São Paulo. Zwei brasilianische Ex-Militärs sind am vergangenen Dienstag von einem Bundesgericht in São Paulo für Taten aus der Zeit der Militärdiktatur (1964-1985) freigesprochen worden. Das Gericht verwies auf das im Land bestehende Amnestiegesetz aus dem Jahre 1979, das die strafrechtliche Aufarbeitung aller Taten, die in dem Zeitraum bis zum 15. August 1979 begangen wurden, verhindert. Diese Taten seien zudem verjährt.
Den Ex-Militärs Carlos Alberto Brilhante Ustra und Alcides Singillo hatte die Bundesstaatsanwaltschaft vorgeworfen, 1972 für das Verschwinden des Medizinstudenten Hirohaki Torigoe verantwortlich gewesen zu sein. Der damals 27-Jährige war Mitglied der Stadtguerilla Ação Libertadora Nacional (ALN) und der Widerstandgruppe Movimento de Libertação Popular und wurde offizieller Version zufolge bei einem Feuergefecht im Stadtteil Higienópolis in der Westzone São Paulos erschossen. Nach Zeugenaussagen von politischen Gefangenen wurde Torigue jedoch lebend in das berüchtigte Folterzentrum DOI-Codi im Stadtteil Ibirapuera verschleppt. Sein Leichnam ist bis heute verschwunden.
Dies ist die juristische Lücke, die Bundesstaatsanwälte und Angehörige seit 2012 versuchen auszunutzen, um der Täter von damals dennoch juristisch habhaft zu werden. Sie argumentieren, da in den Fällen der Verschwundenen die Opfer nie aufgetaucht seien, halte die Entführung an. Ein fortwährendes Verbrechen müsse bestraft werden und falle nicht unter die Bestimmungen des Amnestiegesetzes.
Im Fall des verschwundenen Torigue sah der zuständige Richter in São Paulo dies anders. Richter Fernando Américo de Figueiredo Porto argumentierte vor dem 5. Strafgerichtshof, die Verjährung der Tat errechne sich ab dem Moment des Delikts. In Fällen des Verschwindenlassen ergebe sich eine Verjährungsfrist von acht Jahren, die Sache sei daher verjährt. Die Bundesstaatsanwaltschaft hingegen argumentiert, dass das Verbrechen der Entführung anhalte, da der Leichnam nie gefunden wurde. Daher könne nicht von Verjährung ausgegangen werden. Die Staatsanwälte kündigten Berufung an.
Gegen die Beschuldigten und weitere Ex-Militärs laufen noch andere Prozesse in Fällen von Verschwundenen. Carlos Alberto Brilhante Ustra hält wegen eines anderen Prozesses in Brasilien einen zweifelhaften Rekord: Er ist der erste Militär, der in Brasilien letztinstanzlich verurteilt wurde. 2008 hatte eine Familie aus São Paulo gegen Ustra geklagt. Strafrechtlich konnten sie ihm wegen des bestehenden Amnestiegesetzes jedoch nichts anhaben. Aber die Familie Teles kam auf die Idee, es im Zivilrecht zu versuchen. So reichten die fünf Familienmitglieder vor Gericht eine Zivilklage gegen Ustra ein. Es ging dabei um das Recht der Mitglieder der Familie Teles, ihren Folterer – Carlos Alberto Brilhante Ustra – öffentlich als Folterer bezeichnen zu dürfen.
Ustra war in den 1970er Jahren Chef des berüchtigten Folterzentrums DOI-CODI in São Paulo gewesen. 1972 hatte er dort Maria Amélia de Almeida Teles und ihren Mann, César Augusto Teles, gefoltert. Die Schwester Amélias, Criméia Schmidt de Almeida, und die beiden kleinen Kinder des Ehepaars, vier und fünf Jahre alt, wurden auch dorthin verbracht. Criméia de Almeida, die damals im siebten Monat schwanger war, wurde ebenfalls gefoltert. Den Kindern wurden die Eltern gezeigt, die wegen der erlittenen Folter laut Aussage der Kinder nicht wiederzuerkennen waren, obschon sie wussten, dass es ihre Eltern waren. Der ebenfalls verhaftete Carlos Nicolau Danielli, damals führendes Mitglied der verbotenen Kommunistischen Partei von Brasilien, PCdoB, wurde im DOI-CODI zu Tode gefoltert.
2008 kam es zur Verurteilung in erster Instanz. Die Familie Teles darf Carlos Alberto Brilhante Ustra öffentlich einen Folterer nennen. Im August 2012 bestätigte der Justizgerichtshof von São Paulo das Urteil letztinstanzlich. Nach Ansicht der zuständigen Richter verhindere das brasilianische Amnestiegesetz die Verurteilung der Taten aus der Zeit der Militärdiktatur zwar strafrechtlich, aber zivilrechtlich habe dies keine Bewandtnis. Zudem erklärte der zuständige Richter, Verbrechen wie Folter verjährten in Brasilien, anders als Mord, nicht – und deshalb sei das Urteil von 2008 rechtens.