Mexiko-Stadt. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Mexiko den Ausschuss der Vereinten Nationen gegen das Verschwindenlassen (Committee on Enforced Disappearances, CED) zu einer Untersuchung ins Land gelassen. Es ist auch der erste Besuch des Ausschusses in einem Land überhaupt.
Die Delegation reist durch zwölf Bundesstaaten und trifft sich mit Regierungsmitgliedern, Politiker:innen, Betroffenen, Kollektiven sowie nationalen und internationalen Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen.
Die Regierung unter Andrés Manuel López Obrador ist die erste, die eine humanitäre Krise durch die hohe Zahl an Verschwundenen anerkannt hat. Dennoch hat auch sie nach Amtsantritt noch kein Mittel gegen das gewaltsame Verschwindenlassen und die Straffreiheit der Täter:innen gefunden.
Während 2013 von etwa 26.000 Opfern ausgegangen wurde, stieg die Zahl bis 2018 auf knapp 70.000. Das staatliche Nationale Suchsystem (Sistema Nacional de Búsqueda, SNB) ging in seinem letzten Bericht von 94.406 Verschwundenen aus. Mexiko ist nach dem Irak das Land, gegen das das CED am meisten "urgent actions" ausgesprochen hat. Diese Akutwarnungen verhängt das Komitee nach Artikel 30 der Konvention zum Schutz aller Personen vor gewaltsamem Verschwindenlassen, wenn sich Angehörige oder Vertreter:innen gerade erst verschwundener Menschen an das Gremium wenden.
"Das Kommitee begrüßt die Zustimmung Mexikos zu diesem Besuch, den wir seit 2013 gefordert hatten", erklärte Carmen Rosa Villa, die Leiterin der CED-Delegation. "Unser direkter Austausch mit staatlichen Behörden, Opfern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Menschenrechtsinstitutionen ist von entscheidender Bedeutung. Indem wir zusammenarbeiten, können wir Lehren ziehen und Wege aufzeigen, wie wir zur Beseitigung und Verhinderung des Verschwindenlassens im Land beitragen können", fügte sie hinzu.
Auch die Kollektive von Familienangehörigen begrüßten den Besuch. "Wir sind dankbar, dass das Kommitee seine Aufmerksamkeit auf das ernste Problem richtet, das wir in Mexiko erleben", heißt es in einer Erklärung der "Bewegung für unsere Verschwundenen in Mexiko (MNDM)", einem landesweiten Zusammenschluss von Suchkollektiven. Gleichzeitig forderten die Aktivist:innen von der Regierung, auf höchster Ebene aller staatlichen Institutionen mit dem CED zusammenzuarbeiten und alle angeforderten Informationen uneingeschränkt und in transparenter Weise zur Verfügung zu stellen.
Zugleich machten sie darauf aufmerksam, dass die forensische Suche in einer tiefen Krise stecke: "Es gibt mindestens 52.004 nicht identifizierte Verstorbene, die meisten von ihnen in Massengräbern auf öffentlichen Friedhöfen, für die die Staatsanwaltschaften zuständig sind", hieß es in einer Erklärung, die MNDM an das CED überreichte. "Die Straflosigkeit in diesen Fällen liegt bei über 98 Prozent. Es wird geschätzt, dass Tausende von Meldungen über verschwundene Personen zu keinerlei Ermittlungen geführt haben, und viele weitere werden nicht gemeldet, weil das Vertrauen in die Behörden fehlt. Es gibt nur 35 Verurteilungen wegen des Verschwindenlassens von Personen."
Zugleich machten die Kollektive darauf aufmerksam, dass sich Familienangehörige, die nach ihren Verwandten suchen, immer wieder in Lebensgefahr begeben. Viele würden bedroht oder eingeschüchtert, es gebe mindestens zwölf Fälle von Morden an suchenden Familienangehörigen.
Auf seiner Reise durch verschiedene Bundesstaaten haben Kollektive unter anderem aus Veracruz, Jalisco und Coahuila weitere Berichte an das CED übergeben. Zudem kamen die Expert:innen mit Regierungsmitgliedern und Staatsanwaltschaften aus Nayarit, Guerrero, Veracruz und Nuevo León zusammen. Die Delegierten wollen ihren Besuch am 26. November mit einer Abschluss-Pressekonferenz beenden.