Angriff auf Parlament in Venezuela provoziert heftige internationale Reaktionen

Vermummte attackierten Nationalversammlung und verletzen Abgeordnete. Regierung weist Schuld von sich. Reaktion aus USA und EU. Gewalt wird unterschiedlich bewertet

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Szene am Mittwoch auf dem Gelände des Parlaments in Caracas, Venezuela
Szene am Mittwoch auf dem Gelände des Parlaments in Caracas, Venezuela

Caracas. In Venezuela ist es am gestrigen Nationalfeiertag, der an die Unabhängigkeit von der spanischen Kolonialmacht 1811 erinnert, erneut zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen. Im Staat Táchira kam nach Behördenangaben ein 25-Jähriger Regierungsgegner ums Leben, als eine selbstgebaute Bombe explodierte. Für Schlagzeilen sorgte vor allem aber der Angriff einer größeren Gruppe auf das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Caracas. Bei den Angreifern soll es sich um Unterstützer der Regierung von Präsident Nicoás Maduro gehandelt haben. Auch wenn der Fall unklar ist und die Regierung des Zwischenfall untersuchen will, provozierte der Angriff umgehend harsche Kritik aus den USA und der EU.

Eine Gruppe meist vermummter Männer hatte am Mittwochnachmittag die von der Opposition kontrollierte Nationalversammlung in Venezuela überfallen. Laut Augenzeugenberichten soll es sich um "Schlägertrupps" gehandelt haben, die der Regierung nahestehen. Mindestens ein Abgeordneter sei verletzt worden. Die oppositionellen Abgeordneten waren aus Anlass des Nationalfeiertags zu einer Sondersitzung zusammengekommen.

Venezuelas Präsident Maduro verurteilte die gewalttätigen Ausschreitungen im Parlament und wies jede Verantwortung von sich. "Ich werde mich nicht zum Komplizen von Gewalttaten machen", sagte er im Rahmen einer Militärparade aus Anlass des Nationalfeiertags in Caracas. Der Zwischenfall werde von den zuständigen Justizbehörden untersucht.

Auch Verteidigungsminister Vladimir Padrino López verurteilte den Angriff. "Wir lehnen die Gewalt in jedweder Form ab, woher sie auch komme. Der heute in der Nationalversammlung provozierte Zwischenfall ist inakzeptabel", so Padrino López. Diesem Urteil schloss sich auch der Oberste Gerichtshof Venezuelas an.

Der Abgeordnete der Regierungspartei, Diosdado Cabello, warf der Opposition eine Inszenierung vor. Der Konflikt sei aus der Nationalversammlung heraus provoziert worden, von wo aus Anhänger der Regierung vor dem Gebäude attackiert worden seien. "Was später verbreitet wurde, waren Aufnahmen der Opposition für die Medienshow", so Cabello. Im Internet wurden Fotos eines jungen Regierungsanhängers, Cristhian P., verbreitet, der eine großflächige Schusswunde am Bein davongetragen haben soll.

Die US-Regierung, die Europäische Union und die US-nahe Organisation Amerikanischer Staaten verurteilten den Angriff auf das Parlament umgehend. "Die Gewalt bedeutet einen Angriff auf die demokratischen Prinzipien", sagte eine Sprecherin des US-Außenministeriums. Aus Brüssel meldete sich der Präsident des EU-Parlaments, Antonio Tajani, von der rechtspopulistischen Forza Italia zu Wort: "Ich verurteile den Angriff auf die Nationalversammlung in Venezuela – ein Symbol der Demokratie – auf das Schärfste. Das Europäische Parlament fordert sofortige Neuwahlen", twitterte Tajani. US-Senator Bob Menendez sprach von "staatlich unterstützter Gewalt" und forderte Konsequenzen gegen die Regierung des südamerikanischen Landes.

Regierungsvertreter in Venezuela zeigten sich empört über die heftigen Reaktionen, zumal die Hintergründe weitgehend unklar sind. Verteidigungsminister Padrino López twitterte, er würde sich von den Führern der Opposition die gleiche Entrüstung wünschen, wenn Militärbasen angegriffen werden. Auch der Journalist und Vizekommunikationsminister, William Castillo, kritisierte die heftigen und raschen internationalen Kommentare. "Sie werfen Granaten auf den Obersten Gerichtshof – weltweites Schweigen. Zusammenstoß im Parlament – weltweiter Skandal. Der Doppelstandard ist ein internationales Phänomen", schrieb Castillo mit Blick auf einen andere Zwischenfall: Vor wenigen Tagen hatten Oppositionelle einen Polizeihubschrauber entführt und den Obersten Gerichtshof sowie das Innenministerium mit Granaten und Schnellfeuerwaffen attackiert. Der Vorfall wurde von westlichen Regierungen und politischen Akteuren kaum kommentiert.

Am Mittwoch war es an mehreren Orten von Venezuela erneut zu politischer Gewalt gekommen. Der 25-jährige Engelbert D. starb während groß angelegten Straßenblockaden im Staat Táchira. Seit Wochen nutzen Oppositionsaktivisten diese Aktionsform auf wichtigen Verkehrswegen. Nach Angaben des Büros des Menschenrechtsverteidigers und der Staatsanwaltschaft sind an den Barrikaden zahlreiche Zivilisten ermordet worden, als sie versuchten, die Sperren zu umfahren. Der Tod des jungen Mannes am Mittwoch weist einmal mehr auch auf die zunehmend paramilitärische Bewaffnung der Regierungsgegner hin. Seit Beginn der Proteste Anfang April sind nach offiziellen Angaben über 80 Menschen getötet und mehr als 1.500 verletzt worden.

Das Umfrageinstitut Datanalisis gibt an, dass 85 Prozent der Venezolaner die Beteiligung an den sogenannten Guarimbas, den gewalttätigen Protestaktionen mit Straßenblockaden, ebenso ablehnen wie bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. 71 Prozent lehnten Straßenbesetzungen ab.

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