Bogotá. Oppositionelle in Kolumbien haben ihrer Meinung nach ungerechtfertigte staatliche Transferleistungen an Banken und Großunternehmen während der andauernden Pandemie durch das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 heftig kritisiert. Eines der Hilfspakete der konservativen Regierung hat einen Umfang von jährlich 500 Milliarden Pesos (circa 115 Millionen Euro). Diese Ressourcentransfers sind Teil der Wirtschafts- und sozialen Maßnahmen, die Präsident Iván Duque seit März im Rahmen des Gesundheitsnotstands wegen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie getroffen hat. Die Bevölkerung der Elendsviertel hängt als Zeichen des Protestes indes rote Tücher in ihre Fenster, weil sie keine Staatshilfen bekommen oder die geleisteten Hilfen nicht ausreichen.
Die 500 Milliarden Pesos sind die Rendite, die Banken für den Kauf von Staatsanleihen im Wert von 9,4 Billionen Pesos (circa 2,17 Milliarden Euro) erhalten werden. Duque hatte die Kreditinstitute zu diesem Kauf verpflichtet, um in Zeiten der Corona-Krise die Liquidität seiner Regierung abzusichern. Allerdings bekommen die Finanzinstitute die 9,4 Billionen Pesos von der kolumbianischen Zentralbank (Banco de la República) für null Zinsen. Der Staat hätte also die 9,4 Billionen Pesos also auch direkt von der Zentralbank ohne Vermittlung der privaten Banken erhalten können, kritisieren die Senatoren der Opposition. Die Vermittlung der Geldinstitute, die sie nun mit der jährlichen Rendite von 500 Milliarden Pesos bereichert, habe Duque nur als "großes Geschenk" für sie arrangiert, kritisierte Senator Jorge Robledo von der linksgerichteten Partei Demokratischer Pol (Polo Democrático).
Dies sei nicht das einzige Geschenk an den Finanzsektor, so Robledo. Damit die Banken den Kolumbianern in der Krise leichter Geld leihen können, hat die Zentralbank den Leitzins von 4,25 auf 3,75 Prozent gesenkt. Jedoch haben 85 Prozent der Kreditinstitute die Zinssätze ihrer Kredite erhöht, in einigen Fällen auf bis zu 24 Prozent erhöht, so Gustavo Bolívar von der Bewegung Colombia Humana (Menschliches Kolumbien) und Robledo. Trotzdem klagen viele Mittel- und Kleinunternehmer, dass sie keine Kredite bekommen, weil sie laut den Banken keine Sicherheiten anbieten können.
Die Zinsmarge der kolumbianischen Banken gehört zu den höchsten der Region. Ihre Gewinne seien unverhältnismäßig hoch, beklagte Robledo. Auch Bolívar wies darauf hin, dass allein zwei Banken für die staatlichen Überweisungen an Sozialfälle wie Senioren und Familien in Armut während der Isolierung circa 3.5 Milliarden Pesos (circa 810 Millionen Euro) als Überweisungsgebühr kassiert haben.
Eine weitere Verordnung von Duque, die für Empörung sorgte, betrifft die Hilfe für private Rentenversicherungen durch die Belastung des gesetzlichen Rentensystems (Colpensiones). Colpensiones ist nun verpflichtet, circa 20.000 Kunden der privaten Rentenversicherung aufzunehmen und ihnen Rente zu zahlen.
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Das private Rentensystem sowie die kolumbianischen Banken gehören den reichsten Familien des Landes. Darunter ist die Familie von Luis Carlos Sarmeinto Angulo, der auf der Forbes-Liste der Reichsten der Welt mit einem Vermögen von 10,8 Milliarden US-Dollar auf dem 189. Platz liegt. Seine Holding Grupo Aval kontrolliert zwei Drittel der kolumbianischen Banken. Die Grupo Aval ist in den Korruptionsskandal von Odebrecht verwickelt. Sarmiento finanzierte Präsidentschaftskampagnen von Kandidaten der traditionellen Machtparteien. Aval hat knapp 67 Prozent von Duques Kampagne finanziert.
Scharfe Kritik hat ebenso die Forderung der Fluggesellschaft Avianca hervorgerufen, vom Staat gerettet zu werden. Avianca ist seit vielen Jahren kein kolumbianisches Unternehmen mehr und gegen sie wird wegen illegaler Abhöraktionen gegen ihre Gewerkschafter ermittelt. Dennoch ist die Möglichkeit eines staatlichen Rettungsschirms für Avianca noch nicht vom Tisch.
Zum Skandal wurde auch das Covid-bedingte Hilfspaket für Kleinbauern. Nachdem Duque 226 Milliarden Pesos (circa 52 Millionen Euro) mittleren und kleinen Landwirten zugeteilt hat, hat die entsprechende Landbehörde Finagro 94 Prozent des Geldes an Großproduzenten und nur vier Prozent mittleren und zwei Prozent kleinen Landwirten zukommen lassen, wie die Verwaltungsstaatsanwaltschaft aufdeckte.
In der Mittel- und Unterschicht wächst unterdessen die Existenzangst. Knapp die Hälfte der Beschäftigten arbeitet im informellen Sektor. In den Elendsvierteln gehen viele Menschen auf die Straße, um staatliche Hilfen gegen den Hunger zu fordern. In Bogotá hat die Stadtverwaltung mit Repression durch die Aufstandsbekämpfungseinheit der Polizei (Esmad) geantwortet.