Anhaltende Stromausfälle in Brasilien

Streit um Preise und Kontrolle der Elektrizitätsindustrie. Soziale Bewegungen kritisieren Regierungsmaßnahmen als unzureichend

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Überlandleitungen in Brasilien
Vermehrte Netzausfälle in Brasilien: Sparen die Unternehmen an der Qualität?

Rio de Janeiro. In Brasilien ist es erneut zu einem Stromausfall in weiten Teilen des Landes gekommen. Laut Angaben der Netzbetreiber waren in Teilen der  Bundesstaaten Rio de Janeiro, São Paulo und von Minas Gerais rund zwei Millionen Konsumenten am frühen Samstagabend (Ortszeit) ohne Strom.

Die Behörden teilten am Montag mit, der Netzausfall habe seinen Ursprung im Wasserkraftwerk Itumbiara im Bundesstaat Goiás, das mit seinen 8,8 Gigawatt einen Großteil des in den Ballungsräumen Rio, São Paulo und Belo Horizonte verbrauchten Stroms liefert. Techniker wurden demnach am Montag vor Ort geschickt, um die genaue Ursache herauszufinden.

In diesem Jahr ist es bereits zu über 60 Netzausfällen gekommen. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem der seit Jahren in Brasília schwelende Streit um die Netzentgelte und Stromkosten zu eskalieren droht. Ende September hatte Brasiliens Regierung verkündet, dass die Strompreise ab Februar kommenden Jahres für Privathaushalte um 16 Prozent und die der Industrie zwischen 20 und 28 Prozent sinken würden. Dazu schlug die Regierung vor, die eigentlich erst zwischen 2015 und 2017 auslaufenden Konzessionsverträge mit Energieproduzenten und Netzbetreibern vorzeitig zu verlängern, aber zu geänderten Konditionen von bis zu 70 Prozent bei der Höhe des von den Netzbetreibern einzufordernden Preises für die Durchleitung. Auch bei den Stromproduzenten fordert die Regierung niedrigere Preise. Zudem soll die staatliche Abgabenlast auf die verbrauchten Kilowattstunden reduziert werden.

Vertreter von Stromkonzernen und Netzbetreiber warfen der Regierung daraufhin vor, bei diesen Preisen könne gleichbleibende Qualität nicht gewährleistet werden. Die Regierung in Brasília bot dem Stromsektor im Gegenzug, zu den neuen Bedingungen der Konzessionen staatliche Ausgleichszahlungen in Milliardenhöhe an: für die Netzbetreiber 12,9 Milliarden Reais (knapp fünf Milliarden Euro), für die Stromproduzenten rund sieben Milliarden Reais (umgerechnet 2,7 Milliarden Euro).

Der Vorsitzende der dem Energieministerium unterstellten Staatsfirma für Energieforschung (EPE), Maurício Tolmasquim, entgegnete den Kritikern aus der privaten und staatlichen Stromwirtschaft, sie wollten ihre Pfründe verteidigen: "Wenn sie eine enorme Rendite erzielen, dann ist das normal, dass sie diese immer erzielen wollen. Sich zu beschweren, das ist ganz normal", so Tolmasquim.

Auch Heitor Scalambrini Costa, Professor der Bundesuniversität von Pernambuco und ausgewiesener Kenner des brasilianischen Stromsektors, wies  darauf hin, dass die von der Regierung neu auferlegten Bedingungen für die Konzerne offensichtlich doch nicht ganz so schlimm seien, wie von diesen behauptet: "Selbst bei all den Beschwerden und dem Geschrei, hat die Stromwirtschaft dennoch fast komplett den Bedingungen zugestimmt." Trotzdem weigern sich einige Netzbetreiber und Stromproduzenten, unterstützt von Landesregierungen, die von der oppositionellen PSDB geführt werden, auf die neuen Vorgaben Brasílias einzugehen.

Die sozialen Bewegungen kritisierten die Regierungsmaßnahmen trotz der angekündigten Reduzierungen der Strompreise für die Endkunden dennoch deutlich. Leonardo Bauer Maggi vom Sekretariat der Bewegung der Staudammbetroffenen (Movimento dos Atingidos por Barragen, MAB) wies im Interview mit amerika21.de auf die Schieflage der Strompreisreduktionen hin. Die Preisreduktion ist laut Maggi bei der Industrie viel größer als bei den Menschen: "Bis zu 28 Prozent Preissenkung bei der Industrie, aber für die kleinen Leute nur bis zu 16 Prozent." Wer aber am Ende die Rechnung zahle, seien die brasilianischen Privathaushalte, die kleinen Leute, so Maggi.

Die Bewegung der Staudammbetroffenen (MAB) arbeitet seit Jahren an eigenen Energiekonzepten, die sie als Alternative gegen das bestehende Modell der Stromproduktion ins Feld führen. Anstatt der umstrittenen zentralen Wasserkraftanlagen müsse die Produktion dezentraler erfolgen, in sehr kleinen Anlagen. Anstatt der Privatisierung tritt MAB für die staatliche Kontrolle der Energieproduktion und Verteilung ein: "Energie kann und darf keine Ware sein, sie muss im Dienste der Bevölkerung und der nationalen Souveränität stehen", so Leonardo Bauer Maggi. Energie müsse in Staatshand bleiben, damit die demokratische Kontrolle durch die Bevölkerung gewährleistet sei.