Venezuela / Politik

"Wir können qualitativen Sprung nach vorn machen"

Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas setzt auf Aufbau der Volksmacht. Kommunalwahlen am Sonntag. Gespräch mit Guillermo Vizcaya

Guillermo Vizcaya ist Wahlkampfleiter für die Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) für den Bezirk Valencia im Bundesstaat Carabobo. Er ist außerdem Mitglied eines revolutionären Kulturkollektivs und Basisaktivist

Am Sonntag werden in Venezuela neue Kommunal- und Landesparlamente gewählt. Wofür steht Ihre Partei, die Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV), im Bezirk Valencia?

Wir vertreten das historische Projekt eines »kommunalen Valencia«, das die reale Partizipation der Bevölkerung und den Aufbau der Volksmacht zum Ziel hat. Der bürgerliche Staat ist nach wie vor intakt. Wir sind aber bereit, in die Institutionen zu gehen, um einige davon - zumindest die wichtigsten - der Volksmacht unterzuordnen. Die Volksmacht muß einen organisatorischen Charakter haben, der sich in Arbeiterräten ausdrückt. So können wir alle gemeinsam unseren Sozialismus aufbauen. Wir glauben, daß wir uns heute - zehn Jahre nach Beginn des revolutionären Prozesses - in einem historischen Moment befinden. Einem Moment, in dem wir beginnen können, dem bürgerlichen Staat die ersten Niederlagen beizubringen. Die beste Möglichkeit dazu eröffnet ein organisiertes Volk und die gleichzeitige Infiltration innerhalb des bürgerlichen Staates.

In diesem Zusammenhang wird von der »Versammlung des organisierten Volkes« oder dem »Congresillo« gesprochen ...

Ja, dadurch soll der »historische Block«, wie es Gramsci genannt hat, in Richtung des Aufbaus des Sozialismus voranschreiten. Der wissenschaftliche Sozialismus lehrt, daß die Arbeiter die Protagonisten der großen Transformationen der Gesellschaft sind. Aber wir sehen uns in einer etwas anderen Realität: In Venezuela ist die Zahl der Fabrikarbeiter sehr klein. Deshalb müssen wir sie in den Arbeiterräten mit der großen Zahl der Bauern, der informellen Beschäftigten, der Hausfrauen und der Aktivisten der sozialen Missionen zusammenbringen. So können wir dem bürgerlichen Staat den Todesstoß versetzen. Konkret bedeutet das, die Gemeinderäte und Landtage abzuschaffen und durch partizipative Strukturen zu ersetzen.

Wir glauben, daß wir auf diesem Weg des organisierten Volkes den großen qualitativen Sprung nach vorn machen werden und sich im elften Jahr der Revolution die kollektive Partizipation realisieren läßt. Was uns bevorsteht, ist die Transformation des bürgerlichen zu einem sozialen Staat.

Viele der ehemals chavistischen Bürgermeister und Gouverneure sind heute Gegner des Prozesses. Wie konnte das passieren?

Ohne Zweifel gab es vor fünf Jahren viele von uns, denen es an politischem Bewußtsein gemangelt hat. Zu dieser Zeit waren der bürgerliche Staat und die Sozialdemokratie noch völlig intakt, und wir haben diese Kandidaten unterstützt, weil es zunächst notwendig war, die Wahlen zu gewinnen. Es gab viele, die nicht ausreichend politisch geschult waren und die durch die Strukturen des Staates korrumpiert wurden. Ich glaube, daß diese Erfahrung notwendig war, damit sich die restlichen Revolutionäre selbst im Spiegel sehen konnten. Diejenigen, die uns verraten haben, sind so arm, daß sie nichts haben als ihr Geld. Sie können den einfachen Leuten nicht mehr in die Augen schauen, weil sie wissen, daß sie sich korrumpieren ließen.

Das hat aber auch zu Mißtrauen geführt, oder?

Natürlich ist die Enttäuschung sehr groß. Wenn man Hoffnungen in eine Person setzt und dann verraten wird, erzeugt das Niedergeschlagenheit. Aber für uns ist klar, daß die aktuellen Kandidaten nicht das wichtigste sind, weil wir nicht mehr von ihnen abhängen werden. Es geht nicht darum zu bitten und zu warten, sondern darum, die Volksmacht aufzubauen. Wir werden den Menschen erklären, daß eine Person nur Repräsentant eines Projektes ist. Wenn diese uns verrät, werden wir die Volksmacht nutzen. Natürlich gibt es kommunale Räte, die nicht gut funktionieren, aber die Mehrheit hat gezeigt, daß diese Struktur taugt, um die wesentlichen Probleme zu lösen. Wenn die Menschen erkennen, daß ihr Leben in ihren eigenen Händen liegt und nicht von Einzelpersonen abhängt, wird der Verrat einzelner immer unbedeutender.


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