Brasilien / Politik

Intercept-Leaks in Brasilien: Morddrohungen und neue Enthüllungen

Weiteres "explosives Material" angekündigt. Moro nennt Interesse an illegalen Absprachen "Sensationalismus". Deutsche Haltung gegenüber Brasilien "unverändert"

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Die Luft für den amtierenden Justizminister, Sérgio Moro, wird infolge der Intercept-Leaks dünner
Die Luft für den amtierenden Justizminister, Sérgio Moro, wird infolge der Intercept-Leaks dünner

Brasília. Das Investigativ-Portal The Intercept hat weitere illegitime Absprachen zwischen dem früheren Lava Jato-Richter, Sérgio Moro, und der Staatsanwaltschaft enthüllt. Diese weisen auf eine Befangenheit und massive Parteilichkeit von Richter Moro sowie der Korruptionsbehörde Lava Jato zugunsten eines Regierungswechsels hin.

Demnach haben Staatsanwälte belastendes Material gegen den Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso von der neoliberalen Partei PSDB zurückgehalten, um ihm politisch nicht zu schaden. Erst als die betreffenden Bestechungsfälle verjährt waren, nahmen sie im April 2017 Ermittlungen auf, um der Öffentlichkeit ein Bild der Unparteilichkeit vorzutäuschen. Zur selben Zeit klagten sie den linken Ex-Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT) in einem umstrittenen Prozess wegen Korruption an.

Die nun veröffentlichten Nachrichten-Chats geben Aufschluss darüber, wie Lulas Chefankläger, Deltan Dallagnol, und der damalige Richter Moro den namhaftesten Politiker der PSDB, Ex-Präsident Cardoso, vor einer Anklage und die PSDB vor einem negativen Bild in der Öffentlichkeit schützten.

Aus Sicht der beiden spielten Cardoso und seine PSDB eine wichtige politische Rolle. Schließlich hatte die PSDB ab 2015 maßgeblich die Proteste gegen die Regierung der linksgerichteten Präsidentin Dilma Rousseff (PT) unterstützt und das Verfahren, das zu ihrer Amtsenthebung im Jahr 2016 führte, initiiert. Damit wurde der Weg für eine rechte Übergangsregierung unter Beteiligung der PSDB frei. Auch unter dem nun amtierenden ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro trägt die PSDB zahlreiche Gesetzesvorhaben mit.

Wie bereits 2017 bekannt geworden war, hatte der angeklagte Chef des Bauunternehmens Odebrecht, Emílio Odebrecht, als Beschuldigter in einem Lava Jato-Verfahren den Ex-Präsidenten Cardoso 2016 in mehreren Fällen der Bestechlichkeit und Annahme illegaler Finanzierung bezichtigt und auch Beweise vorgelegt. "Wahlkampfhilfe habe ich allen gegeben. Auch ihm [Cardoso]. Und mit Sicherheit bekam er Geld aus offiziellen und inoffiziellen Wahlkampfkassen. Er bat mich [um Geld]. Sie alle taten das", bestätigte der Bauunternehmer damals in einer Vernehmung.

Die Ermittler der Lava Jato unter Dallagnol behielten die Aussage gegen Cardoso jedoch bis Anfang April 2017 unter Verschluss. Erst dann machten sie die Anschuldigungen öffentlich und übergaben den Fall an die Generalstaatsanwaltschaft in São Paulo.

Hieraufhin kam es unter anderem am 13. April 2017 zu folgendem Nachrichtenaustausch zwischen Moro und Dallagnol. Moro: "Ist da was dran an der Sache mit FHC [Fernando Henrique Cardoso]?", Dallagnol: "An sich ja, aber die Beweislage ist schwach.", Moro: "Aber ist das nicht mehr als verjährt?", Dallagnol: "Es wurde [von uns] nach São Paulo geschickt, ohne die Verjährung zu prüfen. Ich denke aus Absicht. Vielleicht, um [der Öffentlichkeit] ein Zeichen der Unparteilichkeit zu senden.", Moro: "Ich halte es für fragwürdig, jemanden [FHC] zu verärgern, dessen Hilfe wichtig ist."

Tatsächlich stellte die Generalstaatsanwaltschaft im April 2017 nur noch die Verjährung der ihr vorgelegten Verbrechen fest. Das Ermittlungserfahren wurde ohne Anklageerhebung ad acta gelegt. Die Lava Jato-Behörde hatte durch das Zurückhalten der Aussage den neoliberalen PSDB-Politiker vor einer Anklageerhebung bewahrt und der Öffentlichkeit das Bild einer unparteiischen Behörde vorgetäuscht, bilanziert The Intercept. Zur selben Zeit trieben sie den Prozess gegen Lula da Silva, den größten Widersacher Bolsonaros vor der Wahl im vergangenen Jahr, voran.

Ferner lagen den Ermittlern bereits 2015 Belege vor, die Schmiergeldzahlungen aus den Jahren 2011 und 2012 an die Stiftung von Cardoso, das Instituto Fernando Henrique Cardoso, nachwiesen und die lange nicht verjährt waren. Nach anfänglicher Euphorie über diesen Fund begannen die Staatsanwälte jedoch Abstand von einer Anklage zu nehmen. Den geleakten Chats zufolge fürchteten sie, die Verteidigung Cardosos könnte den Vorwurf der Korruption zu einem Steuerdelikt erklären und die Verteidigung Lulas könnte sich dieselben Argumente zu Nutze machen. In der Folge verzichteten die Ankläger auf die Anklage gegen Cardoso.

Weder Moro noch Dallgnol leugnen den Inhalt der enthüllten Kommunikation. Der Intercept-Herausgeber, Glen Greenwald, zeigte sich aus diesem Grund verwundert darüber, dass Moro bis auf eine Aussprache im Senat noch keine Konsequenzen gewärtigen musste. "In den USA herrscht Einvernehmen darüber, dass, egal welcher Richter, der dabei erwischt wird, was Moro im Fall Lula gemacht hat – heimlich mit den Staatsanwälten zusammenzuarbeiten –, mit Sicherheit und umgehend seinen Posten verliert. Aber in Brasilien ist das bisher nicht passiert", so der Journalist im Interview mit dem Kanal Rede TVT.

Stattdessen versucht Moro derzeit, von den Vorwürfen abzulenken oder diese kleinzureden. In einer Anhörung im Justizausschuss des Senats bezeichnete er das Interesse an den illegalen Absprachen als "Sensationalismus". Im Interview spielte er seine Befangenheit herunter: "Ich sehe keine politische Färbung in den Nachrichten, die mir zugeschrieben werden." Ferner beteuerte er, den betreffenden Messenger-Dienst Telegram von seinem Handy gelöscht zu haben, weswegen er die Authentizität seiner veröffentlichten Nachrichten weder dementieren noch bestätigen könne. Bolsonaro teilte am Dienstag mit, es sei "eine Ehre, Freude und Stolz für jeden guten Brasilianer, Sérgio Moro in der Funktion zu haben, in der er sich befindet".

Die Ermittlungsbehörde Lava Jato erklärte indes, die Leaks stellten ein "unmoralisches und illegales Eindringen" in das private und berufliche Leben der Ermittler dar. Der Richter des Obersten Bundesgerichtes, Alexandre de Moraes, forderte die Festnahme der "Hacker".

Währenddessen haben die Intercept-Journalisten sowie deren Familienangehörige seit Beginn der Veröffentlichungen mit zahlreichen, ernstzunehmenden Morddrohungen zu kämpfen. Als Konsequenz beauftragte der Präsident des Abgeordnetenhauses, Rodrigo Maia, beim zuständigen Justizminister, Moro, "alle notwendigen Maßnahmen" zu unternehmen, um das Leben des Journalisten Greenwald und dessen Ehemann, den Abgeordneten David Miranda von der sozialistischen Partei (PSOL), zu schützen. Miranda war im Februar für den wegen Morddrohungen ins Exil gegangenen, linken Abgeordneten Jean Wyllis (PSOL) ins Parlament nachgerückt.

Greenwald kündigte indes weitere "brisante Veröffentlichungen" an. "Das wichtigste und explosivste Material [über Moro und Dallagnol] wurde noch gar nicht veröffentlicht. Es dauert wahrscheinlich Monate, bis wir die ganze Reportage herausgebracht haben, weil es ein riesiges Archiv ist".

Die jüngsten Enthüllungen blieben auch der deutschen Bundesregierung nicht verborgen. Doch auch nach Kenntnisnahme der Berichterstattung bleibe "die Position Deutschlands gegenüber Brasilien unverändert", teilte das Auswärtige Amt auf Anfrage von amerika21 mit. Die Bundesregierung argumentiert, dass es "der brasilianischen Justiz obliegt, über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu befinden."