"Die Yakarta Methode": Mörderische Blaupause für Lateinamerika

Über den brutalen außenpolitischen Antikommunismus der USA ‒ und die westdeutsche Mitverantwortung

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Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi gegen Suharto und seine Generäle. KKN heißt: Korruption, geheime Absprachen, Vetternwirtschaft (Korupsi Kolusi Nepotisme)
Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi gegen Suharto und seine Generäle. KKN heißt: Korruption, geheime Absprachen, Vetternwirtschaft (Korupsi Kolusi Nepotisme)

Martin Steffens hat für das Lateinamerika-Magazin ila das Buch von Vinvent Bevins, "Die Jakarta Methode. Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt" besprochen. Glenn Jäger vom Papyrossa-Verlag, der das Buch übersetzt hat, beleuchtet im Nachwort die Mitverantwortung bundesdeutscher Regierungen und Unternehmen an den Diktaturverbrechen in Indonesien

Im Mittelpunkt des Buches "Die Jakarta-Methode" von Vincent Bevins stehen Menschen, die zu den größten Verlierer:innen des 20. Jahrhunderts zählen. Menschen, die im Namen des Antikommunismus, im Namen der westlichen Werte verjagt, gefoltert und umgebracht wurden.

Dem banalen Satz, dass die Geschichte von Siegern geschrieben wird, setzt Vincent Bevins die Geschichten der anderen entgegen. Eine Erzählung, die die brutalen Diktaturen beschreibt, die von den USA und dem Westen im Namen von Freiheit und Demokratie unterstützt wurden. Indonesien ist ein blutiges Exempel, das statuiert wurde, und zum Vorbild für eine ganze Reihe weiterer Massaker und Eingriffe in andere Staaten wurde. Trotzdem sind die Abläufe heute relativ unbekannt.

Dabei hatte die Geschichte des viertgrößten Landes der Welt mit Aufbruchsstimmung begonnen. Nachdem die Revolutionäre der indonesischen Nation die Holländer, die Japaner und dann wieder die Holländer losgeworden waren, gründete Präsident Sukarno das Land auf der Basis von Prinzipien, die sich aus den verschiedenen Ideologien des Landes herleiteten: Religion, Sozialismus, Nationalismus. Indonesien wollte einen eigenen Weg gehen und dabei als starke Stimme für den Süden sprechen.

Zunächst hatte Sukarno dabei die USA auf seiner Seite: "Das außenpolitische Establishment unter US-Präsident Truman betrachtete Sukarnos aufstrebendes Indonesien als Musterbeispiel für eine antikoloniale Bewegung, die hinreichend antikommunistisch war. Und so wurde der Name seiner Hauptstadt, Jakarta, zum Symbol für den Grundsatz der Toleranz gegenüber neutralen Ländern der Dritten Welt."

Doch das sollte sich bald ändern. 1955 drängte Sukarno auf die internationale Bühne. Mit der Asien-Afrika-Konferenz in Bandung versuchte er, die Länder des Südens zu vereinen, und leitete so die Gründung der Blockfreien Staaten ein (Brasilien saß zumindest als Beobachter mit am Tisch). Wurde das Selbstbewusstsein Sukarnos zunächst von den USA nur kritisch beäugt, kippte diese Haltung nach Bandung, und ein immer stärkerer Antikommunismus drängte sich in die Außenpolitik der USA.

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Unterstützer der PKI bei bei einer Wahlkampfveranstaltung in Indonesien 1955. Die Partei hatte über drei Millionen Mitglieder
Unterstützer der PKI bei bei einer Wahlkampfveranstaltung in Indonesien 1955. Die Partei hatte über drei Millionen Mitglieder

In Indonesien selbst entwickelte sich in der Zwischenzeit die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) zur Massenpartei und Präsident Sukarno änderte seine ablehnende Haltung gegenüber den Kommunist:innen. Außenpolitisch suchte er nun mehr Rückhalt bei der Sowjetunion. Ein undurchsichtiger Putsch, angeblich orchestriert von der PKI, wurde von General Suharto genutzt, um Sukarno zu entmachten – unterstützt von den USA. Es folgte ein Exzess der Gewalt, der die PKI und ihre Unterstützer:innen für immer vernichten sollte.

"Die Jakarta-Methode" erzählt die Geschichte dieser Gewalt, die zwar in Jakarta besonders heftig eingesetzt wurde, aber bei weitem nicht nur Indonesien betraf, sondern auch lateinamerikanische Staaten.

Der Autor Vincent Bevins landete eher zufällig als Auslandskorrespondent in Indonesien und erschrak, als er sich näher mit dem Massenmord an Mitgliedern und Sympathisant:innen der PKI beschäftigte. Einerseits im Alltag Indonesiens totgeschwiegen, sei der Konflikt dennoch omnipräsent. Bevins Ziel war es, ein Buch zu schreiben, das die Lücke zwischen historischen Aufarbeitungen und Populärliteratur schließt.

Seine Biografie liest sich wie die typische Laufbahn eines Elitestudenten, die sonst an der Wallstreet oder auf einem hochrangigen politischen Posten endet. Waterpolo-Spieler und dadurch Stipendiat an der Eliteuni Berkeley1, später London School of Economics, Auslandsaufenthalte in Berlin und São Paulo, dann Mitarbeit bei der Financial Times in London und später bei der Los Angeles Times. Und doch legt Bevins ein Buch vor, das schonungslos die Verbrechen während des Kalten Krieges aufarbeitet und den Finger in die Wunde legt, die zwar nicht mehr offen ist, aber auch nie richtig heilen konnte.

Die "Jakarta-Methode"– so nennt Vincent Bevins das Schema, dem die Regierungen der USA und ihrer Verbündeten folgten: Ein linksgerichteter Präsident wird von rechten Generälen gestürzt, nachdem es zuvor einen kommunistischen Putsch gegeben haben soll. Es werden autoritäre Regime gebildet und Schauergeschichten über die Kommunist:innen verbreitet, die Jahr für Jahr wiederholt werden, um jegliche Opposition zu unterdrücken.

Fast zeitgleich wurde diese Methode in Brasilien und Indonesien angewendet, 1964 und 1965. In Indonesien führte dieses Vorgehen zu Millionen von Toten. In Brasilien wurden, trotz Terrors, weniger Menschen ermordet.

Indonesien, zuvor eine globale Stimme des Antiimperialismus mit der größten kommunistischen Partei außerhalb Chinas und Russlands, wurde zu einem halbwegs stillen Steigbügelhalter der USA. Und auch in Brasilien konsolidierte sich die Militärdiktatur, und die Entwicklung schlug einen ähnlichen Weg ein: "Beide Regime standen unter dem Einfluss der Modernisierungstheorie. Und beide Länder erfuhren ein Wirtschaftswachstum. Das kam zwar fast ausschließlich einer kleinen Elite zugute, aber die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts war das, was für ausländische Investoren zählte, und deren Gegenwart ließ sich wiederum als Erfolgsgeschichte verkaufen. Und hier wie dort hatten die Länder stabile Regierungen, zusammengesetzt aus lokalen Machthabern, die ihre Legitimität aus einer brasilianischen oder indonesischen Vergangenheit schöpfen konnten. So erschienen sie der eigenen Bevölkerung und der Welt nicht zu offensichtlich als Handlanger Washingtons."

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Bei seinem ersten Staatsbesuch in den USA 1970 wurde Suharto von Präsident Richard Nixon empfangen
Bei seinem ersten Staatsbesuch in den USA 1970 wurde Suharto von Präsident Richard Nixon empfangen

Während der Vietnamkrieg den meisten Menschen bekannt ist, wird über Indonesien fast gar nicht berichtet, obwohl hier ein wohl wichtigerer Sieg im Kalten Krieg erreicht wurde.

Der brasilianische Putsch hatte auch Einfluss auf das Machtverhältnis innerhalb Lateinamerikas. Außenpolitisch stützte Brasilien nun rechtsradikale Bewegungen und Diktatoren, wie Bevins anhand des Beispiels Chiles belegt. Dabei wird der Begriff "Jakarta" zur Todesdrohung: "Operação Yakarta", "Yakarta viene", "Plan Jakarta", alles Chiffren für den Plan, linksgerichtete Menschen massenhaft umzubringen. In Chile skandierten die faschistischen Gruppen "Yakarta viene" (Jakarta kommt) oder sprühten es an die Häuser ihrer Gegner:innen.

Bevins Buch erzählt die Zusammenhänge der internationalen antikommunistischen Bewegung und welche Auswirkungen die unterschiedlichen Ereignisse aufeinander hatten: Guatemala, Ghana, Kuba, Vietnam, um nur ein paar der Schauplätze zu nennen, die Bevins anreißt. Dabei ist sein Stil anekdotenhaft, die "Jakarta-Methode" gleicht einem – sehr brutalen und hoffnungslosen – Thriller. Bevins benennt die Zahlen, 500 000 bis eine Million (oder noch mehr) Ermordete in Indonesien.

Die große Stärke des 400 Seiten langen Buches ist aber, dass es Protagonist:innen begleitet und ihre Lebensgeschichte erzählt. Da ist beispielsweise Francisca. 1926 geboren, durchlebt sie sowohl die Kolonialzeit der Holländer als auch die Besetzung Indonesiens durch Japan, ehe sie in den Niederlanden studiert. Zurück in Jakarta bewegt sie sich im Umfeld der PKI (der Kommunistischen Partei Indonesiens) und arbeitet für den Afro-Asiatischen Journalistenverband.

Nach dem Putsch landet Francisca für vier Monate ohne Begründung im Gefängnis, bis ihr einflussreicher Vater es schafft, sie freizukaufen. Irgendwann wurde deutlich, dass ihr Mann, Journalist bei der PKI-Zeitung Harian Rakyat, nicht mehr auftauchen würde, vermutlich wurde er getötet. Francisca erfuhr gesellschaftliche Ächtung. 1968 floh sie in die Niederlande. Sie erfuhr überrumpelt, dass kommunistische und sozialdemokratische Parteien in Europa erlaubt waren, während man in Indonesien dafür umgebracht wurde – für sie ganz klar Rassismus. Das Buch endet mit ihrer Geschichte in Amsterdam. Sie ist mittlerweile über 90 Jahre alt und immer noch in Gruppen aktiv, die die Geschichte des indonesischen Massenmordes aufklären wollen.

Auch einige der Auftraggeber der Massenmorde werden von Bevins persönlich vorgestellt: allen voran Frank Wisner, der in Europa erfolglos versuchte, Albanien zu destabilisieren, ehe er die CIA gründete und Geheimoperationen auf der ganzen Welt durchführte. Während in Indonesien der Putsch tobte, nahm er sich das Leben. Seine Nachfolger führten indes seine Ideen in Indonesien weiter.

Zeitweise lesen sich die gesammelten Anekdoten absurd. Vor dem Putsch wurde auf alle erdenklichen Weisen versucht, Sukarno zu delegitimieren, so weit, dass amerikanische Agenten einen Pornofilm drehten, der den Präsidenten in Verruf bringen sollte: Letztlich sah ihm das Double aber einfach nicht ähnlich genug.

Das traurige Ende des Buches beschreibt, wie Indonesien einst als ein Land voller Hoffnungen für einen eigenen Entwicklungsweg stand. Dieses Land ist für immer ausgelöscht.

In seinen Interviews legt Bevins darauf Wert, dass die Menschen nicht nur nach ihrer Folter befragt werden. Auch wenn dies wichtig sei, so würde man dadurch vor allem die Heftigkeit kritisieren, aber nicht die grundlegende Möglichkeit, demokratisch gewählte Regierungen mit Gewalt in Diktaturen zu verwandeln. Stattdessen fragt er die Menschen nach ihren früheren Hoffnungen für Indonesien und wie viel davon übrig ist: fast nichts. Viele der Menschen beschreiben, dass das Indonesien, was damals ihre Heimat war, nicht mehr existiert. Dass die Personen, die diese Hoffnungen teilten, zumindest noch einmal gehört werden, dafür sorgt das Buch "Die Jakarta-Methode".

Dieser Beitrag von Martin Steffens erschien zuerst in der ila 467


Auszug aus dem Nachwort von Glenn Jäger zur bundesdeutschen Mitverantwortung für die Massenmorde in Indonesien

"… nicht gegen die freie Welt"

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Durch die Verknüpfung von Ereignissen aus Lateinamerika mit den noch weit umfangreicheren Massenmorden in Indonesien macht Bevins Zusammenhänge aus der Zeit des Kalten Krieges deutlich und ruft eine Geschichte in Erinnerung, die als eine "Blackbox in unserem kollektiven Wissen" erscheine. (...) Auch hier sind diese horrenden Geschehnisse, trotz bundesdeutscher Mitverantwortung, nicht ins kollektive Gedächtnis vorgedrungen. Dabei hätte es mediale Anlässe zur Auseinandersetzung mit der Geschichte in jüngerer Zeit durchaus gegeben; sei es 2022 mit der Weltkunstausstellung "documenta fifteen" in Kassel3 oder zum 50. Jahrestag des Militärputsches im Jahr 2015, als es mit Indonesien als Gastland der Frankfurter Buchmesse sowohl einen Aufhänger als auch wertvolle Veröffentlichungen gab. (...)

BND, Bundeswehr, GSG

Noch etwas genauer muss hinsehen, wer nach der bundesdeutschen Mitverantwortung für die Massenmorde fragt. Was auch daran liegt, dass die Bundesrepublik viel dafür tat, Akten zu den Jahren 1965ff. unter Verschluss zu halten. So verwies der Politikwissenschaftler und Südostasienexperte Rainer Werning Mitte der 2010er Jahre auf eine besondere Personalie: "Als wichtiges Scharnier zwischen dem indonesischen Generalstab und der CIA sowie den Militärattachés an der US-Botschaft in Jakarta sollte sich der Chef des Heeresnachrichtendienstes, Brigadegeneral Achmed Sukendro, erweisen.

Sukendro kümmerte sich nicht nur um die Fortbildung seiner Agenten in den USA, sondern er selbst studierte dort in den frühen 1960er Jahren. Sukendro war es auch, der in der Frühphase der Suharto-Herrschaft mit den Geheimdiensten befreundeter westlicher Staaten enge Kontakte pflegte und über diese Kanäle offensichtlich logistische Hilfen zu beschaffen vermochte. In der zweiten Novemberhälfte 1965 besuchte Sukendro auch die Bundesrepublik, über dessen eigentliche Agenda die deutsche Regierung bis heute Stillschweigen bewahrt."4

Diese historische Lücke half 2020 ein Rechercheteam um den Redakteur Jonas Mueller-Töwe zu schließen. Unter der Überschrift "Der Genozid und Deutschlands heimliche Hilfe" veröffentlichte das Nachrichtenportal t-online.de neue Erkenntnisse zu der geheimdienstlichen "Operation Föhrenwald", samt Faksimile einer bis dahin unter Verschluss gehaltenen Akte des Bundesnachrichtendienstes (BND). In dem dokumentierten Schreiben vom 8. November 1965 äußerte das indonesische Militär eine "dringende Bitte" an die Bundesrepublik: "General NASUTION benötigt für die Fortsetzung der … antikommunistischen Säuberungsaktion Geldmittel, die – aus naheliegenden Gründen – nicht der indonesischen Staatskasse entnommen werden können." Erbeten wurden 1,2 Millionen D-Mark, und zwar "in bar. Er [Nasution] glaubt, damit die sich abzeichnenden Erfolge gegen die Kommunisten vertiefen und ausweiten zu können."

Eigenen Angaben zufolge wertete t-online.de "umfangreiche Dokumente aus den Beständen des Bundesnachrichtendienstes" aus, die "eine Kooperation der Bundesrepublik mit den Militärs belegen. Eine Akte etwa schildert Überlegungen, die Putschisten heimlich mit 1,2 Millionen D-Mark zu finanzieren. Ein Dokument aus anderer Quelle legt nahe, dass Gelder flossen – und der spätere Bundespräsident Karl Carstens dafür verantwortlich sein könnte."

"Unwissenheit jedenfalls", so die Einordnung von Mueller-Töwe, "kann bei den damaligen Entscheidungen der Bundesregierung keine Rolle gespielt haben: Am 11. Oktober 1965 erfuhr die Botschaft von den Putschplänen des Militärs, am 27. Oktober berichtete sie Bonn von tödlicher Gewalt. Am 3. November schildert der nun vorliegende BND-Bericht das ›Abschlachten von Kommunisten‹, am 14. Dezember berichtet der deutsche Botschafter dem Auswärtigen Amt von mindestens 128.000 Toten und vermutlich mehreren Hunderttausend Inhaftierten. Zeitgleich stehen die Diplomaten in Kontakt mit den Militärs und verhandeln wirtschaftliche Hilfen." (ebd.)

Wie genau man Bescheid wusste, lässt sich dem "Föhrenwald"-­Bericht des BND vom 3. November 1965 entnehmen: "Auf Mittel- und Ostjava erfolgte zunächst ein regelrechtes Abschlachten von Kommunisten, in erster Linie durch fanatische Moslems. … Die vielen antikommunistischen Aktionen … sind selbstverständlich von der Armeeführung sorgfältig vorbereitet und die Bereitschaft der Massen … hierfür geweckt." (zit. nach ebd.) Gewissenhaft vorgehend, verwies das Rechercheteam auf ein weiteres Dokument, das man zwar nicht "unabhängig verifizieren" konnte, das aber "nachweislich richtige Angaben über andere BND-Auslandsoperationen" enthielt und das "aufgrund der t-online.de vorliegenden BND-Akten und weiterer Quellen plausibel" erscheine.

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Aus der Taring-Padi-Gemäldeserie zum 40. Jahrestag: "Indonesien 1965, 40 Jahre Stillschweigen, 40 Jahre ohne Gerechtigkeit",
Aus der Taring-Padi-Gemäldeserie zum 40. Jahrestag: "Indonesien 1965, 40 Jahre Stillschweigen, 40 Jahre ohne Gerechtigkeit",

Es handelt sich um die Kopie eines Dokuments von 1968, das "der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom laut eigenen Angaben aus einem Nachlass erhalten hat. Es soll sich um den Entwurf eines Vortrags des späteren BND-Chefs Gerhard Wessel vor dem Vertrauensgremium des Bundestags handeln. Darin heißt es wörtlich: ›Im Oktober 1965 bereits bestehende enge Verbindungen zum indonesischen strategischen ND [Nachrichtendienst] ermöglichten Unterstützung (Berater, Geräte, Geld) des indonesischen ND und militärischer Sonderorgane bei Zerschlagung der KPI (und Entmachtung Sukarnos – Steuerung und Unterstützung von Demonstrationen).‹" (ebd.)

Was t-online.de hier publik machte, bestätigt von der Substanz her vorangegangene Veröffentlichungen insbesondere des Politikwissenschaftlers und Südostasienexperten Rainer Werning, der 2008 in einem Beitrag für das "Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft" notierte: "Langjährig und intensiv unterstützte der Bundesnachrichtendienst (BND) die indonesischen Militärs mit Logistik und Waffen.

Über die Bundeswehr und den Bundesgrenzschutz gab’s für die fernen Freunde – unter dem Vorwand 'Drogenmissbrauchsbekämpfung' – Hilfestellung in Form von Ausbildungskursen für Offiziere bei der Bundeswehrakademie Hamburg-Blankenese sowie Spezialtrainings bei der Elitetruppe GSG 9 in Hangelar bei Bonn. Unter anderem hatte dort auch der Schwiegersohn Suhartos, General Prabowo Subianto, 1981 eine Sonderausbildung erhalten. In seine Heimat zurückgekehrt, avancierte Subianto zum Chef der indonesischen Spezialeinheit und übernahm zudem das Kommando über das wegen seiner Brutalität gefürchteten Detachment 81."5

Zudem "hielten sich zwischen 1960 und 1998 im Rahmen der Militärischen Ausbildungshilfe (MAH) insgesamt 122 indonesische Soldaten als Lehrgangsteilnehmer an Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr in Deutschland auf", wie aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung von 2014 hervorging (vgl. Werning 2016: 8). Viel gab Berlin indes nicht preis: "Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung nicht offen erfolgen kann. Die erbetenen Auskünfte sind geheimhaltungsbedürftig, da sie Hinweise zu nachrichtendienstlichen Quellen enthalten." (zit. nach: ebd., 8)

Über bruchstückhafte Informationen betreffs konkreter Militär-, Polizei- und Geheimdienstkooperationen hinaus lässt sich die Zusammenarbeit zwischen bundesdeutschen und indonesischen Stellen an Waffenlieferungen etwa der Unternehmen Heckler & Koch oder Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) festmachen. Und das bereits unmittelbar nach dem Suharto-Putsch.

Im September 2022 hielt der Journalist Emrah Cilasun unter Auswertung von Akten aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes fest: "Am 1. Februar 1966 stellte die Firma Rheinstahl Hanomag beim Bundesverteidigungsministerium einen Antrag auf 'Genehmigung für die Aufnahme der Werbetätigkeit' für Schützenpanzer, 'in erster Linie Jagdpanzer KANONE', den das Auswärtige Amt am 8. Juli 1966 in einem Schreiben an das Verteidigungsministerium mit 'keine Bedenken' beantwortete.

Am 30. Juni 1966 leitete das Bundeswirtschaftsministerium einen Antrag an das Auswärtige Amt weiter, wonach die Firma Fritz Werner um die Genehmigung des Kaufs von 255.800 Kilogramm Nitroglycerin von der Firma Dynamit Nobel zum Versand nach Indonesien bat, worauf das Auswärtige Amt am 4. Juli antwortete: 'keine Bedenken'. In einem 'Schnellbrief' vom 24. Juni 1968 bat das Bundeswirtschaftsministerium das Auswärtige Amt sowie das Verteidigungsministerium um Genehmigung für die Lieferung von 10.000 G3-Gewehren von Heckler & Koch an die indonesische Armee. Am 27. Juni 1968 kamen die Genehmigungsunterlagen des Auswärtigen Amtes. Erneut hieß es: 'keine Bedenken'."6

In dem Stil fährt Cilasun fort. So wurde am 12. November 1968 eine weitere Ausfuhr nach Indonesien beantragt: "20.000.000 Patronen 7.62 mm, ohne NATO-Markierung", so eine Anfrage des Bundeswirtschaftsministeriums an das Auswärtige Amt für die Firma Industriewerke Karlsruhe AG. Die Antwort vom 19. November, richtig: "keine Bedenken." (vgl. ebd.)

Helmut Kohl, der in seiner Zeit als Bundeskanzler viermal nach Jakarta reiste und seinen Amtskollegen Suharto einmal in Bonn empfing, wird 1996 von einer "Männerfreundschaft" mit dem General sprechen. (zit. nach: Werning 2008, 186) Auch Suhartos Nachfolger Bacharuddin Jusuf Habibie war im Westen Deutschlands kein Unbekannter. Nach Studium und Lehrtätigkeit an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen arbeitete er mehrere Jahre bei MBB. Nach seiner Rückkehr nach Indonesien (1974) und dem Eintritt in die Regierung Suharto (1978) wickelte er "viele Geschäfte nicht zuletzt mit deutschen Rüstungskonzernen ab", so der Publizist Jörg Kronauer7. Zu den Auszeichnungen, die Habibie in der Bundesrepublik erfahren sollte, gehörte das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, das Große Verdienstkreuz des Niedersächsischen Verdienstordens und die Ehrenbürgerschaft der RWTH Aachen.

Führungspersonal mit einschlägiger Vergangenheit

Spätestens Anfang der 1970er Jahre war der interessierten Öffentlichkeit bekannt, dass die Bundesrepublik in der kritischen Phase der Massenmorde eng an der Seite Suhartos stand: "Umfangreichen Recherchen zufolge, die die Journalisten Hermann Zolling und Heinz Höhne 1971 im Spiegel veröffentlichten, unterstützte der deutsche Auslandsgeheimdienst bereits 1965 – und damit zum Zeitpunkt der beginnenden Suharto-Massaker –'›Indonesiens militärischen Nachrichtendienst … mit Maschinenpistolen, Funkgeräten und Geld' im Gesamtwert von 300.000 D-Mark", so Kronauer. (jW, 14.10.2015)

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Der Vorsitzende der PKI, Dipa Nusantara Aidit, wurde am 23. November 1965 direkt nach seiner Festnahme vom Militär erschossen
Der Vorsitzende der PKI, Dipa Nusantara Aidit, wurde am 23. November 1965 direkt nach seiner Festnahme vom Militär erschossen

Reinhard Gehlen, als Generalmajor der Wehrmacht einst Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost und später erster Präsident des Bundesnachrichtendienstes, gab sich beeindruckt: "Der Erfolg der indonesischen Armee, die … die Ausschaltung der gesamten kommunistischen Partei mit Konsequenz und Härte verfolgte, kann nach meiner Überzeugung in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden." (zit. nach: Werning 2008: 185)

Das westdeutsche Botschaftspersonal in Jakarta verfügte, wie Gesandte in etlichen anderen Ländern auch, über eine einschlägige Vergangenheit. So das einstige NSDAP-Mitglied Luitpold Werz, im Auswärtigen Dienst ab 1933 und ab 1964 Botschafter in Indonesien.

Einige Monate im Vorfeld des Putsches – das geht aus Akten des Auswärtigen Amtes hervor, die der Historiker Till Florian Tömmel für seine Dissertation auswertete – meldete Werz an die Bundesregierung nach Bonn: Die indonesische Armee sei "heute die einzige Machtkonzentration, die imstande und wohl auch willens ist, gewaltsame kommunistische Umsturzversuche zu unterbinden" 8.

Eine Einschätzung, die sich nur in Richtung eines armeegeführten Staatsstreiches verstehen ließ. Denn was Bevins betont, wusste man damals auch im Westen: Die PKI war eine Massenpartei, doch sie war unbewaffnet.

Mit Kurt Luedde-Neurath, ab 1938 im Auswärtigen Dienst tätig, war 1966 ein geeigneter Nachfolger von Luitpold Werz gefunden. 1967 erklärte der neue Botschafter: "Eines können wir von diesem Einschnitt im staatlichen Leben Indonesiens mit Sicherheit sagen: Er war nicht gegen uns und nicht gegen die freie Welt gerichtet. Die Hunderttausende umgebrachter Kommunisten bieten eine recht große Gewähr dafür, dass die heutige Regierung alles tun wird, um das Staatsschiff nicht wieder auf kommunistischen Kurs kommen zu lassen. … Der Coup hat die marxistische Linke ausgeschaltet und neue Kräfte freigesetzt. … Die ideologische Offenheit gegenüber dem Westen ist groß."9

Zudem zeichnete für die "in- wie ausländische Imagepflege Suhartos", so Rainer Werning über eine weitere Personalie, "ausgerechnet der Ex-SS-Obersturmbannführer Rudolf Oebsger-Röder verantwortlich. Vorgesetzte beim Sicherheitsdienst der SS hatten Röder eine ›tadellose Auffassungsgabe‹ attestiert und ihn als jemanden charakterisiert, der sich 'stets mit seiner ganzen Person für den Nationalsozialismus eingesetzt' habe. Nach dem Krieg war Röder unter anderem hauptberuflich für die Organisation Gehlen, den Vorläufer des BND, tätig, setzte sich Ende Dezember 1959 nach Indonesien ab und arbeitete in Jakarta unter dem Namen O. G. Roeder sowohl als BND-Mitarbeiter als auch als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung. In der indonesischen Metropole gelang es ihm, Zugang zu Suharto zu finden und als dessen Berater und Biograph zu wirken." (jW, 1.10.2015)

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Im März war Taring Padi zu Workshops und Ausstellungen nach Brasilien eingeladen. Hier im Kulturzentrum "Casa do Povo" in São Paulo
Im März war Taring Padi zu Workshops und Ausstellungen nach Brasilien eingeladen. Hier im Kulturzentrum "Casa do Povo" in São Paulo

Einmal mehr sind die Parallelen frappierend, die sich zu Lateinamerika ziehen lassen.

Nehmen wir Argentinien, ein Land, in dem sich nach 1945 besonders viele ehemalige Nazi-Funktionäre aufhielten. Auch die Bonner Republik stand nach dem Militärputsch von 1976 fest an der Seite der Junta. Bereits vier Wochen vor dem Staatsstreich informierte Admiral Emilio Eduardo Massera den bundesdeutschen Botschafter Jörg Kastl über die Putschpläne. Die Einschätzungen aus Argentinien selbst hatten vorgesehen, so José López Rega, der auch von Bevins angeführte Gründer der Todesschwadron "Alianza Anticomunista Argentina" ("Triple A"): "In Argentinien brauchen wir keine Million Tote wie in Indonesien, das Problem lässt sich mit 10.000 lösen."10

Es wurden dann doch rund 30.000, aber unabhängig davon hatte auch Botschafter Kastl dem Junta-Mitglied Massera geraten: "Sie brauchen Standgerichte mit einem Ausnahmezustand, dann begreift das ihr Volk."11

Gegen das Auswärtige Amt in Bonn wurden schwere Vorwürfe erhoben, sich nicht für Elisabeth Käsemann eingesetzt zu haben, die in Argentinien entführt, gefoltert und schließlich am 24. Mai 1977 erschossen wurde. Ihr Tod wurde von der Bundesregierung zunächst "geheim gehalten".12. "Ach, das Mädchen Käsemann", soll Hans-Dietrich Genscher nur gesagt haben.13 Und Kastl erklärte noch 2014 in einem Interview: "Die Käsemann überquerte den Schießplatz und geriet in die Schusslinie, so einfach ist das."

Wirtschaftliche Kooperation

In dem Maße, wie führende westdeutsche Unternehmen beispielsweise 1973 den Militärputsch in Chile begrüßten – also den Sturz der Regierung Allende zugunsten einer Diktatur unter Pinochet –, so sehr sah man auch im Fall Indonesiens mit einem Staatsstreich profitable Bedingungen aufkommen. Anfang 1970 zog das Handelsblatt eine zuversichtliche Zwischenbilanz: "Der nach dem Ausscheiden Sukarnos begonnene Wandel in Staat und Gesellschaft ist in Indonesien noch nicht abgeschlossen. Suhartos Verdienst besteht darin, dass er diesen Wandel mit der Geschmeidigkeit und Geduld eines typischen Zentraljavaners ermöglicht hat. … Immerhin verfügt Suharto ... auch über taktisches Gespür und notfalls Entschlossenheit, wie er das bei der Ausschaltung seines Vorgängers hinlänglich bewiesen hat." (6.1.1979, zit. nach: Werning 2008: 185)

Im selben Jahr gründete man im Sinne gegenseitiger Wirtschaftsbeziehungen die deutsch-indonesische Industrie- und Handelskammer: "Mit deutschen Krediten und technischen Experten", so Die Zeit im Jahr 1971, "wird Indonesiens Eisenbahn modernisiert und ausgebaut." (zit. nach: jW, 14.10.2015)

Die Wirtschaftshilfen basierten auf dem "Abs-Gutachten" der Deutschen Bank, verantwortet von jenem Hermann-Josef Abs, dessen Name sich von Auschwitz und Arisierung nicht trennen lässt: 1937 Aufsichtsratsmitglied der IG Farben, wurde er 1938 in den Vorstand der Deutschen Bank berufen. (...)

Zur bundesdeutschen Rolle erschien im September 2022 der Film "Indonesia’s 1965 Genocide: Germany’s Unknown War Against Communism"; online zugänglich unter: https://redfish.media/indonesias-1965-genocide-germanys-unknown-war-against-communism/. Unter diesem Link sind auch zahlreiche Dokumente des Auswärtigen Amtes als Faksimiles dokumentiert.


Vincent Bevins

Die Jakarta-Methode
Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt
Aus dem Amerikanischen Englisch von Glenn Jäger

Papyrossa Verlag, ISBN 978-3-89438-788-4

  • 1. Ironischerweise wurden die Berater der indonesischen Militärdiktatur aufgrund ihres akademischen Hintergrundes als Berkeley Boys bezeichnet
  • 2. Kurt Luedde-Neurath, ab 1966 westdeutscher Botschafter in Indonesien, über das Militärregime unter General Suharto
  • 3. Thomas Barth, "Es gab da Massenmorde": Was noch fehlt in der Documenta-Debatte, Telepolis , 23.7.2022)
  • 4. Werning, Rainer (2016): Kontrollierte Konterrevolution, in: Blickwechsel / Stiftung Asienhaus, Oktober 2016, S. 1-9
  • 5. Werning, Rainer (2008): Das Archipel Suharto. Vor einem Jahrzehnt endete in Indonesien die Ära eines vom Westen in Zeiten des Kalten Krieges hofierten Despoten, S.185; in: Konflikte auf Dauer? Rechtsradikalismus, Integrations-, Europa- und Nahostpolitik, Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft, V & R unipress, Göttingen. Für das Gehlen-Zitat gibt Werning folgende Quelle an: Sendemanuskript des WDR-Magazins Monitor, ausgestrahlt am 10.10.1996
  • 6. Emrah Cilasun: Der unbekannte Genozid, jw 30.9.2022)
  • 7. Jörg Kronauer: Befreundete "Führungsmacht", jw, 14.10.2015)
  • 8. Bericht v. 8.3.1965; zit. nach: Tömmel 2018, 221. Tömmel, Till Florian: Bonn, Jakarta und der Kalte Krieg. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Indonesien von 1952 bis 1973, Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, De Gruyter Oldenbourg
  • 9. Vortrag v. 18.5.1967; zit. nach: Tömmel 2018: 253
  • 10. vgl. auch Calloni 2010: 111. Calloni, Stella (2010): Operación Cóndor. Lateinamerika im Griff der Todesschwadronen, Zambon Verlag
  • 11. zit. nach: Baer/Dellwo 2010: 8; Baer, Willi / Dellwo, Karl-Heinz (Hg.) (2010): Panteón Militär, Bibliothek des Widerstands, Bd. 9, Laika Verlag
  • 12. Fußball-WM 1978 in Argentinien – Manifest der Verantwortungslosigkeit. taz, 9.7.2014
  • 13. spiegel.de, 5.6.2014, ARD-Doku über Argentiniens Junta. Fußball und Verbrechen