Brasilien: Polizisten von Rio de Janeiro schützen Mörder von Marielle Franco

Verdächtige vor Zugriffen gewarnt. Polizei von Paramilitärs infiltriert? Mord an Franco sollte wohl illegale Immobiliengeschäfte vertuschen

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Angehörige der Landespolizei von Rio de Janeiro (Policia Militar) haben gesuchte Mitglieder der Milizen vor Festnahmen gewarnt. Häufig sind Milizionäre selbst Polizisten
Angehörige der Landespolizei von Rio de Janeiro (Policia Militar) haben gesuchte Mitglieder der Milizen vor Festnahmen gewarnt. Häufig sind Milizionäre selbst Polizisten

Rio de Janeiro. Die Ermittlungspolizei (Policia Civil) im Mordfall Marielle Franco hat zwei Angehörige der Landespolizei (Policia Militar) wegen Weitergabe von Informationen an eine paramilitärische Miliz festgenommen. Wie bekannt wurde, sind zuvor bereits mehrfach Mitglieder der Miliz vor Festnahmen gewarnt worden. Auch der Hauptverdächtige für die Morde an der Linkspolitikerin und Aktivistin Marielle Franco und ihrem Fahrer Anderson Gomes im März 2018, Adriano da Nóbrega, konnte so den Verhaftungen entgehen. Nóbrega war früher Hauptmann einer Sondereinheit der Militärpolizei und scheint nach neuesten Erkenntnissen auf ein Netzwerk von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden in Präsidien und Polizeikasernen bauen zu können.

Die Ermittlungsbehörden überführten die in der vergangenen Woche festgenommenen Polizisten durch Telefonüberwachung. In abgehörten Gesprächen hatten sie den Anführer der Miliz "Liga da Justiça", Wellington da Silva Braga alias Ecko vor Zugriffen gewarnt. Die Polizeioperation "Volante" von Anfang Februar wurde deswegen zu einem Fiasko. Mit einem Großaufgebot sollten 20 Angehörige der Miliz festgenommen werden, darunter auch Silva Braga, aber die Polizei konnte nur einer Person habhaft werden. Die beiden nun verhafteten Polizisten gehören selbst der "Liga da Justiça" an.

Seit März 2018 gelang es "Ecko" und hundert weiteren Mitgliedern des organisierten Verbrechens bei mindestens vier Operationen durch Hinweise aus dem Polizeiapparat zu entkommen. Im Rahmen der Operation "Heracles" im Dezember 2018 waren 1.700 Mitglieder der Streitkräfte ausgerückt, um 97 Haftbefehle zu vollstrecken. In nur 27 Fällen gelang ihnen das. Die Aktionen fanden in den von den Milizen kontrollierten Stadtteilen Jacarepaguá, Santa Cruz, Campo Grande und Rio das Pedras statt.

Die "Liga da Justiça" gilt als die größte Miliz von Rio de Janeiro. Diese para-polizeilichen Gruppen formierten sich einst unter dem Vorwand, den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen zu bekämpfen und rekrutieren sich vorwiegend aus ehemaligen oder außer Dienst stehenden Polizisten und Militärangehörigen. Heute finanzieren sie sich selbst über Schutzgelderpressungen, der Kontrolle des lokalen Handels und Drogengeschäften.

Brisant ist, dass die Milizen zuletzt in den Immobilienmarkt vorstießen. Insbesondere in den Gemeinden Jacarepaguá, Campo Grande und Rio das Pedras im Westen und Südwesten der Stadt haben sie in den vergangenen Jahren Landraub, Immobilienspekulation und Geldwäsche betrieben. "Der Immobilienmarkt expandiert gerade in den Gegenden, die von den Milizen kontrolliert werden. Sie haben einen selbsttragenden Markt geschaffen. Sie geben den Käufern gefälschte Dokumente", bestätigte der Soziologe José Claudio Souza Alves von der Ländlichen Bundesuniversität von Rio de Janeiro (UFRRJ).

In der Regel besetzen sie staatliches Land oder Naturschutzgebiete und verkaufen die Flächen weiter. Dabei machen sie von "Anwohner-Initiativen oder -Vereinigungen" Gebrauch. Bei diesen "Anwohner-Initiativen" in den Randgebieten im Süden der Stadt hatte sich die Lokalpolitikerin Marielle Franco zuletzt engagiert. Dabei muss sie die kriminellen Machenschaften im Immobiliengeschäft aufgedeckt haben. Laut Aussage des Hauptzeugen im Mordfall Franco, dem ehemaligen Leibwächter des bereits inhaftierten Milizenchefs der Region, Orlando Oliveira de Araújo, soll die Politikerin in Rio das Pedras die Anwohner-Initiative in deren Arbeit unterstützt, Stimmen gewonnen und gleichzeitig an Informationen gekommen sein. Hierdurch beschwor sie die Feindschaft mit dem Milizenchef herauf, so sein Ex-Bodyguard.

Auch der Sicherheitschef von Rio, Armeegeneral Richard Nunes, vertritt die These, dass Franco ermordet wurde, weil sie durch ihre politische Basisarbeit in den Randgebieten die Geschäfte der Milizen bedroht hat. Nunez hatte im Dezember bestätigt, dass die Milizen davon ausgingen, Marielle Franco könne die illegalen Geschäfte der Grundbuchfälschungen und den Landraub stören.

Bei dem Festnahmeversuch von Francos mutmaßlichem Mörder, da Nóbrega, im Januar entkam der gesuchte Präsident der "Anwohner-Vereinigung" der Favela Rio das Pedras, Ex-Polizist Jorge Alberto Moreth. Auch er soll einen "privilegierten Zugang zu Informationen" im Sicherheitsapparat gehabt haben.

Über den Auftragsmörder da Nóbrega und die Favela Rio das Pedras wird seit Kurzem die Präsidentenfamilie Bolsonaro mit der Ermordung Francos und Gomes' in Verbindung gebracht. Der Sohn von Präsident Jair Bolsonaro, Senator Flávio Bolsonaro, hatte als Abgeordneter von Rio de Janeiro bis Mitte November 2018 die Ehefrau und die Mutter da Nóbregas beschäftigt. Die Mutter sei für Bolsonaros illegale Finanztransaktionen zuständig gewesen. In dieser Sache laufen seit Mitte Januar Ermittlungen gegen den Präsidentensohn.