Peru / Politik / Menschenrechte

Billigt der peruanische Kongress Straffreiheit für Verbrechen gegen die Menschheit?

Gesetzesinitiative im Kongress würde Straffreiheit für Handlungen des Militärs unter Fujimori-Präsidentschaft bedeuten

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Kongress der Republik Peru
Der Kongress von Peru möchte sich nicht von außenstehenden Organisationen beeinflussen lassen

Lima. "Es ist beschämend, dass sie mit einem Gesetz versuchen, die Geschichte auszulöschen und Menschenrechtsverletzer zu begnadigen". So kommentiert Sigrid Bazán, Abgeordnete der linken Fraktion Demokratischer Wandel - Gemeinsam für Peru (CD-JP), die Annahme des Gesetzesvorschlages 6951/2023-CR in der ersten Abstimmungsrunde durch den Kongress.

Der Gesetzesvorschlag zielt darauf ab, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit, die vor dem Jahr 2002 begangen wurden, für verjährt zu erklären. Am 6. Juni wurde der Vorschlag mit 60 zu 36 Stimmen bei elf Enthaltungen angenommen. In Perus Einkammersystem wird jedoch eine zweite Abstimmung benötigt, um ein neues Gesetz zu verabschieden.

Eingebracht wurde der Gesetzesvorschlag von der rechtsliberalen Partei Fuerza Popular, angeführt von Keiko Fujimori, sowie von der konservativen und christlich-fundamentalistischen Partei Renovación Popular. Die beiden Parteien argumentieren, dass die Konvention über die Nichtanwendbarkeit der Verjährungsfrist auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in Peru erst 2002 in Kraft getreten ist. Deshalb könnten Verbrechen dieser Art, die vorher begangen wurden, nicht strafrechtlich verfolgt werden, da Verbrechen in Peru eigentlich nach 20 Jahren verjähren.

Die Abgeordneten, die dagegen gestimmt haben, sind hingegen der Auffassung, dass dadurch die Menschenrechte der Opfer solcher Taten verletzt würden und ihnen Gerechtigkeit vorenthalten werde. Yvan Montoya, Direktor des Instituts für Demokratie und Menschenrechte der Päpstlichen Katholischen Universität von Peru, sieht das Ziel dieses Gesetztes darin, laufende Verfahren gegen ehemalige Angehörige der Streitkräfte einzustellen. Etliche dieser Fälle stehen im Zusammenhang mit Aktionen während der Präsidentschaft von Alberto Fujimori (1990-2000), dem Vater von Keiko Fujimori, so Montoya.

Fujimori wurde 2009 unter anderem wegen seiner Verantwortung für die Massaker von Barrios Altos und La Cantuta, verübt durch Regierungseinheiten in den Jahren 1991 und 1992, zu 25 Jahren Haft verurteilt. Ende 2023 wurde er aufgrund seines Gesundheitszustandes begnadigt (amerika21 berichtete).

Die beiden Massaker ereigneten sich im Kontext der bürgerkriegsähnlichen Zustände zwischen 1980 und 2000. Die Kämpfe zwischen Regierungseinheiten und der Guerillatruppe Leuchtender Pfad führten damals auf beiden Seiten zu zahlreichen Gräueltaten und forderten zwischen 50.000 und 70.000 Opfer.

Fujimori befindet sich derzeit auf freiem Fuß, jedoch droht ihm noch eine weitere Verurteilung für das Massaker von Pativilca. Daher könnte auch der Ex-Präsident von dem neuen Gesetzesvorschlag profitieren.

Neben der Causa Fujimori warnt die Oberste Staatsanwaltschaft, dass von der neuen Regelung 600 laufende Fälle und "mehr als 550 Opfer betroffen wären, sowie eine beträchtliche Anzahl von Angehörigen und die Gesellschaft als Ganzes, die das Recht hat, die Wahrheit zu erfahren".

Auch international stößt das Vorhaben des Kongresses auf Widerstand. Expert:innen der UN erklärten, dass die Gesetzesinitiative einen klaren Verstoß gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes bedeuten würde. Sie fordern, dass Gesetze in vollem Einklang mit dem Völkerrecht und den Menschenrechtsstandards stehen müssen.

Währenddessen hat der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (Corte IDH) in einer Resolution gefordert, dass die Bearbeitung des Gesetzesentwurfs gestoppt wird, und zwar bis der Gerichtshof "über alle Informationen verfügt, die erforderlich sind, um über […] die Rechtssachen Barrios Altos und La Cantuta zu entscheiden". Die Resolution steht im Zusammenhang mit Eingaben von Angehörigen der Opfer der Massaker beim Corte IDH, die in Reaktion auf das Abstimmungsergebnis im Kongress erfolgten.

Doch aktuell scheint alle Kritik am Kongress abzuprallen. Da Peru eine unabhängige und souveräne Republik und der Kongress ihre erste Gewalt sei, lehne er "jede Form der nationalen oder ausländischen Einmischung in unsere Entscheidungen ab", teilte das Kongressbüro auf X mit.

Falls die Abgeordneten auch in der zweiten Runde mehrheitlich für den Gesetzvorschlag 6951/2023-CR stimmen sollten, wäre es nicht das erste Gesetz dieser Art in Peru. Unter Albero Fujimori wurde 1995 das berüchtigte 'Amnestie-Gesetz' 26479 erlassen, welches die Freilassung von Militärs, Polizist:innen und Zivilist:innen anordnete, die im Kontext des Kampfes gegen den Leuchtenden Pfad inhaftiert oder angeklagt worden waren. Der Corte IDH erklärte das Gesetz 2001 für unwirksam und der damalige peruanische Kongress kassierte es nur zwei Monate später wieder ein.