Am Mittwoch, 22. Januar 2020, veröffentlichte die US-amerikanische Washington Post, die als eine der wichtigsten Zeitungen der Welt gilt, einen Artikel von Luiz Inácio Lula da Silva, in dem der ehemalige Präsident Brasiliens die Verfolgung des Journalisten Glenn Greenwald vom Portal "The Intercept Brasil" anprangert. Der Journalist ist im Visier des Bundesministeriums für Öffentliche Angelegenheiten, das ihn des Eindringens in Mobiltelefone der brasilianischen Behörden beschuldigt. (Instituto Lula)
Stellen Sie sich vor, wie die Geschichte der USA ausgesehen hätte, wenn die Öffentlichkeit und die Behörden in den 1970er Jahren mehr damit beschäftigt gewesen wären, gegen Carl Bernstein und Bob Woodward zu ermitteln und sie anzugreifen, als nach der Wahrheit über den Watergate-Skandal zu suchen. Wenn Kongress und FBI beschlossen hätten, gegen die Reporter der Washington Post und ihre Quellen zu ermitteln, statt gegen die Republikanische Partei.
Genau das geschieht heute in Brasilien, wo der Journalist Glenn Greenwald wegen seiner journalistischen Tätigkeit vor Gericht angeklagt ist.
Greenwald wird der Cyber-Kriminalität beschuldigt ‒ wegen seiner Berichte aus dem vergangenen Jahr über Leaks von Telefonbotschaften, durch die schwere Rechtsverstöße einer Task Force zur Untersuchung von Korruption (der sogenannten "Operação Lava Jato", Operation Autowäsche) zum Vorschein kamen. Greenwald wurde zur Zielscheibe, seit seine Nachrichtenseite The Intercept Brasil damit begonnen hatte, auf durchgesickerten Botschaften basierendes Hintergrundmaterial zu veröffentlichen, das er aus einer geheimen Quelle hatte.
The Intercept wies nach, dass es Absprachen zwischen dem Richter und den Bundesanwälten gab, die mit dem Fall befasst waren. Der Richter, Sergio Moro, ist jetzt Justizminister von Präsident Jair Bolsonaro ‒ die Belohnung, die er für die politische Steuerung der Korruptionsuntersuchung bekommen hatte.
Moro und die Aktionen der Staatsanwaltschaft waren die Grundlage für den unfairen Prozess gegen mich. Greenwalds Ermittlungen sind der genaue Nachweis, wie die Operation Lava Jato meine gesetzlich garantierten Rechte und Menschenrechte verletzte.
Und jetzt sind sie hinter der Presse her. Der Bundesanwalt, der den Journalisten anklagte, verstieß gegen eine Anordnung des brasilianischen Obersten Gerichtshofs, der sich schützend vor Greenwalds Pressefreiheit stellte.
Missbräuche wie dieser sind in Brasilien nichts Neues. Die politisch motivierte Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff im Jahr 2016 war ein klarer Verstoß gegen die Verfassung und wies damit die Richtung für die fortdauernde Manipulation des Justizsystems gegen politische Gegner.
Aber wir müssen die Hauptsache im Blick behalten. Die von The Intercept Brasil aufgedeckten Geheimbotschaften bestätigten, dass Moro und die Staatsanwälte Rechtsanwälte abhörten, dass sie Beweise verschleierten und Zeugenaussagen lenkten, um Anklagen und Verurteilungen zu verfälschen. Um die öffentliche Meinung zu manipulieren, ließen Moro und die Staatsanwälte einen Telefonanruf von Dilma Rousseff illegal durchsickern. Die nun aufgedeckten Botschaften zeigen, dass sie den Obersten Gerichtshof über diese Tatsachen belogen haben ‒ und sie belügen das Land bis heute.
Mit wenigen Ausnahmen spielen die brasilianischen Medien dabei mit. Die Berichterstattung des mächtigen TV Globo konzentriert sich auf eine Untersuchung der Bundespolizei, die darauf zielt, Greenwalds Quellen und den Journalisten selbst zu kriminalisieren.
Die Beteiligung der Medien bei dieser ganzen Farce veränderte den Lauf der Geschichte und trug zur Wahl des Rechtsradikalen Bolsonaro bei. Vor den Anschuldigungen gegen den Journalisten war landesweites Thema, dass der Präsident einen Verherrlicher des Nazismus zum Kultusminister machte.
Seit längerer Zeit habe ich angesichts des groben Justizunrechts um meinen Namen kämpfen müssen, aber meine derzeit größte Sorge ist die tiefgreifende Zerstörung unseres Landes, die von dieser Regierung verursacht wird. Die Menschen mögen mit einem Politiker oder einer Partei einverstanden sein oder nicht. Aber eine unparteiische Justiz und die Pressefreiheit dürften nicht zur Debatte stehen.
Greenwald ist Zeuge und er ist Reporter, und nun ist er das jüngste Opfer bei der Zerschlagung der brasilianischen Demokratie.