Bauern in Argentinien stellen Alternativen zum industriellen Agrarmodell vor

Konsumenten und Produzenten sollen profitieren. Vorschläge für inklusive Agrarpolitik. Zentrale Forderungen zielen auf Ernährungssouveränität

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Beim Agrarforum wurden Vorschläge für die künftige Agrarpolitik ausgearbeitet
Beim Agrarforum wurden Vorschläge für die künftige Agrarpolitik ausgearbeitet

Buenos Aires. Über 3.000 Bauern und weitere landwirtschaftliche Akteure aus verschiedenen Provinzen haben Vorschläge für die künftige Agrarpolitik unterbreitet. Sie sollen der im Herbst neu zu wählenden argentinischen Regierung zur Orientierung dienen. Das Programm sieht eine Abkehr vom aktuellen industriellen Agrarmodell vor, bei dem das Land in Händen weniger – oft ausländischer – Kapitaleigner konzentriert ist und die kleinbäuerliche Landbevölkerung vertrieben wird.

Das Dokument wurde Anfang Mai von einem breiten Bündnis erarbeitet. Beteiligt waren unter anderem die Landarbeitergewerkschaft, die Bewegung ausgeschlossener ländlicher Arbeiter, der Dachverband der Arbeiter der Volksbetriebe und die Landesbewegung der Volkslandwirtschaft sowie weiterer Organisationen von Indigenen, ländlichen Produzenten und Genossenschaften, Betroffenen von Pestizidvergiftungen, Landarbeitern sowie klein- und mittelständischen Betrieben. Das Bündnis hatte sich vor über einem Jahr gegründet, um die Interessen von Kleinbauern, städtischen Arbeitenden sowie Nahrungsmittelkonsumenten zu vertreten.

Zentrale Forderungen des Bündnisses sind unter dem Leitbild der Ernährungssouveränität zu fassen. Dies beinhaltet, dass das Land als Territorium und Lebensraum der Produzierenden betrachtet wird. Daraus folgt eine Abkehr vom gegenwärtigen Modell industrieller Produktion, das Raubbau an der Natur betreibe.

In Argentinien sind die Produktion und der Konsum landwirtschaftlicher Erzeugnisse aktuell in einer schwierigen Lage. Gründe sind hohe Inflation und Zinsen, der explodierende Dollarkurs und vor allem die starke Konzentration des Landes und der weiterverarbeitenden Wertschöpfungskette in den Händen weniger kapitalkräftiger Großunternehmer.

Aufgrund des hohen Preisniveaus ist der Fleischkonsum bei Armen stark gefallen. Die Fruchtexporte aus dem argentinischen Süden fielen seit 2016 um über 100.000 Tonnen. Die Milchbauern erhielten nur 10 Pesos pro Liter, während die Produktion eines Liters Milch mindestens 12 Pesos koste, aber im Supermarkt für 48 Pesos verkauft würde. Dem Zentrum für landwirtschaftliche Studien zufolge hätten im Jahr 2018 über hunderttausend Betriebe wegen nicht kostendeckender Erzeugerpreise schließen müssen. Über 200.000 kleinbäuerliche Familienbetriebe sind betroffen.

Der UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation (FAO) zufolge werden 80 Prozent der Nahrungsmittel der Welt von Kleinbauern produziert. In Argentinien waren dies dem Agrarministerium zufolge im Jahr 2017 beispielsweise 70 Prozent des Mate-Tees, 62 Prozent des Tabaks, 61 Prozent der Grillhähnchen und 59 Prozent des Gemüses.

Das Diskussionspapier des Forums identifiziert als Probleme den fehlenden Landzugang von Kleinbauern, Probleme bei Logistik und Vermarktung, die starke Exportorientierung ohne Rücksicht auf die Schädigung der Böden und der Umwelt durch Pestizide, hohe Produktionskosten und eine große Gewinnspanne der Zwischenhändler, die hohe Verbraucherpreise nicht an die Landwirte weitergäben.

Dem Agrarforum gelang es, über die bisherige Widerstandshaltung vieler kleinbäuerlicher Verbände gegenüber der Agrarindustrie hinaus der Regierung proaktiv Vorschläge für inklusive Agrarpolitiken zu unterbreiten, welche die Gesamtheit der Landwirte im Land unterstützen sollten. Hierzu zählten etwa die Absicherung des Landzugangs von Kleinproduzenten, staatliche Beratung bei umweltschonenden Produktionstechniken, eine verbesserte Wertschöpfung durch die Kleinbauern, keine Patentierung des Saatguts in Händen transnationaler Konzerne, faire Preise für landwirtschaftliche Inputs unabhängig von den Dollarkursschwankungen, staatliche Aufkäufe der Lebensmittel für öffentliche Einrichtungen, um den Erzeugern und Konsumenten hochwertige Lebensmittel zu garantieren. Auch müssen die Arbeitsbedingungen verbessert und die abgewickelten staatlichen Institutionen zur Agrarforschung und -beratung wiederbelebt werden.

Das Forum bot auch Raum für internationalen Austausch mit Vertretern aus Brasilien, Paraguay, Bolivien und Venezuela. Boliviens Ministerin für produktive Entwicklung, Nélida Sifuentes, hob hervor, wie wichtig faire Landzugangspolitiken sind, um die weitverbreitete Benachteiligung von Frauen zu überwinden. Ein Vertreter der brasilianischen Landlosenbewegung betonte, dass die neoliberalen Politiken in der Region gravierende Rückschritte bei der zivilgesellschaftlichen Beteiligung verursachen und erhöhte regionale Integrationsbemühungen der sozialen Bewegungen erfordern. Der Vertreter der Revolutionären Strömung Bolívar und Zamora aus Venezuela warb für eine Unabhängigkeit vom gegenwärtigen industriellen Produktionsmodell, das von den Interessen gieriger Konzerne geprägt sei, um zu einem ländlichen Leben in Würde zurückzufinden, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und die Menschenrechte auf Gesundheit und Land zu verwirklichen.

Die bei dem Forum erarbeiteten Vorschläge sollen in kontinuierlichen Diskussionen auf Provinzebene unterbreitet und weiterentwickelt werden.