Havanna, 27. Juni 2010. Die Verteidigung von fünf kubanischen Agenten, die seit mehr als einem Jahrzehnt in den Vereinigten Staaten unter der Beschuldigung der Spionage in Haft sind, strebt mit einer neuen Berufung die Aufhebung des Urteils und ein neues Verfahren für Gerardo Hernández an, der zu einer zweifach lebenslangen Strafe verurteilt wurde.
"Wir wollen zunächst die Anschuldigungen und die Strafe aufheben und dann ein neues Verfahren für Gerardo fordern, sehen aber auch die Möglichkeit einer Reduzierung des Strafmaßes, wobei dies eine wichtige Alternative darstellt", sagte der US-amerikanische Anwalt Richard Klugh, einer der Rechtsvertreter von Hernández, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.
Der in Miami ansässige Experte für Kriminalrecht präsentierte am vergangenen 14. Juni gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Goldstein eine so genannte "Kollateralberufung" oder "Habeas Corpus" (Antrag auf Haftprüfung) zu Gunsten des Kubaners, der genau wie Antonio Guerrero, Ramón Labañino, Fernando González und René González 1998 in Florida verhaftet und 2001 unter anderem wegen "Verschwörung zur Spionage" verurteilt worden war.
Hernández, der 45 Jahre alt ist und in einem Hochsicherheitsgefängnis in Kalifornien einsitzt, verbüßt außerdem eine Strafe wegen "Verschwörung zum Mord". Begründet wurde dies mit dem Abschuss zweier Kleinflugzeuge der kubanischen Exilorganisation Hermanos al Rescate durch kubanische Jagdflugzeuge, der vier Todesopfer forderte.
Kuba bringt vor, dass seine Agenten keine geheimen Informationen über US-amerikanische Sicherheitsbelange gesucht haben, sondern darauf bedacht waren, sich in Exilgruppen in Miami einzuschleusen, um Attentate gegen die Insel zu verhindern. Die kubanische Regierung betrachtet sie als "Helden" und "Antiterrorismuskämpfer" und fordert, dass US-Präsident Barack Obama sie mittels eines Erlasses frei gibt.
Laut Klugh kann das neu eingereichte Gesuch, der "Antrag 2255", dazu führen, dass ein bereits abgeschlossener Fall neu eröffnet wird, wenn neue Beweise vorliegen, zu denen man während des ursprünglichen Verfahrens keinen Zugang hatte. Die Kollateralberufung wurde beim Bundesbezirksgericht von Miami eingereicht, von dem die fünf Kubaner verurteilt worden waren. Nun muss Richterin Joan Lenard, die bereits in erster Instanz die Urteile gesprochen hatte, über das weitere Vorgehen entscheiden.
"Es gibt keine feste Form, aber es ist am wahrscheinlichsten, dass Richterin Lenard einen anderen Amtsrichter dazu bestimmt, die Zeugenaussagen und Argumentationen anzuhören. Dies würde wahrscheinlich innerhalb von sechs Monaten stattfinden. Wir haben nicht mehr viele andere Alternativen als die des Antrags 2255, weshalb wir versuchte haben, alle existierenden Beweisgründe einzubeziehen", versicherte Klugh.
"Die erneute Berufung gibt uns die Möglichkeit, die Probleme zu erklären, die wir hatten, als wir uns mit den Anklagepunkten auseinander setzen mussten. Wir können auch weitere Faktoren vorzulegen, die wir während des Prozesses noch nicht kannten und die sich auf das Fehlverhalten der US-Regierung beziehen sowie negativen Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens hatten", fügte Klugh hinzu.
So schließe der Antrag eine Dokumentation mit ein, die kürzlich von prokubanischen Gruppen in Washington vorgelegt wurde und der zu folge Journalisten von Medien in Miami, die während des Prozesses negative Informationen über die Angeklagten veröffentlicht hatten, in den betreffenden Jahren von regierungsabhängigen Stellen Zahlungen erhalten haben.
"Es handelt sich um eine einzigartige Situation in der Geschichte der Vereinigten Staaten. In einem Gerichtsverfahren, das so voller politischer Implikationen steckt, hat sich noch niemals zuvor eine Situation ergeben, in der die Regierung dutzenden von Journalisten tausende und abertausende von Dollars bezahlt hat, um die Abneigung und die Vorurteile gegen die Angeklagten zu schüren", bekräftigte er und versicherte, dass die Regierung der Verteidigung der Kubaner zudem den Zugang zu Schlüsselinformationen des Falles versagt hat.
Der Anwalt sagte, dass darüber hinaus auch kein Beweis dafür zu führen sei, dass Hernández in den Abschuss der aus Florida kommenden Kleinflugzeuge verwickelt gewesen sei und gab zu bedenken, dass die Staatsanwaltschaft versucht habe, ihn zu einer Art "Sündenbock" zu machen, indem sie ihm "die übelsten Absichten und Kenntnisse, die er gar nicht gehabt haben konnte" unterstellt habe.
"Er war bei den Entscheidungen in Havanna über die Art und Weise, wie man den Flugzeugen begegnen sollte, überhaupt nicht anwesend. Es gab weder eine Notwendigkeit dafür, dass er davon gewusst hätte noch auch nur die Absicht, ihn darüber zu informieren", bekräftigte Klugh, wobei der darauf hinwies, dass "auch der spezifische Schauplatz des Abschusses sehr wichtig ist" und dass Hernández diesen ebenso wenig kennen konnte.
Die jeweiligen kubanischen und US-amerikanischen Versionen unterscheiden sich darin, ob der Vorfall sich in kubanischem oder internationalem Luftraum ereignet hat. "Kuba hat auf der Basis zahlreicher Informationen immer den Standpunkt vertreten, dass es zum Schutz seines eigenen Territoriums gehandelt habe. Gerardo dafür verantwortlich zu machen und ihm die gesamte Schuld aufzubürden ist andererseits für sich genommen ein Verbrechen", sagte der Anwalt.
Angesichts der neuen Berufung hatte die Verteidigung bereits bezüglich des Urteils gegen die fünf Kubaner Beschwerde vor dem Tribunal in Atlanta eingelegt, das angeordnet hatte, das Strafmaß gegen drei von ihnen zu verringern. Danach scheiterten die Anwälte vor knapp einem Jahr mit ihrem Versuch, den Obersten Gerichtshof in Washington den Fall erneut überprüfen zu lassen. In ihrem Antrag, der ohne weiteren Kommentar abgelehnt wurde, hatten sie geltend gemacht, dass in Miami kein gerechtes Verfahren gegen Anhänger der kubanischen Regierung durchgeführt werden könne.
Klugh sagte, dass einige Argumente der neuen Berufung auch für die vier anderen Kubaner Gültigkeit hätten, gab jedoch die Einschätzung ab, dass ihre Lage besser sei, da sie geringere Strafen bekommen haben: "Die Situation von Gerardo bedeutet eine unglaubliche Bestrafung. Auch die Stigmatisierung als Verschwörer zur Begehung von Mord ist schwerwiegend und wir müssen in unserem Kampf fortfahren, um dieses Problem zu lösen".