Kontroverse zur Rolle der Justiz in Chiles Demokratie

Neuer Präsident des Obersten Gerichtshofes fordert Bürgernähe und Transparenz. Kritik am Umgang des scheidenden Präsidenten Piñera mit Mapuche-Konflikt

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Der neue Präsident des Obersten Gerichtshofes von Chile, Sergio Muñoz
Der neue Präsident des Obersten Gerichtshofes von Chile, Sergio Muñoz

Santiago de Chile. Nach seiner Wahl zum Präsidenten des Obersten Gerichtshofes von Chile am 18. Dezember 2013 hat Sergio Muñoz am vergangenen Montag sein Amt angetreten. Der 57-Jährige Jurist wird als Nachfolger von Rubén Ballesteros für zwei Jahre das Amt übernehmen. Muñoz wurde durch bedeutende Menschenrechtsfälle sowie die Ermittlung geheimer Konten des verstorbenen ehemaligen Diktators Augosto Pinochet bekannt. Bei seiner Antrittsrede sagte der frühere Richter, er hoffe, seinem Amt gerecht zu werden und die Neuerungen im Justizwesen, die von ihm erwartet würden, realisieren zu können. Darüber hinaus bekräftigte er die Absicht, die Bemühungen seines Amtsvorgängers Ballesteros um einen transparenten und zugänglichen Justizapparat fortzusetzen.

In seiner Ansprache wandte Muñoz sich gleichzeitig gegen Aussagen des amtierenden Präsidenten Sebastián Piñera, der in einer Rede am 5. Januar die richterlichen Freisprüche einiger Verdächtiger für Gewaltakte in der araukanischen Region infrage gestellt hatte. Piñera, der während seiner Amtszeit bereits mehrmals in Konflikt mit der Judikative geraten war, macht Gerichte und Staatsanwaltschaften für den Anstieg der Gewalt im Land verantwortlich. In seiner Rede hatte er kritisiert, dass einige Richter im Kontext gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen indigener Mapuche-Gemeinden und staatlichem Sicherheitspersonal die Gesetze nicht rechtmäßig anwenden würden, weil  "manchmal die Interessen der Kriminellen mehr Gewicht haben als die Rechte der Opfer."

Muñoz wies die Kritik des Staatsoberhaupteszurück. Die Richter müssten sich wohl an diese ”politische, allgemeine, unfundierte" Kritik gewöhnen, die eine konkrete Reaktion unmöglich mache. Zugleich warnte er die Richter davor, auf die Provokation des Präsidenten einzugehen, da ein offener Konflikt zwischen Staatsfunktionären an den Fundamenten der Demokratie rüttle. Er fügte hinzu, dass die Mitglieder seines Richteramtes die Arbeit anderer staatlicher Autoritäten nicht infrage stellen würden, da sie der Ansicht seien, dass gegenseitiger Respekt und Anerkennung wichtige Requisiten eines demokratischen Staates seien.

Der Konflikt zwischen indigenen Mapuche-Gemeinden und staatlichen Autoritäten in mehreren südchilenischen Regionen, insbesondere in Araukanien, steht in Zusammenhang mit dem Kampf der Mapuche um Autonomie und Landrückgabe in Gebieten, in denen unter anderem die Forstindustrie Millionen von Hektar Land besitzen. Mapuche-Aktivisten wurden bereits während der Regierungszeiten von Ricardo Lagos und Michelle Bachelet mit dem unter Pinochet erlassenen Antiterrorgesetz als Terroristen verfolgt. Der aktuelle Präsident Piñera setzt diesen Kurs fort. In seiner Rede am 5. Januar sagte er, "der Terrorismus und die Kriminalität in Araukanien wird nicht fortbestehen" und es dürfe nicht zugelassen werden, "dass eine kleine Minderheit, die vor nichts zurückschreckt, um ihre perversen Ziele zu erreichen, ihr eigenes Gesetz durchsetzen kann."

Am 15. Dezember 2013 gewann Michelle Bachelet die Präsidentschaftswahl erneut und wird Piñera im März 2014 ins Amt folgen.