Kolumbien: Bevölkerung organisiert Volksentscheid nach Gerichtsurteil

Oberstes Gericht:Volksentscheide verfassungswidrig. Anwohner organisieren eigene Befragung. Über 90 Prozent gegen Bergbauprojekte

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San Lorenzo am Tag des Volksentscheids
San Lorenzo am Tag des Volksentscheids

San Lorenzo, Kolumbien. In San Lorenzo im südlichen Bundesstaat Nariño haben am vergangenen Sonntag 98 Prozent der Wähler gegen Bergbauprojekte in ihrer Region gestimmt. Insgesamt 6.764 von 12.800 registrieren Wahlberechtigten verneinten die Frage, ob in ihrer Gemeinde der Abbau von Edelmetallen und die Förderung von Erdgas und Erdöl erlaubt werden soll. Mit knapp 53 Prozent lag die Beteiligung höher als bei den letzten Präsidentschaftswahlen. Internationale Beobachter, Mitglieder verschiedener Nichtregierungsorganisationen und Vertreter der kolumbianischen Wahlbeobachtermission (MOE) konnten keine Unregelmäßigkeiten feststellen und lobten den demokratischen und friedlichen Verlauf.

Camilo Degado, Vorsitzender des Organisationskomitees der Volksabstimmung, zeigte sich gegenüber amerika21 zufrieden: "Wir haben das notwendige Ziel von 4.000 Stimmen für die Rechtsgültigkeit weit übertroffen. Die Bevölkerung hat ein klares Zeichen gegen die Zerstörung der Natur und für die Verteidigung des Lebens und der Umwelt gesetzt." Bürgermeister Jader Gaviria Armero sprach von einem "historischen Ereignis für unsere Gemeinde und Kolumbien".

Das Organisationskomitee konnte auf die Unterstützung lokaler Institutionen, Bildungseinrichtungen und der Kirche zählen. Bürgermeister und Gemeinderat hatten die Abstimmung einstimmig befürwortet. Verschiedene Schulen hatten Aktionstage zum Thema Bergbau und Umweltverschmutzung organisiert und eine symbolische Abstimmung aller Schüler durchgeführt, die sich ebenfalls gegen Extraktivismus ausgesprochen hatten. Da die Finanzierung von der Obersten Wahlbehörde abgelehnt wurde, hatten sich die Lehrer freiwillig als Wahlhelfer gemeldet. Auch der katholische Priester der kleinen Gemeindehauptstadt hatte bei seinen Messen die Gemeindemitglieder zur Wahl motiviert.

San Lorenzo befindet sich in einem Kleinbäuerlichen Selbstversorgungsgebiet, zu dem sich 17 Nachbargemeinden in den Departamentos Nariño und Cauca in Eigeninitiative zusammengeschlossen haben. Die Gemeinde ist aufgrund ihrer Biodiversität und ihrer Wasserquellen, die die größten Flüsse des Landes speisen, von großer Bedeutung für Mensch und Umwelt.

Die Abstimmung kann auch als Antwort auf die bereits erteilten Konzessionen für multinationale Unternehmen in der Region interpretiert werden. Amanda Martínez vom Organisationskomitee erklärt: "Mit dem Ergebnis haben wir etwas in der Hand, um unser Territorium weiterhin gegen andere Akteuren verteidigen zu können. Wir haben stets darauf bestanden, dass die Abstimmung rechtens ist und die Entscheidung respektiert wird."

Seit 2008 wurden laut Bergbauministerium Konzessionen und Rechtstitel im Gebiet von San Lorenzo vergeben. Im Jahr 2010 hatte der Konzern Mazamorras Gold mit der Erkundung von Fördergebieten in den Gemeinden San Lorenzo und Arboleda begonnen. Nachdem die Bewohner durch Viehsterben und Wasserverschmutzung auf die Folgen aufmerksam und Verhandlungen durch den Konzern abgelehnt wurden, zerstörten sie das Camp der Förderanlage. Erneute Versuche des Unternehmens, auf dem Gebiet tätig zu werden, wurden von den Gemeindemitgliedern mit der Zerstörung mehrerer Fahrzeuge erwidert. Seitdem liegen die Bergbauaktivitäten in San Lorenzo und Arboleda still.

Am 11. Oktober hatte das Verfassungsgericht beschlossen, dass Volksbefragungen künftig nicht mehr dazu genutzt werden können, Bergbauprojekte zu stoppen. In der Begründung zugunsten des Konzerns Mansarovar Energy Colombia Ltd. hieß es, der Boden unterhalb der Erdoberfläche sei allein dem Zugriff des Staates vorbehalten, die dezentralen administrativen Verwaltungseinheiten könnten nicht darüber entscheiden. Damit haben die Richter eine Rechtsunsicherheit geschaffen, denn im Urteil T445 von 2016 hatte das Gericht noch eindeutig Landkreise und Departamentos befugt, den Bergbau zu verbieten, um über die Nutzung des Bodens selbst zu bestimmen und die Umwelt zu schützen.

Mehrere Volksbefragungen zu Rohstoffprojekten wurden bereits durchgeführt, in allen Fällen sprach sich die Bevölkerung deutlich dagegen aus. Zuletzt hatten am 22. Oktober in der Gemeinde Fusagasugá im Nationalpark Páramo Sumapaz 99 Prozent der Wähler Aktivitäten im Bereich Erdöl, Fracking und großen Bergbauprojekten in ihrem Gebiet abgelehnt. Weitere Gemeinden planen ebenfalls Volksabstimmungen, um ihre in der Verfassung garantierten Mitbestimmungsrechte geltend zu machen –  trotz des Entscheids des Verfassungsgerichts.