Kolumbien: Bergbau, Armut und Krankheit

Zweiter Bericht des Rechnungsprüfungshofes zeigt gravierende Missstände auf

huelga_mineria.jpg

Mitglieder der Bergarbeitervereinigung Marmato beim landesweiten Streik im Kohlebergbau im Juli 2013
Mitglieder der Bergarbeitervereinigung Marmato beim landesweiten Streik im Kohlebergbau im Juli 2013

Im Mai 2013 veröffentliche der Rechnungsprüfungshof (Contraloría) einen ersten Bericht über den Bergbau, der unter anderem den gesamtwirtschaftlich fraglichen Nutzen des Bergbaus thematisierte. Mitte Januar hat nun die Contraloría einen zweiten Band veröffentlicht, unter dem Titel "Bergbau in Kolumbien. Institutionalität und Territorium, Paradoxe und Konflikte". Dabei werden von namhaften Wissenschaftlern und Autoren kritische Fragen aufgeworfen, die Präsident Santos‘ Entwicklungslokomotive noch mehr in Frage stellen. Gerade im Bereich der negativen Folgen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit macht der Bericht klare Aussagen, die die Beschönigungen der Bergbauunternehmen Lüge strafen und den kranken Opfern der Kohleminen etwas Hoffnung geben, dass ihre Krankheiten endlich anerkannt und korrekt behandelt werden.

Lebensqualität in den Kohlerevieren landesweit am schlechtesten

Zwei Autoren des Contraloría-Berichtes gehen der Frage nach, inwiefern sich die Lebensqualität in Dörfern mit Bergbauaktivitäten, in Drogenanbaugebieten und in Gemeinden mit einer "normalen" Wirtschaftsstruktur unterscheidet. Eine leitende Frage war: was ist die Gegenleistung, die die Bevölkerung in Bergbaugegenden von einem Wirtschaftssektor erhalten hat, der über Jahre das Wirtschaftswachstum und die Exporte anführte und Millionen an Royalties generierte, die in die Produktionsgebiete investiert werden mussten? Wie sind die sozialen Bedingungen, wie ist die Situation bei Bildung und Gesundheit, im Umweltbereich? Leben die Bewohner von Bergbaugegenden besser als diejenigen aus Cocagebieten, die als Inbegriff einer fehlgeleiteten Entwicklung gelten? Obwohl schon bekannt war, dass die soziale Entwicklung nicht mit dem Reichtum korreliert, der in Bergbaugebieten geschaffen wird, war die Überraschung doch groß, dass Bergbaugemeinden in den meisten untersuchten Bereichen noch schlechter abschnitten als cocaproduzierende Dörfer. Einwohner von Bergbaugebieten haben mehr unbefriedigte Grundbedürfnisse, eine stärker beschädigte Umwelt, defizitärere Gesundheitsdienste und größere Armut als Personen, die in Coca-Anbaugebieten leben.

Die zwei Wirtschaftswissenschaftler verglichen sieben Departemente, die Bergbau und Erdölförderung konzentrieren, mit den wichtigsten Coca-Annbauregionen und mit Regionen ohne Bergbau und Erdöl. Eine erste wichtige Schlussfolgerung: obwohl die sieben Departemente über Jahre den größten Teil der Royalties erhielten, hat sich die Lebensqualität der dortigen Bevölkerung nicht nur nicht verbessert, vielmehr hat sich in den meisten Fällen die Rückständigkeit gegenüber anderen Regionen gefestigt. In Cesar und der Guajira, mit den größten Minen des Landes, liegt der Anteil der armen BewohnerInnen bei 91 Prozent respektive 89 Prozent; in den übrigen Bergbaugebieten (Gold und Nickel) liegt die Armut bei 74 Prozent, in den Erdölfördergebieten bei 65 Prozent und in den Gebieten ohne Rohstoffförderung bei 43 Prozent. Auch im Umweltbereich ist das Panorama der Nickel- und Kohlegebiete betrüblich: von 2000 bis 2007 betrug die jährliche nationale Abholzungsrate 5 Hektar pro 1.000 Hektar Wald, in den Gemeinden Cordobas, die die Nickelroyalties erhalten, betrug die Abholzung 75 Hektar pro Tausend Hektar, in der Guajira 45 Hektar und im Cesar 46.

Auch im Gesundheitsbereich werden katastrophale Zahlen aufgeführt: Die Kindersterblichkeit in Gemeinden ohne Bergbau im Jahr 2011 betrug 12 Todesfälle auf 1.000 Lebendgeburten, in Goldproduktionsgemeinden (ohne Antioquia) steigt die Zahl der Todesfälle auf 40 pro 1.000 Lebendgeburten, gefolgt von den Kohleregionen Guajira und Cesar mit 34 respektive 33 Todesfällen.

Bei der Bildung liegen Bergbaugebiete zwar beim Schulbesuch (Primar- und Sekundarschule) gut drin (hohe Einschulungsquote beispielsweise im Cesar), die Qualität ist aber wesentlich schlechter als in anderen Gemeinden, wie sich bei Prüfungsvergleichen zeigt. In der Guajira sind 27 Prozent der Bewohner Analphabeten, während es im Landesschnitt 17 Prozent sind.

Bei der allgemeinen Lebensqualität weisen die Gebiete ohne Rohstoffausbeutung die besten Indikatoren auf, dicht gefolgt von den Erdölfördergebieten. Schlechter stehen die Gebiete mit Nickel- und Goldproduktion, und weit abgeschlagen noch hinter den Coca-Regionen folgen Cesar und Guajira mit dem Kohleabbau. Diese Analyse zeigt, dass Wirtschaftswachstum und Schaffung von Reichtum nicht genügen, um eine integrale Entwicklung voranzutreiben. Der Reichtum, der in den Bergbaudörfern seit zwei Jahrzehnten gefördert wird, wird von den Unternehmen abgeschöpft und nur die Arbeiter haben einen kleinen Anteil daran, während sonst Armut dominiert. Es handelt sich um eine klassische Situation des Rohstofffluches.

Die Gesundheitsfolgen, die große Unbekannte?

In einem weiteren Kapitel kam die Contraloría zum Schluss, dass es in Kolumbien selbst kaum Studien über die Gesundheitsfolgen des Kohleabbaus gebe und dass daher ein schwerwiegendes Gesundheitsproblem in der Guajira und im Cesar zu wenig erkannt worden sei. So klagen ehemalige Arbeiter von Drummond, dass der Kohlestaub, den sie über Jahre einatmeten, bei ihnen Lungenkrebs verursachte. Die Vereinigung der kranken Arbeiter (Asociación de Trabajadores Enfermos) in Santa Marta hat 800 Personen registriert, die Probleme mit der Wirbelsäule, Sehnenentzündungen, Atemwegserkrankungen oder psychische Probleme haben. Drummond hat einen Zusammenhang mit der Arbeit stets zurückgewiesen. Diese Probleme betreffen aber nicht nur Drummond. Arbeiter, Indigene und Anwohner der Kohlenminen in der Guajira und im Cesar, wo Cerrejón, Prodeco und Colombian Natural Ressources arbeiten, klagen über ähnliche Symptome. Da es bisher in Kolumbien keine wissenschaftlichen Studien gibt, die den Zusammenhang zwischen Kohlenminen und Gesundheitsproblemen nachweisen, wurde den Klagen der Arbeiter und Anwohner kein Glauben geschenkt und sie erhielten kaum Entschädigungen und angepasste medizinische Versorgung.

Eine der wenigen Studien, die in Kolumbien gemacht wurden, stammt von einer Zellbiologin aus dem Jahr 2011. Sie konnte nachweisen, dass die Arbeiter des Cerrejón Anzeichen von Schädigungen an der ADN in den Lymphozyten aufweisen. Der Toxikologe Jesus Olivero Verbel hat in einem Kapitel die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst, sowohl aus Kolumbien wie auch aus anderen Ländern. So gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die aufzeigen, wie Kohlepartikel die umliegenden Ökosysteme beeinträchtigen und das genetische Material von Reptilien, Nagetieren, Wasserpflanzen und Menschen schädigen. Olivero Verbel hält fest, dass es trotz der geringen lokalen wissenschaftlichen Erkenntnisse genug internationale Evidenz gebe, die aufzeige, wie schlimm es um die Gesundheit der Bewohner rund um die Kohlenminen stehen könnte. So zeigte eine Studie aus der Tschechischen Republik auf, dass Arbeiter von Kohlenminen, die an Staublunge leiden, auch ein erhöhtes Risiko haben, an Lungenkrebs zu erkranken. Fälle aus anderen Ländern bestätigen diesen Befund: in der Türkei konnten Schäden an der ADN und in Brasilien und China genetische Veränderung in Blutzellen von Amphibien und Fischen nachgewiesen werden.

Olivero Verbel wirft dem Umweltministerium vor, keine Ahnung über das wirkliche Ausmass der Umweltverschmutzung rund um die Kohlehäfen in Santa Marta und Ciénaga zu haben und dass es kaum wissenschaftliche Untersuchungen über den Zustand des Meeresbodens in Küstennähe gebe. Die Regierung habe sich nie wirklich dafür interessiert zu wissen, wie es den Personen die um die Kohlenminen leben, wirklich geht, und die Unternehmen würden nie anerkennen, dass sie negative Auswirkungen auf die umliegenden Gemeinschaften haben. Die Regierung hätte die Möglichkeit, den Unternehmen das Gegenteil zu beweisen, aber es fehle am Willen und an Ressourcen. So gibt es zum Beispiel kein Register der Fälle von Staublunge, es ist nicht bekannt, wie viele Personen davon betroffen sind. Das Gesundheitsministerium hat versichert, es gäbe keine Hinweise darauf, dass Abbau und Transport der Kohle Folgen für die öffentliche Gesundheit hätten, was Olivero Verbel in Zweifel zieht, da die chemische Struktur der Kohlepartikel komplex sei und das Ökosystem auf verschiedene Weise beeinträchtigen könne. Betroffen seien Wasservorkommen, Böden sowie Fauna und Flora, die Menschen inbegriffen. Ganze Ökosysteme würden zerstört, mit gravierenden Folgen für die Ernährungssicherheit und mit der Vertreibung von ganzen Gemeinschaften, die Jahrelang in der Ungewissheit über ihr Schicksal ausharren müssen und unter der Gleichgültigkeit der Regierung und völliger Vernachlässigung leiden; Folgen die kaum je in einer Kosten-Nutzen-Analyse mitbetrachtet würden.

Olivero Verbel äussert sich sehr kritisch über die Situation der umzusiedelnden Gemeinschaften. Sie hätten dort die Entwicklung der Kinder untersucht, die in ihrer geistigen Entwicklung im Landesvergleich zurück liegen, vergleichbar mit anderen armen und vom Staat vernachlässigten Zonen. Verschiedene andere Studien seien aber ausstehend, z.B. sei nur punktuell die Bleibelastung im Umfeld der Minen untersucht worden. Auch sei es nicht einfach, auf dem Minengelände selbst Proben zu nehmen, sogar staatliche Funktionäre hätten häufig keinen Zutritt zu den Minen, um unabhängige Proben zu erhalten. Besonders kritisch sei Feinstaub unter 2,5 Mikrometer, der vor allem in Kohlenminen entstehe und der fast nie gemessen werde. Bei Messungen würde wohl kaum eine Mine internationale Standards erfüllen. Auch die Messstationen würden nicht immer funktionieren, stehen an ungeeigneten Orten oder es gebe kein geschultes Personal, um sie zu bedienen. Zudem würden die Resultate den Betroffenen nie in Echtzeit zur Verfügung gestellt.(5)