Brasilien: Taskforce startet Kampagne zur Bekämpfung häuslicher Gewalt

Mehr Gewalt in Familien eine Folge der sozialen Isolation aufgrund der Corona-Pandemie. Netzwerk soll Frauen, Kinder und Jugendliche unterstützen

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"Nachbarschaftliches Netzwerk gegen Gewalt: Meine Nachbarin, ich höre dir zu, ich beschütze dich, ich zeige an!"
"Nachbarschaftliches Netzwerk gegen Gewalt: Meine Nachbarin, ich höre dir zu, ich beschütze dich, ich zeige an!"

Brasília. Aufgrund der wahrscheinlichen Zunahme von Fällen häuslicher Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche während der sozialen Isolation als Folge der Covid-19-Pandemie hat in Brasilien die Taskforce zur Bekämpfung der Femizide eine Kampagne gestartet.

Gewaltsituationen können über das "Nachbarschaftliche Netzwerk gegen Gewalt: Meine Nachbarin, ich höre dir zu, ich beschütze dich, ich zeige an!" gemeldet werden. Inspiriert wurde die Initiative durch Kampagnen internationaler Menschenrechtsorganisationen, die sich verstärkt für eine "solidarische und aufmerksame Nachbarschaft" einsetzen, in der Fälle von Gewalt umgehend den Behörden gemeldet werden.

Einberufen wurde die Taskforce durch den Abgeordneten Jeferson Fernandes von der Arbeiterpartei PT, Präsident der Kommission für Sicherheit und Öffentlichen Dienst im Legislativrat. Laut Fernandes ist es gerade in diesen Zeiten fundamental, die Gesellschaft für die Bekämpfung von häuslicher Gewalt zu ermutigen und zu mobilisieren: "Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens führen unweigerlich zu Spannungen in den Familien. Sie wirken sich negativ auf die Raten von Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche aus. Diese sind möglicherweise gezwungen, ständig mit der gewaltanwendenden Person unter einem Dach zu leben. Die Behörden sind verpflichtet, jene Betroffenen aus einer solchen Situation herauszuholen. Das Engagement aller ist diesbezüglich von großer Bedeutung, es ist eine Pflicht für unsere Gesellschaft, derer sich alle bewusst sein sollten."

Die Koordinatorin der Taskforce, Rechtsanwältin Ariane Leitão, betont, dass häusliche Gewalt eine schwerwiegende Konsequenz der sozialen Isolation ist und in allen Teilen der Welt nun verstärkt auftritt. "Die Anzahl von Scheidungen und Gewalttaten in China hat sich beispielsweise verdoppelt, ebenso wie in Europa. Die Idee ist es, die Bevölkerung diesbezüglich zu sensibilisieren und dazu einzuladen, Teil eines Aktionsnetzwerkes zu werden. Außerdem wird versucht, die Gesellschaft in die Bekämpfung häuslicher Gewalt, die uns alle betreffen könnte, einzubinden. Die Organisation der Vereinten Nationen für Gleichstellung und Ermächtigung der Frauen hat kürzlich an Regierungen appelliert, Notmaßnahmen zu ergreifen, die explizit Frauen und ihre Familien in Zeiten der Covid-19-Pandemie schützen. Unsere Kampagne zielt darauf ab, diese Notwendigkeiten zu erkennen und außerdem die Meldesysteme häuslicher Gewalt zu verbessern“, sagt Ariane Leitão.

Die Taskforce wirkt außerdem an einer Unterschriftensammlungsaktion für den Schutz von brasilianischen Frauen mit. Die von der Bewegung geforderten Notmaßnahmen in den Zeiten von Covid-19 sind folgende:

  • Aufnahme der von familiärer und häuslicher Gewalt betroffenen Frauen in das Grundeinkommensprogramm der Nothilfe, das ihnen eine finanzielle Unterstützung von monatlichen 1.200 Reais (circa 210 Euro) zusichern würde.

  • Organisation von Schutzeinrichtungen für Betroffene von häuslicher und familiärer Gewalt. Diese Einrichtungen ermöglichen Maßnahmen für direkt und indirekt Betroffene wie eine umgehende Versorgung der Grundbedürfnisse. Die Unterbringung von Betroffenen aufgrund der sozialen Isolation muss unabhängig von Zuständigkeiten des Staates oder der Präfekturen und unabhängig von kollektiven oder privaten Besitzverhältnissen erfolgen.

  • Bereitstellung von Notfallhotlines (neben den Meldesystemen) für Betroffene von Gewalt und deren betroffenes Umfeld.

Laut den Organisatoren der Bewegung wurde ein entsprechender offener Brief bereits an die Präsidenten der Abgeordnetenkammer und des Senats gesandt. Die Umsetzung der genannten Forderungen wird nun angegangen.

Unterdessen hat sich die Zahl der im Zuhause getöteten Frauen während der Kontakteinschränkungen im Bundesstaat São Paulo fast verdoppelt. Nach Polizeiangaben sind seit Schließung von Bars und Geschäften am 23. März bis zum 13. April offiziell 16 Frauen durch häusliche Gewalt ums Leben gekommen. Im Vorjahreszeitraum waren es neun. Die Leiterin des Instituts für Sicherheitspolitik, Samira Bueno, führt die Zunahme von Gewalttaten vorrangig auf einen Anstieg von Alkoholkonsum im Privaten und den Verlust von Jobs und Einkommen zurück. Dies spiegelt sich auch in der Zahl der Notrufe von Frauen wider, wie eine Studie der Staatsanwaltschaft von São Paulo belegt: Sie nahmen im Monat März um 29 Prozent zu.

Auch in anderen Ländern Lateinamerikas gibt es verstärkt Hinweise darauf, dass der "Shutdown" von Hilfseinrichtungen, das Fehlen von Sozialarbeit und die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Not zu einem Anstieg der häuslichen und geschlechtsspezifischen Gewalt führt. In Argentinien nahmen die Anrufe bei Hotlines für häusliche Gewalt um 40 Prozent zu, nachdem die Regierung eine verpflichtende Quarantäne eingeführt hatte. In Mexiko stiegen sie in den Wochen, nachdem die Regierung erstmals zu „sozialer Distanzierung“ aufgerufen hatte, um 60 Prozent und in Kolumbien um über 90 Prozent. Indes erschweren es unterschiedliche Praktiken bei der Erfassung und Verfolgung von Gewalt gegen Frauen, das ganze Ausmaß des Problems in Lateinamerika zu erfassen.