Wikileaks und die Redefreiheit

Appell der Regisseure Oliver Stone und Michael Moore, die Grundrechte des Internet-Aktivisten Julian Assange zu verteidigen

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Filmemacher Oliver Stone
Filmemacher Oliver Stone

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Michael Moore auf den Filmfestspielen von Venedig 2009
Michael Moore auf den Filmfestspielen von Venedig 2009

Als Filmproduzenten haben wir stets den Missstand angeprangert, dass die Massenmedien in den Vereinigten Staaten meist versäumen, uns US-Bürger auch über die weniger erfreulichen Aktionen unserer eigenen Regierung zu informieren. Deshalb waren wir sehr dankbar für die Arbeit von Wikileaks und beglückwünschen Ecuador zu der Entscheidung, dem Gründer dieser Plattform, Julian Assange, der sich momentan in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhält, diplomatisches Asyl zu gewähren.

Ecuador hat im Einklang mit den wichtigen Grundsätzen der internationalen Menschenrechte gehandelt. In der Tat gäbe es keinen besseren Beweis für die Angemessenheit von Ecuadors Vorgehen als die Androhung der britischen Regierung, ein unantastbares Prinzip der diplomatischen Beziehungen zu verletzen und die Botschaft zu stürmen, um Herrn Assange festzunehmen.

Wikileaks hat seit seiner Gründung die Videoaufnahme Collateral Murder veröffentlicht, die das offenbar willkürliche Töten von Zivilisten in Bagdad durch einen US-amerikanischen Apache-Kampfhubschrauber zeigt, sowie feine Details über das wahre Gesicht der Kriege im Irak und in Afghanistan ans Licht gebracht. Die Plattform enthüllte geheime Absprachen zwischen den Vereinigten Staaten und Jemens diktatorischer Regierung zur Verschleierung unserer Verantwortung für die Bombardements dort, zeigte auf, wie unsere Regierung andere Länder unter Druck setzte, damit sie Amtsträger der Bush-Ära nicht für Folter belangten und vieles mehr.

Wie vorauszusehen war, ist die Reaktion derer, die die Vereinigten Staaten lieber weiter im Verborgenen gesehen hätten, heftig. Hohe Repräsentanten aus beiden Parteien haben Herrn Assange als "Hightech-Terroristen" bezeichnet. Die Senatorin Dianne Feinstein, kalifornische Demokratin und Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, hat verlangt, ihn nach dem Spionage-Gesetz anzuklagen. Den meisten US-Amerikanern, Briten und Schweden ist dabei nicht bewusst, dass Schweden Herrn Assange formell keines Verbrechens angeklagt hat. Vielmehr wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen, um ihn zu den Anschuldigungen des sexuellen Missbrauchs aus dem Jahr 2010 zu befragen.

Diese Vorwürfe müssen gründlich untersucht werden, bevor Herr Assange in ein Land geht, in dem er außer Reichweite des schwedischen Justizsystems sein könnte. Doch es sind ausgerechnet die britische und die schwedische Regierung, und nicht Herr Assange, die einer Untersuchung im Wege stehen.

In anderen Fällen sind schwedische Behörden für ihre Ermittlungen ins Ausland gereist, wenn es nötig war, und der Wikileaks-Gründer hat seine Bereitschaft erklärt, sich in London verhören zu lassen. Ferner hat die ecuadorianische Regierung Schweden das direktes Angebot gemacht, Herrn Assange innerhalb der Botschaft Ecuadors zu befragen. Schweden lehnte beides ab.

Herr Assange hat sich zudem dazu verpflichtet, umgehend nach Schweden zu reisen, wenn die schwedische Regierung garantiere, ihn nicht an die Vereinigten Staaten auszuliefern. Die schwedischen Beamten haben kein ernsthaftes Interesse an diesem Vorschlag gezeigt. Außenminister Carl Bildt teilte einem Rechtsberater von Herr Assange und Wikileaks kürzlich mit, dass Schweden unter keinen Umständen solch eine Zusage machen werde. Auch die britische Regierung hätte laut internationaler Abkommen das Recht, die Auslieferung Assanges an die USA zu verhindern, doch sie hat ebenso abgelehnt, Gebrauch von diesem Recht zu machen. Die Bemühungen Ecuadors, eine Vereinbarung zwischen diesen beiden Regierungen zu vermitteln, wurden zurückgewiesen.

Alles in Allem spricht das Verhalten der britischen und der schwedischen Regierung dafür, dass ihre eigentliche Absicht darin besteht, Herrn Assange nach Schweden zu bringen. Aufgrund von Abkommen und anderer Erwägungen, könnte er von dort aus wohl leichter an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden. Dort droht ihm eine Anklage. Herr Assange hat gute Gründe für diese Befürchtung. Das Justizministerium hat bestätigt, dass es im Fall Wikileaks weiter ermitteln wolle, und kürzlich veröffentlichte Dokumente der australischen Regierung bestätigen, dass "die Ermittlungen der USA über ein möglicherweise kriminelles Verhalten von Herr Assange seit mehr als einem Jahr andauern". Wikileaks selbst hat E-Mails von der privaten Sicherheitsfirma Stratfor enthüllt, die aufzeigen, dass ein Großes Geschworenengericht bereits eine versiegelte Anklage gegen Herrn Assange herausgegeben hat. Die Geschichte weist darauf hin, dass sich Schweden dem Druck der Vereinigten Staaten beugen und Herrn Assange aushändigen würde. Im Jahr 2001 lieferte die schwedische Regierung zwei Asyl suchende Ägypter an die CIA aus, die sie dem Mubarak-Regime überstellte und somit der Folter aussetzte.

Wenn Herr Assange an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird, werden die Folgen noch jahrelang in der ganzen Welt nachhallen. Herr Assange ist kein US-Staatsbürger, und keine seiner Handlungen haben auf amerikanischem Boden stattgefunden. Wenn die Vereinigten Staaten einen Journalisten unter diesen Umständen verfolgen können, könnten Russland oder China mit der gleichen Logik verlangen, dass ausländische Reporter irgendwo auf der Welt ausgeliefert werden, weil sie ihre Gesetze missachten. Die Errichtung eines solchen Präzedenzfalles sollte alle zutiefst beunruhigen, egal ob Bewunderer oder Kritiker von Wikileaks.

Wir appellieren an die Menschen in Schweden und Großbritannien, von ihren Regierungen die Antwort auf ein paar grundlegende Fragen zu verlangen: Warum lehnen die schwedischen Behörden es ab, Herrn Assange in London zu verhören? Und warum kann weder die eine, noch die andere Regierung versichern, dass Herr Assange nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird? Die Bürger in Großbritannien und Schweden haben die seltene Gelegenheit, sich im Interesse der gesamten Welt entschieden für die Redefreiheit einzusetzen.


Michael Moore und Oliver Stone sind Filmproduzenten mit Oscar-Auszeichnung. Sie veröffentlichten diesen Text am 20. August 2012 in der New York Times.