Gewalt in Ecuador eskaliert, Stimmen für einen Dialog werden lauter

Proteste reißen nicht ab. Zwei Tote, zahlreiche Verletzte und Festnahmen bei Demonstrationen. Nächtliche Ausgangssperre in der Hauptstadt Quito

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Die Proteste in Ecuador reißen nicht ab, hier am Montag in der Hauptstadt Quito
Die Proteste in Ecuador reißen nicht ab, hier am Montag in der Hauptstadt Quito

Quito. Die Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors (Conaie) stellt der Regierung Bedingungen für einen Dialog, um die seit dem 13. Juni anhaltenden massiven Proteste zu beenden.

Conaie-Präsident Leonidas Iza fordert die Aufhebung des Ausnahmezustandes, der seit dem 17. Juni gilt sowie die Entmilitarisierung des El Arbolito-Parks im Norden von Quito. Dort wollen die Anführer:innen der Proteste eine Versammlung abhalten und über das Angebot der Regierung beraten. Präsident Guillermo Lasso hatte vor einigen Tagen eine Reihe sozialpolitischer Maßnahmen angekündigt.

Regierungsminister Francisco Jimenez wies dies entschieden zurück: Der Ausnahmezustand könne nicht aufgehoben werden, weil Quito dann "schutzlos" sei und im Moment nicht die Zeit wäre, Bedingungen zu stellen. Schon zuvor hatte Innenminister Patricio Carrillo betont, dass sich die Regierung nicht die Konditionen für einen Dialog diktieren lasse.

Weitere Bedingungen der Conaie für Gespräche sind die sofortige Beendigung der Repression und Kriminalisierung sowie die Aufnahme aller Forderungen der Protestierenden in die Tagesordnung. Es dürfe keine "undurchführbaren" Punkte für die Regierung geben. Diese müsse sich vielmehr bemühen, den Anliegen der Bürger:innen gerecht zu werden.

Seit dem 13. Juni ist die Lage in Ecuador immer weiter eskaliert. An diesem Tag begannen die von Conaie angeführten Demonstrationen und Straßenblockaden, um Druck für einen Katalog von zehn sozialen und politischen Forderungen ‒ darunter Preissenkungen und Stopp der Privatisierungen ‒ auf die Regierung auszuüben. Tausende Indigene im Land beteiligen sich daran, Studierende und mehrere Gewerkschaftsverbände haben sich angeschlossen.

Auslöser der Proteste ist die massive Verschlechterung der sozialen Situation aufgrund drastisch gestiegener Preise, vor allem für Nahrungsmittel und Treibstoffe.

Die Regierung verhängte daraufhin am 17. Juni den Ausnahmezustand in den Provinzen Cotopaxi, Imbabura und Pichincha, der nun auch auf Chimborazo, Tungurahua und Pastaza ausgeweitet wurde. Dies bedeutet unter anderem nächtliche Ausgangssperre und ein Versammlungsverbot, die Regierung kann das Militär in diesen Regionen einsetzen.

Verteidigungsminister Luis Lara sprach davon, dass die Demokratie des Landes in großer Gefahr sei und die Streitkräfte nicht zulassen würden, dass die verfassungsgemäße Ordnung Ecuadors gestürzt werde.

In Puyo in der Provinz Pastaza ist am Dienstag ein Mensch zu Tode gekommen. Lokale Medien berichten, dass das Opfer von einer Tränengasgranate der Polizei getroffen wurde. Die Polizei bestreitet dies und erklärte, das Opfer sei vielmehr durch das unsachgemäße Hantieren mit einem Sprengsatz umgekommen. Innenminister Carrillo beklagte außerdem, dass bei Protesten vor einer Polizeistelle in Puyo drei Polizist:innen durch Demonstrierende festgesetzt worden seien, 18 weitere würden vermisst.

Am Tag zuvor war ein junger Mann bei Protesten im Norden von Quito ebenfalls zu Tode gekommen.

Menschrechtsorganisationen prangerten am Montag 74 Fälle von Verletzungen der Menschenrechte an. Ebenso melden studentische und soziale Organisationen zahlreiche Verletzte durch Polizeieinsätze in mehreren Universitäten in Quito, wobei auch Tränengas eingesetzt wurde.

Videos von Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstrant:innen füllen die sozialen Netzwerke. Conaie-Präisdent Iza, auf dessen geparktes Auto am vergangenen Wochenende geschossen wurde, rief die Kommandanten von Militär und Polizei dazu auf, nicht gegen das Volk zu kämpfen.

Regierungsminister Jimenez wollte hingegen kein Fehlverhalten der Sicherheitskräfte feststellen. Ihm zufolge hätten sich Polizei und Militär tadellos verhalten und würden Menschenrechte und Gesetze achten.

Dies betonte auch die Botschafterin Ecuadors in Deutschland, Verónica Bustamante, in ihrem Schreiben an amerika21 vom 17. Juni: Ecuador sei ein demokratischer Rechtsstaat und fördere die höchsten Standards der Menschenrechte. Auch werde die Regierung "die Suche nach Lösungen für die dringenden nationalen Probleme mit einer ständigen Offenheit für den Dialog mit den sozialen Sektoren des Landes" weiterführen, heißt es darin weiter.

Inzwischen kommen Angebote von der Regierung an die Protestierenden. Präsident Lasso hat vor einigen Tagen eine Reihe von sozialpolitischen Schritten angekündigt, darunter die Anhebung der Unterstützung der ärmsten Familien von monatlich 50 auf 55 Dollar, eine Verdoppelung des Budgets für die interkulturelle Bildung, eine Subventionierung der Preise für mittlere und kleine Produzent:innen um bis zu 50 Prozent und die Streichung überfälliger Kredite von bis zu 3.000 Dollar bei staatlichen Banken.

Lasso ließ jedoch eine der zentralen Forderungen der Conaie außen vor: die Senkung und Einfrierung der Benzin- und Dieselpreise.

Die jetzigen Ereignisse im Andenstaat lassen Erinnerungen an den sogenannten "Schwarzen Oktober" im Jahr 2019 hochkommen, als Proteste die Hauptstadt und das ganze Land erschütterten. Der damalige Präsident Lenín Moreno hatte kurz zuvor in Absprache mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Reihe von neoliberalen Maßnahmen verkündet, darunter die Abschaffung der Benzin- und Dieselsubventionen, eine Liberalisierung des Handels und Privatisierungen verschiedener Wirtschaftszweige.

Nachdem sich zunächst die Transportarbeiter:innen in Quito dem widersetzten und Straßen blockierten, rief die Conaie zu einem Marsch auf die Hauptstadt auf. Bis zum 13. Oktober 2019 kamen mindestens 15.000 Indigene nach Quito und schlossen sich den Protesten an. Der Conaie zufolge kam es bei den Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften zu zehn Toten, 1.340 Verletzten und fast 1.200 Festnahmen. Schließlich setzten sich die Conaie und Vertreter:innen der Regierung an den Verhandlungstisch, scheiterten aber daran, nachhaltig zufriedenstellende Ergebnisse für alle Seiten zu erzielen.

Neben der Gewalt sind auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen Proteste beträchtlich. Dem Produktionsministerium zufolge haben sie einen Verlust von 50 Millionen US-Dollar verursacht und das noch ohne die Zahlen des besonders bedeutenden Erdölsektors. Dort soll die Produktion um 100.000 Barrel gesunken sein, dies entspricht über 20 Prozent der Förderleistung, so ein Manager des staatlichen Unternehmens Petroecuador.

Unterdessen nehmen die Stimmen für einen Dalog und ein Ende der Gewalt zu. Der britische Botschafter in Ecuador teilte auf seinem Twitter-Account ein gemeinsames Kommuniqué diverser europäischer diplomatischer Vertretungen, darunter auch der deutschen und schweizerischen. Darin drückten die Botschafter:innen ihre Besorgnis über die Zustände im Land aus, welche die Sicherheit und Rechte der Bewohner:innen gefährdeten und rufen zu Gesprächen und Frieden auf.

Dieser Auffassung sind offenbar auch die meisten Ecuadorianer:innen: Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Cedatos zufolge sind über drei Viertel der Menschen der Meinung, dass der Protest durch einen Dialog zu Ende gebracht werden sollte.