Jugendlicher in Venezuela erschossen, Angriff auf Lagerhäuser

Regierungsnaher Aktivist wollte Straßensperre entfernen. Strukturen der Opposition zunehmend paramilitärisch organisiert. Nahrungsmittel verbrannt

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Demonstranten im Staat Anzoátegui, Venezuela, sollen für den Brand in einem Lagerhaus verantwortlich sein, bei dem 40 Tonnen Lebensmittel vernichtet wurden
Demonstranten im Staat Anzoátegui, Venezuela, sollen für den Brand in einem Lagerhaus verantwortlich sein, bei dem 40 Tonnen Lebensmittel vernichtet wurden

Caracas. In Venezuela ist es in dieser Woche im Zuge von Protesten gegen die sozialistische Regierung von Präsident Nicolás Maduro erneut zu Todesopfern gekommen. Während die Opposition Regierungsanhänger verantwortlich macht, sehen Aufstellungen venezolanischer Medien und offizielle Statistiken die Schuld für die tödliche Gewalt bei den Regierungsgegnern. Tatsächlich wurden seit Wochen immer neue belegte Fälle von oppositioneller Gewalt bekannt, die auf einen zunehmend aggressiven Verlauf der Proteste hinweisen. In der internationalen Presse wird indes ein anderes Bild vermittelt.

So berichtete in Deutschland die Wochenzeitung Die Zeit auf ihrer Internetseite heute über vier Tote in der Stadt Barquisimeto. "Der Bürgermeister der Stadt machte bewaffnete Kämpfer, die die sozialistische Regierung unterstützen, für die Todesfälle verantwortlich", heißt es in der Meldung, die sich auf Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP stützt. Die Zahl der Toten sei damit auf mehr als 80 gestiegen.

Nach Angaben venezolanischer Medien sind im Laufe der Proteste diese Woche offenbar sieben Menschen ums Leben gekommen. Die Aufstellung vermittelt aber ein erheblich anderes Bild.

  • Drei Personen seien bei den Protesten am Dienstag und Mittwoch vom Innenministerium bestätigt worden;
  • Zwei weitere Tote seien offiziell noch nicht bestätigt;
  • Eine Person sei bei Plünderungen in der Stadt Barcelona ums Leben gekommen;
  • Ein Motorradfahrer sei an einer Barrikade überfahren und seine Leiche verbrannt worden;
  • Ein 20-Jähriger wurde bei der Beseitigung einer Barrikade durch einen Kopfschuss getötet.

Das Portal Aporrea weist darauf hin, dass "keines dieser Opfer durch staatliche Sicherheitskräfte starb". Bei den ungeklärten Todesfällen geben Vertreter der Opposition in der Regel bewaffneten Strukturen der Chavisten, den sogenannten Colectivos, die Schuld; eine These, die gemeinhin schwer zu verifizieren ist.

Gerade der Fall von Barquisimeto zeigt die Widersprüche der medialen Darstellung politischer Gewalt in Venezuela. Dort starb am Samstagmorgen Ramsés M., ein Aktivist der linksgerichteten Bewegung Frente Francisco de Miranda (FFM). Der junge Mann war am frühen Freitagabend in der Avenida Libertador, eine der Hauptstraßen der Stadt, durch eine Kugel verletzt worden, als er zusammen mit Nachbarn eine Barrikade beiseite räumen wollte. Er wurde direkt in den Kopf getroffen. Die Barrikade war von gewalttätigen Gruppen errichtet worden.

"Das zentral gelegene Barquisimeto war am Freitag von gewalttätigen Gruppen der extremen Rechten regelrecht belagert worden”, heißt es im regierungsnahen Portal Alba Ciudad. Ramses M. kam umgehend ins Krankenhaus der Stadt. Sein Zustand sei zu diesem Zeitpunkt schon "sehr kritisch" gewesen, am Samstagmorgen sei er dann verstorben, informierte einer der Sprecher der FFM, José Santeliz. "Ramses M. war 20 Jahre alt und arbeitete seit seinem 16. Lebensjahr in der Organisation mit. Er war Sozialarbeiter, Mitglied der "Mission Patriotische Jugend Robert Serra” und Student.  Ramses war ein zuverlässiger, überzeugter  Mitkämpfer und setzte sich für die sozialen Belange der Bevölkerung in seinem Heimatort Valle Lindo, und in den Gemeinden der Umgebung ein", so Santeliz.

Die Jugendbewegung der Bolivarischen Revolution hat in einer Erklärung die Ausschreitungen in Barquisimeto und Cabudare verurteilt, die seit drei Monaten in beiden Städten stattfinden. Sie beschuldigen den Bürgermeister von Barquisimeto, Alfredo Ramos von der Partei La Causa R, und den Gouverneur des Staates Lara, Henri Falcon von der Partei Avanzada Progresista, die Gewalt zuzulassen und zu unterstützen. Über ein Dutzend Opfer sind seitdem im Bundesstaat Lara zu beklagen. La Causa R und Avanzada Progresista gehören dem Oppositionsbündnis MUD an.

Auch die Infrastruktur gerät zunehmend ins Visier gewalttätiger Gruppen. Im Staat Anzoátegui griffen Demonstranten am Donnerstag mit Brandsätzen ein Lebensmittellager der staatlichen Supermarktkette Mercal an. Bei dem Brand sind offenbar rund 40 Tonnen Lebensmittel vernichtet worden. Der Gouverneur von Anzoátegui, Nelson Moreno von der regierenden sozialistischen Partei (PSUV), sagte, am Donnerstagabend seien Unbekannte in das Lager eingedrungen und hätten die Brandsätze gelegt. Insgesamt befanden sich in den Hallen 100 Tonnen Lebensmittel. Nach dem Brand dokumentierten venezolanische Medien regierungsfeindliche Grafittis an den Wänden der teilweise ausgebrannten Lagerhalle.

Der Menschenrechtsbeauftragte in Venezuela, Tarek William Saab, hatte unlängst im Zuge der Anti-Regierungsproteste einen massiven Anstieg von Hassverbrechen beklagt. Saab veröffentlichte in diesem Zusammenhang ein Video, in dem zu sehen ist, wie vor wenigen Tagen eine Gruppe regierungskritischer Demonstranten in einem Einkaufszentrum in der Hauptstadt Caracas eine Frau beschimpfen und angreifen. Sie kann sich vor dem Mob in letzter Minute in Sicherheit bringen. Augenzeugen zufolge verwechselten oppositionelle Demonstranten das Opfer mit der Ehefrau des Direktors des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders TVes.

In Venezuela laufen seit Anfang April Proteste der Opposition gegen die Regierung Maduro, in deren Verlauf bislang über 80 Menschen getötet und mehr als 1.300 verletzt wurden. Im Mai sorgte ein besonders krasser Fall eines Lynchmordes für Aufsehen. Dabei wurde ein 22-Jähriger von Oppositionsdemonstranten mit Benzin übergossen, angezündet und lebendig verbrannt. Oppositionelle bezeichneten das Opfer später als gewöhnlichen Dieb und wiesen ihre Verantwortung für den Mord zurück.

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