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Chile: Inhaftierte Diktaturverbrecher bald im Hausarrest?

Anwalt von Ex-Militärs: Gesetz nicht weitgehend genug, Präsident Piñera verrät Vertrauen der Streitkräfte. Scharfe Kritik von Opferangehörigen

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Angehörige von Opfern der Diktatur wehren sich gegen das Gesetzesvorhaben, mit dem Diktaturverbrecher in den Hausarrest entlassen werden sollen
Angehörige von Opfern der Diktatur wehren sich gegen das Gesetzesvorhaben, mit dem Diktaturverbrecher in den Hausarrest entlassen werden sollen

Santiago. Ein von der chilenischen Regierung dem Parlament vorgelegter Gesetzentwurf zur Umwandlung von Haftstrafen in Hausarrest wird von verschiedenen Seiten heftig kritisiert. Das sogenannte Humanitäre Gesetz (Ley Humanitaria) soll auch Gefangenen zugute kommen, die wegen Verbrechen während der Diktatur unter Augusto Pinochet (1973-1990) verurteilt wurden. Laut dem Gesetzestext können alle Inhaftierten in den Hausarrest entlassen werden, die schwere körperliche Probleme haben, unheilbar krank oder älter als 75 Jahre sind und mehr als die Hälfte ihrer Strafe verbüßt haben. Bislang müssen diejenigen, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, laut Gesetz 20 bis 40 Jahre ihrer Strafe im Gefängnis absitzen.

Mireya García, Aktivistin der Vereinigung der Angehörigen von verschwundenen Häftlingen, sagte gegenüber Radio Cooperativa, die Regierung wolle mit dieser Regelung die Straffreiheit für die Diktaturverbrecher erreichen. Die Gesetzesvorlage stellte scheinbar hohe Anforderungen, um in den Genuss des Hausarrests zu kommen, tatsächlich würden aber etliche verurteilte Militärs und Agenten bald freigelassen, sollte sie angenommen werden.

Alicia Lira, Vorsitzende der Vereinigung der Familienmitglieder von Ermordeten, bezeichnete die Gesetzesinitiative als Rückschritt für den Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit in Chile. Die Regierung strebe offenbar "verzweifelt danach", die Repressoren der Diktatur zu befreien und damit die Straflosigkeit fortzusetzen. Wenn man die Statistiken verfolge, werde deutlich, dass sich die meisten Gefangenen ab 75 Jahren in Punta Peuco befinden, "und wenn über Würde und Menschlichkeit gesprochen wird, muss man daran erinnern, dass es ihnen nie daran gefehlt hat. Sie haben ein spezielles Krankenhaus und ein spezielles Gefängnis", führte Lira aus. Die wegen Diktaturverbrechen Verurteilten sitzen in der als "Luxusgefängnis" kritisierten Haftanstalt von Punta Peuco ein.

Der Entwurf des "Ley Humanitaria" war am vergangenen Freitag vom umstrittenen Minister für Justiz und Menschenrechte, Hernán Larraín, dem Kongress zur Debatte und Entscheidung übergeben worden. Larraín war ein enger Freund der deutschen Foltersiedlung Colonia Dignidad und ihres Sektenführer Paul Schäfer. Myrna Troncoso, Präsidentin der Angehörigenorganisation der Verschwundenen der Colonia Dignidad, bezeichnete Larraíns Ernennung im März 2018 als "Schlag ins Gesicht aller Opfer". Bei der Vorlage des Gesetzesprojekts hatte Larraín erklärt, es sei das Anliegen der Regierung, "die Achtung der Menschenrechte und der Würde der Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht und Status zu gewährleisten und sich auf eine mitfühlendere und menschlichere Gesellschaft hinzubewegen".

Dagegen erklärt Raúl Meza, Anwalt früherer Militärs, die wegen Diktaturverbrechen einsitzen, dass dieses Gesetz nicht weitgehend genug sei und nicht dem Wahlkampfversprechen von Präsident Sebastián Piñera entspreche. Der Inhalt bringe "einen Grabstein für die Betroffenen" und verurteile diejenigen im Gefängnis zu sterben, die, auch wenn sie älter als 75 Jahre sind, nicht an unheilbaren Krankheiten leiden. "Wir sehen, dass die Regierung das Votum und das Vertrauen des Militärs verraten hat, das ihm die Möglichkeit gab, das Schicksal dieser Heimat wieder in die Hand zu nehmen", sagte Meza.

Radio Cooperativa wies in seiner Sendung zum Thema auch auf ein aktuelles Urteil des Verfassungsgerichtes hin. Demnach ist der Absatz des Gesetzes über vorzeitige Entlassungen verfassungswidrig, der von Diktaturverbrechern verlangt, dass sie ihre Taten bedauern. Dagegen bleibt weiterhin Bedingung, dass die Verurteilten zwei Drittel der Strafe verbüßt und bei der Aufklärung ihrer Straften mit den Behörden zusammengearbeitet haben.

Im August hatte der Oberste Gerichtshof sieben wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilte Straftäter mit Auflagen aus der Haft entlassen. Der derzeitige Vorsitzende des Gerichtshofes, Hugo Dolmetsch, ist für seine Milde gegenüber Verurteilten der Pinochet-Diktatur bekannt. Nach ihm ist die Domletsch-Doktrin benannnt, die ihnen mildere Haftbedingungen zugesteht. Dies spiegelte sich auch in den Urteilen der Richter wieder, die besagen, dass Schuldeingeständnisse und Reue keine Voraussetzung mehr für vorzeitige Entlassungen sind.

Angehörige der Opfer hatten die Freilassungen als unangemessen und gegen internationales Recht verstoßend kritisiert.