Marine von Mexiko hat Beweise im Fall Ayotzinapa gefälscht

Videomaterial zeigt Militärs beim Manipulieren des Tatorts. Jahrelang wurden Ermittlungen offenkundig simuliert. "Vermeintliche Täter waren nur eine Täuschung durch die Behörden"

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Die Hauptergebnisse der Expert:innen im Zusammenhang mit den gewaltsam Verschwundenen
Die Hauptergebnisse der Expert:innen im Zusammenhang mit den gewaltsam Verschwundenen

Mexiko-Stadt. Eine internationale Gruppe von unabhängigen Expert:innen (GIEI) hat einen Bericht vorgelegt, wonach Mitglieder der mexikanischen Marine eine aktive Rolle bei der vorgetäuschten Aufklärung des gewaltsamen Verschwindenlassens von 43 Studenten aus Ayotzinapa gespielt haben. Die interdisziplinäre, unabhängige Gruppe präsentierte in Mexiko bereits ihren dritten Bericht über falsche Beweisführung, Vertuschung und Lügen der mexikanischen Ermittlungsbehörden über den Fall.

Lehramtsstudenten der Escuela Normal Rural de Ayotzinapa, einem Institut, das sich der Bildung der indigenen Bevölkerung im Bundesstaat Guerrero widmet, waren am 26. September 2014 in mehreren Bussen auf dem Weg nach Mexiko-Stadt. In der Stadt Iguala wurden die Busse von Sicherheitskräften gestoppt und beschossen. Der Hergang der Ereignisse ist nicht endgültig geklärt. Am Ende der Nacht waren sechs Studenten erschossen und 43 verschleppt worden.

Die Polizei nahm im Lauf der Ermittlungen Dutzende Verdächtige fest. Zum Abschluss gab der damalige Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam bekannt, dass die Verschwundenen auf einer Müllhalde in der Nähe von Iguala eingeäschert worden seien. Die Ermittlungsergebnisse wurden von Beginn an von Menschenrechtsorganisationen und auch von der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte angezweifelt. Letztere gründete bereits im November 2014 die interdisziplinäre Arbeitsgruppe GIEI, die die mexikanischen Behörden bei der Suche nach den Verschwundenen, den forensischen und technischen Untersuchungen sowie bei der Begleitung von Betroffenen unterstützen sollte.

Die ersten zwei Berichte von GIEI zeigten gravierende Ermittlungsmängel auf. Die Arbeitsgruppe wurde daraufhin in den Medien immer wieder von mutmaßlich regierungsnahen Kreisen angegriffen. Als Präsident Andrés Manuel López Obrador 2018 seinen Posten antrat, versprach er eine umfassende Aufklärung des Falls und gründete eine Wahrheitskommission für Ayotzinapa. Er bat erneut um die Hilfe des GIEI, das seine Untersuchungen 2020 wieder aufnahm.

Expert:innen des GIEI veröffentlichten nun Videomaterial, das Soldat:innen der Marine beim Manipulieren der als Tatort genannten Müllhalde von Cocula zeigt. Auf dem Video ist die Ankunft des damaligen Generalstaatsanwalts Karam auf der Deponie zu sehen. Kurz vor seinem Eintreffen lädt eine Gruppe von 40 Personen, darunter auch Mitglieder der Marine, mehrere Bündel in weißen Säcken ab, verbrennt sie auf der Müllhalde und verstreut die Überreste in der Schlucht zu einem nahegelegenen Fluss.

Laut der GIEI-Untersuchung kann die Drohne, die das Gebiet überflog und mehr als 100 Stunden Videomaterial aufnahm, nur auf direkten Befehl des Staatspräsidenten oder des Marineministers, also Enrique Peña Nieto oder Vidal Francisco Soberón Sanz, betrieben worden sein.

In die Vertuschung und die Simulation einer Untersuchung seien hohe Funktionär:innen der ehemaligen und auch heutigen Regierung verwickelt, sagte Claudia Paz y Paz vom GIEI. Die Generalstaatsanwaltschaft sei schon vor der bewaffneten Attacke auf die Studenten und später bei Beginn und im weiteren Verlauf der Ermittlungen in den Fall verstrickt gewesen. So sollen verdeckte Beamte gemeinsam mit den Studierenden an Bord der Busse gewesen sein und hätten über die geplanten Aktionen der linksorientierten Studenten auf dem Weg zu einer Demonstration in Mexiko-Stadt informiert.

"Wir können sagen, dass die Wahrheit von Anfang an verloren war. Die Wiedergutmachung wird sehr komplex sein", sagte Angela Buitrago, ebenfalls vom GIEI. "Es sind vermeintliche Täter verhaftet worden, doch das war nur eine Täuschung durch die Behörden. Das Schlimmste ist die Folter, die den Ermittlungen geschadet hat."

Die durch Folter erzwungenen Geständnisse von Verdächtigen sind heute vor Gericht nicht verwertbar. Zudem seien seit 2014 zwanzig Zeug:innen, die Hinweise hätten geben können, auf gewaltsame Art und Weise zu Tode gekommen. Die Expert:innen des GIEI schlossen, dass sie immer noch nicht genug Informationen haben, um den Verbleib der Studenten aus Ayotzinapa zu bestimmen.