Weltklimarat: In Lateinamerika verschärft sich die Klimakrise

Globaler Süden stärker von Klimawandel betroffen als Industrieländer. Klimawandel führt zu extremer Armut und verstärkt Ungleichheit in der Region. Unwetter und Dürre zerstören Lebensgrundlagen

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Dürreperioden und Waldbrände werden als Folge des Klimawandels in Lateinamerika häufiger und intensiver auftreten
Dürreperioden und Waldbrände werden als Folge des Klimawandels in Lateinamerika häufiger und intensiver auftreten

Genf. In seinem jüngsten Bericht warnt der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) vor den negativen Folgen des Klimawandels. Dieser führe zur extremer Armut und verstärke die Ungleichheit, besonders im globalen Süden.

Das Thema des II. Teils zum 6. Sachstandsbericht sind die "Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit" durch die Klimaerwärmung. Dazu haben 270 Autoren 34.000 Studien ausgewertet und auf rund 1.000 Seiten zusammengefasst.

Wenn die Treibhausgasemissionen nicht auf das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau reduziert werden, werden die Risiken für negative Auswirkungen des Klimawandels mit jedem Zehntelgrad Erderwärmung weltweit erheblich steigen, warnen die Klimaforscher. Dazu gehören Dürren, die Zunahme von hitzebedingten Krankheiten und Epidemien, die unsichere Wasserversorgung aufgrund des Rückgangs der Gletscher sowie Bedrohung der Lebensmittel- und Ernährungssicherheit.

Das Journalismus-Portal Diálogo Chino hat die wichtigsten Aussagen des Berichts für die Region Lateinamerika zusammengetragen. So ist die Region stärker vom Klimawandel gefährdet als Industrieländer. Lateinamerika ist bereits von extremen Wetterereignissen betroffen. Klimaforscher erwarten, dass diese zunehmen werden. Die Liste umfasst den Anstieg der Temperaturen und des Meeresspiegels, Küstenerosion und eine zunehmende Häufigkeit von Dürreperioden, die mit einem Rückgang der Wasserversorgung einhergehen, sowie die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die Landwirtschaft und die Fischerei.

So hat beispielsweise die Zahl der extremen Wetterereignisse in Mittelamerika in den letzten 30 Jahren um drei Prozent pro Jahr zugenommen. Im Amazonasgebiet ist das Risiko von Dürren von acht Prozent in den Jahren 2004–2005 auf 16 Prozent in den Jahren 2015–2016 gestiegen, was teilweise auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Dies hat zu einem erhöhten Baumsterben und einem Rückgang der Produktivität der Wälder geführt.

Gleichzeitig führen Waldzerstörung, Brände und Entwaldung zu einer Fragmentierung der Landschaft und haben den Wald anfälliger gemacht. "Dies führt zu einem Verlust seiner Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern", sagte der IPCC-Autor Jean Ometto, ein Wissenschaftler aus Brasilien.

Insgesamt ist zu erwarten, dass saisonale Dürreperioden länger, intensiver und häufiger werden, ebenso wie extreme Niederschlagsereignisse. Schätzungen zufolge werden bis zu 85 Prozent der an biologischer Vielfalt reichen Hotspots in der Region durch den Klimawandel bedroht sein.

Auf der einen Seite hat sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Zunahme der durchschnittlichen Niederschlagsmenge positiv auf die landwirtschaftliche Produktion im Südosten Südamerikas ausgewirkt. Im Gegensatz dazu hat der Mangel an Niederschlägen die Subsistenzlandwirtschaft im zentralamerikanischen Trockenkorridor beeinträchtigt und gefährdet die Ernährungssicherheit.

Der IPCC-Bericht macht auch klar, dass der Klimawandel ein Gerechtigkeitsproblem ist. Seine negativen Auswirkungen sind ein Treiber von extremer Armut und verstärken die bereits bestehende Ungleichheit, warnt Leitautor Walter Leal.

Insbesondere für kleine und mittlere Landwirte und indigene Völker wird erwartet, dass sich die Lebensgrundlagen und Ernährungssicherheit durch einen allgemeinen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion, der landwirtschaftlichen Flächen und der Verfügbarkeit von Wasser verschlechtern werden.

Denn der Klimawandel verändert die Anbauzyklen in der Landwirtschaft, was zu geringeren Ernteerträgen führt. Bis 2050 wird in Zentralamerika ein Produktivitätsrückgang von 19 Prozent bei Bohnen, 23 Prozent bei Reis und zwischen vier und 21 Prozent bei Mais prognostiziert.

In der Andenregion wirken sich Gletscherschmelze, Temperaturanstieg und Niederschlagsschwankungen zusammen mit veränderter Landnutzung auf Ökosysteme, Wasserverfügbarkeit und Lebensgrundlagen aus. Seit 1980 sind nach Angaben des IPCC 30 bis 50 Prozent der Gletscher verloren gegangen. Die Gletscher in den südlichen Anden weisen weltweit die höchsten Massenverluste auf und tragen zum Anstieg des Meeresspiegels bei.

Gleichzeitig führen die Auswirkungen dazu, dass mehr Menschen ihre Heimat verlassen. So sind die Andenregion, der Nordosten Brasiliens und die nördlichen Länder Zentralamerikas die Regionen, die am stärksten von klimabedingter Migration und Vertreibung betroffen sind. Soziale, politische und wirtschaftliche Faktoren stehen in Wechselwirkung mit extremen Wetterereignissen wie Hurrikanen, Überschwemmungen und tropischen Stürmen.

"Wir haben die Möglichkeit, uns an die Folgen des Klimawandels anzupassen und die Anfälligkeit in Lateinamerika zu verringern. Je früher wir mit der Anpassung beginnen, desto niedriger werden die Kosten sein", sagte Liliana Miranda, IPCC-Autorin und Wissenschaftlerin aus Peru.

Zwar sind in der Region bereits mehrere Anpassungsmaßnahmen im Gange, zum Beispiel die Diversifizierung der Anbauprodukte, Frühwarnsysteme, die Bezahlung von Umweltleistungen oder Klimagesundheitsobservatorien, der Bericht macht allerdings deutlich, dass die finanzielle und institutionelle Unterstützung für die Anpassung und die Bewältigung von Verlusten und Schäden in Lateinamerika wie auch in anderen Regionen unzureichend ist.

Im Pariser Abkommen haben sich die Industrieländer verpflichtet, Ländern des Globalen Südens 100 Milliarden Dollar für Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Das Ziel wurde bisher nicht erreicht.