Interims-Kabinett in Brasilien plant massive Privatisierungen

Regierung Temer soll Verkauf von 125 staatlichen Unternehmen mit einem Gesamtwert von vier Billionen Reais planen. Anhaltende Proteste in mehreren Städten

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Will Privatisierungen und Haushaltskürzungen im großen Stil: De-facto-Präsident Temer
Will Privatisierungen und Haushaltskürzungen im großen Stil: De-facto-Präsident Temer

Brasília. Brasiliens De-facto-Präsident Michel Temer hat Medienberichten zufolge die neuen Minister angewiesen, Möglichkeiten der Veräußerung staatlicher Unternehmen auszuloten. Einzig der aktuell niedrige Handelswert vieler auf der Verkaufsliste stehenden Gesellschaften verhindere einen raschen Verkauf.

Demnach kämen rund 125 staatliche Unternehmen mit einem Gesamtwert von vier Billionen Reais (knapp eine Billion Euro) für einen Verkauf in Frage. Dabei bildeten Finanzinstitutionen wie die Banco do Brasil und die Caixa mit 75 Prozent den Großteil der Vermögen. Die Wirtschaftskrise habe jedoch dazu geführt, dass die Aktienwerte gesunken und die Schulden der staatlichen Unternehmen gestiegen seien. Eine Privatisierung unter solchen Vorzeichen gelte selbst unter dem neoliberalen Kabinett als "nachteilig".

Auch bei Brasiliens größtem Unternehmen, dem halbstaatlichen Mineralölkonzern Petrobras, sei bereits unter Präsidentin Dilma Rousseff angedacht gewesen, den Tankstellensektor auszugliedern. Landesweite Proteste und die gesunkenen Aktien hatten dies vorerst verhindert. Bei Gewerkschaften und auch im Kongress würde Pläne zu Ausgliederungen oder anteiligen Verkäufen auf enormen Widerstand stoßen, so Fernando Siqueira, Vizepräsident des Verbandes der Ingenieure der Petrobras. Der Verkauf von Petrobras-Aktien sei angesichts des derzeit niedrigen Kurses unverantwortlich. Jedoch sei "das wahre Ziel der Verkauf [der Erdölvorkommen] von Pré-sal", so Siqueira. Die 2006 bestätigten Öl-Reserven des Pré-sal vor Brasiliens Küste werden auf bis zu 50 Millionen Barrel geschätzt und würden damit Brasiliens Vorkommen vervierfachen. Die Regierung unter Luiz Inácio Lula da Silva hatte gesetztlich geregelt, dass die Ausbeutung nur in Zusammenarbeit mit dem staatlichen Erdölkonzern Petrobras verlaufen könne.

Um größere Widerstände zu vermeiden, konzentriert sich die neue Regierung bei Privatisierungen vorerst auf gewinnbringende Bereiche der Infrastruktur wie Häfen, Flughäfen und Autobahnen. Maurício Quintella, neuer Minister für Transport, bestätigte, dass Temer angeordnet habe, im Bereich Infrastruktur “das zu privatisieren, was möglich sei“.

Zudem verabschiedete Mitte vergangener Woche das Abgeordnetenhaus für den Energiesektor erste Reformen sowie eine Erhöhung der Strompreise. Ab sofort dürfe der staatliche Stromkonzern Eletrobras seine Tochterfirmen und Zweigstellen verkaufen. Nach Protesten schoben die verantwortlichen Minister am Freitag vorsichtig nach, dass die "Kapitalisierung der Eletrobras nicht substantiell werde".

Flankiert werden die Privatisierungen von beträchtlichen Haushaltskürzungen. Für den morgigen Dienstag hat Temer einen Plan zur Kontrolle der öffentlichen Schulden angekündigt. Am Freitag war bekannt geworden, dass das laufende Haushaltsjahr 2016 mit einem Minus von 170 Milliarden Reais, 42 Milliarden Euro, enden könne.

Daraufhin bekräftigten Finanzminister Henrique Meirelles und Planungsminister Romero Jucá am Samstag, dass bei den geplanten Maßnahmen keine Steuererhöhungen vorgesehen seien. "Wir schließen nicht aus, dass die Steuern niemals erhöht werden", so Juca.

Doch auch an anderen Stelle will die neue Regierung drastisch kürzen. Der neue Außenminister und frühere Gouverneur des Bundesstaates São Paulo, José Serra, gab eine Studie in Auftrag, die Kosten und Nutzen der unter Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff eröffneten Botschaften in Afrika und der Karibik prüfen soll. Der Minister wolle durch Schließungen Kosten sparen.

Zu den Kürzungsplänen gehörte auch die Schließung des Kulturministeriums. Nach massiven Protesten sowie der Besetzung des Ministeriums in in Rio de Janeiro durch Kulturschaffende musste Temer die Entscheidung am Samstag revidieren. Das Gebäude wird nach wie vor besetzt gehalten. Am Samstag protestierten erneut mehrere zehntausend Menschen in São Paulo und Rio de Janeiro gegen den "parlamentarischen Putsch" und die Politik der De-facto-Regierung unter Temer.

Am 12. Mai hatte der brasilianische Senat ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff beschlossen und sie zunächst für 180 Tage suspendiert. Vizepräsident Temer übernahm die Führung des Landes. Der Oberste Gerichtshof prüft derzeit, ob ausreichend Beweise für ein strafbares Handeln Rousseffs vorliegen oder nicht.

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