das Privatunternehmen Galvani Mineração soll die geschätzten nahezu neun Millionen Tonnen Phosphat bei einem anfänglichen Produktionsvolumen von jährlich 120.000 Tonnen abbauen, um den boomenden Agrarsektor Brasiliens - so der explizite Wunsch der damaligen Regierung Lula - mit einheimischen Rohstoffen für die Düngemittelproduktion zu bedienen. Zur Zeit importiert Brasilien 75 Prozent seines jährlichen Düngemittelbedarfs.

Gleichzeitig wird die staatliche Atomfirma Indústrias Nucleares do Brasil (INB) in der Uranmine Itataia bei Santa Quitéria jährlich zunächst 800 Tonnen Uranoxid abbauen. Angestrebt wird die doppelte Produktion. Das gesamte Uranvorkommen der Mine soll sich - so der Präsident Atomfirma INB, Alfredo Tranjan Filho - auf 142 Tausend Tonnen Uranoxid (U3O8) belaufen. Tranjan Filho geht davon aus, dass der Uranabbau reibungslos und ohne Schäden für Mensch und Umwelt verlaufen werde. An dem Ort selbst werde nur der Abbau des Urans erfolgen, erläuterte er. Dass Uranabbau hingegen keine 'saubere Sache' ist, wie gerne behauptet wird, davon zeugten schon die Erfahrungen mit der so genannten Schneeberger Krankheit, benannt nach der Stadt Schneeberg im sächsischen Erzgebirge. Diese Krankheit ist eine Form des Lungenkrebs, hervorgerufen durch das Einatmen radioaktiver Stoffe aus den Uran-Zerfallsreihen. Kein großes Gesprächthema scheinen auch die weiteren Gefahren für Mensch und Umwelt wie Grundwasser- und Bodenverseuchung durch den Uranbergbau zu sein.

Eine von Greenpeace Brasilien in der Nähe der brasilianischen Uranmine Lagoa Real bei Caetité im Bundesstaat Bahia durchgeführte Studie ergab bis zu siebenfach über den zulässigen Grenzwerten uranbelastetes Trinkwasser. Innerhalb von acht Monaten des Jahres 2008 hatten Spezialisten im Auftrag von Greenpeace die Daten zur Grund- und Trinkwasserqualität in der Region untersucht. In einer der Trinkwasserquellen wurden 0,110 Milligramm Uran je Liter gefunden. Der von der Weltgesundheitsorganisation WHO festgelegte Grenzwert liegt bei 0,015 Milligramm je Liter. In einer zweiten Probe aus einem Trinkwasserrohr war die Uranbelastung doppelt so hoch wie von der WHO zugelassen.

In der Mine Lagoa Real bei Caetité werden jährlich 400 Tonnen Uran abgebaut. Der Präsident der staatlichen Atomfirma INB, Alfredo Tranjan Filho hatte noch im Juli 2008 behauptet, dass der Uranabbau in Brasilien reibungslos und ohne Schäden für Mensch und Umwelt verlaufe. In Reaktion auf die Greenpeace-Studie sagte er im Oktober 2008: "Klar, das ist ganz einfach: das ist eine Urangegend, also ist da seit 700 Millionen Jahren Uran. Wenn Sie da graben, dann wird das Wasser halt Uranspuren aufweisen". Im direkten Wassereinzugsgebiet der Mine bei Caetité leben nach Angaben von Greenpeace 3.000 Menschen.

Dennoch rüstet sich Brasilien für den massiven Ausbau seiner Uranproduktion. Das Land verfügt derzeit über die sechstgrößten Uranvorkommen der Welt, wobei erst ein Drittel der Landesfläche untersucht wurde - und diese Untersuchungen basieren auf Erhebungen aus der 1970er Jahren. Schätzungen des Präsidenten der Brasilianischen Nuklearvereinigung (ABEN), Francisco Rondinelli, zufolge könnte Brasilien über die zweitgrößten Uranreserven der Welt verfügen. "Wir haben bereits 310.000 Tonnen entdeckt, die für 25 weitere produktgleiche Atomkraftwerke wie Angra 2, bei einer Betriebsdauer von 60 Jahren, reichen würden", hob er im Juni 2008 hervor.

Weitere Vorkommen von jeweils 130 bis 150 Tausend Tonnen Uranoxid werden auch an den Lagerstätten Rio Cristalino im Bundesstaat Pará und Pitinga im Bundestaat Amazonien vermutet. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll sich die größte Uranmine der Welt im Bundesstaat Roraima, ausgerechnet in dem indigenem Gebiet der Raposa Serra do Sol, befinden. So könnte der seit geraumer Zeit schwelende Konflikt zwischen Reis-Fazendeiros und Indigenen um die Raposa Serra do Sol, in den sich auch Militärs, unter dem Argument der bedrohten "nationalen Sicherheit" angesichts der Grenzlage zu Venezuela und Guyana einmischen, vielleicht eine weitere sehr brisante Dimension gewinnen - sollten sich die Gerüchte bestätigen. Der Oberste Gerichtshof (Supremo Tribunal Federal - STF) hatte erst Ende August 2008 in seiner Entscheidung über die Demarkation der Raposa Serra do Sol als indigenes Gebiet den Indigenen Rechtssicherheit gegeben.

In Zukunft brasilianisch-argentinische Connection?

Angesichts des Aussichten, zweitgrößter Produzent von Uran zu werden, kommt die brasilianische Regierung ins Träumen: Denn obwohl Brasilien die gesamte Produktionskette von Uranabbau und Anreicherung technologisch beherrscht, erfolgt diese noch nicht auf industrieller Großprodution.

Bislang verarbeitet Brasilien pro Jahr die 400 Tonnen Uran aus der Mine Lagoa Real / Caetité im Bundesstaat Bahia zu so genanntem "Gelbkuchen" ("yellowcake") und verschifft diesen nach Kanada zur Weiterverarbeitung zu Uranhexafluorid (UF6) durch die kanadische Firma Cameco. Das UF6 wird von dort zur Anreicherung und Verarbeitung zu gasförmigen Urandioxid (UO2) nach Europa zur britisch-niederländisch-deutschen Urenco geschickt, bevor es dann in Brasilien, in den beiden Reaktoren im Atomkomplex Almirante Álvaro Alberto in Angra dos Reis im Bundestaat Rio de Janeiro, in Form von Brennstäben zur Stromgewinnung eingesetzt wird.

Um in Zukunft die gesamte Produktionskette in industriellem Maßstab selbst durchführen zu können, investiert Brasilien massiv in die gesamte Kette: Uranprospektion, -abbau und -anreicherung. Der Präsident der Atomfirma INB, Alfredo Tranjan Filho, geht davon aus, dass im Jahr 2010 der Uranbedarf von Angra 1 und 2 zu 60 Prozent bedient, 2012 zu 100 Prozent und im Jahre 2014 auch der dann fertiggestellte Meiler Angra 3 komplett mit aus in Brasilien verarbeitetem Uran versorgt wird. Und der Bundesminister für Bergbau und Energie, Edison Lobão, jubelte Ende 2008: "Wir haben alles, um mit der Produktion von Nuklearenergie Erfolg zu haben!" Lobão schwebt dabei langfristig auch der Export von überschüssigem Uran ins Ausland vor - angesichts steigender Weltmarktpreise ein Bombengeschäft.

Darüberhinaus planen Brasilien und Argentinien die Gründung einer binationalen Atomfirma. Des weiteren kündigten sie an, dass bis zum Jahr 2030 neben Brasilien und Argentinien auch in Chile, Uruguay, Peru, Venezuela und möglicherweise auch in Bolivien und Ecuador zwölf bis fünfzehn Atomkraftwerke gebaut werden könnten.

In einem Protestbrief vom 6. September 2008 geißelten Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen aus mehreren südamerikanischen Ländern diesen "Versuch der Nuklearisierung Südamerikas" als "megalomanisch" und warfen der Regierung Lula vor, dem "Delirium der so genannten 'Nukleoboys' (eine merkwürdige Verbindung von Funktionären der Staatsfirmen des Nuklearsektors mit einigen sehr reaktionären Militärs sowie einer unzeitgemäßen linken Minderheit, die die Atombombe als etwas für das Land Essentielles ansieht) nachzugeben".

Die brasilianisch-argentinische Connection rechnet sich angesichts steigender Weltmarktpreise für Uran erhebliche Chancen aus - allerdings legte Brasilien explizit Wert darauf, dass die von der brasilianischen Marine entwickelte Anreicherungstechnologie und die Zentrifugen nicht Bestandteil der binationalen Atomkooperation sein sollen.

Zentrifugen und Urananreicherung in Brasilien

In Brasilien steht vor allem der Ausbau der Urananreicherung in industriellem Maßstab seit Jahren ganz oben auf der Agenda: Dazu wurde die unter der Aufsicht der INB stehende und auf industrielle Produktion ausgelegte Urananreicherungsanlage von Resende im Bundesstaat Rio de Janeiro weiter ausgebaut. Vor allem die Zentrifugen zur Urananreicherung in Resende stehen dabei im Mittelpunkt.

Im Jahr 2004 waren die Zentrifugen Gegenstand diplomatischer Unstimmigkeiten zwischen Brasilien, den USA und der internationalen Atomenergiebehörde IAEA. Brasilien hatte den IAEA-Kontrolleuren den Zugang zur Anlage mit dem Verweis auf technologische Betriebsgeheimnisse und die Gefahr der Wirtschaftsspionage verweigert. Die in den Zentrifugen angewandte Technik soll - so KritikerInnen - mutmaßlich eine Weiterentwicklung der britisch-niederländisch-deutschen Urenco-Technik sein, Brasilien hingegen betonte stets, einzig eigene Technik zu verwenden und fürchtet das Ausspionieren brasilianischer Forschungserfolge. Der ausgehandelte Kompromiß sah vor, dass Brasilien die Zentrifugen mit kleineren Tüchern als vorgesehen verhängen durfte. Offiziell wurde nie bestätigt, dass dieser Kompromiß nur zu Stande gekommen sei, weil Brasilien sich 2004 im Gegenzug zur Übernahme der Leitung der UNO-Mission in Haiti, der MINUSTAH, bereit erklärt hatte.

Doch der eigentliche Schachzug im Ausbau des brasilianischen Atomprogramms wurde Ende Juli 2008 bekannt. Zwischen März und Mai dieses Jahres hatten die Techniker des Marineforschungszentrum Aramar in Iperó im Bundesstaat São Paulo zwei der neuesten Zentrifugen zur Urananreicherung an die Atombehörde INB in Resende übergeben. Laut der Zeitung Estado de São Paulo erfolgte "die Übergabe unter Geheimhaltung, in einem Konvoi ohne Kennzeichnung, geschützt durch bewaffnete Schützen". Diese Zentrifugen der neuen Generation "1/M2" arbeiten um fünfzehn Prozent effizienter als die der Vorgängergeneration, die ihrerseits eine Leistungssteigerung um 50 Prozent gegenüber der ersten vor zwanzig Jahren entwickelten Zentrifugen darstellten. Die dritte Zentrifuge dieser Generation sollte 2009 übergeben und eine weitere neue Generation von Zentrifugen - mit noch einmal vierzig prozentiger Effektivitätssteigerung - soll im Jahre 2011 fertig sein.

So könnte die Anlage in Resende - zusammen mit der geplanten Anlage "Usina de Hexafluoreto de Urânio" (Usexa) im Marineforschungszentrum Aramar - die industrielle Urananreicherung für die drei Meiler von Angra gewährleisten. Das Uran soll dabei in industriellem Maßstab auf vier Prozent angereichert werden, um dann in den Atommeilern Angras und bei der Marine Verwendung zu finden. Im Streit mit der IAEA hatte Brasilien stets betont, nur diese vierprozentige Anreicherung anzustreben. Zu einer militärischen Nutzung in Form von Nuklearwaffen bedürfte es eines Anreicherungsgrades von mindestens neunzig Prozent. Brasilien hat den Atomwaffensperrvertrag 1997 unterzeichnet und wiederholt beteuert, das Atomprogramm zu rein zivilen Zwecken zu nutzen - weswegen auch nur eine Anreicherung von vier Prozent angestrebt werde. Aber Brasilien hat nie das Zusatzprotokoll unterzeichnet. Und entgegen der Beteuerung scheint es bei der vierprozentigen Anreicherung nicht zu bleiben. Technisch ist der Grad der Anreicherung eine Frage der Anzahl der hintereinander geschalteten Anreicherungsstufen, den "Kaskaden". Und die brasilianische Marine hat - indirekt gleichwohl - Bedarf an Uranbrennstäben mit einem höheren Anreicherungsgrad angemeldet: je höher der Anreicherungsgrad, desto mehr Energie läßt sich daraus gewinnen. Und Brasilien konkretisiert zur Zeit den alten Traum der brasilianischen Marine: ein Atom-U-Boot.

Aufrüstung zum Schutz von "grünem" und "blauem" Amazonien

Brasiliens Regierung denkt angesichts der jüngst vor der brasilianischen Küste gefundenen, offenbar riesigen Erdöllagerstätten darüber nach, in Zukunft Mitglied der OPEC zu werden. Eine entsprechende Einladung der Opec an Brasilien, Mitglied der Organisation zu werden, hat Brasilien Anfang September 2008 noch zurückgewiesen, aber wollte einen Beitritt in Zukunft nicht ausschließen. Vorläufige Schätzungen für die neuen Erdölfunde vor Brasiliens Küste reichen von 50 bis zu 100 Milliarden Barrel Öl und riesige Mengen an Erdgas für die Felder Júpiter, Tupi und Tupi Sul, Bem-te-vi und Parati, Iara und Iracema, Carioca und Caramba. Doch angesichts dieses scheinbar immensen Vorkommens kommen nun Befürchtungen auf, dass diese Erdölfunde Begehrlichkeiten bei anderen wecken könnten. Dagegen helfe nur - so Regierung und Militärs einhellig - militärische Aufrüstung.

Öl vor der Küste Brasiliens

Die bis zu 350 Kilometer vor der Küste liegenden Öl- und Gasexplorationsfelder der Bacias von Santos, Campos und Espírito Santo befinden sich in einer Wassertiefe von über dreitausend Metern sowie unter weiteren zwei bis drei Kilometer einer dicken Salz- und Gesteinsschicht, dem so genannten 'pré-sal'. Vorläufige Schätzungen reichen von 50 bis zu 100 Milliarden Barrel Öl und riesige Mengen an Erdgas für die Felder Júpiter, Tupi und Tupi Sul, Bem-te-vi und Parati, Iara und Iracema, Carioca und Caramba.

Da der gesamte Umfang dieser Felder noch nicht geklärt ist, hatte Brasilien bei der UNO die Ausweitung der Ausschließlichen Hoheitsgewässer über die 200 Seemeilengrenze hinaus beantragt. Diesem Antrag wurde im Juli 2008 von der Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels des UN-Sekretariats zu 80 Prozent stattgegeben. Damit erhöhte sich die Ausschließliche Wirtschaftszone Brasilien von 3,5 auf 4,2 Millionen Quadratkilometer.

"Wir brauchen Atom-U-Boote zum Schutz der brasilianischen Küste", stellte der damalige Vizepräsident, José Alencar, im Juli 2008 klar. "Wir benötigen Nuklear-U-Boote, die uns in die Lage versetzen, abschreckend zu wirken, und jedwedes Abenteuer, das sich gegen irgend etwas richtet, das unserem Land gehört, im Ansatz zu entkräften", erläuterte er. Der Verteidungsminister, Nelson Jobim, hatte laut der Agentur der Abgeordnetenkammer Agencia Câmara schon im Juni 2008 darauf hingewiesen, dass das geplante Atom-U-Boot keine offensiven Ziele verfolge und eben deshalb auch nicht mit Nuklearbewaffnung ausgerüstet werde. Offen blieb daraufhin, an welche Art von Nuklearbewaffnung der Minister dabei wohl so dachte - war doch das offiziell nie bestätigte brasilianische geheime Atomwaffenprogramm nach dem Übergang zur Demokratie eingestellt worden.

Aufrüstung zum "Schutz brasilianischer Interessen"

Auch Militärs sehen die Interessen Brasiliens gefährdet. Zum Schutz der Erdölstätten vor Brasiliens Küste plant die Marine – so Admiral Julio de Moura Neto, Kommandant der brasilianische Marine - den Bau des eine Milliarde Reais teuren Atom-U-Boots sowie die Verdoppelung der Anzahl der Patrouillenboote von derzeit 27 auf 54 Stück. Die Streitkräfte erhalten – so der Wunsch des Verteidigungsminister, Nelson Jobim – zusätzlich noch 50 Helikopter vom Typ 'Super Cougar' der Firma Eurocopter, Tochter der französisch-deutschen EADS, die diese in Kooperation mir der brasilianischen Helibras bauen soll. "Dieses Fluggerät wird unseren Streitkräften und strategischen Sektoren unserer Wirtschaft dienen, wie z.B. der Ölexploration auf den Plattformen", erläuterte der damalige Präsident Lula im Jahre 2008.

Dazu erhält die brasilianische Luftwaffe auch 99 Jagdflugzeuge vom Typ Super Tucano, zu bauen durch Embraer, sowie einen Überschallflieger, der von Embraer in Kooperation mit einer noch nicht definierten ausländischen Firma entwickelt werden soll - wobei man in Brasilien vor allem darauf stolz ist, zunehmend auf einheimische Technologie zurückgreifen zu können. Und das brasilianische Heer steht laut einem Bericht der Zeitschrift Exame vom 21. August 2008 des Weiteren kurz vor dem Erwerb von 270 Panzern der deutschen Marke Krauss-Maffei Wegmann (KMW), diese zum Schutz der Grenzen und vor allem auch zum Schutz von: Amazonien.

Die Wahrnehmung, Amazonien drohe die "Internationalisierung", ist in Brasilien seit langem durchaus verbreitet. Und auf diese beständige politische Einsicht aufbauend, wurde nun das gängige Wort von der notwendigen Verteidigung des "grünen" Amazoniens auf ein anderes Gebiet übertragen: angesichts der jüngst gefundenen riesigen Erdöl- und Gasfelder vor der brasilianischen Küste wurde der Begriff des "blauen Amazoniens" von Politik und Militärs verstärkt bemüht. Und zum Schutz des "blauen" Amazoniens brauche Brasilien dringend das Atom-U-Boot.

Bei sechs Tausend Tonnen Gewicht und 96,6 Metern Länge wird dessen Bau bis zu elf Jahre beanspruchen. Angetrieben werden soll es durch den im Nukleoelektrischen Antriebsforschungslabor (LabGene) im Marineforschungszentrum Aramar entwickelten 'Mini-Reaktor' bei einer Leistung von 48 MW. Dieser in Aramar entwickelte Reaktortyp steht technisch Pate für die weiteren geplanten Atomkraftwerke in Brasilien, die zu den drei Reaktoren von Angra hinzukommen sollen.

Als Antriebsstoff für das Atom-U-Boot soll das dann in den Fabriken von Resende und Aramar in industriellem Maßstab in Massenproduktion angereicherte Uran dienen. Und hierbei stellt sich die Frage nach dem Anreicherungsgrades des Uran: Denn im Fall des nun akut geplanten ersten brasilianischen Atom-U-Bootes bedeutete ein höherer Anreicherungsgrad auch weniger Notwendigkeiten, wieder 'nachzutanken' und somit größere Reichweite und längere Tauchgänge. So könnte es sein, dass angesichts großer Tiefen und weiterer Entfernungen von der brasilianischen Küste, doch der Wunsch von Seiten der Militärs aufkommen könnte, entgegen der Beteuerung es nicht bei der vierprozentigen Anreicherung zu belassen.

Erdöl vor Brasiliens Küste - weckt das das Interesse anderer?

Vor allem aber dieses könnte explizites Interesse der brasilianische Marine sein. Denn mit der bisherigen brasilianischen Flotte von fünf dieselelektrisch betriebenen U-Booten, vier davon der Klasse Tupi - zunächst gemeinsam mit den Kieler Howaldtswerken-Deutsche Werft GmbH, kurz HDW, und dann in alleiniger Regie weiter entwickelt - und eines der Klasse Tikuna, sind die von der brasilianischen Marine anvisierten Tauchgänge nicht zu gewährleisten. Denn - vielleicht - geht ja nicht "nur" um die Ölfelder vor Brasiliens Küste: Vielleicht könnte ja der Wunsch oder die Notwendigkeit aufkommen, die Erdölplattform der Petrobras vor der nigerianischen Küste schützen zu wollen. Petrobras hat dort auf dem Feld Agbami seit 1998 2,2 Milliarden Dollar in Kooperation mit Total und Chevron-Texaco investiert.

Bislang ist die brasilianische U-Boot-Flotte auf der Marinebasis Almirante Castro e Silva auf der Ilha do Mocanguê in Niteroi bei Rio de Janeiro stationiert. Doch aus strategischen Gründen soll die neue U-Boot-Klasse der Atomboote auf der Ilha da Marambaia, vor der Bucht von Sepetiba westlich von Rio de Janeiro, stationiert werden. Die Bucht von Sepetiba liegt nicht nur strategisch nah zu den neuen Ölfeldern, sondern beherbergt auch einen Großteil der Industrie im Bundesstaat Rio de Janeiro, darunter auch die größte deutsche Direktinvestition der letzten Jahre in Brasilien: das umstrittene riesige Stahlwerk Companhia Siderúrgica do Atlântico von Thyssen-Krupp und Vale do Rio Doce (CVRD), das seit Beginn der Bauphase die Existenz von über 8.000 Fischer und ihrer Familien faktisch zunichte machte: Der Fischbestand ging extrem zurück, zudem sind die wenigen übrigen Fische mit Schwermetallen aus dem Abraumschlamm belastet. Die Hafenanlagen entstehen außerdem exakt in dem Teil der Bucht, wo die Fischer früher die besten Fänge hatten.

Der geplante neue strategische Hafen für das brasilianische Atom-U-Boot soll sich in Zukunft auf der die Bucht von Sepetiba begrenzenden Ilha da Marambaia befinden. Dazu bedürfte es nach Ansicht der Marine eines beträchtlichen Ausbaus der dortigen Basis. Allerdings leben auf der Insel seit über 150 Jahren die Nachfahren von Quilombolas, denen die Bundesregierung im Juli 2008 nach langen Auseinandersetzungen den Status als demarkiertes Territorium zugesprochen hatte. "Für uns ist Marambaia von fundamental strategischer Bedeutung", bekräftigte jedoch Marineadmiral Álvaro Augusto Dias Monteiro.

Es scheint Verzögerungen im Zeitplan für den Stapellauf des ersten brasilianischen Atom-U-Bootes zu geben, doch bemüht sich die Marine Befürchtungen entgegenzutreten, der Zeitplan sei nicht einzuhalten. "Unsere Priorität Nr.1 sind die U-Boote", erklärt Admiral Julio de Moura Neto. Denn in ganz Lateinamerika und auch in Brasilien machte sich spätestens seit 2008 Unruhe breit, als die USA bekanntgaben, dass sie die Reaktivierung der IV. Flotte planen. Selbst der jeglichen Alarmismus' eigentlich unverdächtige Senator Cristovam Buarque, ehemaliger Rektor der Universität Brasílias, bewertete die IV. Flotte als Bedrohung der Souveränität Brasiliens und sah die Gefahr, dass das Interesse der Nordamerikaner sich auf die im Atlantik vor Brasiliens Küste gefundenen Ölreserven richten könnte. Im offiziellen Journal des brasilianischen Senats wurde er in Bezug auf die vielleicht bis in internationale Gewässer reichenden Ölfelder vor der Küste Brasiliens mit den Worten zitiert: "Wer als erster in diese Schicht hineinbohrt, der hat das Recht, sich das Öl zu nehmen."