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Brasilien: Auf Druck der Generäle ändert Bolsonaro seine Corona-Politik

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Mit Lärm und Bildprojektionen protestierten Tausende in ganz Brasilien gegen den Präsidenten
Mit Lärm und Bildprojektionen protestierten Tausende in ganz Brasilien gegen den Präsidenten

Brasília. Präsident Jair Bolsonaro hat sich dem politischen Druck gebeugt. In der Debatte um die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat Brasiliens Staatschef den Ton geändert. In einer offiziellen Ansprache am Dienstag nannte er die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 "die größte Herausforderung unserer Generation". Bisher verharmloste er die von dem Virus verursachte Krankheit Covid-19 als "kleine Grippe". Zudem hatte er Gouverneure und Bürgermeister für deren Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens scharf kritisiert und als "wahre Arbeitsplatzvernichter" und "Spinner" bezeichnet.

Nun will Bolsonaro mit Parlament und Gouverneuren kooperieren. In seiner Rede rief er zu einem "nationalen Pakt zur Bekämpfung der Virus-Ausbreitung" auf. Für die zuvor von ihm verbreitete Fake-Nachricht, wonach der Lebensmittelgroßmarkt der Metropole São Paulo wegen der Kontaktsperre nicht mehr funktioniere und demnach die Versorgung auf dem Spiel stehe, entschuldigte er sich am Mittwoch öffentlich.

Dennoch hielt er an seinem Mantra fest und setzte Menschenleben mit Arbeitsplätzen gleich: "Leben retten, ohne Jobs zu verlieren", mahnte er zur Vorsicht bei den Restriktionen. Bolsonaro befürwortet der Wirtschaft zuliebe eine Kontaktsperre nur für Risikogruppen, also alte Menschen und jene mit Vorerkrankungen. Experten und Gesundheitsbehörden halten dies in der aktuellen Lage jedoch für falsch, da man keine gesicherten Infektionszahlen habe. Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta geht von einer bedeutend höheren Dunkelziffer von Infizierten und Toten als den offiziellen Zahlen aus. Um "das reale Ausmaß der Epidemie und ihrer Ausbreitung" besser einzuschätzen, lässt der Minister demnächst über sechs Wochen lang 33.000 Personen mehrfach testen.

Die Bereitschaft des Präsidenten zur Zusammenarbeit mit den Behörden schreiben Beobachter seinen engsten und letzten politischen Alliierten, den Militärs, zu. Alarmiert von Bolsonaros Verharmlosungstaktik fürchteten sie, der deutlich gestiegene Druck der Öffentlichkeit könnte zu einem Amtsenthebungsfahren oder zum Rücktritt ihres Schützlings führen. Laut einer Umfrage sprechen 64 Prozent der Bevölkerung dem Staatschef die Fähigkeit zum Krisenmanagement ab. Wegen der politischen Isolation sei dieser mit den Nerven am Ende, Insider berichten von wiederholten Weinanfällen.

Als Gegenleistung für ihre Unterstützung ließ sich Bolsonaro auf den Diskurs der Militärs ein. Bereits am 24. März hatte der Oberkommandierende der Streitkräfte, Edson Leal Pujol, in einer Videobotschaft die "Bedrohung" durch das neue Coronavirus zur "größten Mission unserer Generation" erklärt. In seiner Ansprache am Dienstag wählte Bolsonaro nun dieselben Worte. Gleichzeitig bestimmte das Militär den Regierungsdiskurs zum 56. Jahrestag des Militärputsches vom 31. März 1964. Das Verteidigungsministerium teilte in einer öffentlichen Erklärung mit, die "Bewegung von 1964 markierte den Beginn der brasilianischen Demokratie". Brasiliens Vizepräsident General Hamilton Mourão lobte auf Twitter, die Streitkräfte hätten mit ihrer Intervention das Land vor Unordnung bewahrt.

Währenddessen protestierten wieder Millionen kontaktfrei gegen den Präsidenten. Parallel zu Bolsonaros TV-Rede kam es zum 15. "Panelaço", bei dem die Menschen von ihren Fenstern und Balkonen lautstark auf Töpfe schlagen oder auf den Straßen hupen. Nationalen Medien zufolge beteiligten sich diesmal mehr Menschen als zuvor. Auch in wohlhabenden Wohngegenden wie Leblon und Ipanema in Rio de Janeiro waren die Rufe "Weg mit Bolsonaro" und "Mörder" zu hören.