Agrarökologie für das Leben: Pueblo a Pueblo baut Ernährungssouveränität in Venezuela auf

Ein neues Modell für Produktion und Verteilung von Lebensmitteln, das auf Gegenseitigkeit beruht

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Pueblo a Pueblo setzt auf kleinbäuerliche, ökologische Landwirtschaft
Pueblo a Pueblo setzt auf kleinbäuerliche, ökologische Landwirtschaft

Pueblo a Pueblo ist ein Basisprojekt für Produktion, Vertrieb und Konsum von Lebensmitteln, bei der die Bauern auf dem Land mit den Stadtbewohnern zusammengebracht werden. Auf diese Weise löst sich das Projekt von der Willkür kapitalistischer Märkte. In den Teilen I und II dieses Vierteilers der Reihe Kommunaler Widerstand berichteten die Sprecher von Pueblo a Pueblo über Methode und Geschichte ihrer Organisation und die Auswirkungen der US-Blockade. In Teil III sprechen sie mit uns über den Wechsel zu einem souveränen agrar-ökologischen Modell. In Teil IV erfahren wir, wie die Organisation Lebensmittel an Schulen verteilt

Ein Modell für Souveränität

Konventionelle chemieintensive Landwirtschaft macht abhängig von externen Kapitalinteressen. Das ist ein Grund, warum Pueblo a Pueblo sich für den agrarökologischen Wandel einsetzt.

Laura Lorenzo: Bei Hugo Chávez ging es um den Aufbau einer souveränen sozialistischen Gesellschaft. Was in diesen Zeiten der Blockade noch wichtiger ist. Wir stehen deswegen fest zum chavistischen Projekt und arbeiten entschlossen an einer eigenständigen Lebensmittelversorgung abseits vom kapitalistischen Markt. Bei Pueblo a Pueblo geht es um Nahrungsversorgung von unten, also ein System von Distribution und Konsum, das Campesinos mit Verbrauchern verbindet, und das für die Bedürfnisse in einer Weise sorgt, bei der nicht nur auf Materielles, sondern auch auf Eigenständigkeit und Soziales geachtet wird.

Der Markt gehorcht Interessen, die weder national noch kollektiv sind. Wir sollten anerkennen, dass wir als stark abhängiges Land für die imperialistische Blockade anfälliger geworden sind. Deswegen ist der Aufbau einer eigenen nationalen kleinbäuerlichen Produktion ohne importiertes Saatgut und ohne Agrochemie so wichtig.

Und noch etwas: Das Agrobusiness ist nie gut für Souveränität. Und warum? Nicht nur weil es von importierten Agrarmitteln stark abhängt, sondern weil es vom internationalen Markt bestimmt wird statt von den eigenen Bedürfnissen.

Überwindung der Rentenökonomie

Gabriel Gil: Wir wollen die Mittel aus dem Erdöl für Gesundheit und Bildung sowie für neue Produktionsmodelle verwenden. Damit überwinden wir Rohstoff-Abhängigkeiten, wir werden souverän und achtsamer mit menschlichem Leben. Im zwanzigsten Jahrhundert bekam Venezuela in der internationalen Arbeitsteilung die Rolle des Ölproduzenten. Wirtschaftlich bedeutete das Ölexport und im Gegenzug Import von Nahrungsmitteln und anderen Gütern. Was natürlich zu Deindustrialisierung und Landflucht führte.

Aber unsere Rentenökonomie ist nicht auf fossile Brennstoffe beschränkt. Sogar während wir hier reden, steigert sich die einseitig industrialisierte Agrarwirtschaft. Was aber einer kleinbäuerlichen indigenen Ökonomie, die die Gesundheit des Landes bewahren will, zuwiderläuft.

Um das gegenwärtige System zu überwinden, müssen wir uns auf unsere Vorfahren besinnen. Warum beanspruchen 20.000 Yanomami [indigene Völker im venezolanischen und brasilianischen Amazonas] drei Millionen Hektar? Weil sie ihr angestammtes Land bewahren wollen. Warum fordern die Campesinos brachliegendes Land? Weil sie anbauen wollen und weil sie damit der Ausweitung der agroindustriellen Landwirtschaft mit fossilen Brennstoffen Einhalt gebieten.

Die Öffentlichkeit steht der Rentenökonomie kritisch gegenüber und sieht ein, dass dieses Modell sich überlebt hat. Was einerseits gut ist, aber Erkennen und Aktion müssen Hand in Hand gehen! In der Realität werden agroindustrielle Praktiken gefördert und zwar zunehmend. Unglücklicherweise handelt es sich dabei um Praktiken der Rentenökonomie, und die fossile Abhängigkeit verstärkt sich.

Um dies zu überwinden, müssen wir die Territorien zurückgewinnen, wo derzeit konventionelle kapitalistische Landwirtschaft betrieben wird. Das ist nicht einfach, denn Agrochemie ist in Lateinamerika weit verbreitet, und das nicht nur in Agrar-Großbetrieben. Auch Familienhöfe benutzen üblicherweise giftige Chemie.

Es ist an der Zeit, zu einem agrarökologischen Modell zu wechseln, das divers und unabhängig ist und die Rentenökonomie überwindet. Der Staat muss seinen Teil dazu beitragen, aber genauso die Basisbewegungen und die Kommunen.

"Kartoffeln für das Leben, nicht für das Kapital"

Laura Lorenzo: Wenn Landwirte von Saatgut aus dem Ausland abhängig sind, dann zerfällt die soziale, politische und wirtschaftliche Integrität eines Landes. Daher die Bedeutung der Saatgutproduktion für Pueblo a Pueblo. Dazu gehört "Papa para la vida, no para el capital" (Kartoffeln für das Leben, nicht für das Kapital). Dabei handelt es sich um ein Projekt, das Pueblo a Pueblo gemeinsam mit Proinpa entwickelt hat, einer Bauernvereinigung mit einem hochwertigen Saatgutlabor im Hochland der Anden.

Proinpa ist immens wichtig für die nationale Souveränität beim Saatgut. Das Labor produziert an die Region angepasstes Kartoffelsaatgut und unterhält eine Saatenbank, die für das Land strategische Bedeutung hat. Außerdem bauen Proinpa-Mitglieder Kartoffeln an. Wie die meisten Campesinos auf dem Land sind sie auf Zwischenhändler angewiesen, die ihre Ernte zu Minimalpreisen kaufen. Wenn das Produkt dann auf den Markt kommt, ist der Preisaufschlag gewaltig.

"Papa para la vida" ist eine Initiative, die im Jahr 2018 begann. Durch sie bekommen Proinpa und Pueblo a Pueblo Kontrolle über den gesamten Zyklus der Kartoffelproduktion, von den Saatkartoffeln bis zum Verbrauch. Das ist Ernährungssouveränität wie sie sein soll!

Wir sollten allerdings nicht verschweigen, dass "Papa para la vida" derzeit stillsteht. Die generelle wirtschaftliche Situation und die Covid-Lockdowns haben sich negativ auf das Projekt ausgewirkt. Wir hoffen aber, es in den nächsten Monaten wieder aktivieren zu können.

Antonio Bracamonte: Traditionell wurde Kartoffelsaatgut aus Kanada importiert. Wir kauften die Pakete zu subventionierten Preisen bei Agropatria [staatlicher Zulieferbetrieb für die landwirtschaftliche Produktion]. Als dann die Blockade über uns kam, wurde uns klar, dass wir abhängig waren: Wir konnten unser eigenes Pflanzgut nicht mehr selber anbauen!

Mit "Papa para la vida" änderte sich das. Zusammen mit Proinpa fingen wir an, sowohl Pflanzkartoffeln als auch Speisekartoffeln anzubauen - womit wir Teil hatten an der Festigung von Venezuelas Souveränität.

Ana Daniela Dávila: Früher kaufte Venezuela Saatkartoffeln aus Kanada, und für die Hilfsmittel für den Anbau waren wir auf Monsanto und andere Multis angewiesen. Das war der schwache Punkt, den unser Feind nutzte, um Venezuela in die Knie zu zwingen. Neben vielen anderen Problemen wurden Kartoffeln, ein wichtiger Teil unserer Ernährung, durch die Blockade sehr knapp.

"Papa para la vida" ermöglicht es den Bauern, sich von ausländischen Pflanzkartoffeln unabhängig zu machen. Es verbindet die langfristige wissenschaftliche Arbeit von Proinpa mit der Fähigkeit von Pueblo a Pueblo, außerhalb des Marktes zu agieren.

Zwischen 2018 und 2020 haben wir 160.000 - bis 210.000 Kilo Kartoffeln jährlich ausgeteilt. Weswegen wir sagen können, dass "Papa para la vida" uns gegen den kapitalistischen Markt in Richtung eigenständiger Ernährung geführt hat. Durch diese Initiative sind Kartoffeln jetzt vollständig in den Händen des Volkes, von der Aussaat bis auf den Tisch!

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Der agrarökologische Wandel ist für die Aktivisten von zentraler Bedeutung für Ernährungssouveränität
Der agrarökologische Wandel ist für die Aktivisten von zentraler Bedeutung für Ernährungssouveränität

Der agrarökologische Wandel

Gabriel Gil: Es ist absolut richtig, den Großgrundbesitzern das Land wegzunehmen, aber wenn die Produktion weiterhin nach konventioneller Logik mit Monokulturen organisiert ist, wie die kapitalistischen Konzerne das auferlegen, dann werden wir nicht nur die Erde ausbeuten und krank machen, sondern wir werden weiterhin vom Markt abhängig sein... und die Ernährungssouveränität bleibt nur ein Wunschtraum!

Als das Saatgutgesetz 2015 auf den Weg gebracht wurde, meinten viele, die Abkehr von Gentech-Saatgut sei naiv. Am Ende stellte sich heraus, dass die US-Blockade selbst es war, die Venezuelas Zugang zu konventioneller Landwirtschaft einschränkte: von transgenem und modifiziertem Saatgut bis hin zur Agrochemie. Hätten wir uns schon früher von der konventionellen Landwirtschaft gelöst, so hätte die Blockade geringere Auswirkungen gehabt.

Auch wenn die Auswirkungen der Sanktionen verheerend sind, haben wir auf dem Weg dorthin viel gelernt. Das Wichtigste aus unserer Sicht ist der allmähliche Übergang der Campesinos zu biologischen Produkten. Diese Optionen sind billiger und weniger schädlich, und sie machen uns souveräner.

Einige Leute arbeiten jetzt mit Regenwurmhumus und verwenden ihn als Dünger, führen Fruchtwechsel ein und diversifizieren. Außerdem gibt es eine Abkehr von konventionellen Pestiziden. Konventionelle Fungizide für Tomaten, wie sie von Öko-Konzernen verkauft werden, kosten etwa 1.500 US-Dollar pro Acre! [Acre, knapp halber Hektar]. Im Gegensatz dazu haben wir eine selbst hergestellte Mineralverbindung aus Kupfersulfat und Kalk [Kupferkalkbrühe]. Die ist genauso effizient, weit weniger schädlich für Bauern und Erde und es reichen 100 Dollar Investition pro Acre.

Schließlich gibt es bei der Öko-Umstellung noch das Problem, dass wir indoktriniert werden: Bayer und Monsanto geben jedes Jahr Hunderte Millionen für Werbung aus. Viele denken daher, Abkehr von Pestiziden sei schlichtweg selbstmörderisch. Es stellt sich jedoch heraus, dass in den 1960er Jahren mit viel geringerem Einsatz von Pestiziden die Produktionsverluste durch Schädlinge etwa 32 Prozent betrugen. Heute liegt die aktuelle Verlustrate bei reichlich Einsatz von Pestiziden bei 37 Prozent. Wir müssen die Campesinos darüber aufklären!

Antonio Bracamonte: Die industrielle Landwirtschaft entzieht den Böden Nährstoffe, während Campesino-Landwirtschaft versucht, sie für künftige Generationen zu erhalten. Nach dreißig Jahren Einsatz von Agrochemie wird das Land unfruchtbar. Heute, durch Agrarökologie, werden dem Boden die Nährstoffe zurückgegeben, man lässt Land brach liegen, eine Fruchtfolge wird eingehalten und Kupferkalkbrühe wird verwendet, welche die Insekten bei Bestäubung nicht tötet.

Schritt für Schritt und mit Hilfe von Pueblo a Pueblo kommen wir weg vom Modell der räuberischen Landwirtschaft. Aber es geht nicht nur um das Land: Agrochemikalien schaden auch den Menschen. Die Auswirkungen merkt man nicht über Nacht - es sei denn, man war direkt ausgesetzt und bekommt eine akute Vergiftung -, aber auf lange Sicht führen die Chemikalien zur Erkrankung der Atemwege, der Haut und des zentralen Nervensystems, die tödlich sein kann.

Luis Velázquez: Der Weg weg von der Agrochemie ist nicht einfach, aber wir gehen in die richtige Richtung. Eines der Probleme ist der "Patchwork"-Umstieg: Wenn ich keine Agrochemie verwende, aber mein Nachbar, dann wirkt sich das auf meine Produktion aus. Deshalb ist ein breiter Kulturwandel nötig, und deshalb spielen Organisationen wie Pueblo a Pueblo eine so wichtige Rolle.

Volksnahe Agrarökologie

Gabriel Gil: Wir verwenden den Begriff, der von Eduardo Sevilla Guzmán vom "Instituto de Sociología y Estudios Campesinos" geprägt wurde, um über unsere Ziele zu sprechen: Volksnahe Agrarökologie. Der Begriff bezieht sich auf die ökologische Nutzung natürlicher Ressourcen durch gemeinsames soziales Handeln.

Volksnahe Agrarökologie meint die Rückgewinnung von Campesino-Land und indigenem Territorium, sowie von Praktiken, die durch moderne Landwirtschaft unsichtbar wurden. Dies soll nicht verwechselt werden mit dem Luxuskonsum von Bioprodukten, der nur wenigen Privilegierten zugänglich ist. Bei der volksnahen Agrarökologie geht es um den Wiederaufbau von Gemeinschaften, um gemeinschaftliches Leben und die Erzeugung gesunder Lebensmittel für die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen.

Aber die breite Umstellung auf Agrarökologie geschieht nicht allein durch guten Willen. Deswegen schlagen wir vor, dass der venezolanische Staat seine begrenzten Ressourcen für die Produktion organischer Agrarprodukte einsetzt. Das zu Chávez' Zeiten gegründete "Instituto Nacional de Salud Agricola Integral" verfügt über 33 Labors zur Entwicklung und Herstellung von Bio-Produkten. Leider zweckentfremden kommerzielle Interessen einige dieser Labors für die Herstellung von Chemieprodukten, die dann nur großen Agrarunternehmen zugänglich sind.

Wir von Pueblo a Pueblo haben einen anderen Vorschlag: weder staatliche noch private Kontrolle. Die Kontrolle über diese strategischen Labors sollte das Volk haben. Schließlich ernähren unsere kleinen und mittleren Erzeuger das Land, also sollten wir die Labore kontrollieren. Die vielfachen Krisen in Venezuela bieten die beste Gelegenheit für den agrarökologischen Wandel.

Gegenseitigkeit

Gabriel Gil: In Carache und generell in den Campesino-Gebieten gibt es uralte Formen der kollektiven Arbeit, die für den Aufbau der agrarökologischen Zukunft wichtig sind. Hier sind Begriffe wie "mano vuelta" [gegenseitige Hilfe] und "convite" [Einladung] lebendig und richtig.

Was ist damit gemeint: Beim "convite" schließen sich fünf oder mehr Familien für eine Aufgabe zusammen, die allein nur schwer zu bewältigen wäre. Und oft bringt es nicht nur Menschen zusammen, auch Ochsengespanne können bei solch einem Unternehmen dazugehören. Wer ein convite durchführt, hat gewisse Verpflichtungen. Man muss den Teilnehmern einen deftigen Eintopf anbieten und einen hausgemachten Schnaps, der mit einer Heilpflanze angesetzt wurde. Ein solcher Tag endet dann häufig mit Gesang und Tanz...

Eine "mano vuelta" ist wie ein convite, aber kleiner. Wenn zum Beispiel auf meinem Feld etwas zu tun ist und ich Hilfe brauche, wende ich mich an einen Nachbarn oder den Freund. Später, wenn er oder sie Hilfe braucht, gehe ich zu seinem Feld und helfe ihm.

Wichtig bei Beidem ist, dass niemals giftige Pestizide oder Düngemittel dabei sind. Wer derartiges will, muss dafür bezahlen. Mit anderen Worten, die traditionellen Praktiken gehen Hand in Hand mit einem respektvollen Blick auf das menschliche Leben und die Natur.

Schließlich gibt es noch die "cayapa", bei der es nicht um die Pflege des Landes an sich geht, sondern darum, dass sich die Gemeinde zusammentut, um eine Straße, einen Lastwagen, eine Schule oder einen öffentlichen Platz zu reparieren.

Mano vuelta, convite und cayapa sind bäuerliche und indigene Traditionen, die der Kapitalismus nicht zurückzudrängen vermochte. Es geht um Solidarität, gegenseitige Hilfe und Integration in die Gemeinschaft. Diese Prinzipien kommen aus der Vergangenheit, aber sie helfen, uns eine bessere Zukunft zu denken.

Italo Román: Beim convite wie bei der mano vuelta helfe ich dir und ich weiß, dass du mir helfen wirst. Es ist diese Gegenseitigkeit, die uns auch beim Aufbau einer harmonischen Gemeinschaft eine Unterstützung sein wird.

Die Handlungsformen, die uns von den Großeltern überliefert wurden, können auch beim Bau einer Straße oder einer Schule angewendet werden. Ich erinnere mich, wie vor einiger Zeit der Gemeinderat Mittel für die Instandsetzung dieses Weges [er zeigt auf eine gut gepflegte Straße] bekommen hat.

Der Bürgermeister empfahl uns einen Vertrag mit einer Genossenschaft, die in den Händen von Privatleuten war. Aber wir trauten diesen Leuten nicht, also beschlossen wir, die Menschen in der Gemeinde anzusprechen, um die Arbeiten zu machen. Genau so reparierten wir die Straße, und ich bin ganz sicher, dass wir mit dieser Entscheidung dafür gesorgt haben, die verfügbaren Mittel besser einzusetzen.

26. Mai 2023


Nahrung zum Nachdenken: Pueblo a Pueblo fördert die Ernährungssouveränität von unten (Teil IV)

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Pueblo a Pueblo arbeitet in den Schulen mit denen zusammen, die kochen, damit die Mahlzeiten ausgewogen und gesund sind
Pueblo a Pueblo arbeitet in den Schulen mit denen zusammen, die kochen, damit die Mahlzeiten ausgewogen und gesund sind

In diesem letzten Teil der Serie erfahren wir, wie die Organisation Lebensmittel an Schulen verteilt, und wie ihre Verbindungen zur "Comunidad Chávez y Bolívar" sind.

Obst und Gemüse für Schulen

Laura Lorenzo: Jetzt aktuell verteilen wir Lebensmittel an fast 300 Schulen und sorgen für alles was man braucht, um ausgewogene Mahlzeiten für hunderttausend Kinder zu kochen. Besonders wichtig ist das gerade jetzt, da die Ernährung der Kinder durch die Blockade geschädigt ist. Pueblo a Pueblo macht das ohne Zwischenhändler und mit einer Vor-Ort-Begleitung, die für abwechslungsreiche und ausgewogene Schulmahlzeiten sorgt.

Unsere Lebensmittel-Verteilprogramm an Schulen existiert derzeit in sieben Bundesstaaten [Caracas, Miranda, Lara, Anzoategui, Trujillo, Barinas und Portuguesa]. Es wird zusammen mit dem Regierungsprogramm PAE durchgeführt [Programa de Alimentación Escolar], unsere Arbeit folgt dabei dem Grundsatz von Pueblo a Pueblo: Zusammenarbeit mit den Gemeinden sowohl bei der Produktion als auch beim Verbrauch der Lebensmittel.

Wenn wir mit einer neuen Schule zusammenarbeiten, dann liefern wir nicht einfach die Produkte. Wir treffen uns mit der Gemeinde, beziehen sie ein in den Prozess und arbeiten mit denen, die kochen, damit die Mahlzeiten ausgewogen und gesund sind. Schließlich helfen wir beim Aufbau einer Vernetzung für die Belieferung von Obst und Gemüse durch lokale Erzeuger und fördern so den Verzehr von lokalen Produkten.

Die Anfänge und wie es weiterging

Laura Lorenzo: Die Verteilung von Obst und Gemüse an Schulen geht bis auf die Anfänge von Pueblo a Pueblo zurück. Wir haben es zuerst hier in Carache [Bundesstaat Trujillo] gemacht. Wir begannen mit der Schule "Mesa Arriba". Durch eine Vereinbarung mit der "Corporación Nacional de Alimentación Escolar" [CNAE] expandierten wir ab 2017 in 46 weitere Schulen. Wobei wir alle 35 Schulen in Carache beliefern und elf in Caracas, einschließlich Schulen in den Barrios "23 de Enero" und San Agustín.

Im August 2021, nachdem [das russische Nachrichtenportal] Sputnik einen Artikel über Pueblo a Pueblo veröffentlicht hatte, lud uns Präsident Maduro zu einem Treffen ein. Er bat uns, Lebensmittel für 600 Schulen zu liefern, und wichtiger noch: Der Präsident verlangte, die Methodik von Pueblo a Pueblo bei allen von der Regierung geförderten Initiativen zur Lebensmittelverteilung zu "kopieren".

Diese neue Phase begann November 2021, nachdem viele bürokratische Hürden überwunden waren. Zu diesen Hindernissen gehörte, dass man sich [rechtlich] mit einem privaten Unternehmen zusammenschließen musste, da das Ministerium für Ernährung, das die Aufträge an "Anbieter" vergibt, keine Verträge mit kommunalen oder anderen nicht-privaten Einrichtungen abschließen will.

Ursprünglich hatte Präsident Maduro verlangt, Pueblo a Pueblo mit der Verteilung von 600 Tonnen Obst und Gemüse an die Schulen zu beauftragen. Die erste Anforderung des Ministeriums belief sich jedoch auf weniger als 300 Tonnen, und derzeit sind wir bei 100 Tonnen Obst und Gemüse für 100.000 Kinder. Wir haben aber Kapazität für 600 Tonnen, und wir sind optimistisch, diese Menge letztendlich auch zu verteilen.

Unsere Arbeit mit Schulen liefert nicht nur gesunde Lebensmittel für Kinder, sie kommt gleichzeitig den Erzeugern zugute und sie trägt auch bei zur Stärkung der Basisorganisationen rund um die Bildungszentren.

Gabriel Gil: Wegen der vielen bürokratischen Hürden war unsere Arbeit an den Schulen nicht einfach. Außerdem gibt es eine geringe Zahl von Nahrungskonzernen, die den allergrößten Teil der Lebensmittelverteilung an den 22.000 Schulen im Land kontrollieren. Es ist, wie es immer ist: Die Bewegung muss sich selber den Raum verschaffen, in dem solche Graswurzel-Alternativen gedeihen können.

Die Kommune "Chávez und Bolívar"

Die Kommune liegt an den Hängen von Carache im Bundesstaat Trujillo, dem Sitz von Pueblo a Pueblo. Sie verfügt über ein Netz von aktiv betriebenen Feldern und, was am wichtigsten ist, zu ihr gehören 788 Bauernfamilien.

Antonio Bracamonte: Die Kommune ist das bedeutendste Vermächtnis von Chávez, weil sie den Geist der Gemeinschaft, der Zusammenarbeit und der Solidarität wieder aufleben lässt, den der Kapitalismus den werktätigen Menschen raubt.

Als der Comandante begonnen hatte, über Kommunen zu reden, war die Kommune "Chávez und Bolívar" eine der ersten, die sich organisierte, auch wenn unsere formelle Registrierung erst später, 2013, erfolgte.

Der Aufbau einer Kommune ist selten ein linearer Prozess. Im Laufe der Jahre hatten wir Fortschritte und Rückschläge. Erst vor kurzem, 2019, bekamen wir einen Lastwagen von der Regierung, der für den Transport der Ernte aus dem Tal unerlässlich ist. Allerdings hat die Kommune keine direkte Kontrolle mehr über das Fahrzeug, weil ein "böser Akteur" sich gegen uns verschworen hat. Jetzt ringen wir darum, den Lastwagen wieder zurückzubekommen. Das Problem sollte bald gelöst sein - letztlich siegt die Gerechtigkeit!

Italo Román: Hugo Chávez und Simón Bolívar waren es, die die entscheidenden Schritte Richtung Souveränität gemacht haben, und deshalb trägt unsere Kommune ihren Namen.

Für mich ist die Kommune die höchste Form der Regierung, denn hier entscheiden wir, was zu tun und wie es zu tun ist. In einer Kommune hat die Gemeinschaft zu sagen ‒ nicht die Bosse, Bürgermeister oder Gouverneure  ‒ es ist das Volk, das die Spielregeln festlegt.

Außerdem zeigt unser Beispiel, dass Kommunen gut darin sind, Probleme effizient zu lösen. Vor einiger Zeit hatten wir Gelder für die Reparatur der Caingó-Straße bekommen. Durch eigene Planung und Selberbauen konnten wir doppelt so viel Straße instandsetzen, wie es geplant war. Etwa zur gleichen Zeit erhielten wir Mittel für den Bau von zwei Häusern für bedürftige Familien, aber wir konnten die Mittel strecken und stattdessen vier Häuser bauen. Die Kommune war "gut" uns gegenüber, also sind wir gut zur Kommune!

Carmen Marquina: Ich gehöre zu den Gründern der Kommune und ich erinnere mich, dass die ersten Jahre schwierig waren, aber auch wunderschön. Es war nicht neu für uns, in Versammlungen Entscheidungen zu treffen, aber es war nicht einfach, sich in Verwaltungsdingen zurechtzufinden.

Mit der Zeit lernten wir die Abläufe besser verstehen, zum Beispiel als unser Gemeinderat einen Traktor bekam, der ein wichtiges Produktionsmittel für die Gemeinde ist. Das Schwierigste ist es, die Leute zu motivieren. Am Anfang wollten einige in der Kommune nicht richtig mitmachen, aber das änderte sich mit der Zeit... und dann, als die Blockade kam, verlangsamte sich alles erneut, um dann in den letzten Monaten wieder besser zu werden. Wenn wir in der Kommune "Chávez und Bolívar" ins Stolpern geraten, dann stehen wir einfach wieder auf und gehen weiter!

Antonio Bracamonte: Wir haben vor kurzem Wahlen durchgeführt, um neue Sprecher für die kommunalen Räte zu wählen - und wir sind vollständig gesetzestreu [lacht]. Das war alles nicht einfach, denn der Verlust des Lkw war ein moralischer Schlag. Es sind einige Lektionen, die wir gelernt haben, aber ich habe keinen Zweifel, dass wir uns erholen und wieder voran kommen.

Der Kommunale Wirtschaftskreislauf

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Pueblo a Pueblo und Regierung arbeiten zusammen bei der Initiative "Kommunaler Wirtschaftskreislauf"
Pueblo a Pueblo und Regierung arbeiten zusammen bei der Initiative "Kommunaler Wirtschaftskreislauf"

Antonio Bracamonte: Bei den "Kommunalen Wirtschaftskreisläufen" handelt es sich um eine relativ neue [2022] Initiative des Ministeriums für die Kommunen, mit der die Produktion bestimmter Güter in Gemeindegebieten gefördert wird, von Frischwaren bis hin zu Kaffee und Maismehl.

Carache ist eine hoch produktive Region. Obgleich wir [aufgrund der Blockade] nur mit 50 Prozent unserer Kapazität arbeiten, gehen monatlich etwa 40 Tonnen Frischprodukte aus unserer Gemeinde raus. Ein Teil davon kommt über "Cecosesola" [ein Netzwerk von Genossenschaften] auf den Markt, ein anderer Teil geht über Pueblo a Pueblo direkt zu Schulen und Arbeiterhaushalten, der Rest wird an Zwischenhändler verkauft.

Der genannte Kreislauf ist ein weiterer Mechanismus, die Produktion zu fördern und gleichzeitig sicherzustellen, dass ein Teil des Profits an die Gemeinde zurückfließt. Bei unseren Treffen mit den Leuten des Ministeriums haben wir festgestellt, dass wir bei uns bis zu 27 unterschiedliche Sorten ‒ von Tomaten bis Zwiebeln und alles dazwischen ‒ anbauen könnten. Allerdings brauchen wir dafür Ressourcen, insbesondere Saatgut und Betriebsmittel.

Bislang haben wir einen kleinen, nicht rückzahlbaren Kredit erhalten, und die Produzenten aller sieben Gemeinderäte bekamen einiges Saatgut. Das hilft uns, die Produktion zu steigern, aber nur langsam.

Der Kommunale Kreislauf wird auch neue Wege für den Vertrieb aufmachen. Gegenwärtig können wir die Produktion nicht als ganze Gemeinde legal verkaufen, weil bürokratische Hindernisse dem im Weg stehen. Ziel ist es, solche Blockaden zu beseitigen, um so den gemeinschaftlichen Vertrieb überall im Land möglich zu machen.

Die Idee des Kommunalen Kreislaufs ähnelt unserer Philosophie bei Pueblo a Pueblo: Beide zielen darauf ab, die Logik des Marktes zu durchbrechen und den Schwerpunkt wieder aufs Produzieren zu legen. So gesehen ist Pueblo a Pueblo Teil dieses Wirtschaftskreislaufs. Natürlich ist das neu für uns, und es gibt Dinge, die zu verbessern sind. Alles hat seine Besonderheiten, seine Produktionsweise und seine Bedürfnisse. Hinzu kommt, dass die Mittel gering sind und nur einmal im Jahr fließen. Letztes Jahr erhielten wir 13.000 Dollar in Bolívares, aber als wir sie abrufen konnten, war die Summe wegen der Abwertung nur noch 4000 wert. Wir haben Verständnis für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Regierung und wir sind dankbar für die Unterstützung, aber die Verfahren sollten gestrafft werden.

Unsere Hoffnungen sind nach wie vor groß. Sobald wir über die Ressourcen und die nötige Infrastruktur verfügen, werden wir unsere Produktion steigern können. Und das wird gut sein für die Gemeinde und gut für das Land. Genau wie Pueblo a Pueblo will der "Kreislauf" die Zwischenhändler beseitigen. Ein Teil der Produktion wird durch Tauschhandel an andere Gemeinden gehen, aber wir wollen auch Schulen und Krankenhäuser beliefern.

Schließlich gibt es noch ein Hindernis, das von der Blockade herrührt und mit dem die Regierung sich dringend befassen muss: Es ist nicht einfach, Treibstoff zu bekommen, daher ist unsere Forderung, dass kleine und mittlere Produzenten ‒ also die, die das Land tatsächlich ernähren ‒ Zugang zu Treibstoffkontingenten haben. Diese Forderung geht natürlich über die Zuständigkeit des Kommunalen Wirtschaftskreislaufs und des Ministeriums der Kommunen hinaus. Aber damit unsere Produktion auf den Tellern der Venezolaner landet, brauchen wir Treibstoff.

Alles in allem ist der Kommunale Wirtschaftskreislauf ein willkommener Ansatz. Er wird einige der Probleme beseitigen, mit denen wir Campesinos in einem belagerten Land zu kämpfen haben, und er wird Mut machen bei der kommunalen Arbeit. Der derzeitige Neustart der Kommune "Chávez y Bolívar" hat in der Tat zu tun mit der Kreislaufinitiative.

Chávez und der Campesino

Das Landgesetz von Hugo Chávez [2001] öffnete den Weg für eine radikale Landreform. Zum Abschluss dieser Serie betonen Sprecher von Pueblo a Pueblo das Erbe Chávez' für die ländlichen Regionen.

Laura Lorenzo: Chávez hat die sichtbar gemacht, die unsichtbar waren, die Campesinos. Das "Recht auf Land" war das Herzstück seines Programms, und das, obwohl alle politischen und ökonomischen Mächte in und außerhalb Venezuelas gegen eine gerechte Neuverteilung auf dem Land waren.

Wenn Sie sich erinnern, fanden viele der Aló-Presidente-Programme bei Bauernfamilien auf dem Land statt, wo hart gearbeitet wurde. Die Revolution gab den Campesinos viele Werkzeuge in die Hand ‒ von Landzuteilung über Saatgut und Traktoren bis hin zu technischer Ausbildung ‒ und Chávez selbst unterrichtete sie in Fragen von Politik und Gesetzgebung. Was die ländlichen Gebiete angeht, so ist es nicht übertrieben von einer Zeit vor-Chávez und einer nach-Chávez zu reden.

Antonio Bracamonte: Der "Plan de la Patria"1 ist unsere Bibel. Darin legte Chávez seinen Plan für Souveränität und Sozialismus fest und er befasste sich sehr genau mit den Bedürfnissen der Campesinos. Seit der Veröffentlichung des Plans sind mehr als zehn Jahre vergangen, viel Unglück ist seitdem geschehen, Chávez' Tod, Wirtschaftskrieg und Blockade. Dennoch, wenn man den Plan zur Hand nimmt und darin liest, so sieht man, dass das dort entwickelte Modell immer noch trägt.

Es liegt ein langer Weg vor uns, und der Feind hat seinen Teil getan, unsere Revolution zu verlangsamen, aber ich habe keinerlei Zweifel, dass wir am Ziel ankommen werden!

2. Juni 2023

Quelle: https://venezuelanalysis.com/interviews/15778

  • 1. "Plan de la Patría" ist der Name des Regierungsprogramms des 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez für den Zeitraum 2013 – 2019. Dieser sieht die Stärkung einer neuen sozialistischen Ökonomie vor, die sich vor allem auf den öffentlichen und kollektiven Besitz an Produktionsmitteln stützen soll, mit dem Ziel der Schaffung solidarischer und komplementärer Produktions- und Tauschverhältnisse