Debatte um Reform der Verfassung in Kuba hat begonnen

Textvorschlag wird bis November in tausenden Versammlungen diskutiert. Referendum wohl im April 2018. Abgeordneter verteidigt Reform gegen Kritiker

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Im ganz Kuba ist die anstehende Verfassungsreform Gegenstand einer öffentlichen Aussprache, an Arbeitsplätzen ebenso wie ...
Im ganz Kuba ist die anstehende Verfassungsreform Gegenstand einer öffentlichen Aussprache, an Arbeitsplätzen ebenso wie ...

Havanna. Kuba hat in dieser Woche zum wiederholten Male binnen weniger Jahre eine landesweite politische Debatte um grundlegende Reformen von Staat und Wirtschaft begonnen. Nachdem vor sieben Jahren die langfristig angelegten wirtschaftspolitischen Richtlinien der Regierung in tausenden Versammlungen im ganzen Land eingehend diskutiert wurden, ist nun die anstehende Verfassungsreform Gegenstand einer öffentlichen Aussprache. Die aktuelle Verfassung ist mehr als 40 Jahre alt und stammt damit noch aus der Zeit des Kalten Krieges, der Kuba in einem starken Maße betroffen hatte.

Die Nationalversammlung hatte schon im Juli einen ersten Entwurf für die Reform der geltenden Verfassung aus dem Jahr 1976 angenommen. Viel beachtete Neuerungen sind die Dezentralisierung der politischen Macht, die Anerkennung privater Eigentumsformen und verfassungsrechtlich verankerte Rechte für sexuelle Minderheiten.

Die Vorlage soll von dieser Woche an bis November in gut 35.000 Versammlungen in Betrieben, Nachbarschaften und an den Universitäten diskutiert werden. Anschließend wird das Parlament über den überarbeiteten Entwurf erneut abstimmen. Am Ende wird die Reformverfassung – voraussichtlich im April kommenden Jahres – in einem Referendum zur Abstimmung gestellt.

Laut Arnaldo Tamayo, einem Abgeordneten des kubanischen Parlaments für den Verwaltungsbezirk Baracoa in der Provinz Guantánamo, soll die Verfassung mehr als 80 neue Artikel haben. "Die meisten davon haben mit sozialen Rechten und Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung sowie sozialen Dienstleistungen zu tun", sagte Tamayo im Gespräch mit Amerika21. Wichtig sei, dass das gesamte Vorhaben zur Debatte gestellt werde, "es gibt also Diskussionen mit Arbeitern, Bauern, Studierenden, Frauen, Intellektuellen". Im Zuge dieses Diskussionsprozesses sei sehr wahrscheinlich, dass der aktuelle Textentwurf noch einmal verändert wird, so die Einschätzung Tamayos, der 1978 als erster lateinamerikanischer Kosmonaut bekannt wurde.

Der 76-jährige bezeichnete die Reform als "eine kleine Revolution innerhalb der Revolution". Kuba habe sich ebenso wie die Welt um die Insel herum verändert: "Deswegen wollen wir die Verfassung aktualisieren, wie wir sagen, damit sie nicht veraltert, immerhin ist das aktuelle Grundgesetz schon 40 Jahre alt."

Beim letzten Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas sei im Rahmen der dort erarbeiteten wirtschaftspolitischen Leitlinien bereits die Notwendigkeit einer Verfassungsreform bekräftigt worden. Dafür wurde eine Kommission aus Parlament und Partei gegründet, um den ersten Entwurf vorzulegen.

Im Kern, so Tamayo, werde die Regierungsstruktur verändert, indem der Posten des Ministerpräsidenten mit Ministerrat geschaffen wird. "Die Obergrenze für politische Mandatsträger soll künftig zwei Mal fünf Jahre betragen", fügte er an. Die Wahlen in den Verwaltungsbezirken würden von zweieinhalb auf fünf Jahre verlängert, um die Wahlperiode an das nationale Niveau anzugleichen. "Wichtig ist auf dieser Ebene auch die Trennung der Gemeindepräsidenten von der Verwaltung", erklärte Tamayo: "Die Verwaltungsvertreter werden künftig benannt, die politischen Posten stehen zur Wahl." Dieses auch in anderen Ländern übliche Modell sei sieben Jahre lang in zwei Provinzen erprobt worden und werde nun landesweit eingeführt. "Es geht also um eine Dezentralisierung der Macht", konstatierte er.

"Wichtig sind uns der demokratische Diskussionsprozess und die breite Beteiligung der Bevölkerung, weil so die Einheit des Volkes gewahrt wird", führte der Abgeordnete gegenüber Amerika21 weiter aus. Dies sei auch ein Grund, weshalb die Regierung nie eine Schockpolitik verfolgen würde, abrupte Brüche und Neuerungen also, die sich negativ auf das Leben der Menschen auswirken.

"Vor diesem Hintergrund gehen wir mit dieser Verfassungsreform auch das Thema des Eigentums an", fügte er an: "Die Produktionsmittel bleiben weiterhin staatlich; daneben gibt es, dem jetzigen Textvorschlag zufolge, gemischtes Eigentum, privat und staatlich oder ausländisch und kubanisch." Anerkannt werden solle zudem Eigentum der sozialen und Massenorganisationen. Liegenschaften und Eigentum der Komitees zur Verteidigung der Revolution, der Gewerkschaften, der Juristenorganisation oder anderer war bisher Staatseigentum. "Nun wird es ihnen direkt zugeschrieben, sie werden damit also unabhängiger", sagte Tamayo. Auch unternehmerisches Privateigentum werde legalisiert, was vor allem Betreiber gastronomischer Einrichtungen und Bauern betreffe. Daneben erkenne die neue Verfassung persönliches Eigentum an, Häuser, Autos und andere Güter.

Die Gefahr einer kapitalistischen Restauration in Kuba sieht Tamayo nicht. Es gehe vor allem darum, "den Sozialismus zu entwickeln und die Einheit des Volkes zu wahren". Privateigentum und neue unternehmerische Mischformen sollten auch künftig "der Gemeinschaft dienen". Auch der in der westlichen Presse vorherrschenden Kritik am politischen System Kubas widersprach der Abgeordnete. "Wir sind ja nicht gegen Mehrparteiensysteme, jedes Land kann sein System frei wählen", sagte er: "Aber in der aktuellen Lage und angesichts der massiven Bedrohung aus den USA können wir uns diesen Luxus nicht leisten, denn die Etablierung mehrerer politischer Parteien würde die Gefahr der Spaltung der Nation mit sich bringen."