Richteramt per Direktwahl

Als erstes Land der Welt wählt Bolivien sein Justizpersonal an der Wahlurne

La Paz. Am vergangenen Wochenende hat Boliviens Parlament weitere offene Vorgaben der neuen Verfassung zur "Neugründung Boliviens" umgesetzt und in La Paz ein Gesetz verabschiedet, das für Ende des Jahres Wahlen der besonderen Art vorsieht. Im Oktober können die Bolivianer erstmals die Personalspitze der nationalen Gerichtsbarkeit per Stimmzettel ernennen. "Es handelt sich hier um einen weltweit einzigartigen Prozess", erklärte am Sonntag Héctor Arce, Präsident der Abgeordnetenkammer, in der die Bewegung zum Sozialismus (MAS) mit einer bequemen Zweidrittelmehrheit regiert.

Zu besetzen gilt es 54 Chefsessel für das Oberste Verfassungsgericht, den Obersten Gerichtshof, die Gerichte für Umwelt und Landwirtschaft und des Obersten Verwaltungsgerichts. "Nirgends auf der Welt hat ein Volk die Möglichkeit die Vertreter der Justiz direkt zu wählen", unterstreicht der MAS-Politiker die Bedeutung dieser "Dekolonisierung der Justiz". Boliviens Demokratie sei für "diesen großen Sprung bereit", so Arce. Das Ziel sei eine "Justiz der Gleichheit und Gerechtigkeit", erklärte Präsident Evo Morales in der Sendung "Das Volk ist die Nachricht". Bisher sei die Justiz von "Wirtschaft, Politik und Medien" gelenkt gewesen. Nun verspricht Morales im staatlichen TV eine "echte Demokratisierung".

Das zuständige Oberste Wahlgericht (TSE) hat nun grünes Licht gegeben, um die Wahl in die Wege zu leiten. Doch zunächst muss das Parlament in den nächsten Tagen die Bewerbungen auf die Richterposten offiziell ausschreiben. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist von 20 Tagen hat das Parlament dann 60 Tage Zeit, um aus den gültigen Eingaben per Zweidrittelmehrheit die geeigneten Kandidaten für die Wahl im Oktober zu bestimmen.

Bewerben können sich keine Mitglieder von Parteien und Bürgervereinigungen, es gibt eine 50-Prozent-Frauenquote, erstmals wird Berufserfahrung aus indigener Rechtsprechung gleichgestellt mit westlicher Jurisprudenz. Nach dem Auswahlverfahren übernimmt schließlich das TSE das Ruder, entwirft die Stimmzettel, leitet die landesweite Informationskampagne, führt den Urnengang durch und verkündet die Resultate. Das Gesetz vom Sonntag sieht für diesen letzten Schritt 90 Tage vor.

Die Opposition schlägt Alarm, die alten Machtgruppen haben Angst vorm Wandel. Die MAS-Regierung wolle die Justiz "enthaupten", mit eigenen Leuten besetzen. "Die Situation ist doch die, dass wir einen Staat haben, in dem die Staatsbürger keine reale Mitbestimmung ausüben, die Wahl ist doch nur symbolisch, eine Formalität", attestiert Centa Rek, Senatorin vom konservativen "Nationalen Zusammenschluss" (CN) den Niedergang der Demokratie. Allein eine Experten-Kommission der nationalen Juristenvereinigung dürfe die Kandidaten wählen.

"Nur das Parlament hat die vom Volk verliehene Legitimität", kontert MAS-Senatorin Gabriela Montaño. Weil im Vorfeld der Richterwahl klassischer Wahlkampf nicht erlaubt ist, ist aus Reihen der Regierungsgegner von "Zensur" und dem "Ende der Pressefreiheit" die Rede. "Die Wahlen sollen ohne Bevorteilung von keinem der Bewerber ablaufen", verspricht Präsident Morales.