Journalist wegen Diktatur-Verbrechen in Argentinien vor Gericht

Seine Zeitschrift veröffentlichte gefälschtes Interview, um die Dikatur zu entlasten. Mutter eines Verschwundenen gab unter Zwang Erklärungen ab

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Thelma Jara de Cabezas
Thelma Jara de Cabezas

Buenos Aires. In Argentinien steht erstmals ein Journalist wegen Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Diktatur (1976-1983) vor Gericht.

Der Prozess gegen den Journalisten Agustín Bottinelli wurde Anfang November eröffnet. Er war Herausgeber der Zeitschrift "Para Ti" aus dem Verlag Atlántida, der die Diktatur ausdrücklich unterstützte. Das Verlagshaus Atlántida der Familie Vigil ist eines der größten Argentiniens. Im August 1979 veröffentlichte Bottinelli ein vorgebliches Interview mit Thelma Jara, der Mutter eines Verschwundenen. Sie war zu dieser Zeit im Geheimgefängnis Escuela de Mecánica de la Armada (ESMA) in Buenos Aires inhaftiert. Tatsächlich handelte es sich bei dem vorgeblichen Interview um ein gestelltes Szenario, in dem Thelma Jara nach Folter und unter Todesdrohungen gezwungen wurde, eine Rolle einzunehmen.

Nach Auffassung des Gerichts hat der Journalist "die notwendigen Mittel für die Umsetzung einer Medien-Operation bereitgestellt, mit dem Ziel, die Praxis der illegalen Inhaftierungen und des Verschwindenlassens, auch des Opfers selbst, in Zweifel zu ziehen oder zu verbergen" und in der Gesellschaft "die Idee zu verbreiten, dass die Existenz des Verschwindenlassens eine Lüge war, die von Menschenrechtsorganisationen verbreitet wurde".

Botinelli machte in seiner Aussage einen der Verlagseigner, den inzwischen verstorbenen Aníbal Vigil, verantwortlich. Er selbst habe nicht gewusst, was in Argentinien damals passierte.

Mit diesem Prozess werde ein neuer Bereich bei der Verfolgung der zivilen Verantwortlichen des Staatsterrorismus eröffnet, sagte der Anwalt der Klägerin Thelma Jara, Pablo Llonto in einem Fernsehinterview. Die Kommunikationsmedien,  viele Journalisten, die Zeitschriften des Verlages Atlántida leiteten sowie andere Mainstream-Medien wie La Nación, La Razón, Clarín, "erfüllten die Rolle aktiver Agenten der psychologischen Operationen in Absprache mit den Geheimdiensten", so Llonto weiter.

Gustavo Alejandro, der Sohn von Thelma Jara, war 17 Jahre alt, als er am 10. Mai 1976 entführt wurde. Seitdem gilt er als verschwunden. Von diesem Tag an suchte sie ihren Sohn und war eine der ersten Mütter der Plaza de Mayo. Am 30. April 1979 wurde sie an einer Bushaltestelle von einer Einsatztruppe der Marine entführt und "verschwand". In zahlreichen Interviews berichtete sie später über ihren Aufenhalt in der ESMA, wo sie Folter und Misshandlungen durch den Militär Ricardo Miguel Cavallo und andere ausgesetzt war.

Cavallo zwang sie unter Todesdrohungen dazu,  die Diktatur entlastende Erklärungen anzugeben. In einem Café in der Nähe der ESMA traf sie − bewacht von ihren Entführern, darunter Cavallo − mit Journalisten zusammen. Ihr Sohn sei bei einem Feuergefecht zwischen Guerilleros der Montoneros und Sicherheitskräften ums Leben gekommen, sagte sie. Er sei, wie sie selbst auch, ein "Opfer der Subversiven" geworden. Die Montoneros hätten sie für eine Kampagne gegen die Regierung benutzt. Das "Interview" wurde im August 1979 unter dem Titel "Die Mutter eines toten Subversiven spricht" mit Fotos von ihr veröffentlicht, für die sie zuvor in der Esma geschminkt wurde. Ihr sei bewusst gewesen, dass sie eine Weigerung nicht überleben würde, so Jara. Zugleich habe sie gehofft, dass ihre Angehörigen, die in Mexiko im Exil lebten und sie verzweifelt suchten, durch das Interview erfahren würden, dass sie am Leben ist.

Cavallo konnte im Jahr 2000 in Mexiko ausfindig gemacht werden, wo er das nationale Kfz-Register leitete. Jara hatte ihn 1984 in Spanien angezeigt, weil zu der Zeit in Argentinien noch die Amnestiegesetze in Kraft waren. Er wurde zunächst an Spanien und von dort später nach Argentinien ausgeliefert, wo er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde.

Wie das argentinische Portal lavaca.org berichtet, war das gestellte Interview Teil einer Kampagne, die von der internationalen Public-Relations-Agentur Burson Marsteller im Auftrag der Diktatur konzipiert und organisiert wurde. Dafür soll sie eine Million US-Dollar erhalten haben. Die Kampagne lief im Vorfeld des Besuches einer internationalen Kommission in Argentinien, die Anzeigen wegen Menschenrechtsverletzungen nachgehen sollte.

Während der Militärdiktatur wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen in Argentinien mindestens 30.000 Menschen umgebracht oder verschwanden nach ihrer Entführung durch Polizei und Militär.