Oppositionspolitiker aus Venezuela als Staatsgäste in Europa

Parlamentspräsident Julio Borges und sein Vize Freddy Guevara bei Macron, Rajoy, Merkel und May. Bald Sanktionen der Europäischen Union nach US-Vorbild?

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Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den venezolanischen Oppositionsvertretern Julio Borges und Freddy Guevara am Mittwoch in Berlin
Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den venezolanischen Oppositionsvertretern Julio Borges und Freddy Guevara am Mittwoch in Berlin

Paris/Madrid/Berlin/Caracas. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Mittwoch zwei Vertreter des venezolanischen Oppositionsbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) empfangen. Parlamentspräsident Julio Borges und sein Vize Freddy Guevara besuchen derzeit Frankreich, Spanien, Deutschland und Großbritannien als geladene Gäste der Regierungen. Die beiden Politiker waren zuvor am Montag mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und am Dienstag mit Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy sowie den Parlamentspräsidenten beider Länder zusammengetroffen. Für den heutigen Donnerstag ist zudem ein Empfang bei der britischen Premierministerin Theresa May geplant.

In Berlin führten die rechten Politiker auch Gespräche mit dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Walter Linder, dem Abteilungsleiter für Lateinamerika, Frank Hartmann, sowie Merkels außenpolitischem Berater Christoph Heusgen.

Kanzlerin Merkel forderte Regierung und Opposition Venezuelas auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. In einer Pressemitteilung der Bundesregierung heißt es, im Mittelpunkt des Treffens hätten "die aktuelle innenpolitische Situation und die besorgniserregende Menschenrechtslage in Venezuela sowie die dramatische Versorgungssituation der venezolanischen Bevölkerung" gestanden. Merkel "sicherte dem venezolanischen Volk und allen demokratischen Kräften Unterstützung bei der Suche nach einer gewaltfreien, friedlichen und konstruktiven Lösung des Konflikts zu". Sie schloss hierbei auch Sanktionen der Europäischen Union nicht aus.

US-Präsident Donald Trump hatte bereits Ende August finanz- und handelspolitische Sanktionen gegen Venezuela verhängt. Der MUD hatte die Strafmaßnahmen begrüßt und die "internationale Gemeinschaft sowie alle Bürger und Unternehmen" aufgefordert, "keine finanziellen Operationen oder Verträge von nationalem Interesse mit der venezolanischen Regierung einzugehen".

Bei den Gesprächen mit Borges und Guevara in Frankreich, Spanien und Deutschland bekräftigten die Regierungen jeweils ihre Unterstützung für das von der Opposition dominierte Parlament und ihre Ablehnung der verfassunggebenden Versammlung. "Ich bin gegen jede Aktion, die die Rechte des gewählten Parlaments einschränkt", betonte auch die Präsidentin der spanischen Abgeordnetenkammer, Ana Pastor Julian, hinsichtlich des unlängst gewählten Verfassungskonvents, dessen Befugnisse dem Parlament übergeordnet sind.

Ursprünglich war Lilian Tintori, die Ehefrau des verurteilten Oppositionsführers Leopoldo López, gemeinsam mit Borges zur Europatour eingeladen worden. Ihr Vorladungstermin vor Gericht am gestrigen Mittwoch stand der Ausreise jedoch im Weg. Vor wenigen Tagen wurden 200 Millionen Bolívares (zwischen etwa 20.000 und 60.000 US-Dollar, je nachdem welchen Wechselkurs man zugrunde legt) in neuen Banknoten in ihrem Auto gefunden. Eine so hohe Bargeldsumme ist unter den gegenwärtigen finanziellen Beschränkungen in Venezuela ungewöhnlich. Die Justiz ermittelt nun die Herkunft des Geldes. Tintori selbst hat seit dem Fund drei verschiedene Versionen darüber verbreitet. Sie soll bis Ende 2016 rund 55 Auslandsreisen getätigt und dabei über fünf Millionen US-Dollar verbraucht haben. Das Geld stammt laut ihren Angaben von Venezolanern im Ausland. Nach Angaben der venezolanischen Regierung werden die Reisen von privaten Stiftungen und Steuergeldern europäischer und US-amerikanischer Bürger bezahlt.

Am Montag überreichte Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza den Botschaftern Deutschlands, Spaniens und Italiens eine Protestnote. Kritisiert wurde eine medienträchtige Aktion der Botschafter, die Tintori am Montag zum Flughafen begleiteten. Dort simulierte sie einen Ausreiseversuch, obwohl allen Beteiligten bekannt war, dass nach international geltendem Recht Gerichtstermine respektiert werden müssen und deshalb die Ausreise untersagt war. Venezuela bedauere "diese neuerliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes und die Missachtung seiner Justiz", da die Einladungen an Tintori von den europäischen Regierungen trotz der Sachlage aufrechterhalten worden waren. Kanzlerin Merkel hatte noch am Montag explizit ihre Ausreise gefordert. Seitens des venezolanischen Staates wünsche man sich die internationale Unterstützung des gerade neu beginnenden Dialogprozesses zwischen Regierung und Opposition. Der Druck von außen und eine einseitige Parteinahme für die Opposition würde dies erschweren, so Arreaza weiter.

Seit der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung am 30. Juli und dem beginnenden Wahlkampf für die Regionalwahlen im Oktober hat die Opposition zu keinen weiteren Demonstrationen aufgerufen. Es hat seitdem auch keine Toten mehr im Rahmen von politisch motivierten Gewaltaktionen gegeben.

Die nun von Kanzlerin Merkel angedrohten Wirtschaftssanktionen könnten Öl auf das Feuer einer innenpolitischen Entwicklung gießen, die sich in den letzten Wochen beruhigt hatte.