Neue Regierung in Chile kündigt Ende des Ausnahmezustands in Wallmapu an

Nach Jahrzehnten militärischer Aufrüstung der Polizei und knapp zwei Jahren Militärpräsenz im Mapuche-Gebiet setzt Regierung auf Dialog mit Indigenen

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Präsident Boric und seine Freundin Irina Karamanos bei der ökumenischen Zeremonie der indigenen Völker für die Zukunft des Landes am Samstag
Präsident Boric und seine Freundin Irina Karamanos bei der ökumenischen Zeremonie der indigenen Völker für die Zukunft des Landes am Samstag

Santiago. Am ersten Tag im Amt hat die neue Regierungssprecherin Camila Vallejo bekannt gegeben, dass der derzeit geltende Ausnahmezustand im Mapuche-Gebiet im Süden Chiles, dem Wallmapu, nicht verlängert wird. Das Militär wird am 26. März aus den betroffenen Regionen, der Araucanía und dem Bío-Bío, abgezogen und keine polizeilichen Aufgaben mehr übernehmen.

Nach Jahrzehnten der militärischen Aufrüstung der Polizei und knapp zwei Jahren Militärpräsenz setzt die Regierung von Gabriel Boric auf Dialog mit den indigenen Mapuche.

Am gestrigen Dienstag reiste die neue Innenministerin, Izkia Siches, mitsamt der Gesundheitsministerin Begoña Yarza und dem Bildungsminister Marco Ávila in die Araucanía, um im Gespräch einen "langanhaltenden Frieden im Wallmapu zu schaffen", erklärte Siches. Man werde die verschiedenen Probleme wie fehlende Gesundheitsversorgung, Armut und historische Ungerechtigkeit mit den Mapuche angehen und in den kommenden Wochen konkrete Lösungsansätze vorschlagen.

Der rechtsgerichtete Regionalgouverneur der Araucanía, Luciano Rivas, verurteilte den Abzug des Militärs. Gegenüber Radio Cooperativa sagte er, der Ausnahmezustand habe Sicherheit geschaffen, die Regierung dürfe "die Hunderten von Landwirten nicht der Unsicherheit überlassen". Er hoffe, dass die Sicherheitsmaßnahmen der neuen Regierung wirksamer sein würden als der Ausnahmezustand. Dabei kritisierte Rivas im Januar selbst noch den Ausnahmezustand, da er das Problem der Gewalt in der Araucanía nicht lösen werde. "Es braucht auf lange Zeit ausgerichtete Maßnahmen", sagte Rivas damals gegenüber der Zeitschrift Pauta.

Seit Jahren kommt es im Wallmapu zu Anschlägen radikaler Mapuche-Organisationen auf Forstbetriebe und Siedler:innen. Letztere betreiben auf ehemaligen Ländereien der Indigenen Landwirtschaft, wobei vor allem die Forstbetriebe mit ihren Eucalyptusplantagen für zunehmende Trockenheit und weitere Umweltprobleme verantwortlich gemacht werden.

Die Militarisierung seitens der letzten Regierungen führte in den vergangenen Jahren mehrfach zum Tod von unbeteiligten Opfern auf Seiten der Mapuche. Zuletzt schossen im November 2021 Marinesoldaten bei einem Kontrollpunkt auf eine Demonstration und anwesende Passant:innen. Dabei wurde eine Person getötet, mehrere dutzend verletzt. Das Militar behauptet, ohne Beweise vorzulegen, aus dem Hinterhalt angegriffen worden zu sein. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt.

Die neue Regierung hat derweil eine neue Form des Dialogs mit den Indigenen Chiles angekündigt. Bei der Vereidigung zur Amtseinführung schwor Präsident Boric auf "die Völker Chiles" und organisierte neben einem ökumenischen Gottesdienst auch eine indigene Zeremonie.

In seiner Antrittsrede hatte Boric die Bezeichnung "Mapuche-Konflikt" zurückgewiesen und betont, es gehe "um den Konflikt zwischen dem chilenischen Staat und einem Volk, das das Recht hat zu existieren". Seine Regierung werde "unermüdlich daran arbeiten, nach so vielen Jahrzehnten des Missbrauchs und der Enteignung das Vertrauen wiederherzustellen. Die Anerkennung der Existenz eines Volkes mit allem, was dazu gehört, wird unser Ziel sein, und der Weg dorthin wird der Dialog, der Frieden, das Recht und das Mitgefühl mit allen Opfern sein."

Regierungsmitglieder sprechen derweil von Wallmapu und nicht wie die Vorgängerregierung von der "Makrozone Süden".

Während Teile der Mapuche den Aufruf zum Dialog unterstützen, geben militante Organisationen an, den bewaffneten Kampf nicht aufzugeben. Zuletzt gab Hector Llaitul von der militanten Coordinadora Arauco Malleco der Neuen Zürcher Zeitung ein Interview, in dem er unterstrich, sein Ziel, die Selbstbestimmung der Mapuche, weiterhin unter Einsatz von Gewalt erkämpfen zu wollen.

Auch am Tag des Besuchs der Minister:innen kam es zu einem Zwischenfall: Als sich Siches in Richtung einer Mapuche Gemeinde in der Nähe der Kleinstadt Ercilla begab, wurden Schüssen aus der Entfernung abgegeben. Die Delegation kehrte um und brachte sich bei einem Polizeiposten in Sicherheit.

Der zum Gespräch eingeladene Marcelo Catrillanca, Vater des im Jahr 2018 von einem Polizisten getöteten Mapuche Camilo Catrillanca, kritisierte daraufhin, der Besuch der Regierungsdelegation sei "sehr improvisiert", alles sei schnell und unordentlich geplant worden. Der Mapuche-Schriftsteller Pedro Cayuqueo kommentierte auf Twitter: "Die Regierung soll darüber nachdenken, ob sie mit schnellen Nachrichten Aufmerksamkeit bekommen will oder reale und ernsthafte Lösungsansätze für den Konflikt suchen möchte."