Brasília/Wuppertal. Brasiliens jüngster, ehemaliger Bildungsminister, Carlos Alberto Decotelli, ist wegen Betrugsvorwürfen nach vier Tagen von seinem Amt zurückgetreten. Decotteli reichte am gestrigen Dienstag seinen Rücktritt vom Amt ein, das er nie angetreten hat. Denn Medienberichten zufolge hat Decotelli wesentliche Teile seiner akademischen Laufbahn auf der Plattform Currículo Lattes geschönt oder erfunden, darunter seinen Doktortitel und einen Postdoc an der Bergischen Universität Wuppertal.
Als Präsident Jair Bolsonaro Decotelli am vergangenen Donnerstag zum neuen Minister für Bildung ernannte, verwies er auf dessen akademische Titel – einen Master an der renommierten Fundação Getúlio Vargas (FGV), einen Doktor an der Universität von Rosário in Argentinien und einen Postdoc an der Universität Wuppertal. Die Presse schrieb unter Bezug auf von Decotelli selbst ins Netz gestellten Lebenslauf von einer "soliden akademischen Karriere".
Doch noch am selben Tag erklärte der Rektor der Universität von Rósario, Franco Bartolacci, dass Decotelli den Doktortitel nie erworben habe. Und am Samstag kündigte die FGV an, die Masterarbeit aus dem Jahr 2008 auf Plagiate hin zu untersuchen. Decotelli soll mindestens zwölf Prozent der Arbeit aus einem Weltbankbericht kopiert haben.
Dennoch absolvierte Decotelli unter diesen dubiosen Voraussetzungen im Jahr 2016 einen Forschungsaufenthalt an der Bergischen Universität Wuppertal. In seinem Lebenslauf verzeichnete er diese Zeit als Postdoc und verfasste eine 37-seitige Arbeit über die Aktivitäten des deutschen Landmaschinenherstellers Krone in Brasilien, die amerika21 vorliegt. Doch einen Titel habe er in dieser Zeit an der Universität nicht erhalten, teilte diese am Montag gegenüber amerika21 auf Anfrage mit. Aussagen zu in Brasilien erworbenen Titeln könne die Bergische Universität nicht machen, so die Pressestelle weiter.
Der Vier-Tage-Minister und Ex-Marineoffizier bestritt zunächst die Plagiatsvorwürfe, erklärte sich aber nach öffentlicher Kritik bereit, seine Masterarbeit zu überarbeiten. Den Doktortitel und Postdoc hat er inzwischen aus seinem Lebenslauf gestrichen. Juristen gehen vom Straftatbestand der Urkundenfälschung und Täuschung aus. Am Montag lenkte die Regierung ein und setzte die Amtseinführung auf unbestimmte Zeit aus. Präsident Bolsonaro gestand, dass seine Personalentscheidung dem Ansehen des Bildungsministeriums schadete. "Der Herr Decotelli hat nicht vor, ein Problem für sein Ressort [Regierung] zu sein, und er ist sich seines Fehlers bewusst", so der Regierungschef am Dienstagmorgen. Am Nachmittag trat Decotelli vom Antritt zurück.
Bolsonaro wollte Decotelli zum Nachfolger des bisherigen Bildungsministers Abraham Weintraub machen. Dieser hatte das Land unlängst in Richtung USA verlassen und war dann offiziell zurückgetreten. Zuvor war er in den Fokus polizeilicher Ermittlungen auf Bundesebene geraten, nachdem er die Richter des Obersten Bundesgerichtes (STF) verbal angegriffen und zum Putsch gegen den Kongress aufgerufen hatte. Nun soll er einen Sitz im Vorstand der Weltbank übernehmen.
Der Reserveoffizier Decotelli wäre der dritte Bildungsminister gewesen, der erste schwarze Minister und ein weiterer Militär in der Regierung Bolsonaro. Von den 22 Ministern stammen bisher zehn aus den Reihen der Armee. Bolsonaro wollte Decotelli auf Wunsch der Generäle einsetzen.
Die blamable Personalpolitik Bolsonaros ändert indes nichts an dessen Umfragewerten. Aktuell finden 41 Prozent seine Regierung gut, 49 Prozent lehnen sie ab – trotz seiner verfehlten Corona-Politik, seiner Anti-Sozialpolitik und den Verwicklungen des Sohnes in kriminelle Kreise. Die parlamentarische Opposition konnte bisher allerdings noch keinen aussichtsreichen Gegenentwurf präsentieren.
Gleichwohl demonstrierten vergangen Sonntag in mehr als 50 Städten in mindestens 20 Ländern Tausende gegen den brasilianischen Präsidenten oder beteiligten sich an den virtuellen Stop-Bolsonaro-Kampagnen in sozialen Netzwerken. "Weg mit Jair Bolsonaro!" lautete die Forderung. Auch in elf deutschen Städten kam es am Sonntag zu Aktionen, darunter München, Köln, Hamburg, Tübingen und Berlin.