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Gebt Guantánamo an Kuba zurück

Beitrag zur historischen und völkerrechtlichen Situation der US-Militärbasis auf Kuba aus der New York Times

In den elf Jahren seit der Eröffnung des Internierungslager in Guantánamo hat die quälende Debatte darüber, ob die Einrichtung geschlossen werden oder dauerhaften Charakter erhalten soll, einen schwereren Fehler überschattet, der mehr als ein Jahrhundert zurück liegt und alle US-Amerikaner etwas angeht: unsere fortwährende Besetzung von Guantánamo selbst. Es ist höchste Zeit, diese imperialistische Enklave an Kuba zurück zu geben.

Von dem Moment an, als die Vereinigten Staaten Kuba im Juni 1901 dazu zwangen, uns die Marinebasis in der Bucht von Guantánamo zu verpachten, war die US-Präsenz dort mehr als ein Stachel im Fleisch Kubas. Sie hat dazu gedient, die Welt an die lange Geschichte von interventionistischem Militarismus der USA zu erinnern. Nur wenige Gesten hätten eine so heilsame Wirkung auf die lähmend verfahrene Situation in den US-kubanischen Beziehungen gehabt wie die Übergabe dieses begehrten Stück Landes.

Die Umstände, unter denen die Vereinigten Staaten dazu kamen, Guantánamo zu besetzen, sind genauso beunruhigend wie ihre dortigen Aktivitäten im vergangenen Jahrzehnt. Im April 1898 intervenierten US-amerikanische Truppen in den schon drei Jahre währenden Kampf Kubas um seine Unabhängigkeit, als dieser so gut wie gewonnen war, und verwandelten den kubanischen Unabhängigkeitskrieg auf diese Weise in das, was die US-Amerikaner bis heute "Spanisch-Amerikanischen Krieg" nennen. US-Amerikanische Funktionäre schlossen damals die kubanische Armee vom Waffenstillstand aus und verweigerten Kuba einen Sitz bei der Friedenskonferenz von Paris. "Es gibt so viel Wut und Schmerz auf der ganzen Insel", bemerkte der kubanische General Máximo Gómez, nachdem im Januar 1899 der Friedensvertrag unterzeichnet worden war, "dass die Leute nicht wirklich in der Lage sind, den Triumph des Endes der Macht ihrer früheren Beherrscher zu feiern."

Kurioserweise enthielt die Kriegserklärung der Vereinigten Staaten an Spanien die Versicherung, dass Amerika keine "Souveränität, rechtliche Zuständigkeit oder Herrschaft" über Kuba anstrebe und die Absicht habe, "die Regierung und Kontrolle der Insel ihrer Bevölkerung zu überlassen." Nach dem Krieg erhielten jedoch strategische Notwendigkeiten den Vorrang vor der kubanischen Unabhängigkeit. Die Vereinigten Staaten wollten die Herrschaft über Kuba und dazu Marinebasen, um diese auszuüben.

Unter General Leonard Wood, den Präsident William McKinley zum Militärgouverneur von Kuba ernannt hatte, wurden Vorkehrungen in Form von Verfassungszusätzen getroffen, die als Platt-Amendment bekannt wurden. Zwei davon waren besonders übel: Der eine garantierte den Vereinigten Staaten das Recht, in alle kubanischen Angelegenheiten zu intervenieren; der andere sorgte für den Verkauf oder die Verpachtung von Flottenstützpunkten. Juan Gualberto Gómez, ein führender Delegierter der kubanischen Verfassungsgebenden Versammlung, sagte, dieser Gesetzeszusatz würde die Kubaner zu einem "Volk von Vasallen" machen. Wie in einer Vorahnung der kubanischen Raketenkrise warnte er vorausschauend, dass ausländische Basen auf kubanischem Boden das Land "in einen Konflikt (ziehen würden), der nicht der unsere ist und an dem wir keinen Anteil haben."

Es handele sich jedoch um ein Angebot, dass Kuba nicht ablehnen könne, wie Wood die Delegierten informierte. Die Alternative zum Platt-Amendment sei eine anhaltende Besatzung. Die Kubaner verstanden die Botschaft. "Unter dem Platt-Amendment bleibt natürlich nur eine geringe oder jedenfalls keine wirkliche Unabhängigkeit für Kuba übrig", bemerkte Wood gegenüber McKinleys Nachfolger, Theodore Roosevelt, im Oktober 1901, kurz nachdem der Platt-Gesetzeszusatz in die kubanische Verfassung eingefügt worden war. "Die vernünftigeren Kubaner sind sich dessen bewusst und spüren, dass nun das Streben nach Annektierung das einzig Folgerichtige ist."

Wer aber brauchte mit dem in Kraft gesetzten Platt-Ammendment eine Annektierung? Im Laufe der nächsten beiden Jahrzehnte entsandten die Vereinigten Staaten wiederholt Marinesoldaten, die in Guantánamo stationiert wurden, um ihre Interessen in Kuba zu schützen und eine Umverteilung von Land zu blockieren. Zwischen 1900 und 1920 strömten etwa 44.000 US-Amerikaner nach Kuba und steigerten die Kapitalinvestitionen auf der Insel von kaum 80 Millionen US-Dollar auf etwas über eine Milliarde US-Dollar, was einen Journalisten zu der Bemerkung veranlasste, dass "die ganze Insel nach und nach in die Hände von amerikanischen Bürgern übergeht."

Wie sah dies nun aus kubanischer Perspektive aus? Man muss sich einmal vorstellen, dass die Franzosen am Ende der Amerikanischen Revolution beschlossen hätten, hier zu bleiben. Man stelle sich weiter vor, die Franzosen hätten sich geweigerten, Washington und seine Armee am Waffenstillstand von Yorktown zu beteiligen. Angenommen sie hätten dem Kontinentalkongress einen Sitz beim Aushandeln des Pariser Abkommens verweigert, die Enteignung von Tory-Besitztümern unterbunden, den Hafen von New York besetzt, Truppen entsandt, um den Shay-Aufstand und andere Rebellionen niederzuwerfen und wären dann in Scharen in die Kolonien eingewandert, um das wertvollste Land an sich zu reißen.

So sieht der Zusammenhang aus, in dem die Vereinigten Staaten dazu kamen, Guantánamo zu besetzen. Es handelt sich um eine Geschichte, die aus den US-amerikanischen Lehrbüchern ausgeklammert wird und in den Diskussionen über Terrorismus, internationales Recht und die Reichweite exekutiver Macht vernachlässigt wird. Es ist jedoch auch eine Geschichte, die in Kuba (wo sie mit ein Grund für die Revolution von 1959 war) und in ganz Lateinamerika bekannt ist. Sie bleibt ein eklatantes Symbol von Heuchelei für die ganze Welt. Da brauchen wir vom vergangenen Jahrzehnt gar nicht zu reden.

Wenn Präsident Obama diese Geschichte anerkennen und einen Prozess zur Rückgabe von Guantánamo an Kuba in Gang setzen würde, könnte er damit beginnen, die Fehler der letzten zehn Jahre hinter uns zu lassen, ganz zu schweigen von der Erfüllung eines Versprechens aus seiner Wahlkampagne. (Angesichts der Unnachgiebigkeit des Kongresses gibt es vielleicht keinen besseren Weg, das Internierungslager zu schließen, als gleichzeitig den Rest der Marinebasis zu übergeben.) Dies würde einer jahrelangen Beschwerde nachkommen und das Fundament für neue Beziehungen zu Kuba und anderen Ländern in der westlichen Hemisphäre und rund um den Globus legen. Schließlich würde es eine unmissverständliche Botschaft aussenden, dass Integrität, Selbstüberprüfung und Offenheit kein Beweis von Schwäche, sondern unverzichtbare Merkmale von Führerschaft in einer sich ständig verändernden Welt sind. Es gäbe sicherlich keine passendere Art und Weise, den heutigen finsteren Jahrestag zu achten, als für die Prinzipien einzustehen, die Guantánamo seit mehr als einem Jahrhundert untergraben hat.


Jonathan M. Hansen ist Historiker an der Harvard-Universität und Autor des Buches "Guantánamo: An American History." Übersetzung und Abdruck erfolgen mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Orignalbeitrag erschien am 10. Januar in der Tageszeitung New York TImes.